Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28.03.2017, Az. 2 AZR 551/16

2. Senat | REWIS RS 2017, 13318

ARBEITSRECHT BERUF BUNDESARBEITSGERICHT (BAG) BETRIEBSRAT KÜNDIGUNG

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Gegenstand

Außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung - Entlassungsverlangen des Betriebsrats


Leitsatz

Wird einem Entlassungsverlangen des Betriebsrats im Verfahren nach § 104 Satz 2 BetrVG rechtskräftig stattgegeben, begründet dies ein dringendes betriebliches Erfordernis iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG für eine ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung.

Tenor

1. Die Revision der Klägerin und die [X.] der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 13. Juni 2016 - 9 [X.]/16 - werden zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3 zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt einen Versicherungskonzern. Die Klägerin war bei ihr bzw. ihrer Rechtsvorgängerin langjährig als Sachbearbeiterin beschäftigt.

3

Im Oktober 2014 und Januar 2015 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Klägerin und zwei Arbeitskollegen. Mit Schreiben vom 29. April 2015 forderte der Betriebsrat die Beklagte auf, die Klägerin wegen dieser Vorfälle zu entlassen, hilfsweise sie zu versetzen. Die Beklagte kam dem nicht nach. Mit rechtskräftig gewordenem Beschluss vom 21. August 2015 gab das Arbeitsgericht der Beklagten in einem vom Betriebsrat eingeleiteten Beschlussverfahren auf, die Klägerin „zu entlassen“. Diese war im Beschlussverfahren vom Arbeitsgericht angehört worden.

4

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien - nach Beteiligung des Betriebsrats - mit Schreiben vom 21. Oktober 2015 außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2016.

5

Dagegen hat die Klägerin die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat gemeint, der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß nach § 102 Abs. 1 BetrVG angehört worden. Für die außerordentliche Kündigung fehle es an einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB. Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht gewahrt. Die ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Die Beklagte habe wegen bestehender Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten allenfalls eine Änderungskündigung erklären dürfen.

6

Die Klägerin hat sinngemäß beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die mit Schreiben der Beklagten vom 21. Oktober 2015 erklärte außerordentliche, noch durch die mit demselben Schreiben hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung aufgelöst worden ist.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

8

Die Vorinstanzen haben die außerordentliche Kündigung für unwirksam, die ordentliche für wirksam gehalten. Mit der Revision und der von der Beklagten eingelegten Anschlussrevision verfolgen beide Parteien ihre ursprünglichen Anträge im Umfang ihres Unterliegens weiter.

Entscheidungsgründe

9

Sowohl die Revision der Klägerin als auch die [X.] der [X.] sind unbegründet. Das [X.] hat zu Recht angenommen, erst die ordentliche Kündigung vom 21. Oktober 2015 habe das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst.

I. Für die außerordentliche Kündigung fehlt es an einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB. Ein solcher folgt nicht bereits aus dem Beschluss des Arbeitsgerichts vom 21. August 2015. Der [X.] ist mit der Verpflichtung, die Klägerin „zu entlassen“, nicht die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgegeben worden. In Bezug auf etwaige weitere Kündigungssachverhalte hat die Beklagte die Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt.

1. Der [X.] ist durch die im Verfahren nach § 104 [X.] ergangene Entscheidung vom 21. August 2015 nicht eine fristlose Kündigung des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses aufgegeben worden.

a) Das [X.] hat zutreffend erkannt, dass der Betriebsrat weder nach dem Wortlaut seines Antrags noch nach der Antragsbegründung eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangt hatte. Dem Beschluss des Arbeitsgerichts lassen sich auch keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass es den Antrag anders verstanden oder entgegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO eine darüberhinausgehende Verpflichtung der [X.] habe statuieren wollen. Im Gegenteil hat das Arbeitsgericht einen „betriebsbedingten Kündigungsgrund“ angenommen, was - ohne anderweitige Hinweise - nicht darauf schließen lässt, die Beklagte habe zu einer fristlosen Entlassung verpflichtet werden sollen. Auch hierauf hat das [X.] zu Recht hingewiesen.

