Bundespatentgericht, Beschluss vom 17.10.2017, Az. 14 W (pat) 12/17

14. Senat | REWIS RS 2017, 3833

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Gegenstand

(Patentbeschwerdeverfahren – Schutzzertifikatsanmeldung - "Sitagliptin III" – ergänzendes Schutzzertifikat – Vorabentscheidungsersuchen zu den Kriterien für die Anwendung des Art. 3 (a) EGV 469/2009)


Leitsatz

Sitagliptin III

Vorabentscheidungsersuchen zu den Kriterien für die Anwendung des Artikels 3 (a) der Verordnung (EG) Nr. 469/2009.

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Schutzzertifikatsanmeldung 12 2014 000 122.7

für das Grundpatent EP 1 084 705 ([X.] 597 13 097)

hat der 14. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des [X.] am 17. Oktober 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] Dr. Maksymiw, der Richter [X.] und [X.] sowie der Richterin Dr. Wagner

beschlossen:

I. Dem [X.] werden gemäß Artikel 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist ein Erzeugnis nur dann gemäß Artikel 3 (a) der Verordnung ([X.]) Nr. 469/2009 durch ein in [X.] befindliches Grundpatent geschützt, wenn es zu dem durch die Patentansprüche definierten Schutzgegenstand gehört und dem Fachmann somit als konkrete Ausführungsform zur Verfügung gestellt wird?

2. Ist es dementsprechend für die Erfordernisse des Artikel 3 (a) der Verordnung ([X.]) Nr. 469/2009 nicht ausreichend, wenn das fragliche Erzeugnis zwar die in den Patentansprüchen enthaltene, allgemeine funktionelle Definition einer Wirkstoffklasse erfüllt, darüber hinaus aber nicht individualisiert als konkrete Ausführungsform der mit dem Grundpatent unter Schutz gestellten Lehre zu entnehmen ist?

3. Ist ein Erzeugnis bereits deshalb nicht durch Artikel 3 (a) der Verordnung ([X.]) Nr. 469/2009 durch ein in [X.] befindliches Grundpatent geschützt, wenn es zwar unter die in den Patentansprüchen enthaltene funktionelle Definition fällt, jedoch erst nach dem Anmeldezeitpunkt des [X.] aufgrund eigenständiger erfinderischer Tätigkeit entwickelt wurde?

[X.] Das Beschwerdeverfahren wird bis zur Entscheidung des [X.] über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin des am 24. April 1997 angemeldeten und am 25. Juni 2014 erteilten [X.] [X.]ents EP 1 084 705 ([X.] 597 13 097), das inzwischen durch Zeitablauf erloschen ist. Das [X.]ent betrifft ein Verfahren zur Senkung des Blutglukosespiegels bei Säugern durch die Verabreichung sogenannter [X.]. Der Einsatz dieser Wirkstoffgruppe ist auf die Hemmung des Enzyms [X.] IV gerichtet, wodurch eine Regulation des Blutzuckerspiegels bei Diabetes mellitus-[X.]ienten erreicht wird. Der zu dieser Wirkstoffklasse zählende Wirkstoff [X.] wurde nach dem Anmeldetag des [X.] von einer Lizenznehmerin entwickelt, die hierfür ein [X.]ent erhalten hat, auf dessen Basis ihr ein ergänzendes [X.] erteilt wurde (vgl. zu dem erteilten [X.] auch [X.]. 2012, 146 – [X.] [X.] [X.]ent- und Markenamt).

2

Am 17. Dezember 2014 beantragte die Beschwerdeführerin beim Deutschen [X.]ent- und Markenamt ([X.]) auf Grundlage des [X.] Teils des Europäischen [X.]ents die Erteilung eines ergänzenden [X.]s für das Erzeugnis „

