Bundessozialgericht, Urteil vom 28.06.2022, Az. B 2 U 9/20 R

2. Senat | REWIS RS 2022, 6031

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Gesetzliche Unfallversicherung - Arbeitsunfall - Minderung der Erwerbsfähigkeit - posttraumatische Belastungsstörung - Trauma - Ermittlungen zum konkreten Unfallhergang - erforderliche Klassifizierung der Gesundheitsstörungen nach etablierten Diagnosesystemen - DSM-V - ICD-10-GM - AWMF-Leitlinien - aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand - allgemeiner wissenschaftlicher Konsens zum DSM-V - sozialgerichtliches Verfahren - Pflicht der Gerichte zur Prüfung der Aktualität bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung - generelle Tatsachen - keine Bindungswirkung für das Revisionsgericht - Vorziehen eines nichtärztlichen Gutachtens vor einem Facharztgutachten - besonderer Begründungsbedarf - Auslegung eines Verwaltungsakts - Ablehnung einer Unfallrente - inzidente Anerkennung eines Arbeitsunfalls - Zurückverweisung


Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 29. August 2019 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Verletztenrente infolge eines Arbeitsunfalls. Strittig ist im [X.] das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung ([X.]).

2

Der als Schlosser tätige Kläger geriet am 18.10.2009 mit dem Oberkörper in eine Maschine und zog sich dabei Rippenbrüche zu. Wegen einer mittelschweren depressiven Entwicklung im Rahmen einer akuten [X.] mit direktem Zusammenhang zum Unfallereignis ließ er sich wenige Wochen später bei einem Psychiater, Psychotherapeuten und Psychotraumatologen behandeln. Unter der Aufnahmediagnose einer [X.] nahm er vom 23.2. bis [X.] an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme teil und wurde ua mit der Diagnose einer abklingenden Anpassungsstörung entlassen. Somatisierungstendenzen seien [X.]. Eine berufliche Wiedereingliederungsmaßnahme mit Arbeitsplatzwechsel im [X.] 2011 war erfolgreich.

3

Die Beklagte holte im Verwaltungsverfahren zunächst ein psychosomatisches Gutachten und nach Einwänden des Beratungsarztes gegen die darin diagnostizierte [X.] ein neuropsychologisches Hauptgutachten nebst psychologischem Zusatzgutachten mit Exposition am Arbeitsplatz ein. Das Zusatzgutachten schilderte eine Panikattacke des [X.] bei der Konfrontation mit dem Unfallort, die physiologisch habe objektiviert werden können. Eine unfallabhängige [X.] verneinte das Hauptgutachten.

4

Die Beklagte lehnte die Gewährung einer Verletztenrente ab (Bescheid vom 18.11.2011; Widerspruchsbescheid vom [X.]). Als Folgen des Arbeitsunfalls vom 18.10.2009 erkannte sie im [X.] an das neuropsychologische Hauptgutachten lediglich eine spezifische Phobie vor der [X.] mit damit einhergehenden Ängsten vor Enge, dies schwerer Ausprägung, sowie eine leichte Anpassungsstörung, längere depressive Reaktion leichter Ausprägung, und ohne wesentliche Folgen knöchern fest verheilte Brüche der 7. bis 10. Rippe rechts sowie der 10. Rippe links an. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage [X.].

5

Das Sozialgericht ([X.]) hat von Amts wegen ein neurologisch-psychiatrisch-psychosomatisches und schmerzmedizinisches Gutachten des Neurologen und Psychiaters [X.] eingeholt. Dieser hat eine unfallabhängige [X.] und eine anhaltende depressive Episode, zurzeit leicht ausgeprägt, festgestellt. Die MdE hat er auf [X.] geschätzt. Weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen hat er als [X.] bewertet. Anschließend hat das [X.] ein nervenärztliches Gutachten des Neurologen und Psychiaters [X.] nebst Zusatzgutachten des Neuropsychologen [X.] eingeholt. [X.] hat einen Ortstermin am ehemaligen Arbeitsplatz des [X.] durchgeführt. Beide Sachverständigen haben unfallabhängig eine spezifische Phobie festgestellt, die MdE haben sie auf [X.] geschätzt. Als [X.] haben sie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine leicht rezidivierende depressive Störung angenommen.

