Bundesfinanzhof, Beschluss vom 16.12.2014, Az. X B 114/14

10. Senat | REWIS RS 2014, 310

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Gegenstand

Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme - Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör - Feststellungslast für die Höhe der Einnahmen des Steuerpflichtigen - Anforderungen an die Nachvollziehbarkeit der Beweiswürdigung - Auferlegung der bis zum Erlass eines Änderungsbescheids entstandenen Kosten


Leitsatz

1. NV: Das FG verstößt gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, wenn es ein Protokoll über eine --in anderer Besetzung durchgeführte-- Zeugenvernehmung aus einem anderen Verfahren verwertet, in dem der dortige Senat den Zeugenaussagen "nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck" ohne nähere Beschreibung dieses Eindrucks nicht gefolgt ist, und sich der anders besetzte Senat nunmehr ohne eigene Beweisaufnahme dieser Würdigung anschließt .

2. NV: Kann das --die Feststellungslast für die Höhe der Einnahmen des Steuerpflichtigen tragende-- FA trotz vorhandener Ermittlungsmöglichkeiten keine eigenen Erkenntnisse zur Höhe der Einnahmen vorbringen, bezeichnet aber der Kläger Beweismittel zur Höhe seiner Einnahmen, muss es sich dem FG im Regelfall aufdrängen, diese Beweise zu erheben .

3. NV: Das FG verletzt den Anspruch der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs, wenn es nach Schließung der mündlichen Verhandlung erklärt, es sei "möglich", dass die mündliche Verhandlung später fortgesetzt werde, ohne jedoch Tag und Uhrzeit eines möglichen Fortsetzungstermins anzugeben, und zu einem nicht protokollierten Zeitpunkt tatsächlich in Abwesenheit der Beteiligten die mündliche Verhandlung wiedereröffnet und fortsetzt .

4. NV: Grundsätzlich trägt das FA die Feststellungslast für die Höhe der Einnahmen des Steuerpflichtigen .

5. NV: Die Beweiswürdigung durch das Tatsachengericht muss verstandesmäßig einsichtig und für das Rechtsmittelgericht logisch nachvollziehbar sein und sich auf festgestellte Tatsachen beziehen. Daran fehlt es, wenn das FG sich zur Verneinung der Glaubwürdigkeit von Zeugen lediglich floskelhaft auf "den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck" stützt, ohne diesen Eindruck auch nur andeutungsweise im Protokoll oder in seinem Urteil zu beschreiben .

6. NV: Hilft das FA dem Klagebegehren während des finanzgerichtlichen Verfahrens überwiegend ab, ohne dass ein Fall des § 137 FGO vorliegt, und weist das FG die verbleibende Klage ab, werden die bis zum Erlass des Änderungsbescheids entstandenen Kosten in der Regel anteilig dem FA aufzuerlegen sein .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), ein pensionierter Beamter, hat nach Auffassung des Beklagten und Beschwerdegegners ([X.]inanzamt --[X.]--) in der [X.] vom 1. Januar 2008 bis zum 31. März 2009 ein Bordell betrieben und daraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt, die der Gewerbesteuer unterliegen. Nach Auffassung des [X.] hat er [X.] an Prostituierte vermietet und daraus --nicht gewerbesteuerbare-- Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt.

2

Die Tätigkeit wurde ursprünglich von der Ehefrau ([X.]) des [X.] ausgeübt. Im [X.] an eine Steuerfahndungsprüfung hatte das [X.] gegen [X.] über Einkommensteuer und Gewerbesteuermessbetrag für die Jahre 1997 bis 2006 erlassen. Dem lag die Annahme einer gewerblichen Tätigkeit sowie eine Schätzung der Höhe der Einkünfte zugrunde. Dabei ging das [X.] davon aus, dass die Prostituierten die Hälfte ihrer Gesamteinnahmen an [X.] hätten abführen müssen. In den hiergegen geführten Klageverfahren hatte [X.] vorgetragen, die Prostituierten hätten nicht die Hälfte ihrer Einnahmen, sondern nur eine --wesentlich geringere-- feste Tagesmiete an sie zahlen müssen. Zum Beweis dieser Behauptung hatte sie u.a. vier Prostituierte als Zeuginnen benannt. Das [X.]inanzgericht ([X.]G) sah von den beantragten Vernehmungen mit der Begründung ab, es habe sich nicht davon überzeugen können, dass vorgelegte schriftliche Erklärungen der Zeuginnen zutreffend seien. Diese Urteile hat der erkennende Senat wegen unzulässiger vorweggenommener Beweiswürdigung aufgehoben und die Sachen an das [X.]G zurückverwiesen (Beschlüsse vom 29. Juni 2011 [X.] 242-244/10, B[X.]H/NV 2011, 1715).

