Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.03.2010, Az. 2 StR 397/09

2. Strafsenat | REWIS RS 2010, 8377

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Gegenstand

Gebot des fairen Verfahrens: Allgemeine Zurechnung des Verfahrensgangs in Vertragsstaaten des EMRK unabhängig von den nationalen Verfahrensordnungen


Leitsatz

1. Eine allgemeine Zurechnung des Verfahrensgangs in Vertragsstaaten der EMRK unabhängig davon, ob die konkret betroffenen Verfahrenshandlungen dem jeweils nationalen Verfahrensrecht entsprechen oder nicht, ist durch die Konvention nicht geboten .

2. Die Regelungen der EMRK schaffen kein einheitliches Verfahrensrecht der Vertragsstaaten im Einzelnen mit einer unbeschränkten Zurechnung unabhängig von den nationalen Verfahrensrechtsordnungen .

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 18. März 2009 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den [X.] im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Seine auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützte Revision ist im Ergebnis unbegründet.

[X.]

2

Nach den Feststellungen des [X.]s wurde ein in dem Dorf [X.]. in der östlichen [X.] lebender jüngerer Bruder des Angeklagten, [X.], bei einer Auseinandersetzung um das dort erhobene örtliche "[X.]" im Jahr 2005 durch einen Messerstich des Dorfvorstehers [X.] erheblich verletzt. [X.] zwischen den [X.] scheiterten. [X.] entwickelten daher der Angeklagte und seine drei [X.], [X.] und [X.] den Plan, den damaligen Angreifer [X.] aus Rache zu töten; eine Beteiligung ihres [X.] konnte nicht festgestellt werden. Der Angeklagte organisierte in Ausführung des gemeinsamen Plans die Reise in die [X.] für sich und seine Brüder [X.] D., der die [X.] Staatsangehörigkeit besitzt und in [X.] lebt, und [X.], der [X.] Staatsangehöriger ist und wie der Angeklagte in [X.] lebt. Er buchte Hin- und Rückflüge für den 8. bzw. 25. Juni 2006 von [X.] nach [X.] sowie einen Mietwagen in [X.]. Mit diesem fuhren die drei Brüder nach Ankunft am 8. Juni 2006 etwa 800 km in die [X.] Dort mieteten sie sich in der von ihrem Heimatdorf etwa 20 km entfernten Kreisstadt [X.] unter Vorlage unbekannter Ausweise in einem Hotel ein, das sie jeweils täglich bar bezahlten.

3

Am Tattag, dem 12. Juni 2006, folgten alle vier Brüder mit dem vom Angeklagten gesteuerten Mietwagen dem Tatopfer [X.] zu einer Metzgerei in der Kreisstadt [X.]. Als [X.] den Laden betrat, folgten ihm drei der Täter, die mit zwei Beilen und einem Messer bewaffnet waren; der Angeklagte wartete unterdessen in dem fluchtbereit vor dem Laden geparkten Fahrzeug. Die drei Brüder des Angeklagten drangen sogleich auf das Tatopfer ein und fügten ihm mit einer Vielzahl von Beilhieben und Messerstichen tödliche Verletzungen zu. Die beiden in der Metzgerei anwesenden unbeteiligten Personen, [X.] und [X.], hielten sie durch Drohungen davon ab, [X.] zu Hilfe zu kommen. Sodann flohen die vier Brüder mit dem Mietfahrzeug vom [X.].

4

Die herbeigerufene Polizei befragte auf der Straße anwesende Tatzeugen, deren Identität jedoch nicht ermittelt werden konnte; diese gaben Hinweise auf drei oder vier Täter und beschrieben das Fluchtfahrzeug. Der in der Nähe der Metzgerei beschäftigte Fotograf A. teilte der Polizei mit, es seien nach der Tat drei Männer aus der Metzgerei gekommen und in das von einem Vierten gesteuerte Fahrzeug gestiegen.

