Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.11.2006, Az. 1 StR 493/06

1. Strafsenat | REWIS RS 2006, 558

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[X.] vom 29. November 2006 [X.]St: ja Veröffentlichung: ja __________________ [X.] Art. 6 Abs. 3 Buchst. d, StPO § 168c Zum Recht auf konfrontative Befragung nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d [X.] (in Fortführung von [X.], 93). [X.], Beschluss vom 29. November 2006 - 1 [X.] - [X.] in der Strafsache gegen 1. 2. wegen zu 1.: Vergewaltigung u.a. zu 2.: Beihilfe zum Menschenhandel u.a. - 2 - Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 29. November 2006 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 12. April 2006 mit den zugehörigen [X.] aufgehoben, soweit die Angeklagten verurteilt worden sind. Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkam-mer des [X.] zurückverwiesen. Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten [X.] wegen Vergewalti-gung und Menschenhandels in Tateinheit mit ausbeuterischer und dirigierender Zuhälterei zur Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten, den Angeklagten [X.]. wegen Beihilfe zum Menschenhandel und Bedro-hung zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es die Angeklagten freigesprochen. 1 Die Revisionen der Angeklagten haben mit einer auf der Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Buchst. d [X.]) gestützten Verfahrensrüge Erfolg. Auf die weiteren Verfahrenrügen und die Sachbeschwerde kommt es daher nicht mehr an. 2 - 3 - [X.] Zentral für die Überführung der Angeklagten, die in der Hauptverhand-lung von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machten und während des Ermittlungsverfahrens die Taten bestritten hatten, sind die Angaben der Geschädigten [X.]gegenüber der Polizei und vor dem Ermittlungs-richter. In der Hauptverhandlung wurden vier Protokolle über polizeiliche [X.] verlesen und eine [X.] über eine Vernehmung vor dem Ermittlungsrichter vorgeführt. Zudem hörte das [X.] drei Poli-zeibeamte und den Ermittlungsrichter. Die Geschädigte, eine [X.] Staats-angehörige, war unmittelbar nach der letzten Vernehmung nach [X.] zurück-gekehrt. Aufgrund ihres [X.] zur Hauptverhandlung trotz formloser Ladung sowie ihrer Unmutsäußerungen gegenüber dem Ermittlungsrichter be-handelte sie das [X.] als unerreichbar. 3 1. Die Revisionen machen die Verletzung des Rechts auf konfrontative Befragung nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d [X.] geltend. Die Angeklagten und ihre Verteidiger hätten zu keinem Zeitpunkt - weder während des Ermittlungsverfah-rens noch in der Hauptverhandlung - die Gelegenheit gehabt, der Geschädigten Fragen zu stellen oder Vorhalte zu machen. Insbesondere auch bei ihrer Aus-sage vor dem Ermittlungsrichter sei ihnen eine konfrontative Befragung versagt gewesen. Der Angeklagte [X.]sei zwar anwesend gewesen, jedoch von der weiteren Vernehmung ausgeschlossen worden, bevor er sein [X.] hätte ausüben können. Sein (Wahl-)Verteidiger sei nicht benachrichtigt worden. Der Angeklagte [X.]. , gegen den damals - trotz bestehenden Anfangsverdachts - das Ermittlungsverfahren formal noch nicht geführt worden sei, sei ebenfalls nicht benachrichtigt worden. Ihm sei auch kein Pflichtverteidi-ger beigeordnet worden. 4 - 4 - 2. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: 5 Am 2. August 2005 gegen 11.00 Uhr wurden zwei Fahrgäste der [X.] auf eine lautstarke Auseinandersetzung zwischen dem [X.] [X.]und der Geschädigten aufmerksam. Der Angeklagte versuchte, die Geschädigte gegen ihren Willen aus dem Fahrgastraum zu zer-ren und zu tragen. Als der Angeklagte der Aufforderung der beiden Fahrgäste, die Geschädigte loszulassen, nicht nachkam, drohten sie ihm an, die Polizei zu rufen. Während der Angeklagte daraufhin erklärte, dies sei nicht erforderlich, da es sich lediglich um einen Beziehungsstreit handele, äußerte die Geschädigte "polizia, ja, ja". Daraufhin wurde die Polizei informiert. 6 Eine Polizeibeamtin, die der [X.]n Sprache mächtig ist, führte mit der Geschädigten noch an der [X.] ein [X.] Gespräch. Anschließend wurde die Geschädigte einer sachverständigen Ärztin vorgestellt und in der Folgezeit bis zum 11. August 2005 fünfmal polizeilich vernommen. Der Angeklagte [X.] wurde noch am 2. August 2005 festgenommen und befindet sich aufgrund Haftbefehls vom 3. August 2005 seither ununterbro-chen in Untersuchungshaft. Von der Staatsanwaltschaft wurde das [X.] formal zunächst nur gegen ihn, nicht gegen den Angeklagten [X.]. geführt, obwohl die Zeugin auch diesen schon bei den Vernehmungen am 2. und 3. August 2005 belastete und der Haftbefehl ihn als anderweitig [X.] bezeichnet. 7 Am 9. August 2005 beantragte die Staatsanwaltschaft, die Geschädigte ermittlungsrichterlich zu vernehmen und den Angeklagten [X.] zu laden. Die Vernehmung, zu der der Angeklagte [X.], nicht a-ber der - damals noch nicht als Beschuldigter eingetragene - Angeklagte D.

Ko. geladen wurde, wurde am 16. August 2005 durchgeführt. Sie wurde 8 - 5 - auf [X.] aufgezeichnet und dem in einem Nebenraum befindlichen Angeklagten [X.] zeitgleich in Bild und Ton übertragen. Während ihrer Aussage äußerte die - "lustlos und emotionslos" wirkende - Zeugin, dass sie "das alles nicht mitmachen" möchte, sie "nur zurück nach [X.]" wolle und es sie sehr störe, wenn der Angeklagte zuhöre; sie versuchte, den Verneh-mungsraum zu verlassen. Daraufhin schloss der Ermittlungsrichter den Ange-klagten, ohne dass dieser zuvor hätte zu Wort kommen können, von der weite-ren Vernehmung aus. Bereits mit an die Staatsanwaltschaft [X.] I adressiertem Schreiben vom 3. August 2005 hatte sich Rechtsanwalt [X.]als Verteidiger des [X.] [X.] angezeigt. Das Schreiben war am 4. August 2005 bei der allgemeinen [X.] der Justizbehörden in [X.] und am [X.] bei der Staatsanwaltschaft [X.] I eingegangen. Es wurde der sachbearbeitenden Staatsanwältin allerdings erst am 19. August 2005, dem zuständigen Ermittlungsrichter erst am 24. August 2005 vorgelegt, sodass er den Verteidiger vom Vernehmungstermin nicht mehr benachrichtigen konnte. Zu weiteren die Vernehmung der Geschädigten betreffenden Maßnahmen sah der Ermittlungsrichter keine Veranlassung, zumal diese zwischenzeitlich ausge-reist war. 9 3. Im Rahmen der Beweiswürdigung begründet das [X.] seine Überzeugung von der Schuld der Angeklagten wie folgt: 10 Die Angeklagten seien durch die Angaben der Geschädigten überführt. Die - über die Protokolle, die [X.] und die [X.] eingeführte - Aussage sei glaubhaft, weil sie in einer unvorhergesehenen Stresssituation entstanden, detailreich, in einen vielschichtigen Kontext [X.] - 6 - bunden, konstant und frei von [X.] sei. In mehreren Punkten würden die Angaben durch andere Beweismittel bestätigt. Die Überzeugung des [X.] von der Glaubhaftigkeit der Aussage stützt sich dabei wesentlich auf deren "Entstehungsgeschichte": Die zwei Fahr-gäste sagten in der Hauptverhandlung zu der Auseinandersetzung in der [X.] aus. Die die [X.] Sprache beherrschende Polizeibeamtin wurde zu dem informatorischen Gespräch vernommen; sie berichtete, die Geschädigte habe ihr bereits das wesentliche Tatgeschehen geschildert: Die Geschädigte sei vom Angeklagten [X.]