3

Mit Beschluss vom 12. April 2017 hat die [X.]entabteilung 44 des [X.] den Antrag zurückgewiesen, da die Erteilungsvoraussetzung gemäß Art. 3 (a) der Verordnung ([X.]) Nr. 469/2009 des [X.] und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende [X.] für Arzneimittel (im Folgenden: [X.]) nicht erfüllt sei. Zur Begründung hat die [X.]entabteilung insbesondere ausgeführt, in den Ansprüchen des [X.] werde das verfahrensgegenständliche Erzeugnis ausschließlich funktionell definiert. Zwar erfülle das Erzeugnis als ein [X.] die funktionelle Definition des [X.], jedoch fehle es im Grundpatent an jeglicher spezifischen Offenbarung von [X.], so dass der konkrete Wirkstoff dem Fachmann nicht zur Verfügung gestellt werde. Von den zahlreichen, unter die funktionelle Definition „[X.]“ fallenden Wirkstoffen würden im Grundpatent lediglich [X.], [X.], [X.] und [X.] Hydroxylamin konkret genannt. Der Hinweis der Antragstellerin, es handle sich vorliegend um eine Grundlagenerfindung, welche die neue Wirkstoffklasse der [X.] zur Behandlung der [X.] erstmals zur Verfügung gestellt und damit die spätere Entwicklung des Wirkstoffs [X.] erst möglich gemacht habe, könne die Erteilung des beantragten [X.]s nicht rechtfertigen. Maßgeblich sei vielmehr, dass der Schutzgegenstand des [X.] gerade nicht dem später entwickelten Arzneimittel entspreche, das die Genehmigung zum Inverkehrbringen erhalten habe, auf den sich der vorliegende Erteilungsantrag stütze. Es würde den Zielen der [X.] widersprechen, ein [X.] für ein Erzeugnis zu erteilen, das vom Grundpatent nicht zur Verfügung gestellt werde.

4

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie ihr Begehren auf Erteilung eines ergänzenden [X.]s weiterverfolgt, zuletzt für das Erzeugnis „[X.]“. Zur Begründung macht sie insbesondere geltend, der angefochtene Beschluss der [X.]entabteilung berücksichtige nicht ausreichend, dass der Beitrag und [X.] der patentgemäßen Erfindung nicht in der Verwendung spezifischer Verbindungen zu sehen sei, sondern in dem auf die Behandlung von Diabetes mellitus gerichteten Einsatz von [X.] im Allgemeinen. Bei dem Erzeugnis [X.] handle es sich um einen solchen [X.], so dass er die funktionelle Definition der Wirkstoffklasse in Anspruch 2 des [X.] erfülle. Der Wirkstoff [X.] sei auch für die Behandlung von Diabetes mellitus zugelassen. Zwar werde das Erzeugnis im Grundpatent nicht in individualisierter Form offenbart, sondern sei erst nach dem Anmeldetag des [X.] entwickelt worden. Die vom [X.] aufgestellten Anforderungen zu den Erteilungsvoraussetzungen gemäß Art. 3 (a) [X.] seien aber dennoch als erfüllt anzusehen. Denn der Entscheidung „[X.]“ lasse sich nicht entnehmen, dass es der Gerichtshof im Hinblick auf Art. 3 (a) [X.] für notwendig erachte, dass der infrage stehende Wirkstoff im Anspruch in individualisierter Form angegeben werde, wie bspw. durch Angabe des chemischen Namens oder der Struktur des Stoffes. Indem der Gerichtshof in seiner Entscheidung „[X.]“ die Verwendung einer funktionellen Charakterisierung des zugelassenen Erzeugnisses im [X.]entanspruch eines [X.] für grundsätzlich möglich und eine strukturelle Definition für nicht notwendig erachte, habe er zusätzlich deutlich gemacht, dass eine individualisierte Nennung des Erzeugnisses in den Ansprüchen des [X.] nicht notwendig sei.

5

Darüber hinaus habe der [X.] in seinen Entscheidungen „[X.]/[X.]“ und „[X.]/[X.]“ die Bedeutung des [X.]s des erfinderischen Konzepts betont. Diesem Ansatz folgend werde das Konzept des „inventive advance“ beispielsweise vom [X.] High Court of Justice bei der Prüfung von Art. 3 (a) [X.] angewendet und dabei maßgeblich darauf abgestellt, ob es sich bei dem fraglichen Erzeugnis um eine Verkörperung des erfinderischen Konzepts des [X.] handle bzw. ob das Erzeugnis von dem [X.] der Erfindung im Hinblick auf die Marktzulassung Gebrauch mache. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall erfüllt. Der Abstraktionsgrad des funktionell definierten Gattungsbegriffs „[X.]“ müsse als ausreichend spezifisch angesehen werden, insbesondere im Zusammenspiel mit der Anspruchskategorie und den anderen Merkmalen, da unter diesen Gattungsbegriff nur Wirkstoffe mit gleichen medizinischen bzw. arzneilichen Eigenschaften fielen. Somit werde der Wirkstoff [X.] durch die [X.]entansprüche „stillschweigend, notwendigerweise und in spezifischer Art und Weise“ in Bezug genommen.