6

Gestützt auf die Gutachten der Sachverständigen [X.] und [X.] hat das [X.] die Klage abgewiesen (Urteil vom 2.6.2016). Das [X.] (L[X.]) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom [X.]). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass beim Kläger als Folge des Arbeitsunfalls ua eine spezifische Phobie vor der [X.] einhergehend mit Ängsten vor Enge bestehe. Die Unfallfolgen begründeten jedoch keine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß. Eine [X.] sei dagegen nicht im Vollbeweis nachgewiesen. Hierzu hat sich das L[X.] insbesondere auf die Bewertungen von [X.] und [X.] gestützt. Keines der erforderlichen Kriterien nach [X.] habe objektiviert nachgewiesen werden können. Die Symptomkriterien hätten insbesondere nach den Feststellungen von [X.] nicht oder nicht in der vorausgesetzten Intensität verifiziert werden können. Auch das [X.] sei fraglich, weil nach Angaben von [X.] nach der Begehung des Unfallortes unklar geblieben sei, wieso der Kläger sich mit welcher Intention in einem abgesperrten Bereich aufgehalten habe. [X.] habe insoweit die gegenteiligen Gutachten aus dem Verwaltungs- und Klageverfahren erfolgreich widerlegt.

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger Verfahrensmängel und die Verletzung materiellen Rechts. Es hätte eine [X.] festgestellt und in der Folge Verletztenrente gewährt werden müssen (§ 56 Abs 1 Satz 1 [X.]B VII).

8

Der Kläger beantragt,
die Urteile des [X.]s Niedersachsen-Bremen vom 29. August 2019 und des [X.] vom 2. Juni 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. November 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 2012 teilweise aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger aufgrund des Arbeitsunfalls vom 18. Oktober 2009 eine Verletztenrente nach einer MdE von [X.] zu gewähren.

9

Die Beklagte beantragt,
die Revision des [X.] zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist zulässig (dazu A.) und im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das [X.] begründet (dazu B.; § 170 Abs 2 Satz 2 [X.]G). Die vom [X.] festgestellten Tatsachen (§ 163 Halbsatz 1 [X.]G) reichen für eine abschließende Entscheidung über den Anspruch des [X.] auf Verletztenrente gemäß § 56 [X.] nicht aus.

A. Die Revision ist zulässig, insbesondere hinreichend begründet. Gemäß § 164 Abs 2 Satz 1 und 3 [X.]G muss die Revisionsbegründung "einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Darüber hinaus ist bei Sachrügen mit rechtlichen Erwägungen aufzuzeigen, dass und weshalb die Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht geteilt wird. Es bedarf einer Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils und der Darlegung, inwieweit die als verletzt gerügte Vorschrift des materiellen Bundesrechts nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (stRspr; B[X.] Großer [X.] Beschluss vom 13.6.2018 - [X.] 1/17 - [X.], 133 = [X.] 4-1500 § 164 [X.], Rd[X.] 33 ff; [X.] vom 27.11.2018 - B 2 U 28/17 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.] Rd[X.] 11 mwN; [X.] vom [X.] - [X.] 4-2700 § 9 [X.] Rd[X.] 12 mwN). Dem trägt die Revisionsbegründung Rechnung. Insbesondere rügt sie die Verletzung des § 56 [X.] und im [X.] hinreichend deutlich die Verwendung offenkundig veralteter medizinischer Erfahrungssätze (vgl dazu [X.] vom 16.3.2021 - B 2 U 11/19 R - [X.] 4-2700 § 9 [X.] Rd[X.] 33; [X.] vom [X.] - [X.], 24 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 1103 [X.] 1, Rd[X.] 18; s auch [X.] vom [X.] - B 5 RS 2/18 R - [X.], 219 = [X.] 4-8570 § 6 [X.] 8, Rd[X.] 19 f).