3

Im zweiten Rechtsgang vernahm das [X.]G die Zeuginnen, glaubte ihnen aber "nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck" nicht. Aufgrund von Hinweisen des erkennenden Senats in der zurückverweisenden Entscheidung setzte es jedoch die Höhe der geschätzten Einnahmen herab. Im Übrigen wies es die Klagen erneut ab. Nichtzulassungsbeschwerden der [X.] gegen diese Entscheidungen blieben beim erkennenden Senat ohne Erfolg (Beschluss vom 14. Mai 2013 [X.] 123-125/12, B[X.]H/NV 2013, 1253).

4

Gegen den Kläger erließ das [X.] für die Streitjahre 2008 und 2009 Gewerbesteuermessbescheide über 2.093 € (2008) bzw. 0 € (2009), in denen es sich sowohl für die Annahme eines Gewerbebetriebs als auch hinsichtlich der Höhe der geschätzten Einkünfte auf den für [X.] ergangenen Steuerfahndungsbericht für die Jahre 1997 bis 2006 bezog. Der Kläger brachte hiergegen vor, der [X.]ahndungsbericht betreffe ein anderes Besteuerungssubjekt und andere [X.]räume. Er habe nach der Übernahme der Tätigkeit von [X.] deren frühere Verfahrensweise, die nach Auffassung des [X.] und [X.]G zu gewerblichen Einkünften geführt habe, umgestellt. So habe er mit allen Prostituierten schriftliche Mietverträge geschlossen, keine Abschlagzahlungen auf die Mieten mehr verlangt und über die Mietzahlungen der Prostituierten Quittungen ausgestellt. Er legte dem [X.] zahlreiche Kopien derartiger Quittungen vor. Bei den häufigen Besuchen der Steuerfahndung in den der Prostitution dienenden Räumen sei er fast nie anwesend gewesen, was gegen seine Stellung als Bordellbetreiber spreche. Vor dem [X.]G benannte er zahlreiche Zeugen, darunter auch die vier bereits in dem von [X.] betriebenen Klageverfahren vernommenen Prostituierten.

5

Während des Klageverfahrens, am 20. August 2013, erließ das [X.] aufgrund einer Minderung der Höhe der geschätzten Einnahmen geänderte Gewerbesteuermessbescheide für die Streitjahre. Den [X.] für 2008 setzte es auf 336 € herab; der [X.] für 2009 blieb unverändert bei 0 €.

6

Das [X.]G wies die Klage --die es auch in Bezug auf die auf 0 € lautende [X.]estsetzung im [X.] an die entsprechende höchstrichterliche Rechtsprechung ausdrücklich für zulässig hielt-- ohne Beweisaufnahme ab. Dabei bezog es sich im Wesentlichen auf seine Urteile in den Klageverfahren der [X.]. Es sei nicht erkennbar, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse in den Streitjahren im Vergleich zu den Jahren 1997 bis 2006 maßgeblich geändert hätten. Die Vernehmung der Zeuginnen sei nicht erforderlich, da ihre gegenteiligen Angaben aus den Gründen, die bereits im Urteil gegen [X.] genannt worden seien, nicht glaubhaft seien. Die vorgelegten Quittungen sollten allein dazu dienen, den tatsächlichen Sachverhalt zu verschleiern.

7

Mit seiner Beschwerde rügt der Kläger Verfahrensmängel.

8

Das [X.] hält die Beschwerde für unzulässig.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Beschwerde ist begründet. Es liegen mehrere vom Kläger geltend gemachte Verfahrensmängel vor, auf denen die Entscheidung des [X.] beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der [X.]inanzgerichtsordnung --[X.]O--).