b) Für das Verständnis des Beschlusstenors des Arbeitsgerichts durch das [X.] spricht im Übrigen, dass es den Arbeitsgerichten verwehrt wäre, den Arbeitgeber in einem Verfahren nach § 104 Satz 2 [X.] zu einer fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verpflichten. Die Bestimmung sieht vor, dem Arbeitgeber aufzugeben, „die Entlassung oder Versetzung durchzuführen“. Mit „Entlassung“ ist zwar eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses, jedoch unter Beachtung der maßgeblichen Kündigungsfristen gemeint. Dies ergibt die Auslegung der Norm.

aa) Das Verlangen nach „Entlassung“ gem. § 104 Satz 1 [X.] bzw. eine Verpflichtung des Arbeitgebers im Verfahren nach § 104 Satz 2 [X.], „die Entlassung“ durchzuführen, ist auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses des betroffenen Arbeitnehmers, nicht nur auf eine Beendigung seiner Beschäftigung in dem bisherigen Betrieb gerichtet.

(1) Dieses Verständnis des Begriffs „Entlassung“ entspricht sowohl dem allgemeinen (vgl. dazu [X.] [X.] 5. Aufl. S. 468; [X.] Wahrig [X.]) als auch dem arbeitsrechtlichen Sprachgebrauch (vgl. etwa § 17 [X.], § 113 Abs. 1 [X.]).

(2) Zwar wäre von der Formulierung auch eine Lesart umfasst, nach der nicht zwingend das Arbeitsverhältnis des betroffenen Arbeitnehmers zu beenden, sondern dieser nur aus dem Betrieb zu „entlassen“ wäre in dem Sinne, dass es genügte, ihn in einen anderen Betrieb zu versetzen, um dem Verlangen zu entsprechen (so [X.]/[X.] 5. Aufl. [X.] § 104 Rn. 18, 29; GK/[X.] 10. Aufl. § 104 [X.] Rn. 12, 20; [X.]/[X.] [X.] 15. Aufl. § 104 Rn. 16, 25). Auch könnte die amtliche Überschrift von § 104 [X.] („Entfernung betriebsstörender Arbeitnehmer“) für ein solches Verständnis streiten. Nimmt man jedoch den Wortlaut der Norm insgesamt in den Blick, zeigt schon die Gegenüberstellung des [X.] „Entlassung oder Versetzung“, dass unter „Entlassung“ gerade im Unterschied zur Versetzung eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen ist und nicht nur die Beendigung der Beschäftigung des Arbeitnehmers im bisherigen Betrieb. Die Überschrift der Bestimmung umfasst demnach lediglich beide möglichen Verlangen.

(3) Der nach der Gesetzesbegründung zu § 104 [X.] intendierte Gegenstand der Regelung verweist ebenfalls auf ein Verständnis von „Entlassung“ als einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Danach betrifft die Vorschrift das Recht des Betriebsrats, die „Kündigung oder Versetzung“ von betriebsstörenden Arbeitnehmern zu verlangen (Begründung des [X.]. VI/1786 S. 53). Soweit in der Bestimmung selbst von „Entlassung“ und nicht von „Kündigung“ die Rede ist, zeigt dies lediglich, dass der Arbeitgeber einer entsprechenden Verpflichtung zB auch dadurch nachkommen kann, dass er den Abschluss eines Aufhebungsvertrags mit dem Arbeitnehmer erwirkt (insofern ebenso [X.]/[X.] 5. Aufl. [X.] § 104 Rn. 18, 29).

bb) Dagegen hat der Betriebsrat gem. § 104 Satz 1 [X.] nicht das Recht, eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses des betroffenen Arbeitnehmers zu verlangen. Eine entsprechende Verpflichtung des Arbeitgebers kann nicht Ergebnis eines Verfahrens nach § 104 Satz 2 [X.] sein (wie hier GK/[X.] 10. Aufl. § 104 [X.] Rn. 19; [X.]/[X.] [X.] 15. Aufl. § 104 Rn. 21, 24; aA [X.]/[X.] 5. Aufl. [X.] § 104 Rn. 17; [X.]/[X.]/[X.] 11. Aufl. § 104 [X.] Rn. 23, 38 ff., 52 ff.).