5

Der Angeklagte und seine Brüder wurden schnell als Verdächtige ermittelt; noch am Tattag ergingen Haftbefehle. Die Täter ließen das Mietfahrzeug zurück und verbargen sich zunächst in der [X.]. Der Angeklagte reiste nach dem 20. Juni 2006 auf Umwegen in die [X.] zurück; ebenso sein Bruder Y. Dieser wurde am 27. Dezember 2006 in [X.] festgenommen und an die [X.] ausgeliefert. Der Aufenthalt [X.] D.'s ist unbekannt. Die [X.] und [X.] wurden vom [X.] Schwurgericht in [X.] am 5. Mai 2008 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, die wegen der vorangegangenen Provokation durch das Tatopfer auf 24 Jahre gemildert wurde.

6

Nach der Tötung des [X.] wurden die Häuser der Familienmitglieder des Angeklagten in dem Heimatdorf [X.]. von Angehörigen des [X.] angegriffen, geplündert und zerstört; die Familie des Angeklagten musste das Dorf verlassen.

I[X.]

7

Mit der Verfahrensrüge macht die Revision eine Verletzung von Art. 6 Abs. 3 Buchst. [X.] geltend.

8

1. Dem liegt Folgendes zugrunde:

9

Der Angeklagte hat eine Beteiligung an der Tat bestritten. Das [X.] hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten zum einen auf Feststellungen zur Organisation und Durchführung der Reise durch ihn, auf sein Nachtatverhalten und auf seine Position in der Familie gestützt, zum anderen auf Aussagen [X.] Zeugen, insbesondere auch von drei Zeugen des Tatgeschehens. Das [X.] hat umfangreiche Bemühungen unternommen, die beiden in der Metzgerei anwesenden Zeugen [X.] und [X.] sowie den einzigen namentlich bekannten Augenzeugen der Flucht der Täter mit dem Mietwagen vom [X.], den [X.], zum Zweck der Vernehmung in der Hauptverhandlung zu laden. Die Zeugen waren letztlich nicht bereit, in der Hauptverhandlung in [X.] auszusagen; auch eine audiovisuelle Übertragung einer Vernehmung in der [X.] war wegen Fehlens der technischen Voraussetzungen nicht möglich.

Aufgrund eines Beschlusses des [X.]s wurden die Zeugen [X.] und [X.] im Wege der Rechtshilfe vernommen. An der Vernehmung nahmen zwei Berufsrichter des [X.]s Darmstadt, der sachbearbeitende Staatsanwalt sowie ein Dolmetscher teil. Eine Teilnahme der Verteidiger des Angeklagten wurde trotz intensiver entsprechender Bemühungen des [X.]s von den [X.] Justizbehörden nicht gestattet. Der Aufforderung des [X.]s, einen eigenen Fragenkatalog für die Vernehmung durch das [X.] vorzulegen, kamen die Verteidiger nicht nach.

[X.] wurde in der [X.] Hauptverhandlung gegen zwei der Mittäter des Angeklagten vernommen. Die Verteidiger des Angeklagten nahmen an dieser Hauptverhandlung nicht teil.

Zu ihrer beabsichtigten Vernehmung vor dem [X.] erschienen die Zeugen [X.], [X.] und A. nicht. Einer der Verteidiger des Angeklagten beantragte, die Protokolle der polizeilichen Vernehmungen sowie der Vernehmungen der Zeugen in der [X.] Hauptverhandlung sowie der [X.] zu verlesen. Der andere Verteidiger des Angeklagten erklärte, einer Verlesung der genannten Urkunden gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO werde nicht zugestimmt. Auf Beschluss des [X.]s wurden die genannten Protokolle der Vernehmungen der drei Zeugen - neben zahlreichen anderen - gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesen. [X.] und Ermittlungsbeamte wurden als Zeugen in der Hauptverhandlung vernommen. Die Videoaufzeichnung einer polizeilichen Vernehmung der Zeugen [X.] und [X.] wurde in Augenschein genommen; einer der Berufsrichter des [X.]s, die an der Rechtshilfevernehmung teilgenommen hatten, wurde als Zeuge vernommen.