6

Im Übrigen habe die ursprüngliche Inhaberin des [X.] eigene erhebliche Forschungsanstrengungen bis hin zur frühen klinischen Entwicklung übernommen, wobei so gefundene präklinische Befunde zu dem im Grundpatent offenbarten [X.] Isoleucyl-thiazolidid in die spätere Entwicklung des verfahrensgegenständlichen Wirkstoffs [X.] durch eine Lizenznehmerin eingeflossen seien.

7

Die vom Senat in seiner Zwischenverfügung eingenommene Position stehe im Widerspruch zur Auslegung der Rechtsprechung des [X.] durch den [X.] High Court of Justice. Ohne eine Klärung der maßgeblichen Rechtsfragen durch den Gerichtshof stehe damit zu befürchten, dass sich die unterschiedliche Rechtsprechungspraxis zu einer zentralen Norm der [X.] verfestige, wodurch im konkreten Fall der Beschwerdeführerin nachhaltiger Schaden entstehen und es allgemein zu einer tiefgreifenden Beeinträchtigung des einheitlichen Marktes kommen werde. Im Falle, dass der Senat der Beschwerde nicht stattgeben wolle, werde deshalb ein Vorabentscheidungsersuchen an den [X.] angeregt und beantragt, den entsprechenden Beschluss zur Beschleunigung des Verfahrens im schriftlichen Verfahren zu erlassen.

8

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II.

9

1. Die Voraussetzungen des Art. 3 (b), (c) und (d) [X.] sind im vorliegenden Fall erfüllt. Dagegen stellt sich die Frage, ob das verfahrensgegenständliche Erzeugnis gemäß Art. 3 (a) [X.] durch das Grundpatent geschützt ist. Der Erfolg der Beschwerde hängt somit im vorliegenden Fall von der Auslegung des Art. 3 (a) [X.] ab.

2. Gemäß Art. 3 (a) [X.] setzt die Erteilung eines ergänzenden [X.]s voraus, dass das Erzeugnis durch ein in [X.] befindliches Grundpatent geschützt ist. Der vorliegende Antrag bezieht sich auf die Erteilung eines ergänzenden [X.]s für [X.], einem Wirkstoff, der zwar unter die funktionelle Definition der Ansprüche 1 und 2 des [X.] fällt, aber in der [X.]entschrift nicht weiter individualisiert ist. Es ist daher zu prüfen, ob die Anforderungen von Art. 3 (a) [X.] erfüllt sind.

3. Die maßgeblichen Kriterien für die Auslegung des Art. 3 (a) [X.] hat der [X.] vor allem in seinen Entscheidungen „[X.]“ und „[X.]“ festgelegt.

3.1 Zunächst hat der Gerichtshof im Hinblick auf die [X.] zu Art. 3 (a) [X.] festgestellt, dass es unzulässig ist, ein ergänzendes [X.] für solche Wirkstoffe zu erteilen, die in den Ansprüchen des [X.] nicht genannt sind ([X.], [X.], 257, Rdn. 28 – [X.]). Im Hinblick auf den Umfang des [X.]entschutzes hat der Gerichtshof zudem auf die nicht zum Unionsrecht gehörenden Vorschriften verwiesen, d. h. auf Art. 69 EPÜ sowie auf die entsprechenden nationalen Vorschriften ([X.], [X.], 257, Rdn. 23 – [X.]).