(1) Der Arbeitgeber ist gem. § 104 Satz 2 [X.] bereits dann zur „Entlassung“ zu verpflichten, wenn das in § 104 Satz 1 [X.] näher beschriebene Verhalten des Arbeitnehmers ein solches Verlangen des Betriebsrats rechtfertigt. Ob zugleich Gründe für eine fristlose Kündigung gegeben wären, ist nach dem Wortlaut der Bestimmung ohne Belang. Der Arbeitgeber genügt einer Verpflichtung zur „Entlassung“ des Arbeitnehmers gem. § 104 Satz 2 [X.] demnach schon dann, wenn er zeitnah nach Rechtskraft der zuvor im Beschlussverfahren ergangenen Entscheidung eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Beachtung der maßgeblichen Kündigungsfristen - im Falle der ordentlichen Unkündbarkeit des Arbeitnehmers ggf. durch eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist - bewirkt. Systematik oder Sinn und Zweck der Regelung verlangen keine andere Auslegung.

(2) Dieses Normverständnis wird bestätigt durch die Gesetzgebungsgeschichte. Nach dem Willen des Gesetzgebers entspricht § 104 [X.] inhaltlich im Wesentlichen der Vorgängernorm des § 66 Abs. 4 [X.] 1952 (Begründung des [X.]. VI/1786 S. 53). In § 66 Abs. 4 Satz 3 [X.] 1952 ([X.], 689) war aber ausdrücklich bestimmt, der Arbeitgeber habe, wenn das Gericht dem Antrag des Betriebsrats stattgebe, die verlangte Maßnahme unverzüglich unter Beachtung der Kündigungsfristen durchzuführen. Mit „Entlassung“ war demnach allein eine fristgerechte Beendigung gemeint. Den Gesetzesmaterialien lässt sich nicht entnehmen, dass die Neufassung daran etwas ändern sollte.

2. Die fristlose Kündigung der [X.] ist nicht unabhängig von dem Beschluss des Arbeitsgerichts gerechtfertigt. Dabei kann dahinstehen, ob das Verhalten der Klägerin gegenüber ihren Arbeitskollegen einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für eine fristlose Kündigung hätte bilden können. Das [X.] hat zutreffend erkannt, dass die Beklagte diesbezüglich jedenfalls die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt hätte.

II. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung der [X.] vom 21. Oktober 2015 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien dagegen zum 30. Juni 2016 aufgelöst. Sie ist weder sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] noch liegt ein sonstiger Unwirksamkeitsgrund vor.

1. Die Anwendbarkeit von § 1 [X.] kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden. Die Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] bedingt. Aufgrund der materiellen Rechtskraftwirkung (§ 322 Abs. 1 ZPO) der Entscheidung des Arbeitsgerichts im Beschlussverfahren nach § 104 Satz 2 [X.] steht zwischen den Parteien (§ 325 Abs. 1 ZPO) rechtskräftig fest, dass die Beklagte betriebsverfassungsrechtlich verpflichtet war, das Arbeitsverhältnis der Klägerin unter Wahrung der Kündigungsfristen zu beenden. Dies begründet ein dringendes betriebliches Erfordernis iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.]. Ob die Entscheidung des Arbeitsgerichts im Beschlussverfahren zu Recht ergangen ist, unterliegt nicht der Überprüfung durch den Senat.

a) Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] können sich aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben (st. Rspr., vgl. [X.] 18. Juli 2013 - 6 [X.] - Rn. 45; 24. Mai 2012 - 2 [X.] - Rn. 21). In beiden Konstellationen liegt der Kündigungsgrund in der Sphäre des Arbeitgebers, der entweder agiert, dh. eine Organisationsentscheidung trifft, oder auf eine bestimmte Sit[X.]tion reagiert ([X.] 18. Juli 2013 - 6 [X.] - aaO).

