Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.09.2011, Az. V ZB 136/11

5. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 3312

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Gegenstand

Freiheitsentziehungsverfahren: Anforderungen an die Ergänzung der Begründung eines Haftantrags; Entscheidung über den ergänzten Antrag durch das Beschwerdegericht


Leitsatz

1. Ist ein Haftantrag unzulässig, weil ihm die vorgeschriebene Begründung fehlt, wird er durch eine Ergänzung der Begründung - für die Zukunft - nur zulässig, wenn die ergänzte Begründung bei dem dann erreichten Sachstand den Anforderungen des § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG entspricht und der Betroffene ausreichend Gelegenheit hat, zu der Ergänzung Stellung zu nehmen .

2. Der ergänzte Antrag ist eine Fortschreibung des ursprünglichen Haftantrags, über den das Beschwerdegericht entscheiden muss, und kein neuer Haftantrag, der bei dem Amtsgericht in einem neuen gerichtlichen Verfahren zu stellen wäre .

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass die Beschlüsse des [X.] vom 7. März 2011 und der 2. Zivilkammer des [X.] vom 9. Mai 2011 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der [X.]     auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein eritreischer Staatsangehöriger, reiste nach [X.] ein und stellte dort 2008 einen Asylantrag. Er verließ [X.] und stellte in [X.] zwei Asylanträge. Am 22. November 2010 reiste er aus [X.] nach [X.] ein, wurde dort festgenommen, in [X.] genommen und nach [X.] zurückgeschoben. Am 7. März 2011 wurde er im [X.] in [X.] ohne gültige Papiere angetroffen und von Beamten der [X.] festgenommen.

2

Die örtliche Polizeiinspektion der [X.] hat Haft zur Sicherung der Zurückschiebung für die Dauer von drei Monaten beantragt, um "die Formalitäten mit dem zuständigen Partnerstaat [X.]" zu klären. Das Amtsgericht hat dem Antrag entsprochen. Die Beteiligte zu 2 hat sich den Antrag der [X.] zu eigen gemacht, ergänzt und darauf hingewiesen, die Zurückschiebung sei für den 10. Mai 2011 vorgesehen. Das Beschwerdegericht hat die Haft bis zum 10. Mai 2011 begrenzt und die Beschwerde im Übrigen zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, nach seiner Zurückschiebung am vorgesehenen Tag mit dem Antrag festzustellen, dass ihn die Entscheidungen der Vorinstanzen in seinen Rechten verletzt haben.

II.

3

Das Beschwerdegericht hält die Anordnung der [X.] für rechtswidrig. Ihr habe kein zulässiger [X.] zugrunde gelegen. Der Antrag der [X.] habe zu den Gründen für die beantragte Haftdauer von drei Monaten nur auf "Formalitäten mit dem zuständigen Partnerland [X.]" verwiesen. Das genüge den Anforderungen ebenso wenig wie der Hinweis auf den Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Das bedeute aber nicht, dass die angeordnete Haft nunmehr aufzuheben sei. Der Antragsmangel könne für die Zukunft geheilt werden. Das sei hier eingetreten. Die Beteiligte zu 2 habe sich den Antrag der [X.] zu eigen gemacht, ihn um wesentliche Angaben ergänzt und insbesondere darauf hingewiesen, dass die Abschiebung für den 10. Mai 2011 vorgesehenen und möglich sei. Bis zu diesem Tage sei die [X.] zu begrenzen, aber auch aufrecht zu erhalten.

III.

4

Diese Erwägung hält im Ergebnis einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Auf die mit dem gestellten Feststellungsantrag ohne Zulassung statthafte (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Februar 2010 - [X.], NVwZ 2010, 726, 727 Rn. 9) und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde ist festzustellen, dass der Betroffene durch die Anordnung der [X.] und ihre, wenn auch nur sehr kurzfristige, Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht in seinen Rechten verletzt worden ist.

5

1. Das Amtsgericht durfte die [X.] gegen den Betroffenen nicht anordnen, weil es an einem zulässigen [X.] fehlte. Dazu wird auf die zutreffenden Gründe der Entscheidung des [X.] Bezug genommen.

6

2. Auch die Anordnung der Fortdauer der Haft bis zum 10. Mai 2011 durch das Beschwerdegericht verletzt den Betroffenen in seinen Rechten.

7

a) Das ergibt sich allerdings entgegen der Ansicht des Betroffenen nicht schon daraus, dass der Verstoß gegen das Erfordernis eines zulässigen [X.] auch für die Zukunft nicht heilbar wäre.