3.2 In seiner Entscheidung „[X.]“ hat der Gerichtshof ausdrücklich hervorgehoben, dass auf den Schutzbereich, der dem Grundpatent in einem fiktiven Verletzungsprozess zukommen würde, nicht zurückgegriffen werden darf (vgl. [X.], [X.], 163, Rdn. 33 – [X.]). Darüber hinaus hat er die maßgeblichen Kriterien für die Auslegung des Art. 3 (a) [X.] dahingehend präzisiert, dass es der Erteilung eines [X.]s für einen Wirkstoff grundsätzlich nicht entgegensteht, wenn dieser unter eine in den [X.]entansprüchen des [X.] enthaltene Funktionsformel fällt, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass diese Ansprüche, die nach Art. 69 EPÜ und dem Protokoll über die Auslegung des EPÜ unter anderem im Lichte der Beschreibung der Erfindung auszulegen sind, den Schluss zulassen, dass sie sich stillschweigend, aber notwendigerweise auf den in Rede stehenden Wirkstoff beziehen, und zwar in spezifischer Art und Weise (vgl. [X.], [X.], 163, Rdn. 39 – [X.]).

3.3 Nach Ansicht des Senats stehen die Ausführungen des Gerichtshofs in seinen Urteilen „[X.]/[X.]“ und „[X.]/[X.]“ zu den vorgenannten Kriterien nicht in Widerspruch. So sind die dort niedergelegten Grundsätze primär auf die Auslegung von Art. 3 (c) [X.] bezogen. Soweit der Gerichtshof in den beiden Entscheidungen darauf abstellt, dass ein Grundpatent im Sinne der Art. 1 (c) und 3 (a) [X.] einen Wirkstoff nur dann „als solchen“ schützt, wenn er den Gegenstand der von dem [X.]ent geschützten Erfindung bildet ([X.], [X.]. 2015, 446, Rdn. 38 – [X.]/[X.]), wertet dies der Senat als Bestätigung der in „[X.]“ und „[X.]“ niedergelegten Grundsätze. Wie der Gerichtshof ausführt, ist der Ausdruck „als solches“ autonom im Licht der mit der Verordnung verfolgten Ziele und der Systematik auszulegen, in die sich dieser Ausdruck einfügt ([X.], [X.]. 2015, 446, Rdn. 32 – [X.]/[X.]). Nach den Erwägungsgründen 3, 4, 5, 9 und 10 der [X.] soll ein Ausgleich nur für die Entwicklung und Genehmigung neuer Arzneimittel gewährt werden. Dieser Zusammenhang liegt auch der Erteilungsvorschrift des Art. 3 (a) und (b) [X.] zugrunde, wonach das Erzeugnis (d. h. der Wirkstoff oder die Wirkstoffkombination) sowohl durch das Grundpatent als solches geschützt als auch Gegenstand einer Genehmigung für das Inverkehrbringen als Arzneimittel gewesen sein muss. Daher ist in Art. 3 (a) [X.] zu prüfen, ob aufgrund der Lehre des [X.]ents das Erzeugnis dem Fachmann als solches, d. h. konkret zur Verfügung gestellt wird. In Art. 3 (c) [X.], der unzulässige Mehrfacherteilungen von ergänzenden [X.]en ausschließen soll, wird dagegen geprüft, ob ein gemäß Art. 3 (a) [X.] durch das Grundpatent geschütztes Erzeugnis eine eigenständige Innovation darstellt. Dementsprechend scheiterte die Erteilung der beantragten [X.]e in den Fällen „[X.]/[X.]“ (hier wurde vom Gerichtshof offengelassen, ob Art. 3 (a) [X.] erfüllt war oder nicht, vgl. [X.], [X.]. 2014, 153, Rdn. 44 – [X.]/[X.]) und „[X.]/[X.]“ (hier wurden die Anforderungen des Art. 3 (a) [X.] vom Gerichtshof als erfüllt angesehen) auch an Art. 3 (c) [X.].

4. Mit den in „[X.]“ und „[X.]“ formulierten Kriterien zur Anwendung des Art. 3 (a) [X.] stellt der Gerichtshof nach Ansicht des Senats für die Beantwortung der Frage, ob ein Erzeugnis durch ein in [X.] befindliches Grundpatent geschützt ist, auf den Schutzgegenstand des [X.] ab, der im Wege der Auslegung der [X.]entansprüche zu ermitteln ist.