b) Eine solche Sit[X.]tion ist auch dann gegeben, wenn einem Entlassungsverlangen des Betriebsrats nach § 104 Satz 1 [X.] in einem Beschlussverfahren gem. Satz 2 der Bestimmung rechtskräftig entsprochen wird. Der Arbeitgeber ist in diesem Fall betriebsverfassungsrechtlich und zur Vermeidung eines Zwangsgeldes für jeden [X.] (§ 104 Satz 2, 3 [X.]) gezwungen, der Verpflichtung nachzukommen. Es handelt sich um einen Umstand, der ihm keine andere zumutbare Reaktionsmöglichkeit lässt. Obwohl die [X.] insofern unmittelbar mit der Kündigung zusammenfällt, bedarf es keiner weiteren Darlegungen, um ein missbräuchliches Handeln auszuschließen. Aufgrund der gerichtlichen Entscheidung ist vielmehr das Beschäftigungsbedürfnis gerade für den konkreten Arbeitnehmer entfallen. Es liegt deshalb auch keine unzulässige Austauschkündigung vor. Die Verpflichtung zur Entlassung bedingt eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Arbeitnehmers. Steht dies auch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer rechtskräftig fest, ist daher für eine Prüfung anderweitiger Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Kündigungsschutzrechtsstreit kein Raum. Einer Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 [X.] bedarf es nicht, da es keine vergleichbaren, also alternativ von demselben Entlassungsverlangen betroffenen und damit in eine Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer gibt.

aa) Dem steht nicht entgegen, dass nach der Senatsrechtsprechung das Verlangen des Betriebsrats gem. § 104 Satz 1 [X.] keinen neuen Kündigungsgrund schafft, sondern einen solchen voraussetzt ([X.] 15. Mai 1997 - 2 [X.] - zu II 1, 3 der Gründe). Gemeint sind damit die in § 104 Satz 1 [X.] genannten Voraussetzungen für ein berechtigtes Entlassungsverlangen des Betriebsrats (ebenso [X.]/[X.] [X.] 15. Aufl. § 104 Rn. 16; [X.] in [X.]/Kittner/[X.]/[X.] [X.] 15. Aufl. § 104 Rn. 8; [X.]/[X.]/[X.] 11. Aufl. § 104 [X.] Rn. 19). Sind sie gegeben, würde dies ohne ein Verlangen des Betriebsrats in der Regel auch eine verhaltens- oder personenbedingte Kündigung iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] rechtfertigen.

bb) Allerdings stellt § 104 [X.] hierauf nicht ab. Die Norm begründet vielmehr unter den in ihr vorgesehenen Voraussetzungen einen eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber auf Entlassung oder Versetzung des Arbeitnehmers. Es kommt daher für die Berechtigung eines Verlangens des Betriebsrats auf Entlassung eines Arbeitnehmers nicht darauf an, ob im Falle der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes eine Kündigung nach den Grundsätzen des § 1 Abs. 2 [X.] aus Gründen im Verhalten oder in der Person des Arbeitnehmers sozial gerechtfertigt bzw. ob im Falle der ordentlichen Unkündbarkeit des Arbeitnehmers ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB gegeben wäre ([X.]/[X.] 11. Aufl. § 104 [X.] Rn. 19). Die Bestimmung normiert vielmehr selbst abschließend die Voraussetzungen für ein berechtigtes Verlangen. Wird das Verlangen des Betriebsrats auf Entlassung eines Arbeitnehmers im Verfahren nach § 104 Satz 2 [X.] als berechtigt anerkannt, begründet dies ein dringendes betriebliches Erfordernis iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.]. Ist der Arbeitnehmer ordentlich unkündbar, liegt in dem als berechtigt anerkannten Verlangen ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung mit - notwendiger - Auslauffrist.

(1) Nach dem Wortlaut von § 104 Satz 1 [X.] ist Voraussetzung für ein darauf bezogenes Verlangen des Betriebsrats ausschließlich, dass der betreffende Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 [X.] enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den [X.] wiederholt ernstlich gestört hat. Allein diese Voraussetzungen sind in einem Beschlussverfahren nach § 104 Satz 2 [X.] zu prüfen. Es spielt nach dem Gesetzeswortlaut dagegen keine Rolle, ob der Arbeitnehmer den allgemeinen Kündigungsschutz nach § 1 [X.] genießt oder ob er ordentlich unkündbar ist oder nicht.

(2) Systematisch spricht ein Vergleich mit § 103 Abs. 2 [X.] ebenfalls dafür, dass es bei einem Verfahren nach § 104 [X.] nicht darauf ankommt, ob nach allgemeinen Grundsätzen eine Kündigung gerechtfertigt wäre. In § 103 Abs. 2 Satz 1 [X.] ist, anders als in § 104 [X.], ausdrücklich bestimmt, dass die „Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt“ sein muss. Der Unterschied erklärt sich daraus, dass § 103 Abs. 2 [X.] eine Überprüfung des vom Arbeitgeber reklamierten Rechts zur (außerordentlichen) Kündigung verlangt, während § 104 [X.] dem Betriebsrat einen eigenen Anspruch auf Entlassung oder Versetzung eines Arbeitnehmers unter in der Norm selbst formulierten Voraussetzungen gewährt.