1. Das [X.] hat gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) verstoßen, indem es die vom Kläger als Zeuginnen benannten Prostituierten nicht vernommen hat, sondern stattdessen das Protokoll der Vernehmung in einem früheren Verfahren verwertet hat.

Der beim [X.] entscheidende Senat war im Vergleich zu dem Senat, der zwei Jahre zuvor über die Klagen der [X.] entschieden hatte, sowohl hinsichtlich des Berichterstatters als auch hinsichtlich der ehrenamtlichen [X.] abweichend besetzt. Drei der fünf erkennenden [X.] hatten daher keinen eigenen unmittelbaren und persönlichen Eindruck von der früheren Beweisaufnahme. In einem solchen [X.]all darf, nachdem die frühere Beweisaufnahme im Wege der [X.] in das neue Verfahren eingeführt worden ist, bei der Beweiswürdigung nur das berücksichtigt werden, was auf der Wahrnehmung aller an der Entscheidung beteiligten [X.] beruht oder aktenkundig ist und wozu die Beteiligten sich zu erklären Gelegenheit hatten. Nur unter diesen Voraussetzungen kann der persönliche Eindruck, den ein Zeuge bei der Beweisaufnahme hinterlassen hat, zur Beurteilung von dessen Glaubwürdigkeit herangezogen werden. Eindrücke, die die vernehmenden [X.] bei der früheren Beweisaufnahme gewonnen, aber nicht im Protokoll vermerkt haben, dürfen bei der Entscheidung durch einen anders besetzten Senat keine Rolle spielen (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung; vgl. zum Ganzen Beschlüsse des [X.] --B[X.]H-- vom 30. April 2003 I B 120/02, B[X.]H/NV 2003, 1587, m.w.N., und vom 7. [X.]ebruar 2007 [X.] 105/06, B[X.]H/NV 2007, 962).

Das [X.] hat in seinen Urteilen, die im Verfahren der [X.] ergangen sind, wörtlich ausgeführt, es habe sich "nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck nicht die Überzeugung davon verschaffen" können, dass die Aussagen der Zeuginnen zutreffend seien. Diese Urteilspassage hat es auf [X.]. 21 seines gegen den Kläger ergangenen, im vorliegenden Verfahren angefochtenen Urteils wörtlich zitiert. Vor diesem Hintergrund ist für den erkennenden Senat nicht nachvollziehbar, auf welcher Grundlage das [X.] auf [X.]. 26 des angefochtenen Urteils --ohne jede Erläuterung oder Begründung-- behauptet, es habe in seiner früheren Entscheidung nicht auf die persönliche Glaubwürdigkeit der Zeuginnen abgestellt.

Der Kläger hat den --bereits vor der mündlichen Verhandlung schriftsätzlich gestellten-- Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich zu Protokoll des [X.] wiederholt und die unterbliebene Beweisaufnahme daher gerügt. [X.]ür den vom [X.]A angenommenen Rügeverzicht (§ 295 der Zivilprozessordnung --ZPO--) ist daher keine Grundlage erkennbar.

2. Durch das Übergehen weiterer Beweisanträge des [X.] hat das [X.] auch seine Pflicht verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O).

a) Der Kläger hatte im Schriftsatz vom 9. Mai 2014 u.a. mehrere [X.] sowie einen Journalisten als Zeugen benannt. Als Beweisfrage hatte er formuliert, dass er keine Inserate geschaltet, keine Kondome, Gleitmittel etc. für seine Mieterinnen gekauft, keinen Internetauftritt unterhalten, keine [X.] bzw. Gutscheine ausgegeben und keine Prostitutionsstätte betrieben oder unterhalten habe.