B. Über den erhobenen Anspruch auf Verletztenrente (dazu 1.) kann ohne weitere Sachaufklärung nicht entschieden werden. Zwar ist vom Vorliegen eines Versicherungsfalls in Gestalt eines Arbeitsunfalls (§ 7 Abs 1, § 8 [X.]) bereits aufgrund der Anerkennung im Bescheid vom 18.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.] auszugehen (dazu 2.). Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des [X.] kann der [X.] jedoch nicht abschließend darüber entscheiden, ob und ggf welche weiteren Unfallfolgen, insbesondere eine [X.], bei dem Kläger anzuerkennen und mit einer rentenberechtigenden MdE in Höhe von [X.] zu bewerten sind (§ 56 Abs 1 Satz 1 [X.]). Das [X.] ist bei seiner Feststellung, dass in der Person des [X.] keine [X.] vorliegt, offenkundig von dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand abgewichen (dazu 3.). Ob sich das Urteil des [X.] auch auf Grundlage des aktuellen [X.] als richtig erweist, kann ohne weitere Sachermittlungen nicht entschieden werden (§ 170 Abs 1 Satz 2 [X.]G, dazu 4.). Das [X.] wird deshalb auf Grundlage des im [X.]punkt der erneuten Entscheidung aktuellen [X.] das Vorliegen einer [X.] unter Zuhilfenahme geeigneter Sachverständiger zu prüfen haben (dazu 5.). Dabei wird es im Rahmen des § 128 Abs 1 Satz 2 [X.]G ggf im Einzelnen darzulegen haben, welchen Beweiswert es den Angaben und Bewertungen einzelner Sachverständiger beimisst (dazu 6.). [X.] kann insoweit, ob die weiteren, von der Revision geltend gemachten Verfahrensmängel vorliegen (dazu 7.).

1. Streitgegenständlich ist ein Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente (§ 56 Abs 1 Satz 1 [X.]), den der Kläger statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgt 54 Abs 1, 4 [X.]G). Gegenstand des Verfahrens sind der die Verletztenrente ablehnende Bescheid vom 18.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.] (§ 95 [X.]G) sowie das Urteil des [X.] vom 2.6.2016 und das Urteil des [X.] vom 29.8.2019.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um [X.] gemindert ist, haben Anspruch auf Verletztenrente (§ 56 Abs 1 Satz 1 [X.]). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 [X.]). Die Bemessung der MdE hängt damit zum einen von den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und zum anderen von dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten ab. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, [X.] und wirtschaftlichen Gesichtspunkten ([X.] [X.] vom [X.] - B 2 U 25/17 R - [X.], 78 = [X.] 4-2700 § 200 [X.] 5, Rd[X.] 11 mwN).

2. Ein Versicherungsfall ist eingetreten. Der Kläger hat einen Arbeitsunfall (§ 7 Abs 1, § 8 [X.]) erlitten. Der Bescheid der Beklagten vom 18.11.2011 enthält einen Verwaltungsakt (§ 31 [X.]B X) über die Anerkennung des Ereignisses vom 18.10.2009 als Arbeitsunfall. Den Inhalt des Verwaltungsakts hat das Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit festzustellen. Dabei ist Maßstab der Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB der "[X.]" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen [X.]en erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat. Ausschlaggebend ist der objektive Sinngehalt der Erklärung nach dem objektivierten [X.]. Zur Bestimmung des objektiven Regelungsgehalts eines Verwaltungsakts kommt es darauf an, wie Adressaten und [X.] ihn nach [X.] und Glauben verstehen mussten oder durften. Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (stRspr; vgl zuletzt [X.] vom 16.3.2021 - B 2 U 7/19 R - B[X.]E 131, 297 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 4115 [X.] 1, Rd[X.] 13 mwN).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze beinhaltet der Bescheid vom 18.11.2011 die Ablehnung eines Anspruchs auf Verletztenrente unter Anerkennung des Ereignisses vom 18.10.2009 als Arbeitsunfall. Denn er verfügt, dass der Kläger wegen der Folgen seines "Arbeitsunfalls" keinen Anspruch auf Rente hat, bezieht sich hierzu in der Begründung mehrfach auf den "Arbeitsunfall vom 18.10.2009" und auf den "Arbeitsunfall" mit nachstehend aufgeführten gesundheitlichen Beeinträchtigungen, stellt diesen die unabhängig von dem "Arbeitsunfall" vorliegenden Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes gegenüber und begründet abschließend, worauf sich die Entscheidung zu den Folgen des "Arbeitsunfalls" stützt. Das objektivierte [X.] vermittelt danach die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, unbeschadet des Umstands, ob die Beklagte mit dem Bescheid vom 18.11.2011 einen Arbeitsunfall anerkennen wollte oder nicht. Eine Klarstellung hat sie auch im Widerspruchsbescheid vom [X.] nicht vorgenommen.