(3) Auch der Zweck der Regelung gebietet ein Verständnis, wonach der Betriebsrat eine Entlassung des Arbeitnehmers allein unter den Voraussetzungen von § 104 Satz 1 [X.] soll verlangen können und ihm insofern ein eigener Anspruch - unabhängig von der individ[X.]lrechtlichen Sit[X.]tion - eingeräumt ist. Nach - soweit ersichtlich - allgemeiner Auffassung stellt § 104 [X.] eine Ergänzung von § 75 Abs. 1 und § 99 Abs. 2 Nr. 6 [X.] dar (statt vieler GK/[X.] 10. Aufl. § 104 [X.] Rn. 2; [X.]/[X.] 5. Aufl. [X.] § 104 Rn. 2; [X.]/[X.]/[X.] 11. Aufl. § 104 [X.] Rn. 4). Es handelt sich demnach um einen eigenständigen, betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch unter den in der Bestimmung genannten Voraussetzungen, ohne dass es auf das Maß des individuellen Kündigungsschutzes des betroffenen Arbeitnehmers ankäme.

cc) Zu den im Verfahren nach § 104 Satz 2 [X.] zu prüfenden Voraussetzungen, ob das Verlangen des Betriebsrats iSd. § 104 Satz 1 [X.] berechtigt ist, gehört indes seine Verhältnismäßigkeit (ebenso Fitting [X.] 28. Aufl. § 104 Rn. 9; GK/[X.] 10. Aufl. § 104 [X.] Rn. 11; [X.]/[X.]/[X.] 11. Aufl. § 104 [X.] Rn. 28; wohl auch [X.]/[X.] [X.] 15. Aufl. § 104 Rn. 15). Dies ergibt sich wiederum aus der Bestimmung selbst. Wie die danach erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen erkennen lassen, ist dem Betriebsrat der betriebsverfassungsrechtliche „[X.]“ im Interesse der Wiederherstellung des [X.]s eingeräumt. Der Betriebsrat hat daher nicht die - freie oder auch nur in sein Ermessen gestellte - Wahl, ob er die Entlassung oder - nur - eine (betriebsinterne oder -übergreifende) Versetzung des Arbeitnehmers verlangt. [X.] vielmehr zur Wiederherstellung des [X.]s bereits eine Versetzung des Arbeitnehmers, kann der Betriebsrat mit rechtlichem Erfolg nur eine solche verlangen und ggf. gerichtlich durchsetzen.

c) Die Verpflichtung der [X.], die Klägerin zu entlassen, stand im Streitfall auch im Verhältnis zwischen ihr und der [X.] rechtskräftig fest. Das Arbeitsgericht hatte die Klägerin in dem Verfahren nach § 104 Satz 2 [X.] zu Recht gem. § 83 Abs. 3 ArbGG beteiligt.

aa) Nach § 83 Abs. 3 ArbGG ist in einem Beschlussverfahren zu hören, wer [X.]. nach dem [X.] „im einzelnen Fall beteiligt“ ist. Dies verlangt eine unmittelbare Betroffenheit in einer eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Position (st. Rspr. zuletzt [X.] 23. November 2016 - 7 [X.] - Rn. 10; 18. November 2014 - 1 ABR 21/13 - Rn. 12, [X.]E 150, 74).

