Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.12.2014, Az. B 8 SO 83/14 B

8. Senat | REWIS RS 2014, 228

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - partielle Prozessunfähigkeit eines Beteiligten - Absehen von der Bestellung eines besonderen Vertreters - keine offensichtliche Haltlosigkeit des Vorbringens - absoluter Revisionsgrund


Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers werden die Beschlüsse des [X.] vom 19. März 2014 - [X.] SO 192/13 und [X.] SO 193/13 -, vom 26. März 2014 - [X.] SO 190/13 -sowie vom 9. April 2014 - [X.] SO 302/13 und [X.] SO 304/13 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der 1958 geborene, nicht unter Betreuung stehende Kläger, der an einer paranoiden Persön-lichkeits- und einer rezidivierenden depressiven Störung leidet, ist voll erwerbsgemindert und bezieht Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem [X.] - ([X.]). Seine (wiederholten) Anträge auf Übernahme von Kosten für den Mitgliedsbeitrag eines Automobilclubs, für Medikamente sowie für ein fachpsychiatrisches Gutachten und seinen Antrag auf höhere Leistungen unter Berücksichtigung eines geringeren Einkommens, das sich um seine Aufwendungen für die Verlängerung seiner Fahrerlaubnis vermindere, lehnte der Beklagte ab. Die beim Sozialgericht ([X.]) [X.] erhobenen Klagen blieben ohne Erfolg.

2

Das hiergegen jeweils angerufene [X.] Landessozialgericht ([X.]) hat die Berufungen des [X.] als unzulässig verworfen (Beschlüsse vom 19.3.2014, [X.], 9.4.2014). Die Berufungen seien unzulässig, weil der Wert des [X.] jeweils 750 Euro nicht übersteige und die Berufung im jeweiligen Urteil des [X.] nicht zugelassen worden sei.

3

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revisionen in den bezeichneten Beschlüssen rügt der Kläger einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 [X.] Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>). Das [X.] habe zu Unrecht von der Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 72 [X.]G abgesehen, weil auch in der Sache keine offensichtlich haltlose Rechtsverfolgung vorliege.

4

II. Die durch den vom Senat bestellten besonderen Vertreter des [X.] eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist zulässig. Sie genügt hinsichtlich der geltend gemachten Verfahrensfehler den Bezeichnungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 [X.] [X.]G. Da die gerügten Verfahrensmängel auch vorliegen, konnten die angefochtenen Beschlüsse gemäß § 160a Abs 5 [X.]G aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen werden.

5

Die angefochtenen Entscheidungen beruhen auf einem Verstoß gegen § 72 Abs 1 [X.]G, weil das [X.] zu Unrecht von der Bestellung eines besonderen Vertreters für den bereits in den Klage- und Berufungsverfahren prozessunfähigen Kläger abgesehen hat. Der Kläger war dadurch im Verfahren nicht wirksam vertreten (§ 202 [X.]G iVm § 547 [X.] Zivilprozessordnung ); hierin liegt ein absoluter Revisionsgrund, bei dem unterstellt wird, dass die Entscheidung des [X.] auf ihm beruht (zu dieser Voraussetzung siehe § 162 [X.]G).

6

Gemäß § 72 Abs 1 [X.]G muss der Vorsitzende des jeweiligen Spruchkörpers für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen. [X.] ist eine Person, die sich nicht durch Verträge verpflichten kann (vgl § 71 Abs 1 [X.]G), also ua eine solche, die nicht geschäftsfähig iS des § 104 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist, weil sie sich gemäß § 104 [X.] 2 BGB in einem nicht nur vorübergehenden die freie Willensbestimmung ausschließenden Zu-stand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Dabei können bestimmte Krankheitsbilder auch zu einer sog partiellen [X.]keit führen, bei der die Willensbildung nur bezüglich bestimmter Prozessbereiche eingeschränkt ist. Soweit eine solche partielle [X.]keit anzunehmen ist, erstreckt sie sich auf den gesamten Prozess (B[X.] [X.] 3-1500 § 160a [X.]2 S 65).

7

Eine solche partielle [X.]keit im Hinblick auf die Führung von sozialgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten liegt beim Kläger vor, wie der Senat im Einzelnen in dem Beschluss vom [X.] (B 8 [X.] 48/13 B) unter Bezugnahme auf aktenkundige psychiatrische Gutachten ausgeführt hat; zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierauf Bezug genommen.

8

In den Berufungsverfahren durfte nicht davon abgesehen werden, einen besonderen Vertreter zu bestellen. Steht - wie vorliegend - die [X.]keit für den Prozess fest, kann dieser grundsätzlich nur mit einem besonderen Vertreter fortgeführt werden, wenn eine sonstige gesetzliche Vertretung nicht gewährleistet ist und - wie hier - das Amtsgericht von der Bestellung eines Betreuers abgesehen hat (im Einzelnen zuletzt B[X.] [X.] 4-1500 § 72 [X.] 2 Rd[X.] 9). Zwar sind Ausnahmen von der Vertreterbestellung dann für zulässig erachtet worden, wenn das Rechtsmittel unter Anlegung eines strengen Maßstabs "offensichtlich haltlos" ist (B[X.]E 5, 176, 178 f), was insbesondere bei absurden Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz oder bei offensichtlich unschlüssigem Vorbringen anzunehmen ist, etwa wenn kein konkreter Streitgegenstand erkennbar ist, der Kläger nur allgemeine Ausführungen ohne irgendeinen Bezug zum materiellen Recht macht oder wenn sein Vorbringen bereits mehrmals Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen war (B[X.] [X.] 4-1500 § 72 [X.] 2 Rd[X.] 10).

9

Ein solches haltloses Begehren liegt aber regelmäßig nicht schon dann vor, wenn - wie hier - das [X.] die Berufung (aus anderen Gründen als der [X.]keit) als unzulässig angesehen hat. Da der Kläger auch vor dem [X.] nicht ordnungsgemäß vertreten war, lag jedenfalls ein Verfahrensmangel vor, der bei Beratung durch das Gericht auf entsprechende Beschwerde hin (vgl § 144 Abs 2 [X.] [X.]G) einer Überprüfung durch das [X.] zugänglich wäre. Es ist darüber hinaus nicht erkennbar, dass jedenfalls die im Klagewege geltend gemachten Ansprüche des [X.] auf Übernahme von Kosten für Medikamente von vornherein ein haltloses Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz darstellen. Es ist damit nicht ausgeschlossen, dass zumindest nach Hinweisen des Vorsitzenden (§ 106 [X.]G) unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes (vgl nur: B[X.]E 74, 77 ff = [X.] 3-4100 § 104 [X.] 11 S 49 ff) ein besonderer Vertreter oder ein von diesem bestellter Prozessbevollmächtigter in der Lage ist, im wohlverstandenen Interesse des [X.] sachdienliche Anträge mit hinreichendem Bezug zum materiellen Recht zu formulieren.

Das [X.] wird ggf auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 8 SO 83/14 B

17.12.2014

Bundessozialgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Gießen, 24. Mai 2013, Az: S 18 SO 180/12, Urteil

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 72 Abs 1 SGG, § 71 Abs 1 SGG, § 104 Nr 2 BGB, § 202 S 1 SGG, § 547 Nr 4 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.12.2014, Az. B 8 SO 83/14 B (REWIS RS 2014, 228)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 228

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