. ca. ein Monat zuvor von [X.] nach [X.] gebracht und in [X.] dem Angeklagten [X.] über-geben worden. Dieser halte sie seither in seiner Wohnung fest, habe sie verge-waltigt und zwangsprostituiert. Außerdem habe die Geschädigte geäußert, dass sie, weil sie auf Druck Milchausfluss aus der Brust sowie Schmierblutungen ha-be, befürchte, vom Angeklagten [X.] schwanger zu sein. Die sach-verständige Ärztin berichtete über - offensichtlich durch die Auseinandersetzung in der [X.] verursachte - Hautverfärbungen bei der Geschädigten; bei der Untersuchung habe diese gesagt, sie habe deshalb in der [X.] sitzen bleiben wollen, weil der Angeklagte sie zu einem Freier habe bringen wollen. 12 Ferner stellt das [X.] fest, dass die Angaben der Geschädigten von Zeugen bestätigt wurden, soweit sie von einer Fahrt des Angeklagten D.

Ko. nach [X.] im Juni 2005 sowie von ihrem Besuch in einer Gaststätte etwa am 25. Juli 2005 berichtete. 13 Schließlich setzt sich das [X.] eingehend mit möglicherweise ent-lastenden Umständen auseinander und zeigt Widersprüche zwischen den poli-zeilichen Beschuldigtenvernehmungen der beiden Angeklagten auf. In diesem Zusammenhang teilt das Urteil mit, dass der Angeklagte [X.] sich 14 - 7 - dahingehend eingelassen hatte, er habe die Geschädigte auf Bitten des Ange-klagten [X.]. bei sich aufgenommen und ab dem zweiten Tag nach ihrer Ankunft täglich einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit ihr gehabt. I[X.] Die Revisionen machen mit Recht geltend, dass infolge von Fehlern im Ermittlungsverfahren das Recht der Angeklagten auf konfrontative Befragung der Geschädigten nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d [X.] verletzt wurde. Da die [X.] der Geschädigten nicht durch gewichtige Gesichtspunkte außerhalb ihrer Aussage gestützt werden, kann das Urteil keinen Bestand haben. 15 1. Art. 6 Abs. 3 Buchst. d [X.] garantiert - als eine besondere Ausfor-mung des Grundsatzes des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] - das Recht des Angeklagten, "Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stel-len zu lassen". Die Befragung des Zeugen hat dabei grundsätzlich, aber nicht zwingend in der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten zu erfol-gen. Ist ein Zeuge lediglich im Ermittlungsverfahren oder sonst außerhalb der Hauptverhandlung vernommen worden, muss dem Angeklagten entweder zu dem Zeitpunkt, in dem der Zeuge seine Aussage macht, oder in einem späteren Verfahrensstadium die Gelegenheit gegeben werden, den Zeugen selbst zu befragen, unter Umständen über seinen Verteidiger befragen zu lassen. Selbst wenn der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt die Gelegenheit zur konfrontativen Befragung des Zeugen hatte, verstößt dies jedoch nicht ohne weiteres gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. [X.]. Abs. 1 Satz 1 [X.]