bb) Von einem Verfahren nach § 104 Satz 2 [X.] ist in diesem Sinne auch der Arbeitnehmer betroffen, dessen Entlassung oder Versetzung vom Betriebsrat verlangt wird (für eine Beteiligung des Arbeitnehmers im Beschlussverfahren nach § 66 Abs. 4 Satz 2 [X.] 1952 auch [X.] [X.] Stand September 1967 § 66 Rn. 20). Er ist Objekt eines besonderen Anspruchs des Betriebsrats, aufgrund dessen es zu seiner Versetzung oder Entfernung aus dem Betrieb kommen kann. Dadurch ist der Arbeitnehmer als Betriebsangehöriger selbst in einer betriebsverfassungsrechtlichen Position betroffen ([X.][X.] 10. Aufl. § 104 [X.] Rn. 18). Das Verfahren nach § 104 Satz 2 [X.] betrifft dagegen nicht unmittelbar seine individ[X.]lrechtliche Rechtsstellung, wie ein Verfahren nach § 103 Abs. 2 und 3 [X.] (vgl. dazu [X.] 23. November 2016 - 7 [X.] - Rn. 15). Die Frage, ob individ[X.]lrechtlich ein Kündigungsgrund gegeben wäre, ist - anders als im Verfahren nach § 103 Abs. 2 und 3 [X.] - nicht Gegenstand des Beschlussverfahrens nach § 104 Satz 2 [X.]. Es liegt daher auch kein systematischer Bruch darin, dass der Gesetzgeber in § 103 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 [X.] ausdrücklich die Beteiligung des Betriebsratsmitglieds angeordnet, von einer entsprechenden Regelung zu dem von einem Entlassungsverlangen nach § 104 [X.] betroffenen Arbeitnehmer hingegen abgesehen hat.

2. Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 [X.] rechtsunwirksam. Eine gesonderte Beteiligung des Betriebsrats war nach der von ihm selbst verlangten Entlassung der Klägerin entbehrlich. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob anderenfalls die von der [X.] durchgeführte Anhörung ordnungsgemäß gewesen wäre.

a) Verlangt der Betriebsrat nach § 104 [X.] die Entlassung eines betriebsstörenden Arbeitnehmers und entschließt sich der Arbeitgeber, dem Wunsch des Betriebsrats zu entsprechen, ist dessen weitere Beteiligung nach § 102 [X.] nicht mehr erforderlich ([X.] 15. Mai 1997 - 2 [X.] - zu II 2 der Gründe; [X.]/[X.] [X.] 15. Aufl. § 104 Rn. 17; AR/[X.] 8. Aufl. § 104 [X.] Rn. 6; [X.]/[X.]/[X.] 11. Aufl. § 104 [X.] Rn. 90; GK/[X.] 10. Aufl. § 104 [X.] Rn. 16; [X.] in [X.]/Kittner/[X.]/[X.] [X.] 15. Aufl. § 104 Rn. 9; Preis in [X.]/Preis/[X.] [X.] 4. Aufl. § 104 Rn. 3). Das Entlassungsverlangen enthält bereits die Zustimmung des Betriebsrats zu der es umsetzenden Kündigung ([X.] 15. Mai 1997 - 2 [X.] - aaO; [X.]/[X.] aaO; [X.]/[X.]/[X.] aaO). Der Arbeitgeber führt nur aus, was der Betriebsrat selbst von ihm verlangt oder sogar in einem Beschlussverfahren nach § 104 Satz 2 [X.] erstritten hat.

b) So liegt es auch im Streitfall. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung hält sich im Rahmen der der [X.] im Beschlussverfahren auferlegten Verpflichtung.

3. Andere Unwirksamkeitsgründe hat die Klägerin nicht geltend gemacht.

III. [X.] einschließlich der Rechtsmittelverfahren haben die Parteien gem. § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO nach dem Verhältnis ihres Obsiegens und Unterliegens zu tragen. Die Beklagte ist hinsichtlich der fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterlegen, die Klägerin hinsichtlich seines unbegrenzten Fortbestandes, mithin die Beklagte zu 1/3 und die Klägerin zu 2/3.

        

    [X.]    

        

    Niemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    Söller    

        

    A. Claes    

                 

Meta

2 AZR 551/16

28.03.2017

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Düsseldorf, 1. Februar 2016, Az: 4 Ca 6451/15, Urteil

§ 104 S 1 BetrVG, § 104 S 2 BetrVG, § 102 Abs 1 S 3 BetrVG, § 1 Abs 2 S 1 KSchG, § 626 Abs 1 BGB, § 83 Abs 3 ArbGG, § 322 Abs 1 ZPO, § 325 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28.03.2017, Az. 2 AZR 551/16 (REWIS RS 2017, 13318)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 2937 REWIS RS 2017, 13318


Verfahrensgang

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Az. 2 AZR 551/16

Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 551/16, 28.03.2017.


Az. 4 Ca 6451/15

Arbeitsgericht Düsseldorf, 4 Ca 6451/15, 01.02.2016.


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