Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.04.2014, Az. B 8 SO 49/13 B

8. Senat | REWIS RS 2014, 6487

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - partielle Prozessunfähigkeit eines Beteiligten - Absehen von der Bestellung eines besonderen Vertreters - keine offensichtliche Haltlosigkeit des Vorbringens - absoluter Revisionsgrund


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 26. September 2012 - L 4 SO 178/12 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Im Streit ist die Höhe der zu erstattenden Kosten für ein teilweise erfolgreiches Widerspruchsverfahren.

2

Der 1958 geborene, nicht unter Betreuung stehende Kläger, der an einer paranoiden Persön-lichkeitsstörung und einer rezidivierenden depressiven Störung leidet, ist voll erwerbsgemindert und bezieht Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem [X.] Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ([X.]). Einem Widerspruch wegen der Absetzung der Mitgliedsbeiträge für den [X.] half der Beklagte teilweise ab und entschied, dass im Widerspruchsverfahren entstandene notwendige Aufwendungen auf Antrag in Höhe von 50 vom Hundert erstattet werden sollten. Der Kläger machte 10,40 Euro nebst 2,97 Euro Zinsen geltend; der Beklagte setzte die erstattungsfähigen Kosten auf 3,05 Euro nebst 1,26 Euro Zinsen fest (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom 9.11.2007). Die Klage blieb ohne Erfolg (Urteil des [X.] vom 27.3.2012).

3

Das hiergegen angerufene [X.] Landessozialgericht ([X.]) hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es von einer partiellen Geschäftsunfähigkeit des [X.] ausgehe. Die Berufung des [X.] hat es sodann als unzulässig verworfen (Urteil vom 26.9.2012). Die Berufung sei wegen der partiellen Geschäftsunfähigkeit bereits unzulässig. Der Bestellung eines besonderen Vertreters für den Kläger bedürfe es nicht. Die Berufung sei in der Sache offensichtlich haltlos. Die Kosten für das Vorverfahren seien zutreffend erstattet worden.

4

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil rügt der Kläger einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 [X.] Sozialgerichtsgesetz <[X.]>). Das [X.] habe zu Unrecht von der Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 72 [X.] abgesehen, weil in der Sache keine offensichtlich haltlose Rechtsverfolgung vorliege.

5

II. Die durch den vom Senat bestellten besonderen Vertreter des [X.] eingelegte Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision ist zulässig; sie genügt hinsichtlich des geltend gemachten Verfahrensfehlers den Bezeichnungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 [X.] [X.]. Da der gerügte Verfahrensmangel auch vorliegt, konnte das angefochtene Urteil gemäß § 160a Abs 5 [X.] aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen werden.

6

Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Verstoß gegen § 72 Abs 1 [X.], weil das [X.] zu Unrecht von der Bestellung eines besonderen Vertreters für den bereits im Klage- und Berufungsverfahren prozessunfähigen Kläger abgesehen hat. Der Kläger war dadurch im Verfahren nicht wirksam vertreten (§ 202 [X.] iVm § 547 [X.] Zivilprozessordnung); hierin liegt ein absoluter Revisionsgrund, bei dem unterstellt wird, dass das Urteil des [X.] auf ihm beruht.

7

Gemäß § 72 Abs 1 [X.] kann der Vorsitzende des jeweiligen Spruchkörpers für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen. [X.] ist eine Person, die sich nicht durch Verträge verpflichten kann (vgl § 71 Abs 1 [X.]), also ua eine solche, die nicht geschäftsfähig iS des § 104 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist, weil sie sich gemäß § 104 [X.] 2 BGB in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Dabei können bestimmte Krankheitsbilder auch zu einer sog partiellen [X.]keit führen, bei der die freie Willensbildung nur bezüglich bestimmter Prozessbereiche eingeschränkt ist. Soweit eine solche partielle [X.]keit anzunehmen ist, erstreckt sie sich auf den gesamten Prozess ([X.]-1500 § 160a [X.]2 S 65).

8

Eine solche partielle [X.]keit im Hinblick auf die Führung von sozialgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten liegt nach den überzeugenden Feststellungen des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. U. in dem vom [X.] beigezogenen psychiatrischen Gutachten vom 27.5.2012 zur Frage der Schuldfähigkeit wegen begangener Beleidigungen gegenüber Richtern und dem vom [X.] selbst in Auftrag gegebenen psychiatrischen Gutachten vom 9.1.2010 vor, wie der Senat im Einzelnen in dem zwischen den Beteiligten ergangenen Beschluss vom [X.] (B 8 [X.] 48/13 B) ausgeführt hat; hierauf wird im Einzelnen Bezug genommen.

9

Im Berufungsverfahren durfte nicht davon abgesehen werden, einen besonderen Vertreter für den partiell prozessunfähigen Kläger zu bestellen. Steht - wie vorliegend - die [X.]-keit für den Prozess fest, kann dieser grundsätzlich nur mit einem besonderen Vertreter fortge-führt werden, wenn eine sonstige gesetzliche Vertretung nicht gewährleistet ist und - wie hier - das Amtsgericht von der Bestellung eines Betreuers abgesehen hat (im Einzelnen zuletzt [X.]-1500 § 72 [X.] 2 Rd[X.] 9). Zwar sind Ausnahmen von der Vertreterbestellung dann für zulässig erachtet worden, wenn unter Anlegung eines strengen Maßstabs das Rechtsmittel eines [X.]en "offensichtlich haltlos" ist ([X.] 5, 176, 178 f), was insbesondere bei absurden Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz oder bei offensichtlich unschlüssigem Vorbringen anzunehmen ist, etwa wenn kein konkreter Streitgegenstand erkennbar ist, der Kläger nur allgemeine Ausführungen ohne irgendeinen Bezug zum materiellen Recht von sich gibt oder wenn sein Vorbringen bereits mehrmals Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen war ([X.]-1500 § 72 [X.] 2 Rd[X.] 10).

Ein solches haltloses Begehren liegt aber nicht vor. Es ist nicht erkennbar, dass der geltend gemachte Anspruch des [X.] auf höhere Erstattung von Kosten des Widerspruchsverfahrens ein haltloses Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz darstellt. Dass der geltend gemachte Anspruch aus Sicht des [X.] nicht besteht, macht allein ein Vorbringen nicht haltlos. Es ist damit nicht von vornherein völlig ausgeschlossen, dass zumindest nach Hinweisen des Vorsitzenden (§ 106 [X.]) unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes (vgl nur: [X.] 74, 77 ff = [X.] 3-4100 § 104 [X.] 11 S 49 ff; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 10. Aufl 2012, § 92 Rd[X.] 12 mwN) ein besonderer Vertreter oder ein von diesem bestellter Prozessbevollmächtigter in der Lage ist, im wohlverstandenen Interesse des [X.] sachdienliche Klageanträge mit hinreichendem Bezug zum materiellen Recht zu formulieren.

Das [X.] wird ggf auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 8 SO 49/13 B

08.04.2014

Bundessozialgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Gießen, 27. März 2012, Az: S 20 SO 249/07, Urteil

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 72 Abs 1 SGG, § 71 Abs 1 SGG, § 104 Nr 2 BGB, § 202 SGG, § 547 Nr 4 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.04.2014, Az. B 8 SO 49/13 B (REWIS RS 2014, 6487)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6487

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