. Entscheidend ist vielmehr, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit einschließlich der Art und Weise der [X.] und -würdigung fair war (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 19. Dezember 1990 - Nr. 26/1989/186/246 - Delta gegen [X.] = [X.] 1991, 425, 426; vom 28. August 1992 - Nr. 39/1991/291/362 - [X.] gegen [X.] - 8 - terreich = [X.], 476; vom 7. August 1996 - Nr. 48/1995/554/640 - Fer-rantelli und [X.] gegen [X.] = [X.] 1997, 151, 152; vom 14. Dezember 1999 - Nr. 37019/97 - A.M. gegen [X.] = StraFo 2000, 374, 375; vom 18. Ok-tober 2001 - Nr. 37225/97 - [X.] gegen [X.] = NJW 2003, 2297; vom 20. Dezember 2001 - Nr. 33900/96 - P.S. gegen [X.] = NJW 2003, 2893, 2894; vom 23. November 2005 - Nr. 73047/01 - [X.] gegen [X.] = [X.], 289, 291; [X.], 93, 94 ff. [X.].; [X.] NStZ 2004, 505, 506; 2005, 224, 225; NStZ-RR 2005, 321). Bei der Prüfung, ob insgesamt ein faires Verfahren vorlag, kommt es nach der Rechtsprechung des [X.] insbesondere auch darauf an, ob der Umstand, dass der Angeklagte keine Gelegenheit zur konfrontativen Befragung hatte, der Justiz zuzurechnen ist ([X.] [[X.] & [X.]] [X.] 1997, 151, 152; [[X.]] [X.], 289, 291). Zwar muss die Justiz auch aktive Schritte unternehmen, um den Angeklagten in die Lage zu versetzen, Zeugen zu [X.] oder zumindest befragen zu lassen. Allerdings ist sie nicht zu [X.] verpflichtet (impossibilium nulla est obligatio). Vorausgesetzt, dass ihr keine mangelnde Sorgfalt bei den Bemühungen vorzuwerfen ist, dem Angeklagten die konfrontative Befragung von Zeugen zu ermöglichen, ist im Fall deren Uner-reichbarkeit die fehlende Gelegenheit zur Befragung hinzunehmen ([X.] [[X.]] aaO [X.].). 17 Davon, ob die unterbliebene konfrontative Befragung eines Zeugen der Justiz zuzurechnen ist, ist nach der Rechtsprechung des [X.] der Beweiswert der Angaben dieses Zeugen abhängig. So hat der [X.] entschieden, dass im Fall ausreichender, jedoch fehlgeschlagener Bemühungen seitens der Justiz eine Verurteilung aufgrund der Angaben eines nicht kontradiktorisch vernom-menen Zeugen - bei äußerst sorgfältiger ("extreme care") Würdigung - möglich ist, solange sie nicht einzig und allein ("solely") auf diesen Angaben beruht 18 - 9 - ([X.] [[X.]] [X.], 476; [[X.]] [X.], 289, 291). Insbesondere bei Vorliegen von Verfahrensfehlern hat er demgegenüber bereits dann einen Konventionsverstoß angenommen, wenn sich die Verurteilung zwar nicht allein, aber in einem entscheidenden Ausmaß ("to a decisive extent") auf Angaben eines solchen Zeugen stützt ([X.] [Delta] [X.] 1991, 425, 426; [A.M.] StraFo 2000, 374, 375; [P.S.] NJW 2003, 2893, 2894). Bei der Anwendung des [X.] Strafprozessrechts ist die [X.] in der Auslegung, die sie durch Rechtsprechung des [X.] erfahren hat, zu [X.] ([X.] NJW 2004, 3407; [X.]St 45, 321, 328 f.). Daher gilt für die tatrichterliche Beweiswürdigung: Ist die unterbliebene konfrontative Befragung eines Zeugen der Justiz zuzurechnen, kann eine Verurteilung auf dessen [X.] nur gestützt werden, wenn diese durch andere gewichtige Gesichtspunk-te außerhalb der Aussage bestätigt werden ([X.], 93, 106; [X.] NStZ 2005, 224, 225; NStZ-RR 2005, 321; vgl. auch [X.] NJW 2003, 3142, 3144; NStZ 2004, 505, 506 f.). 19 2. Dass die Angeklagten keine Gelegenheit hatten, die Geschädigte zu befragen, beruht, wie die [X.] zutreffend festgestellt hat, auf Fehlern im Ermittlungsverfahren. Ob sie die Unerreichbarkeit der Geschädigten in der Hauptverhandlung mit Recht bejaht hat, braucht der Senat daher nicht zu [X.]