Das [X.] hat seine Feststellungen zum Ablauf des Geschehens in der Metzgerei und zur Identifikation der Brüder des Angeklagten wesentlich auch auf die Aussagen der Zeugen [X.] und [X.] gestützt. Seine Überzeugung, dass der Angeklagte als vierter Tatbeteiligter im Fluchtfahrzeug vor der [X.]r wartete, hat es, neben der Aussage des [X.] Ermittlungsführers [X.]., der entsprechende Beobachtungen anonym gebliebener Zeugen wiedergab, wesentlich auch auf die Aussage des [X.] gestützt.

2. Die Revision ist der Ansicht, es sei das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren dadurch verletzt worden, dass dem Angeklagten und seinen Verteidigern keine Möglichkeit zu einer konfrontativen Befragung der besonders wichtigen Zeugen [X.], [X.] und A. eingeräumt wurde. Dies sei hier rechtsfehlerhaft gewesen; das Urteil beruhe auch auf dem Rechtsfehler.

a) Die Revision stützt sich dabei auf die in der Rechtsprechung zu dieser Frage entwickelte "Stufentheorie" (vgl. [X.], 2753 [[X.] ./. [X.] [X.]; hierzu [X.], 1661; [X.] NJW 2001, 2245]; BGHSt 46, 93; 51, 150).

Danach hat der Beschuldigte als besondere Ausformung des Grundsatzes der [X.] ein Recht, Belastungszeugen unmittelbar zu befragen oder befragen zu lassen; wenn ein Zeuge nur außerhalb der Hauptverhandlung vernommen worden ist, muss dem Beschuldigten dieses Recht zur konfrontativen Befragung entweder bei der Vernehmung oder zu einem späteren Zeitpunkt eingeräumt werden ([X.] NJW 2010, 925 f.; BGHSt 51, 150, 154). Eine Nichtgewährung des Befragungsrechts führt aber nicht ohne weiteres zur Unverwertbarkeit der belastenden Aussage; vielmehr kommt es darauf an, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit einschließlich der Art und Weise der Beweiserhebung und -würdigung den Geboten der [X.] genügt ([X.] NJW 2010, 925, 926; BGHSt 46, 93, 95). Hierbei ist es von erheblicher Bedeutung, ob der Umstand, dass der Angeklagte keine Möglichkeit zur konfrontativen Befragung hatte und dies auch nicht durch kompensierende Maßnahmen (z.[X.] Videovernehmung; Anwesenheit zumindest des Verteidigers bei der Zeugenbefragung) ausgeglichen wurde, der Justiz zuzurechnen ist oder auf Gründen außerhalb des [X.] der Strafverfolgungsbehörden beruht (BGHSt 51, 150, 155). Im ersteren Fall folgt aus der Zurechenbarkeit des Verstoßes gegen den [X.] zwar kein grundsätzliches Verwertungsverbot; jedoch sind an die Beweiswürdigung in diesem Fall besonders hohe Anforderungen zu stellen. Dies schließt es regelmäßig aus, die Verurteilung des Angeklagten allein auf die Aussage der betreffenden Belastungszeugen zu stützen; diese kann vielmehr nur dann Grundlage einer Verurteilung sein, wenn sie durch andere, gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt wird (BGHSt 46, 93, 106; 51, 150, 155 f.; [X.], 224, 225; NStZ-RR 2005, 321). Nicht erforderlich ist, dass diese weiteren Beweisergebnisse schon für sich allein die Verurteilung tragen und die betreffende Zeugenaussage daher nur noch "bestätigenden" Charakter hat ([X.] NJW 2010, 925, 926 [Rdn. 20]).