Mithin bedarf es keiner Vertiefung, ob die Anmerkungen von [X.] zu einer unklaren Intention des [X.] vernünftige Zweifel daran begründen, dass der Kläger im Unfallzeitpunkt eine versicherte Tätigkeit verrichtete. Ohnehin trägt der Unfallversicherungsträger entgegen den allgemeinen Grundsätzen die Beweislast dafür, dass die zuvor ausgeübte versicherte Tätigkeit im Unfallzeitpunkt für eine eigenwirtschaftliche Verrichtung unterbrochen worden ist. Denn bei Unfällen, die sich am Ort der Beschäftigung ereignen, spricht eine tatsächliche Vermutung für die Vornahme einer den Interessen des Beschäftigungsunternehmens dienenden Verrichtung zum Unfallzeitpunkt (vgl zusammenfassend [X.] vom 6.10.2020 - B 2 U 9/19 R - [X.] 4-1500 § 55 [X.] 27 Rd[X.] 31 mwN).

3. Der [X.] ist dagegen nicht in der Lage abschließend zu beurteilen, ob das [X.] eine rentenbegründende MdE von [X.] infolge des Versicherungsfalls zu Recht verneint hat.

Entscheidend für die Bewertung der MdE als Grundlage der Bemessung der Verletztenrente sind die sich im entscheidungserheblichen [X.]raum ergebenden Funktionseinschränkungen. Deren Ausgangspunkt sind die in diesem [X.]raum vorhandenen konkreten unfallbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen ([X.] vom 6.10.2020 - B 2 U 10/19 R - [X.] 4-2700 § 73 [X.] 2 Rd[X.] 19; [X.] vom [X.] - B 2 U 1/05 R - B[X.]E 96, 196 = [X.] 4-2700 § 8 [X.] 17, Rd[X.] mwN).

Die Gesundheitsschäden sind genau zu definieren. Im Bereich psychischer Störungen setzt dies nach der [X.]srechtsprechung zwingend voraus, dass die Störung durch Einordnung in eines der gängigen Diagnosesysteme unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen exakt beschrieben wird ([X.] [X.] = Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, herausgegeben von der [X.] <[X.]>, ins [X.] übertragen, herausgegeben und weiterentwickelt vom [X.]n Institut für medizinische Dokumentation und Information , nach dessen Eingliederung zum Mai 2020 in das [X.] von diesem fortgeführt; [X.] = Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen der [X.] ). Denn je genauer und klarer die gesundheitlichen Beeinträchtigungen bestimmt sind, umso einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen sowie letztlich die MdE zu bewerten. Dies schließt begründete Abweichungen von den benannten Diagnosesystemen, [X.] aufgrund ihres Alters und des zwischenzeitlichen wissenschaftlichen Fortschritts, nicht aus (zuletzt [X.] vom 6.10.2020 - B 2 U 10/19 R - [X.] 4-2700 § 73 [X.] 2 Rd[X.] 21 mwN; [X.] vom [X.] - B 2 U 8/18 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.] 71 Rd[X.] 19; grundlegend [X.] vom [X.] - B 2 U 1/05 R - B[X.]E 96, 196 = [X.] 4-2700 § 8 [X.] 17, Rd[X.] mwN; s auch Spellbrink, [X.] 2019, 32, 34). Die Notwendigkeit einer exakten Beschreibung gilt auch für die negative Feststellung einer Gesundheitsbeeinträchtigung. Denn nur so kann das Rechtsmittelgericht vollständig prüfen, ob die Vorinstanz die im Streit befindliche Leistung rechtmäßig abgelehnt hat. Hiervon hat sich das [X.] im Ansatz zutreffend leiten lassen. Es hat die Diagnose einer [X.] in der Person des [X.] unter Heranziehung des [X.] in der 4. Auflage ([X.]-IV) verneint. Damit hat sich das [X.] für seine Entscheidung zwar auf ein anerkanntes Diagnosesystem gestützt. Jedoch hat es eine im [X.]punkt seiner Entscheidung veraltete Fassung dieses Diagnosesystems herangezogen, das zumindest bezogen auf die gegenständliche Diagnose einer [X.] nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprach.