8

aa) Richtig daran ist, dass ein unzulässiger [X.] und die damit einhergehende Verletzung des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG in der Beschwerdeinstanz nicht rückwirkend geheilt werden kann ([X.], Beschlüsse vom 29. April 2010 - [X.], [X.] 2010, 210, 211 Rn. 19, vom 21. Oktober 2010 - [X.], juris Rn. 14 und vom 7. April 2011 - [X.] 133/10, juris Rn. 7). Das bedeutet aber nicht, dass der [X.] nicht mehr ergänzt und auf der Grundlage eines ergänzten [X.] die Fortdauer der Haft angeordnet werden dürfte. Der [X.] hat das für fehlende Darlegungen zum erforderlichen Einvernehmen der Staatsanwaltschaft entschieden. Dieser Begründungsmangel kann im Beschwerdeverfahren, allerdings nur für die Zukunft, das heißt für den Zeitraum von der Entscheidung des [X.] an, geheilt werden. Dazu muss die den [X.] stellende Behörde die Antragsbegründung um die Darlegungen zu dem vorliegenden Einvernehmen ergänzen; ferner muss der Betroffene hierzu in einer Anhörung vor dem Beschwerdegericht Stellung nehmen können ([X.], Beschluss vom 3. Mai 2011 - [X.], juris Rn. 11). Das gilt nicht nur für fehlende Angaben zum Einvernehmen der Staatsanwaltschaft, sondern auch für andere Defizite der Antragsbegründung. Das hat das Beschwerdegericht in der Sache richtig gesehen.

9

bb) Entgegen der Ansicht des Betroffenen stellt der so ergänzte [X.] keinen inhaltlich neuen Antrag dar, der bei dem Amtsgericht zu stellen wäre und zur Einleitung eines vollständig neuen gerichtlichen Verfahrens führte. Es handelt sich vielmehr um die Fortschreibung des ursprünglichen, wenn auch unzureichenden und darum unzulässigen [X.]. Veränderungen erfährt durch die Ergänzung nicht der Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens, sondern die formelle und tatsächliche Grundlage der Beschwerdeentscheidung. Diese Veränderung hat das Beschwerdegericht nach §§ 26, 68 Abs. 3 FamFG zu berücksichtigen.

b) [X.] ist indessen die weitere Annahme des [X.], der unzulässige [X.] sei durch die Ergänzung seitens der Beteiligten zu 2 nachträglich zulässig geworden. Das ist nicht der Fall. Der ergänzte Antrag ist zwar dem Vertreter des Betroffenen rechtzeitig vor der Anhörung des Betroffenen in Kopie zugeleitet worden, so dass dieser sich in der Anhörung vor dem Beschwerdegericht dazu äußern konnte. Der Antrag war aber auch nach der Ergänzung nicht ausreichend. Er stammte jetzt von der Beteiligten zu 2 als der zuständigen Behörde. Diese hatte Angaben zur Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung gemacht. Ihre Angabe, die "Abschiebung" sei für den 10. Mai 2011 terminiert, genügt indessen den Anforderungen des § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4, 5 FamFG weiterhin nicht. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die Ergänzung eines bislang unzulässigen Antrags nur dann zur Zulässigkeit des Antrags führt, wenn die Ergänzung auch den zwischenzeitlichen Veränderungen des Sachverhalts Rechnung trägt. Denn der ergänzte Antrag bildet die Grundlage für die Anordnung der Fortdauer der Haft und muss nach § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG deren weiter bestehende Erforderlichkeit, Durchführbarkeit und Verhältnismäßigkeit darlegen. Dem genügt die Ergänzung der Beteiligten zu 2 nicht. Die Angabe zur Terminierung der Abschiebung lässt nicht erkennen, was die Kontakte mit den [X.] Behörden ergeben haben. Sie gibt auch keinerlei Aufschluss darüber, ob sich die Beteiligte zu 2 mit dem gebotenen Nachdruck um eine zügige Zurückschiebung bemüht hat. Das war aber nunmehr, nach Ablauf von sieben Wochen [X.], im Hinblick auf die Fristen nach Art. 20 der [X.] ([X.]) Nr. 343/2003 geboten. Der Betroffene und sein Verfahrensbevollmächtigter zweiter Instanz hatten auch nach der Ergänzung des Antrags durch die Beteiligte zu 2 in den entscheidenden Fragen keine ausreichende Grundlage für eine Stellungnahme.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 und § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 [X.] analog und § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO.

Krüger                             Lemke                             Schmidt-Räntsch

                  Brückner                         Weinland

Meta

V ZB 136/11

15.09.2011

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Koblenz, 9. Mai 2011, Az: 2 T 207/11, Beschluss

§ 417 Abs 2 S 2 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.09.2011, Az. V ZB 136/11 (REWIS RS 2011, 3312)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3312

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