5. Damit ein Erzeugnis für den angesprochenen Fachmann als zum Schutzgegenstand des [X.] gehörig erkennbar ist, muss der fragliche Wirkstoff nach den Vorgaben des Gerichtshofs zwar in den [X.]entansprüchen nicht explizit genannt werden. Im Fall, dass er unter eine in den [X.]entansprüchen des [X.] enthaltene funktionelle Definition fällt, müssen diese Ansprüche, die nach Art. 69 EPÜ und dem Protokoll über die Auslegung des EPÜ auszulegen sind, allerdings den Schluss zulassen, dass sie sich stillschweigend, aber notwendigerweise auf den in Rede stehenden Wirkstoff beziehen, und zwar in spezifischer Art und Weise. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein Erzeugnis im Sinne von Art. 3 (a) [X.] geschützt ist, kommt es nach dem Verständnis des Senats somit darauf an, ob das betreffende Erzeugnis in den Ansprüchen des [X.] derart konkret umschrieben ist, dass es zum Schutzgegenstand der [X.]entansprüche gehört. Denn Art. 69 EPÜ bezieht sich nicht nur auf die Bestimmung des Schutzbereichs, sondern unterscheidet zwischen der in einem ersten [X.] notwendigen Bestimmung des Gegenstands der Ansprüche einerseits und der für die Verletzungsfrage maßgeblichen Schutzbereichsbestimmung für diesen Schutzgegenstand andererseits. Dies ergibt sich aus der [X.] der [X.]entansprüche, den Schutzgegenstand des [X.] zu definieren und so den Schutzbereich überhaupt erst bestimmbar zu machen.

6. Vor dem Hintergrund, dass sich die Möglichkeit einer [X.]serteilung nach den Zielen der [X.] nur auf Grundpatente für neue Arzneimittel bzw. Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen bezieht und nicht auf Stoffgruppen, die erst den Ausgangspunkt für die spätere Entwicklung eines spezifischen Wirkstoffs schaffen, sind diese vom Gerichtshof formulierten Anforderungen nach Ansicht des Senats nur dann erfüllt, wenn der fragliche Wirkstoff (oder die Wirkstoffkombination) in den [X.]entansprüchen so spezifiziert ist, dass er als solcher identifizierbar ist und dem Fachmann dadurch tatsächlich zur Verfügung gestellt wird.

7. Im vorliegenden Fall besteht der Schutzgegenstand des [X.] aber ausschließlich in der Lehre, über eine Beeinflussung der [X.] zur Senkung des krankhaft überhöhten Blutzuckerspiegels – verallgemeinernd – Inhibitoren der [X.] einzusetzen, sowie darin, zu diesem Zweck die in der Beschreibung des [X.]ents konkret benannten Stoffe – zu denen [X.] nicht gehört – heranzuziehen (vgl. hierzu die zur Prioritätsanmeldung des [X.] ergangene Entscheidung des [X.], [X.], 1210, Rdn. 28 – [X.]-Inhibitoren). Der hier verfahrensgegenständliche Wirkstoff [X.] gehört somit nicht zum Schutzgegenstand des [X.]. Er fällt zwar in dessen Schutzbereich – der bloße Umstand, dass der zum [X.] des [X.] noch nicht entwickelte Wirkstoff [X.] – ebenso wie eine Vielzahl weiterer Wirkstoffe – unter die funktionelle Definition der Wirkstoffklasse in Anspruch 2 des [X.] fällt, mag somit in [X.] relevant werden, erfüllt aber nach Auffassung des Senats nicht die Vorgaben des [X.] zum Erfordernis einer spezifischen Identifizierbarkeit des Erzeugnisses in den Ansprüchen des [X.] gemäß Art. 3 (a) [X.]. Denn das Grundpatent stellt dem Fachmann neben den explizit genannten Verbindungen – wie bspw. dem [X.] [X.] – nur eine Zielstruktur ([X.]) zur Verfügung, nicht jedoch den Wirkstoff [X.]. Dieser wurde erst später von einer Lizenznehmerin durch entsprechende Forschungsleistungen entwickelt, durch ein eigenes Grundpatent geschützt und hat erst dann eine Genehmigung zum Inverkehrbringen als Arzneimittel erhalten.