. 20 a) Entgegen § 168c Abs. 5 Satz 1 StPO wurde der Verteidiger des Ange-klagten [X.] nicht von der ermittlungsrichterlichen Vernehmung der Geschädigten am 16. August 2005 benachrichtigt. Dies beruht auf einem [X.] der Justiz, da die am 4. August 2005 bei den Justizbehörden in [X.] eingegangene schriftliche Verteidigungsanzeige erst am 19. August 2005 der sachbearbeitenden Staatsanwältin und erst am 24. August 2005 dem [X.] - 10 - ständigen Ermittlungsrichter vorgelegt wurde. Für den Rechtsverstoß macht es keinen Unterschied, ob die erforderliche Benachrichtigung absichtlich, verse-hentlich oder unter Verkennung der gesetzlichen Voraussetzungen unterblieben ist ([X.] [Kammer] NJW 2006, 672, 673; [X.] NJW 2003, 3142, 3143 [X.].). Weiterhin wurde der - zunächst anwesende - Angeklagte [X.]selbst nach Unmutsäußerungen der Geschädigten und ihrem Versuch, den [X.] zu verlassen, von der weiteren ermittlungsrichterlichen [X.] ausgeschlossen, bevor er von seinem Fragerecht hätte Gebrauch machen können. Nach der Würdigung der [X.] war indessen ein - hier auch fern liegender - Ausschlussgrund nach § 168c Abs. 3 StPO nicht gegeben. Der Ausschluss des Angeklagten drängte im Übrigen auch dazu, die Wahrneh-mung seines Fragerechts durch einen Verteidiger sicherzustellen ([X.], 93, 97 ff.). 22 b) Der Angeklagte [X.].

wurde von der ermittlungsrichterlichen Vernehmung der Geschädigten ebenfalls entgegen § 168c Abs. 5 Satz 1 StPO nicht benachrichtigt. Obwohl das Ermittlungsverfahren formal nicht gegen ihn geführt wurde, hatte er bereits den Status eines Beschuldigten. Da die [X.] ihn bei den polizeilichen Vernehmungen am 2. und 3. August 2005 be-lastet hatte, wurde er Beschuldigter spätestens durch den Antrag der Staatsan-waltschaft auf ihre ermittlungsrichterliche Vernehmung, weil dieser auf die Si-cherung der Aussage auch ihn betreffend gerichtet war. Ein Verdächtiger wird zum Beschuldigten, wenn die Ermittlungsbehörden faktisch Maßnahmen ergrei-fen, die erkennbar darauf abzielen, gegen ihn wegen einer Straftat vorzugehen ([X.]R StPO § 55 Abs. 1 Verfolgung 3; [X.] NJW 2003, 3142, 3143). Dass gegen den Angeklagten [X.]. ebenfalls wegen der von der [X.]n geschilderten Straftaten ermittelt werden sollte, ergibt sich zudem aus 23 - 11 - dem gegen den Angeklagten [X.] erlassenen Haftbefehl vom [X.], in dem der Angeklagte [X.]. als anderweitig Verfolgter [X.] ist. Die Staatsanwaltschaft hätte daher auch auf die Benachrichtigung dieses Angeklagten hinwirken müssen. Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Benachrichtigung nach § 168c Abs. 5 Satz 2 StPO lagen in Anbetracht der nach §§ 168e, 58a StPO getrennt durchgeführten Vernehmung fern und wurden von der [X.] infolgedessen nicht geprüft (hierzu [X.] NJW 2003, 3142, 3144), zumal dann wiederum die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich geworden wäre. 24 3. Die [X.] ist zwar - auf der Grundlage von [X.], 93, 103 ff. - im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass der [X.] vor-aussetzt, dass die Angaben der Geschädigten durch gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden. Sie legt diesbezüglich aber nicht die hier gebotenen strengen Maßstäbe an, so dass das Urteil sich im Ergebnis als rechtsfehlerhaft erweist. 