Das [X.] hat die Beweisaufnahme mit der Begründung für entbehrlich gehalten, es könne als wahr unterstellt werden, dass der Kläger selbst die im Beweisantrag genannten Tätigkeiten nicht ausgeübt habe. Es nahm allerdings an, diese Leistungen seien von [X.] erbracht worden, wobei die Einkünfte gleichwohl dem Kläger zuzurechnen seien.

b) Damit schöpft das [X.] --was der Kläger zu Recht rügt-- die eigentliche Stoßrichtung der Beweisanträge nicht aus. Unter Beweis gestellt war nicht allein die Schaltung von Inseraten oder der Einkauf von Kondomen, sondern auch das Unterhalten einer Prostitutionsstätte. Dies hat das [X.] --ohne Beweisaufnahme-- für den Kläger bejaht. Auch insoweit hat der Kläger die unterbliebene Beweisaufnahme durch Wiederholung seines bereits schriftsätzlich gestellten Beweisantrags zu Protokoll in der mündlichen Verhandlung gerügt.

c) Selbst wenn man die Auffassung vertreten wollte, dass die vom [X.] vorgenommene Wahrunterstellung zulässig sein sollte und das "Unterhalten einer Prostitutionsstätte" keine dem Beweise zugängliche Tatsachenfrage, sondern eine rechtliche Wertung darstelle, hätte es sich dem [X.] jedenfalls aufdrängen müssen, die benannten [X.] wegen zu vernehmen. Auch dies hat der Kläger in noch hinreichender Weise gerügt.

Das [X.]A hatte --soweit ersichtlich-- keinerlei Ermittlungen zur Höhe der vom Kläger in den Streitjahren erzielten Einkünfte vorgenommen, obwohl ihm der von ihm angenommene "Betrieb" bereits seit Durchführung der Steuerfahndungsprüfung bei [X.] bekannt war und --nach dem substantiierten und unwidersprochen gebliebenen Vorbringen des [X.]-- auch in den Streitjahren regelmäßig Beamte der Steuerfahndung zu Kontrollbesuchen in den der Prostitution dienenden Räumen anwesend waren. Angesichts dieses völligen [X.]ehlens von Anhaltspunkten für die Höhe der Einnahmenschätzung des [X.]A hätte es sich dem [X.] aufdrängen müssen, die vom Kläger benannten [X.]n zu vernehmen, die --wie das [X.] aus den von ihm beigezogenen Akten der früheren, von [X.] geführten Klageverfahren wusste-- in den Streitjahren in den der Prostitution dienenden Räumen anwesend waren. Es liegt nahe, dass diese Beamten während ihrer Kontrollbesuche durch Befragungen der Prostituierten bzw. durch die Sichtung von deren Tageseinnahmen auch --auf die Streitjahre und die Tätigkeit des [X.], und nicht allein auf die Vorjahre und die Tätigkeit der [X.] bezogene-- Erkenntnisse über die Höhe der Einnahmen des [X.] haben gewinnen können.

Ebenso war dem [X.] aus den beigezogenen Akten bekannt, dass der auch im vorliegenden Verfahren als Zeuge benannte Journalist sich nach dem dort aktenkundigen substantiierten Tatsachenvortrag im Jahr 2008 mehrere Tage in der Prostituiertenwohnung aufgehalten haben soll. Dort war zudem vorgetragen worden, wieviele [X.]reier der Journalist pro Tag beobachtet haben will. Diese für das Streitjahr 2008 behauptete Anzahl war deutlich geringer als die vom [X.]A vorgebrachte --und auch der Schätzung gegen den Kläger zugrunde gelegte-- Anzahl von [X.]reiern, die sich auf die Erkenntnisse aus einer im Jahr 2007 bei [X.] durchgeführten Videoüberwachung stützte. Es hätte sich daher dem [X.] aufdrängen müssen, sein Urteil nicht allein auf die Erkenntnisse des [X.]A zu einem anderen Besteuerungszeitraum und einer anderen Steuerpflichtigen zu stützen, sondern auch die auf das Streitjahr sowie die Tätigkeit des [X.] bezogenen vorhandenen Erkenntnisquellen auszuschöpfen.

3. Das [X.] hat zudem den Anspruch des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt, indem es die mündliche Verhandlung nach deren Schließung ohne ordnungsmäßige Ladung --insbesondere ohne Mitteilung einer Terminszeit-- in Abwesenheit des [X.] und seines Prozessbevollmächtigten fortgesetzt hat.

