Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.05.2017, Az. 9 B 71/16

9. Senat | REWIS RS 2017, 10697

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Gründe

1

Die auf die Zulassungsgründe der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

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1. Die Beschwerde meint, das Oberverwaltungsgericht weiche dadurch von Rechtssätzen des [X.] und des [X.] zur Erforderlichkeit einer zeitlichen Befristung für die Festsetzung vorteilsausgleichender kommunaler Abgaben ab, dass es daran festhalte, Voraussetzung für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht sei eine wirksame Satzung. Eine Divergenz ergibt sich hieraus jedoch nicht.

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Weder das [X.] noch das [X.] haben den Rechtssatz aufgestellt, es sei unzulässig, die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht vom Vorliegen einer wirksamen Satzungsgrundlage abhängig zu machen. Das [X.] hat in seinem von der Beschwerde zitierten Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - ([X.] 133, 143 Rn. 45) nicht die Anknüpfung des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht an eine wirksame Satzung für unzulässig erachtet, sondern es mit dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit für unvereinbar erklärt, wenn der Gesetzgeber ganz von einer Regelung absieht, die der Abgabenerhebung eine bestimmte zeitliche Grenze setzt. Auch der Senat hat in seinem Urteil vom 15. April 2015 - 9 C 19.14 - ([X.] 11 Art. 20 GG Nr. 218 Rn. 10 f.) lediglich das Fehlen einer zeitlichen Höchstgrenze für eine Beitragserhebung in § 12 Abs. 2 Satz 1 [X.] M-V a.F. beanstandet.

4

Das Berufungsgericht ist auch nicht konkludent von dem vorgenannten Urteil des [X.] abgewichen. Danach wirkte sich die Verfassungswidrigkeit von § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 [X.] M-V aufgrund der in § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 [X.] M-V a.F. geregelten Übergangsfrist (erst) nach deren Ablauf am 31. Dezember 2008 aus. Ausführungen zu den ab diesem Zeitpunkt eintretenden rechtlichen Folgen enthält das vorgenannte Urteil nicht. Diese ergeben sich vielmehr aus dem Beschluss des [X.] vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - ([X.] 133, 143 Rn. 49, 51). Die Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift, die eine zeitlich unbegrenzte Abgabenerhebung ermöglichte, führte danach nicht zu deren Nichtigkeit, sondern nur zur Unwirksamkeit mit der weiteren Folge, dass sie nicht mehr angewandt werden dürfte und laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren bis zu einer gesetzlichen Neuregelung auszusetzen waren. Das Berufungsgericht hat eine solche Neuregelung in § 12 Abs. 2 [X.] M-V in der Fassung des [X.] zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016 (GVBl. M-V [X.]) gesehen und deren Verfassungsmäßigkeit bestätigt. Seine Schlussfolgerung, dass einer Beitragserhebung damit nicht mehr das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit entgegensteht, widerspricht folglich auch insoweit nicht dem vorstehenden Urteil des [X.].

5

Das Oberverwaltungsgericht hat auch nicht im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zum Vertrauensschutz ([X.] ff.) einen von dem Kammerbeschluss des [X.] vom 12. November 2015 - 1 BvR 2961/14 u.a. - (NVwZ 2016, 300) abweichenden Rechtssatz aufgestellt. Es hat vielmehr die Entscheidung des [X.] deswegen nicht für einschlägig erachtet, weil der dort zugrunde liegende Sachverhalt mit dem vorliegenden nicht vergleichbar sei. In dem aus [X.] stammenden Fall sei nach alter Rechtslage die Beitragsforderung im Zeitpunkt der Gesetzesänderung erloschen gewesen. Dass in einem solchen Fall eine gesetzliche Vorschrift, die rückwirkend eine abgelaufene Festsetzungsverjährung "aus den Angeln hebe", eine echte Rückwirkung darstelle, sei nicht zweifelhaft. Der Unterschied liege aber darin, dass sich die Rechtslage in [X.] elementar von der in [X.] unterscheide. Im Gegensatz zu [X.] sei es nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-[X.] stets auf die erste Satzung angekommen, gleichgültig, ob diese wirksam gewesen sei.

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2. Der Frage,

ob die in einem stattgebenden Beschluss des [X.] im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde einem Landesgesetzgeber gesetzte [X.] zur Vermeidung des Eintritts der Nichtigkeitsfolge auch diejenigen Landesgesetzgeber bindet, die aufgrund inhaltsgleicher gesetzlicher Regelungen an die Entscheidung des [X.] nach § 31 [X.] gebunden sind,

kommt die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht zu. Sie lässt sich, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf, aufgrund der vorliegenden Rechtsprechung des [X.] beantworten.

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Gemäß § 31 Abs. 1 [X.] binden die Entscheidungen des [X.] unter anderem die Verfassungsorgane der Länder. Die Bindungswirkung reicht jedoch nicht so weit, dass die Feststellung der Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit bzw. Unvereinbarkeit einer Norm sowie daran anknüpfender Folgen wie beispielsweise Fristen zugleich auch parallele Vorschriften desselben Gesetzgebers oder inhaltsgleiche Normen anderer Gesetzgeber erfasst. Diese bleiben unberührt und sind unter anderem von den Gerichten zu beachten, welche hierbei jedoch an die Auslegung und Anwendung des Grundgesetzes durch das [X.] gebunden sind. Daraus folgt, dass eine inhaltsgleiche Norm nach Art. 100 Abs. 1 GG vorzulegen ist, falls die Zugrundelegung der bindenden verfassungsrechtlichen Vorgaben des [X.] zur Annahme auch ihrer Verfassungswidrigkeit führt (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Januar 1995 - 1 BvL 18/93 u.a. - [X.] 92, 91 <107>; Heusch, in: [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl. 2005, § 31 Rn. 70 f.). Danach ist eine Bindungswirkung der durch das [X.] dem Gesetzgeber in [X.] eingeräumten Übergangsfrist für den Gesetzgeber in [X.] von vornherein ausgeschlossen.

8

3. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.

Meta

9 B 71/16

18.05.2017

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, 6. September 2016, Az: 1 L 212/13, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.05.2017, Az. 9 B 71/16 (REWIS RS 2017, 10697)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10697


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 9 B 71/16

Bundesverwaltungsgericht, 9 B 71/16, 18.05.2017.


Az. 1 L 212/13

Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, 1 L 212/13, 06.09.2016.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

1 L 381/15

Zitiert

1 BvR 2457/08

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