25 Die [X.] hat eine fachkundige - für sich genommen [X.] - Aussageanalyse vorgenommen. Schon hierbei wäre allerdings zu beden-ken gewesen, dass gerade den Merkmalen, dass die Angaben "detailreich" und "in einen vielschichtigen Kontext eingebunden" sind, infolge des Fehlens einer kontradiktorischen Erörterung ein geringeres Gewicht zukommt (Senat, Urteil vom 25. Juli 2000 - 1 StR 169/00 - [X.]. S. 27 f., in [X.], 93 nicht abge-druckt). 26 Die weiteren Beweismittel, die das Urteil zur Bestätigung der Aussage anführt, genügen hier im Hinblick darauf, dass die unterbliebene konfrontative Befragung der Justiz zuzurechnen ist, den sich daraus ergebenden besonderen Beweiswürdigungs- und Begründungsanforderungen nicht. Die Überzeugung 27 - 12 - der Kammer stützt sich wesentlich auf die "Entstehungsgeschichte" der [X.], die Auseinandersetzung in der [X.] und die ersten zeitnah erfolgten Äußerungen der Geschädigten; beides wird durch [X.] und [X.] bestätigt. Was die Auseinandersetzung in der [X.] anbelangt, so ließe sie sich jedoch auch mit einem vom Angeklagten - gleichfalls zeitnah - behaupteten Beziehungsstreit in Einklang bringen. Dies gilt umso mehr, als nach den Urteilsfeststellungen die Geschädigte selbst aussagte, sie habe etwa vor den Familienmitgliedern so getan, als habe sie eine Beziehung mit dem [X.] [X.]. Dass die Auseinandersetzung bei den beiden Fahr-gästen nicht den "Eindruck eines Beziehungsstreits erweckte", ist indessen nicht ausreichend mit Tatsachen belegt und stellt ein bloßes Werturteil dieser Zeugen dar. Die ersten Äußerungen der Geschädigten gegenüber der Polizei sprechen zwar - als wichtiger Teil der Aussagegenese - für die Glaubhaftigkeit der Aussage; es handelt sich hierbei aber nicht um Gesichtspunkte, die außer-halb der Aussage liegen. Die auf eine Schwangerschaft der Geschädigten hin-deutenden Umstände (Milchausfluss und Schmierblutungen) sind zudem nicht aussagekräftig bezüglich der Feststellung, dass der Geschlechtsverkehr nicht einvernehmlich stattfand. Soweit sich die Überzeugung der [X.] darauf stützt, dass die Angaben der Geschädigten von Zeugen insofern bestätigt wurden, als sie von einer Fahrt des Angeklagten [X.]. nach [X.] im Juni 2005 sowie von ihrem Besuch in einer Gaststätte etwa am 25. Juli 2005 berichtete, fehlt es an einem hinreichenden Bezug zu den festgestellten Taten. Auch teilt das Urteil nicht mit, ob und wie sich die Angeklagten bei ihren polizeilichen Vernehmun-gen hierzu eingelassen hatten. 28 - 13 - Augenzeugen, die Angaben zum Kerngeschehen machen konnten, stan-den dem [X.] nicht zur Verfügung. Auch objektive Beweismittel, mit de-nen die von der Geschädigten geschilderten Taten bestätigt worden wären, [X.] nicht vorhanden (vgl. Senat aaO S. 28). 29 4. Auf dem Rechtsfehler beruht das angegriffene Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Ein Freispruch durch den Senat selbst kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil eine erneute Vernehmung der Geschädigten, die dem Fragerecht der Angeklagten nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d [X.] Rechnung trägt, nicht aus-zuschließen ist. 30 [X.]Wahl [X.] Elf

Meta

1 StR 493/06

29.11.2006

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.11.2006, Az. 1 StR 493/06 (REWIS RS 2006, 558)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 558

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