a) Das [X.] hatte am [X.] zu 11:30 Uhr zur mündlichen Verhandlung geladen. Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung wurde diese ausweislich des Protokolls geschlossen. Im Protokoll heißt es dann weiter: "Nachdem die mündliche Verhandlung zunächst geschlossen worden ist um ca. 12.45 Uhr wurde der Prozessbevollmächtigte darauf hingewiesen, dass es möglich ist, dass die mündliche Verhandlung fortgesetzt wird. Daraufhin erklärte der Prozessbevollmächtigte, dass er volles Programm in der Kanzlei habe und er morgen anrufen würde, um die Entscheidung zu erfahren." Später am selben Tag --im Protokoll fehlt insoweit die Angabe einer Uhrzeit-- hat das [X.] die mündliche Verhandlung dann tatsächlich in Abwesenheit der [X.] fortgesetzt und Protokolle über in anderer Besetzung und in anderen Verfahren durchgeführte Beweisaufnahmen verlesen.

Der Kläger hat hierzu --vom [X.]A unwidersprochen-- vorgetragen, das [X.] habe nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, es sei möglich, dass die Sache am Nachmittag fortgesetzt werde. An diesem Nachmittag seien noch mehrere weitere mündliche Verhandlungen durchzuführen gewesen. Tatsächlich sei die mündliche Verhandlung mutmaßlich erst nach 15:30 Uhr wiedereröffnet worden.

b) Die vom [X.] gewählte Vorgehensweise verletzt in mehrfacher Hinsicht anerkannte prozessuale Grundsätze, darunter auch den Anspruch der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

Zwar ist es --trotz des entsprechenden Wortlauts des § 93 Abs. 3 [X.]O-- nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen nicht erforderlich, dass das [X.] seine Entscheidung über die Wiedereröffnung ausdrücklich als Wiedereröffnungsbeschluss kennzeichnet. Vielmehr genügt es, dass das Gericht erkennbar die Absicht hat, die einmal begonnene mündliche Verhandlung fortzusetzen (B[X.]H-Beschluss vom 28. [X.]ebruar 1996 II R 61/95, B[X.]HE 179, 245, BSt[X.] II 1996, 318, m.w.N.). Wie jede Prozess- oder Verfahrenshandlung muss aber auch ein "konkludenter" Wiedereröffnungsbeschluss des Gerichts hinreichend klar und eindeutig sein. Diesen Anforderungen wird die protokollierte Äußerung des [X.], es sei "möglich", dass die mündliche Verhandlung fortgesetzt werde, nicht gerecht, zumal das [X.] den Beteiligten ausweislich des Protokolls nicht einmal andeutungsweise einen Hinweis dazu gegeben hat, an welchem Tag und zu welcher Terminszeit es möglicherweise die mündliche Verhandlung fortzusetzen gedenke. Aufgrund einer solchen vagen Äußerung hätte das [X.] keinesfalls später --zu einer im Protokoll nicht mitgeteilten Uhrzeit-- in Abwesenheit der Beteiligten und ihrer Vertreter tatsächlich wieder in die mündliche Verhandlung eintreten dürfen.

c) Der Prozessbevollmächtigte des [X.] hat mit seiner Äußerung, er habe in der Kanzlei "volles Programm" und werde am [X.]olgetag anrufen, nicht etwa --wie das [X.]A offenbar meint-- auf die Gewährung rechtlichen Gehörs verzichtet. Bei der Auslegung seiner Erklärung ist vielmehr zu berücksichtigen, dass es in erster Linie die vorangegangene Erklärung des [X.] war, der es an der erforderlichen Eindeutigkeit fehlte. Der Prozessbevollmächtigte des [X.] wusste weder, ob das [X.] überhaupt die mündliche Verhandlung wiedereröffnen würde, noch wusste er, zu welchem Zeitpunkt dies geschehen könnte. Bei einer derartigen Ausgangslage --insbesondere dem [X.]ehlen einer wirksamen Entscheidung des [X.] über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und die [X.] kann von einem Prozessbevollmächtigten nicht erwartet werden, bereits vorsorglich einen Terminverlegungsantrag zu stellen. Ein solcher Antrag wäre angesichts des [X.]ehlens einer konkreten Terminierung ohnehin ins Leere gegangen.

4. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 [X.]O zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen. Zur [X.]örderung des Verfahrens weist der Senat --ohne Bindungswirkung für das [X.]-- auf die folgenden Punkte hin:

a) Das [X.] dürfte in den bisherigen Verfahren die Grundsätze über die [X.]eststellungslast verkannt haben.

