Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.02.2010, Az. XI ZB 24/08

XI. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 9785

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[X.] [X.] vom 2. Februar 2010 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: [X.] § 233 Fd Ein anwaltliches Organisationsverschulden liegt vor, wenn ein Rechtsanwalt einen EDV-gestützten Fristenkalender verwendet, aber nicht anordnet, dass die Eingaben in diesen Kalender jeweils durch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgänge über einen Drucker oder durch Ausgabe eines Fehlerprotokolls kontrolliert werden. [X.], Beschluss vom 2. Februar 2010 - [X.] und 24/08 - [X.]
- 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] [X.] und [X.] [X.], [X.], [X.] und [X.] am 2. Februar 2010 beschlossen: Die Rechtsbeschwerde des [X.] gegen die Beschlüsse des 9. Zivilsenats des [X.] vom 29. Juli 2008 und vom 28. August 2008 wird [X.]. Die Kosten der Rechtsbeschwerde sowie die außergerichtli-chen Kosten der Streithelferin trägt der Kläger. Der Gegenstandswert des [X.] 107.722 •. Gründe: Der Kläger macht gegen die Beklagten Ansprüche aus einem fehlge-schlagenen Anlagegeschäft geltend. 1 Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das Urteil wurde den Pro-zessbevollmächtigten des [X.] am 2. Mai 2008 zugestellt. Gegen die Ent-scheidung haben diese mit Schriftsatz vom 2. Juni 2008, bei Gericht am selben Tag eingegangen, Berufung eingelegt. Durch Schreiben vom 9. Juli 2008, zu-2 - 3 - gestellt am 15. Juli 2008, hat das Berufungsgericht die Klägervertreter auf das Fehlen einer Berufungsbegründung aufmerksam gemacht. Da der Hinweis [X.] ohne Antwort geblieben ist, hat es die Berufung durch Beschluss vom 29. Juli 2008 als unzulässig zurückgewiesen. Mit Schriftsatz vom 4. August 2008 hat die die vorliegende Sache bearbeitende Rechtsanwältin die Berufung begründet und zugleich die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der [X.]sfrist beantragt. Der Kläger hat unter anderem vorgetragen: Seine Anwältin habe ihre persönliche Sekretärin per Diktat angewiesen, die nach dem [X.] notwendige separate Eintragung der Frist für die Berufungsbegründung in den elektronischen Kalender vorzunehmen. Dabei sei das zunächst richtig eingetragene Zustellungsdatum des landgerichtlichen Urteils gelöscht und infol-ge eines Tippfehlers falsch (Monat "06" statt "05") neu eingegeben worden. Der Computer habe daher irrtümlich den 2. August (einen Samstag) bzw. den 4. August 2008 (einen Montag) als Tag des Fristablaufs für die Einreichung der [X.] errechnet und gespeichert. 3 Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 28. August 2008 den An-trag des [X.] auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Fristversäumnis [X.] auf einem dem Kläger zurechenbaren Organisations- bzw. Überwachungs-verschulden seiner zweitinstanzlichen Rechtsanwälte. Es überrasche, dass bei einer modernen Software das Zustellungsdatum des angefochtenen Urteils gleich zweimal in den [X.] eingetragen werden müsse und ei-ne Warnmeldung [X.], wenn das richtig eingegebene Datum falsch über-schrieben werde. Falls dies wirklich der Fall sein sollte, hätten die Klägervertre-ter durch besondere Anweisung an ihr Personal sicherstellen müssen, dass ein 4 - 4 - Bedienungsfehler nicht vorkomme. Da das Fehlerrisiko bei der Eingabe von Datumsangaben über eine Tastatur naturgemäß wesentlich höher sei als bei einem handschriftlich geführten Fristenkalender, wäre es unter den vorliegen-den Umständen erforderlich gewesen, eine zweite Person mit der Überprüfung der Eintragung zu betrauen. Es komme daher nicht darauf an, ob die Verwen-dung einer Computersoftware anwaltlicher Sorgfalt genüge, bei der das [X.] die Fristen für die Berufung und Berufungsbegründung nicht gleichzeitig, sondern gesondert in den [X.] eintrage und damit die Fehleranfällig-keit erheblich erhöhe. Das gelte auch für die Frage, ob die Fristversäumnis durch Eintragung der [X.] in die Handakte der die Berufung des [X.] bearbeitenden Rechtsanwältin vermieden worden wäre. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde. 5 [X.]Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft, aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Beru-fung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (siehe [X.] 151, 42, 43; 151, 221, 223; 155, 21, 22; 159, 135, 137), sind nicht erfüllt. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des [X.] zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) nicht erforderlich. 