8. Wenn die Beschwerdeführerin vorträgt, mit seinen in „[X.]“ formulierten Grundsätzen habe der Gerichtshof lediglich klarstellen wollen, dass sich der fragliche Wirkstoff als eine Verkörperung des [X.]s des erfinderischen Beitrags des [X.] darstellen müsse, wie er durch die funktionelle Charakterisierung des [X.]entanspruchs ausgedrückt werde, teilt der Senat diese Interpretation nicht. Vor dem Hintergrund seiner auch in „[X.]“ zitierten Entscheidung „[X.]“ (vgl. [X.], [X.], 163, Rdn. 34 f. – [X.]) hat der Gerichtshof nach Auffassung des Senats vielmehr deutlich gemacht, dass der fragliche Wirkstoff als zum Schutzgegenstand des [X.] gehörend, spezifisch identifizierbar sein muss (vgl. [X.], [X.], 163, Rdn. 35 – [X.]). Dementsprechend hat der [X.] auch das ihm vom [X.] High Court of Justice als Prüfungskriterium für die Anwendung des Art. 3 (a) [X.] vorgeschlagene Konzept des sogenannten „inventive advance“ (High Court, [2012] [X.] 2545 ([X.]), Rdn. 75 ff. – [X.]/ [X.],) bei der Auslegung dieser Vorschrift nicht aufgegriffen, sondern stattdessen im Rahmen der Auslegung des Art. 3 (c) [X.] berücksichtigt (vgl. [X.], [X.]. 2014, 153, Rdn. 41 f. – [X.]/[X.]).

9. Die Antragstellerin verweist zur Begründung ihrer Beschwerde zudem auf die Entscheidung „[X.]-Inhibitoren“, in welcher der [X.] [X.] festgestellt hat, dass im Hinblick auf das berechtigte Interesse, eine Erfindung in vollem Umfang zu schützen, die Umschreibung einer Gruppe von Stoffen durch eine funktionelle Definition patentrechtlich grundsätzlich selbst dann zulässig sein kann, wenn eine solche Fassung des [X.]entanspruchs auch die Verwendung noch unbekannter Möglichkeiten umfasse, die möglicherweise erst zukünftig bereitgestellt oder erfunden werden müssten ([X.], [X.], 1210, Rdn. 19 ff.). Mit diesem auf das [X.]enterteilungsverfahren bezogenen Grundsatz hat der [X.] jedoch lediglich klargestellt, dass nur so ein angemessener [X.]entschutz gewährt werden könne. Für die im vorliegenden Fall maßgebliche Frage, ob ein bestimmtes Erzeugnis (ein Wirkstoff oder eine Wirkstoffkombination) entsprechend den vom [X.] zur Anwendung von Art. 3 (a) [X.] entwickelten, unter Punkt 3 dieses Beschlusses dargestellten Kriterien geschützt ist, lassen sich aus den Ausführungen des [X.] dagegen keine Rückschlüsse ziehen.

10. Aus den dargelegten Gründen sieht der Senat im vorliegenden Fall die Erteilungsvoraussetzung des Art. 3 (a) [X.] als nicht erfüllt an. Es ist aber hervorzuheben, dass hinsichtlich der zutreffenden Interpretation der vom Gerichtshof in seinen Entscheidungen „[X.]“, „[X.]“ sowie „[X.]/[X.]“ und „[X.]/ [X.]“ niedergelegten Kriterien zur Anwendung von Art. 3 (a) [X.] in den Mitgliedsstaaten grundlegend unterschiedliche Auffassungen vertreten werden. So entnimmt etwa der [X.] High Court of Justice der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Anwendung von Art. 3 (a) [X.] einen Test, der an den „inventive advance“ des [X.] anknüpft (vgl. hierzu High Court of Justice [2017] [X.] 987 ([X.]), Rdn. 63 ff. – [X.]/[X.]). Demnach soll für die Beantwortung der Frage, ob Art. 3 (a) [X.] als erfüllt angesehen werden kann, nicht die Frage maßgeblich sein, ob ein Wirkstoff durch das Grundpatent in individualisierter Form offenbart ist oder erst nach dem Anmeldetag des [X.] entwickelt wurde, sondern vielmehr die Prüfung, ob der fragliche Wirkstoff den erfinderischen Beitrag des [X.] verkörpert. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend geltend gemacht hat, ist der Sachverhalt, der dem zitierten Urteil des [X.] Gerichts zugrunde lag mit dem des vorliegenden Falles durchaus vergleichbar. Denn der in der [X.] Entscheidung verfahrensgegenständliche Wirkstoff [X.] fiel – ebenso wie eine quasi unendlich große Anzahl weiterer Verbindungen – unter eine in den Ansprüchen des [X.] enthaltene [X.], während im vorliegenden Fall der Wirkstoff [X.] – ebenso wie eine unüberschaubare Vielzahl weiterer Verbindungen – unter eine in den [X.]entansprüchen enthaltene funktionelle Definition fällt.