Das [X.]A trägt nach den hierfür geltenden allgemeinen Grundsätzen die [X.]eststellungslast hinsichtlich der Höhe der Einkünfte, zumal das [X.] nicht festgestellt hat, dass dem Kläger, der in seinen Steuererklärungen Einkünfte aus Vermietungen an Prostituierte erklärt und Einnahmenquittungen vorgelegt hat, eine Verletzung von Mitwirkungspflichten vorzuwerfen ist. Das [X.]A hat aber --soweit ersichtlich-- keinerlei konkrete Anhaltspunkte zur Höhe der vom Kläger in den Streitjahren erzielten Einkünfte vorgebracht. Die --vom [X.]A und [X.] zudem nur grob geschätzte-- Höhe der von [X.] in den Vorjahren erzielten Einkünfte kann allenfalls einen vagen Anhaltspunkt darstellen, der aber zurücktreten muss, wenn dem [X.]A --wie hier in den [X.] durch die Kenntnis der Prostitutionstätigkeit und deren jedenfalls vom Kläger substantiiert vorgetragene laufende Überwachung konkrete und zeitnahe Ermittlungsmaßnahmen ohne Weiteres möglich gewesen wären.

Da das [X.]A die [X.]eststellungslast für die Höhe der Einnahmen trägt, genügt es nicht, wenn das [X.] sich --so seine bisherigen [X.]ormulierungen-- "nicht die Überzeugung davon hat verschaffen können", dass die Angaben des [X.], der [X.] und der Zeuginnen zutreffend seien. Es müsste sich vielmehr im Gegenteil die Überzeugung davon verschaffen, dass das [X.]A die Höhe der Einnahmen in zutreffender Weise geschätzt hat. Eine darauf bezogene Überzeugungsbildung fehlt im angefochtenen Urteil.

b) Angesichts des [X.]ehlens eines substantiierten Sachvortrags des --die [X.]eststellungslast tragenden-- [X.]A zur Höhe der Einkünfte des [X.] liegt es nach Auffassung des Senats eher fern, die vom Kläger vorgelegten Einnahmenquittungen mit der pauschalen Behauptung, diese seien gefälscht, als Beweismittel zu verwerfen, ohne überhaupt den Versuch zu unternehmen, die in den Quittungen genannten Zahlungspflichtigen zur Richtigkeit der vorgelegten Quittungen zu befragen.

Zur Würdigung der Aussagen der --im zweiten Rechtsgang ohnehin nochmals zu vernehmenden-- Prostituierten weist der Senat darauf hin, dass das [X.] bisher nicht mitgeteilt hat, aufgrund welcher Tatsachen es in der mündlichen Verhandlung im Verfahren der [X.] --in mehrheitlich anderer [X.] den Eindruck gewonnen hatte, dass die Zeuginnen nicht die Wahrheit sagen. Das [X.] ist in seiner Beweiswürdigung zwar weitestgehend frei; eine solche Würdigung muss aber --soll sie nicht in den Verdacht der Willkür [X.] verstandesmäßig einsichtig und für das Rechtsmittelgericht logisch nachvollziehbar sein und sich auf festgestellte Tatsachen beziehen (B[X.]H-Urteil vom 2. Dezember 2004 III R 49/03, B[X.]HE 208, 531, BSt[X.] II 2005, 483, unter [X.]). Daran fehlt es, wenn das [X.] sich lediglich floskelhaft auf "den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck" stützt, ohne diesen Eindruck auch nur andeutungsweise im Protokoll oder in seinem Urteil zu beschreiben (vgl. --zum umgekehrten [X.]all der vom [X.] nicht näher belegten Annahme der Glaubwürdigkeit eines Zeugen trotz erheblicher Widersprüche in der Aussage und eines [X.] zum [X.] vom 20. Juni 2012 [X.], B[X.]H/NV 2012, 1778).