Wenn die Unmöglichkeit [X.] der Justiz nicht zuzurechnen ist, kann eine Verurteilung auf die Aussage des Zeugen bei äußerst sorgfältiger Würdigung gestützt werden, wenn sie nicht einzig und allein auf dieser Aussage beruht ([X.], 2753 [[X.]/[X.]]; BGHSt 51, 150, 155; vgl. dazu auch [X.] in KK 6. Auflage, Art. 6 [X.] Rdn. 51 ff., 59 f.; [X.] StPO 52. Auflage, Art. 6 [X.] Rdn. 22; [X.] NStZ 2007, 106; [X.] StraFo 2008, 229; jeweils m.w.N.).

b) Die Revision meint zutreffend, dass die [X.] Strafverfolgungsbehörden hier alles ihnen Mögliche unternommen haben, um eine konfrontative Befragung der Zeugen [X.], [X.] und A. oder zumindest eine deren Ausfall kompensierende Maßnahme zu ermöglichen. Der Verstoß gegen das Fairnessgebot sei daher der [X.] Justiz nicht unmittelbar zuzurechnen. Diese müsse sich aber das konventionswidrige, Art. 6 Abs. 3 Buchst. [X.] verletzende Verhalten der [X.] Strafverfolgungsbehörden zurechnen lassen. Die [X.] sei - abweichend vom Fall [X.], 2753 ([X.]/[X.]), in dem es um einen Zeugen im [X.] ging - Vertragsstaat der [X.] und daher verpflichtet, die Beschuldigtenrechte der [X.]nvention zu gewähren.

Die Ausführung des [X.] [X.], die gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. [X.] verstoßen habe, sei Teil der gegen den Angeklagten geführten Strafverfolgung insgesamt und daher dem verurteilenden [X.] Gericht auch dann zuzurechnen, wenn dieses selbst sich nach Kräften um eine Einhaltung der [X.]nvention bemüht hat.

3. Die zulässige Rüge hat keinen Erfolg.

a) Es mangelt schon an einem der [X.] Justiz zuzurechnenden [X.] der [X.] Justizorgane.

aa) Nach Art. 3 Abs. 1 des [X.] ([X.]), dessen Mitgliedsstaat die [X.] seit 1969 ist, erledigt der ersuchte Staat ein Ersuchen zur Vornahme von Untersuchungshandlungen in der in seinen eigenen Rechtsvorschriften vorgebenden Form. Zwar sieht Art. 8 des [X.] zum [X.] eine Erledigung unter Anwendung der Formvorschriften des ersuchenden Staats vor, wenn dies den Grundprinzipien der Rechtsordnung des ersuchten Staats nicht zuwiderläuft; die [X.] hat das Zweite Zusatzprotokoll aber nicht ratifiziert. Ein Anwesenheitsrecht des Angeklagten oder seiner Verteidiger ergab sich daher hier nicht aus Vorschriften über die internationale Rechtshilfe.

bb) Auch aus den Regelungen der [X.] Strafprozessordnung ([X.], [X.]) ergab sich ein solches Recht nicht.

Nach [X.] (Art.) 84 Abs. 1 [X.] haben der Beschuldigte oder Angeklagte, der Verteidiger und der Opferanwalt das Recht zur Anwesenheit bei richterlichen Untersuchungshandlungen. Nach [X.] 84 Abs. 2 [X.] findet diese Bestimmung auch Anwendung auf die richterliche Vernehmung eines Zeugen, wenn dieser nicht in der Lage ist, in der Hauptverhandlung zu erscheinen, oder wenn sein Erscheinen durch die große Entfernung seines Wohnsitzes vom Prozessort erschwert wäre (vgl. [X.] - Ceza Muhakesemi Kanunu, [X.] 2009). Diese Vorschrift ist aber, wie auch das Schreiben des [X.] Justizministeriums an die Oberstaatsanwaltschaft Elazig ([X.]. 1569 f.) im Zusammenhang mit dem dort zitierten Erlass Nr. 69 vom 1. Januar 2006 ergibt (vgl. [X.]), auf die kommissarische Vernehmung von Zeugen auf ausländische Rechtshilfeersuchen nicht anzuwenden. Verteidiger eines ausländischen Verfahrens werden, wie sich auch aus der Entscheidung im vorliegenden Verfahren über den Antrag auf Gestattung der Anwesenheit der Verteidiger ergibt ([X.]. 1765), als "interessierte Personen" (vgl. Art. 4 [X.] 2 [X.]) angesehen. Ob einem [X.] Verteidiger die Anwesenheit hätte gestattet werden müssen, kann dahinstehen, denn der Angeklagte hat auf die zunächst ausdrücklich angekündigte Beauftragung eines Verteidigers in der [X.] aus nicht bekannten Gründen verzichtet.