11. Die unterschiedliche Interpretation der für die Anwendung von Art. 3 (a) [X.] vom Gerichtshof aufgestellten Grundsätze spiegeln sich auch in den Entscheidungen über die Anträge auf Erteilung eines ergänzenden [X.]s für das hier verfahrensgegenständliche Erzeugnis [X.] in den Mitgliedsstaaten wider. So wurden die entsprechenden Anträge in [X.], [X.], [X.], [X.], [X.], [X.] und [X.] zurückgewiesen – in [X.], [X.], [X.], [X.], [X.], [X.], [X.], [X.] und [X.] wurde den Anträgen dagegen stattgegeben und ein ergänzendes [X.] erteilt. Weitere [X.]sanmeldungen sind aktuell noch in [X.], [X.] und [X.] anhängig.

12. Die verschiedenen Auffassungen in den Mitgliedsstaaten im Hinblick auf die Anwendung des Art. 3 (a) [X.] und der vom Gerichtshof hierzu aufgestellten Grundsätze belegen zum einen die besonderen Schwierigkeiten der Rechtsmaterie – sie verdeutlichen aber auch die Gefahr von dauerhaften Divergenzen in der Rechtsprechung, die dem Ziel der [X.] entgegenwirken würde, auf Gemeinschaftsebene eine einheitliche Lösung für einen ausreichenden Schutz von neuen Arzneimitteln zu schaffen und eine Behinderung des gemeinsamen Binnenmarktes zu verhindern. Die Beschwerdeführerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die sich widersprechenden Strömungen in der Anwendung von Art. 3 (a) [X.] inzwischen so ausgeprägt sind, dass sich die Anmelder und Inhaber von ergänzenden [X.]en völlig unterschiedlichen Bewertungen ihrer Rechtsposition ausgesetzt sehen, je nachdem, welcher Ansatz von dem betreffenden Gericht verfolgt wird. Der Senat stimmt mit der Beschwerdeführerin auch darin überein, dass eine derart unterschiedliche rechtliche Beurteilung vergleichbarer Sachverhalte durch die Gerichte der Mitgliedsstaaten nicht ohne tiefgreifende Auswirkungen auf den gemeinsamen [X.] Markt bleiben kann und bei einer Verfestigung der divergierenden Praxis zu der zentralen Norm des Art. 3 (a) [X.] nachhaltiger Schaden sowie allgemein eine Beeinträchtigung des einheitlichen Marktes entstehe.

13. Aus diesen Gründen war das von der Beschwerdeführerin angeregte Vorabentscheidungsersuchen an den [X.] geboten. Denn auch wenn die gemeinschaftsrechtliche Bestimmung des Art. 3 (a) [X.] bereits mehrfach Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war, kann der Senat vor dem dargestellten Hintergrund nicht davon ausgehen, dass die richtige Anwendung des Art. 3 (a) [X.] so offenkundig wäre, dass kein Raum mehr für vernünftige Zweifel an der zutreffenden Anwendung von Art. 3 (a) [X.] und damit der Entscheidung der gestellten Fragen bleibt (vgl. [X.], [X.] 2016, 111, Rdn. 36 ff. – [X.] ua/[X.]).

14. Das Verfahren war somit auszusetzen und dem Gerichtshof die im Tenor genannten Fragen gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Meta

14 W (pat) 12/17

17.10.2017

Bundespatentgericht 14. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 17.10.2017, Az. 14 W (pat) 12/17 (REWIS RS 2017, 3833)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 3833

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