6 1. Allerdings ist der Rechtsbeschwerde darin zuzustimmen, dass die Si-cherung einer einheitlichen Rechtsprechung ein Eingreifen des [X.] - 5 - richtshofes erfordert, wenn die angefochtene Entscheidung das Verfahrens-grundrecht einer Partei auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt und darauf beruht ([X.] 154, 288, 296 zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO; [X.] 159, 135, 139 f.). 2. Ein Verstoß gegen ein Verfahrensgrundrecht des [X.] liegt jedoch nicht vor. 8 a) Zwar hat das Berufungsgericht die Berufung des [X.] bereits zwei Wochen nach Zustellung des schriftlichen Hinweises vom 9. Juli 2008 auf die fehlende Berufungsbegründung zurückgewiesen, obwohl die kenntnisabhängi-ge Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war. Dies ist aber entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde unschädlich, weil das [X.] den Wiedereinsetzungsantrag nicht als unzulässig verworfen, son-dern als unbegründet zurückgewiesen hat. Es hat daher den Verfahrensfehler korrigiert, so dass der Kläger keinen Rechtsnachteil erlitten hat. 9 b) Das Berufungsgericht hat dem Kläger die beantragte Wiedereinset-zung zu Recht versagt, weil die Versäumung der Frist zur Berufungsbegrün-dung auf einem schuldhaften Fehlverhalten seiner zweitinstanzlichen Prozess-bevollmächtigten beruht. 10 aa) Der Anwalt hat grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquel-len bei der Eintragung und Behandlung von [X.] auszuschließen (siehe etwa [X.], Beschluss vom 10. Oktober 1991 - [X.], [X.]R ZPO § 233 Fristenkontrolle 22 m.w.N.). Nach diesen strengen Maßstäben ist bereits 11 - 6 - zweifelhaft, ob ein gewissenhafter Anwalt eine Computersoftware verwenden darf, bei der die Fristen für die Berufung und Berufungsbegründung nicht gleich-zeitig, sondern separat einzutragen sind und eine Fehlermeldung unterbleibt, wenn das Personal zunächst ein richtiges, dann aber ein falsches Zustellungs-datum des angefochtenen Urteils eingibt. Auf die Beantwortung dieser Frage kommt es aber im vorliegenden Streitfall nicht entscheidend an, weil die für die Berufungsbegründung zuständige Anwältin ohnehin ein Verschulden trifft, das der Kläger sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. [X.]) Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung darf die elektro-nische Kalenderführung eines Prozessbevollmächtigten grundsätzlich keine geringere Überprüfungssicherheit bieten als die eines herkömmlichen Fristen-kalenders. Ein anwaltliches Organisationsverschulden ist danach darin zu se-hen, dass Eingaben in den [X.] nicht durch Ausgabe der eingegebe-nen Einzelvorgänge über den Drucker oder durch Ausgabe eines [X.] durch das Programm kontrolliert werden (siehe [X.], Beschlüsse vom 20. Februar 1997 - [X.], NJW-RR 1997, 698, vom 12. Oktober 1998 - [X.], [X.] 1998, 2603 und vom 12. Dezember 2005 - [X.], [X.], 539, 540 m.w.N.). Die Fertigung eines Kontrollausdrucks ist erfor-derlich, um nicht nur Datenverarbeitungsfehler des [X.], sondern auch Eingabefehler oder -versäumnisse mit geringem Aufwand rechtzeitig zu erkennen und zu beseitigen, zumal der Ausdruck dem Schriftstück, das dem Rechtsanwalt vorzulegen ist, beigeheftet werden kann (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Dezember 2005, aaO, [X.]). 12 Der Kläger hat eine derartige Kontrolle nicht dargetan (§ 236 Abs. 2 ZPO). Zwar ist gemäß dem Vortrag des [X.] davon auszugehen, dass die von seinen Prozessbevollmächtigten mit der Fristenkontrolle betrauten [X.] - 7 - gestellten die in den Computer eingegebenen Fristen täglich ausdrucken und dem jeweiligen Sachbearbeiter vorlegen. Auf die [X.] kommt es aber nicht entscheidend an, weil nach den eigenen Angaben des [X.] die mit seiner Sache befasste Anwältin ihre persönliche Sekretärin per Diktat angewiesen hat, die Eintragung der Frist für die [X.] vorzunehmen. Dazu, dass die Sekretärin angewiesen war, die Eintragung anhand eines Kontrollausdrucks zu überprüfen, ist indes nichts vorgetragen. Zudem ist nicht ersichtlich, dass es sich hierbei um einen [X.] handelt, d.h. das für die Fristenkontrolle zuständige Personal die er-forderlichen Prüfungen sonst immer vorgenommen hat oder zumindest eine - 8 - entsprechende Anweisung bestand. Das Berufungsgericht hat daher im [X.] zu Recht den Schluss gezogen, dass die Organisation der Fristenkontrolle in der Kanzlei der Klägervertreter entweder nicht ausreichend verständlich ge-staltet war und/oder nicht eingehalten bzw. überwacht wurde. [X.] [X.] Ellenberger
[X.] Matthias Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 29.04.2008 - 2/19 O 82/06 - [X.], Entscheidung vom 28.08.2008 - 9 U 50/08 -

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XI ZB 24/08

02.02.2010

Bundesgerichtshof XI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.02.2010, Az. XI ZB 24/08 (REWIS RS 2010, 9785)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9785

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