Hinzu kommt, dass das [X.] bisher den --für jede Beweiswürdigung [X.] Gesichtspunkt außer Acht gelassen hat, dass die Prostituierten sich mit ihrer --nach Auffassung des [X.] inhaltlich falschen-- Aussage selbst belasten würden. Denn wenn sie entsprechend ihrer eigenen Aussage nicht etwa die Hälfte ihrer --nach Auffassung des [X.] sehr hohen-- Tageseinnahmen an den Kläger abgeben, sondern lediglich eine niedrige feste Tagesmiete zahlen mussten, wäre bei ihnen selbst ein viel größerer Teil der Einnahmen verblieben, so dass ihre eigene steuerliche Bemessungsgrundlage deutlich höher wäre. Es ist aber ein anerkanntes --wenn auch stets mit Gegenindizien abzuwägendes-- Indiz für die Glaubwürdigkeit eines Zeugen, wenn der Inhalt seiner Aussage für ihn selbst durchaus mit Nachteilen verbunden sein kann. Im Übrigen spricht Vieles dafür, dass die Prostituierten im Zeitpunkt ihrer Aussagen nicht mehr in einem geschäftlichen (Nähe-)Verhältnis zum Kläger oder zu [X.] standen. Diese Gesichtspunkte hat das [X.] bei seiner Beweiswürdigung bisher vollständig übergangen.

c) Das [X.] hat bei seiner Beweiswürdigung zu Lasten des [X.] berücksichtigt, dass dieser in einem an das [X.]A gerichteten Schreiben vom 20. August 2008 erklärt habe, es habe sich nach dem Übergang der Tätigkeit von [X.] auf ihn "in der Tat nichts verändert". Das [X.] hat daraus geschlossen, dass auch der Kläger gewerblich tätig geworden sei und Einnahmen in vergleichbarer Größenordnung wie zuvor [X.] erzielt habe.

Damit reißt es die herangezogene Erklärung des [X.] jedoch aus dem Zusammenhang, in den sie gestellt ist, und gibt ihr einen genau gegenteiligen Inhalt wie vom Kläger gewollt. Der Kläger hatte in diesem Schreiben erkennbar seine Sicht der Dinge zum Ausdruck bringen wollen, wonach er weiterhin lediglich Tagesmietzahlungen vereinnahmt habe und die Prostituierten weiterhin ihre Tätigkeit selbst organisiert hätten. Als Indiz für einen genau gegenteiligen Geschehensablauf kann dieses Schreiben daher nicht herangezogen werden.

d) Nicht nachvollziehbar erscheint auch die vom [X.] im angefochtenen Urteil getroffene Kostenentscheidung. Das [X.]A hatte dem Klagebegehren während des Klageverfahrens durch Erlass von [X.] weit überwiegend (zu mehr als 5/6) abgeholfen. Nach den allgemeinen kostenrechtlichen Regelungen (§ 136 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) hätten daher die bis zum Erlass der Änderungsbescheide entstandenen Kosten zu 5/6 dem [X.]A auferlegt werden müssen. [X.]ür seine davon abweichende Kostenentscheidung, die Kosten des gesamten Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen, hat weder das [X.] eine Begründung angeführt noch ist eine solche sonst ersichtlich.

5. Angesichts der ungewöhnlichen Häufung von Verfahrens- und materiell-rechtlichen [X.]ehlern in der angefochtenen Entscheidung hat der Senat erwogen, die Sache gemäß § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.V.m. § 155 Satz 1 [X.]O an einen anderen Senat des [X.] zurückzuverweisen (vgl. hierzu Senatsurteil vom 19. Oktober 2011 [X.], B[X.]HE 235, 304, BSt[X.] II 2012, 345, Rz 114 f.). Im Hinblick darauf, dass der Kläger eine solche Entscheidung nicht beantragt hat und sich beim [X.] nach Erlass des angefochtenen Urteils ein weiterer personeller Wechsel ereignet hat, sieht der Senat indes von einer solchen Anordnung ab.

6. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

7. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O ab.

Meta

X B 114/14

16.12.2014

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 4. Juni 2014, Az: 1 K 1850/11, Urteil

§ 76 Abs 1 S 1 FGO, § 81 Abs 1 S 1 FGO, § 91 FGO, § 136 Abs 1 S 1 FGO, § 564 Abs 1 S 2 ZPO, Art 103 Abs 1 GG, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 96 Abs 1 FGO, § 155 FGO, § 295 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 16.12.2014, Az. X B 114/14 (REWIS RS 2014, 310)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 310

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