Es ist daher davon auszugehen, dass die [X.] Justizbehörden die Vernehmung der Zeugen [X.] und [X.] im Rechtshilfewege in Übereinstimmung mit [X.] Recht durchgeführt haben. Dies ist jedenfalls für die Beurteilung der Fairness des Gesamtverfahrens von Bedeutung.

Soweit es den [X.] betrifft, ist dieser nicht im Wege der Rechtshilfe, sondern polizeilich sowie in der in der [X.] durchgeführten Hauptverhandlung vernommen worden. Das [X.] hat die Protokolle dieser Vernehmungen verlesen und seine Überzeugung von der Anwesenheit einer vierten Person im Fluchtfahrzeug auf die Aussage des [X.] in der [X.] Hauptverhandlung gestützt.

b) Eine allgemeine Zurechnung des [X.] in Mitgliedsstaaten der E[X.] unabhängig davon, ob die konkret betroffenen Verfahrenshandlungen dem jeweils nationalen Verfahrensrecht entsprechen oder nicht, ist durch die [X.]nvention nicht geboten; eine entsprechende Auslegung - wie sie dem [X.] offenbar zugrunde liegt - würde dem Regelungsgehalt der E[X.] nicht gerecht. Eine Beschwerde ist gemäß Art. 35 Abs. 3 [X.] für unzulässig zu erklären, wenn die gerügte Handlung oder Unterlassung dem beklagten Staat nicht zuzurechnen ist ([X.], Entscheidungen vom 15. Juni 1999, Nr. 18360/91; [X.], Entscheidung vom 14. April 1998, Nr. 20652/92; vgl. [X.], E[X.] 3. Aufl. 2008 § 13 Rdn. 42 m.w.N.). Schon hieraus ergibt sich, dass die Regelungen der [X.] nicht dahin zu verstehen sind, dass sie ein quasi einheitliches Verfahrensrecht der Vertragsstaaten im Einzelnen mit einer unbeschränkten Zurechnung unabhängig von den nationalen Verfahrensrechtsordnungen schaffen.

c) Selbst wenn man mit der Revision annähme, das Unterbleiben einer konfrontativen Vernehmung der Zeugen in der [X.] sei dem [X.] trotz dessen eigener hinreichender Bemühungen und trotz Vereinbarkeit des Verfahrens mit [X.] Recht zurechenbar, wären die Aussagen verwertbar. Denn das [X.] hat seine Überzeugung, der Angeklagte sei Mittäter des Mordes gewesen und habe an der Tat als Organisator und Fahrer des [X.] mitgewirkt, nicht allein auf die Aussagen der Zeugen [X.] und [X.] (zur Identifizierung der drei Täter in der Metzgerei) und des [X.] (zur Anwesenheit einer vierten Person als Fahrer) gestützt, sondern auf eine Vielzahl weiterer, gravierender Beweisanzeichen. Hierzu zählen insbesondere die traditionell gewichtige innerfamiliäre Position des Angeklagten als ältester [X.], die von ihm eingeräumte Organisation der gemeinsamen Reise zum [X.], das überaus auffällige Verhalten bei der Unterbringung im Hotel, die Zurücklassung des Mietwagens und die komplizierte Flucht des Angeklagten nach der Tat, das Vorliegen eines starken Tatmotivs sowie die offenkundige Unhaltbarkeit seiner zur Erklärung dieser Auffälligkeit gegebenen Einlassungen.

Das [X.] war sich der Problematik der Beweiswürdigung auch bewusst. Die von ihm vorgenommene Beweiswürdigung ist äußerst sorgfältig und eingehend, der Beweiswert der in die Hauptverhandlung eingeführten Aussagen der drei Zeugen ist vom Tatrichter umfassend kritisch hinterfragt und unter steter Beachtung der Beziehung zu anderen [X.] gewürdigt worden.

Die Beweiswürdigung des [X.]s ist daher auch unter Berücksichtigung des [X.] und der hieraus nach Maßgabe der ständigen Rechtsprechung erwachsenen ganz besonders hohen Anforderungen an die Überzeugungsbildung rechtsfehlerfrei.

II[X.]

Das Urteil hat auch sachlich-rechtlich Bestand.

1. [X.] ist rechtsfehlerfrei. Die Verurteilung wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen begegnet hier keinen rechtlichen Bedenken. Der Angeklagte war von der den Anlass der Tat bildenden Handlung des später Getöteten nicht persönlich, sondern allein als Mitglied seiner Familie betroffen. Er lebt seit langer Zeit in der [X.] und ist [X.] Staatsangehöriger. Dass die einer "Hinrichtung" ähnliche Tötung eines Menschen allein aus Rache, zur Verteidigung der sogenannten "Familienehre" und als Repräsentant einer verfeindeten Familie als besonders verwerflich und moralisch verurteilenswert angesehen wird, ist dem Angeklagten vertraut, auch wenn er für sich selbst diese Wertung nicht akzeptieren mag. Eine entsprechende Tatmotivation wird auch in der [X.] als verwerflich und straferschwerend angesehen.

Zutreffend hat das [X.] den Angeklagten als Mittäter gemäß § 25 Abs. 2 StGB angesehen, auch wenn er die zum Tod des Opfers führenden Handlungen nicht selbst ausgeführt hat. Die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Mittäterschaft lagen nach den Feststellungen des [X.]s unzweifelhaft vor.

2. Auch der Rechtsfolgenausspruch ist rechtsfehlerfrei. Soweit das [X.] die [X.]mpensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung auch mit der Begründung abgelehnt hat, eine solche sei bei Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe nicht möglich (UA [X.] 49), ist dies zwar fehlerhaft, da es auf der Grundlage der vom [X.] inzwischen aufgegebenen "Strafzumessungslösung" beruht (vgl. BGHSt 52, 124). Hierauf kommt es aber nicht an, denn das [X.] hat zutreffend ausgeführt, dass es vorliegend schon an einer rechtsstaatswidrigen Verzögerung des Verfahrens fehlte. Dieses ist vielmehr durchweg mit der gebotenen Beschleunigung geführt worden; dass es wegen des [X.]s in der [X.] und der hierdurch bedingten Schwierigkeiten der [X.] lange dauerte, begründet keine Rechtsstaatswidrigkeit im Sinne eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 [X.] 1 MR[X.]

Die Revision war daher zu verwerfen.

[X.]Appl

                                  [X.]

Meta

2 StR 397/09

17.03.2010

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Darmstadt, 18. März 2009, Az: 540 Js 63795/06 - 11 Ks, Urteil

Art 6 Abs 3 Buchst d MRK, Art 3 Abs 1 EuRHiÜbk

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.03.2010, Az. 2 StR 397/09 (REWIS RS 2010, 8377)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8377


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 BvR 1186/10

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 1186/10, 28.04.2011.


Az. 2 StR 397/09

Bundesgerichtshof, 2 StR 397/09, 17.03.2010.


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