Tatsachengerichte haben ihrer Entscheidungsfindung - unerlässlich - den jeweils aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zugrunde zu legen. Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also, von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht (zuletzt [X.] vom 16.3.2021 - B 2 U 11/19 R - [X.] 4-2700 § 9 [X.] Rd[X.] 34 mwN; [X.] vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - B[X.]E 96, 291 = [X.] 4-2700 § 9 [X.] 7, Rd[X.] 20). Falls erforderlich müssen sich Tatsachengerichte durch sachverständige Hilfe Klarheit darüber verschaffen, welches zum [X.]punkt der Entscheidung der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der streitigen Frage ist. Ein im bisherigen Verfahren [X.] wissenschaftlicher Erkenntnisstand ist dementsprechend bis zum Schluss auf seine Aktualität zu überprüfen, erforderlichenfalls mit Hilfe weiterer Gutachten. Einer Änderung des [X.] ist Rechnung zu tragen ([X.] vom 16.3.2021 - B 2 U 11/19 R - [X.] 4-2700 § 9 [X.] Rd[X.] 34; [X.] vom 6.10.2020 - B 2 U 10/19 R - [X.] 4-2700 § 73 [X.] 2 Rd[X.] 27 mwN; [X.] vom [X.] - [X.], 24 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 1103 [X.] 1, Rd[X.] 18; B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] 4-1500 § 160 [X.] 24 Rd[X.] 18-19; grundlegend [X.] vom [X.] - B 2 U 1/05 R - B[X.]E 96, 196 = [X.] 4-2700 § 8 [X.] 17, Rd[X.] 19). Die Gerichte werden von einer Überprüfung des aktuellen [X.] insbesondere nicht dadurch entbunden, dass - wie hier - bereits die bestellten Sachverständigen ihrerseits den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand unberücksichtigt gelassen haben.

Das [X.] hat für die negative Feststellung einer [X.] beim Kläger auf die im [X.]punkt seiner Entscheidung nicht mehr geltende Fassung des [X.]-IV abgestellt. Bereits seit Mai 2013 war das [X.] in seiner 5. Auflage in [X.] ([X.]-V, 2013 in [X.] veröffentlicht, seit 2014 in der [X.] Fassung vorliegend). Bezogen auf die streitgegenständliche [X.] enthielt das [X.]-V den aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisstand.

Der [X.] ist zu dieser Feststellung befugt, weil die Diagnosesysteme der [X.] wie des [X.] generelle Tatsachen betreffen, für die die Beschränkungen des § 163 Halbsatz 1 [X.]G nicht gelten und die das Revisionsgericht deshalb - auch ohne entsprechende Rüge (§ 163 Halbsatz 2 [X.]G) - selbst überprüfen, feststellen und ggf eigenständig ermitteln darf. Allgemeine (generelle) Tatsachen (Rechtstatsachen) sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht nur für die Rechtsfindung im Einzelfall, sondern für eine Vielzahl von Fällen gleichermaßen bedeutsam sind. Welche Bedeutung ihnen zukommt, kann daher nicht von Fall zu Fall und von Gericht zu Gericht unterschiedlich bewertet werden. Es ist vielmehr Aufgabe des [X.], durch Ermittlung, Feststellung und Würdigung derartiger Tatsachen die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sicherzustellen und so die Rechtseinheit zu wahren ([X.] vom [X.] - B 2 U 8/18 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.] 71 Rd[X.] 20; [X.] vom 16.3.2021 - B 2 U 11/19 R - [X.] 4-2700 § 9 [X.] Rd[X.] 33 mwN; [X.] vom [X.] - B 5 RS 2/18 R - [X.], 219 = [X.] 4-8570 § 6 [X.] 8, Rd[X.] 13 mwN).

Die gängigen Diagnosesysteme der [X.] und des [X.] sind generelle Tatsachen, für die die Beschränkung aus § 163 Halbsatz 1 [X.]G nicht gilt. Das [X.] stellt ein weltweit anerkanntes System dar, mit dem medizinische Diagnosen einheitlich benannt werden. Das [X.] ist ein auf psychische Störungen begrenztes Klassifikationssystem, welches im Vergleich zum [X.] stärker operationalisiert ist. Dieses kann alternativ oder ergänzend zum [X.] herangezogen werden und stellt den repräsentativen aktuellen medizinischen Erkenntnisstand im Bereich der Psychiatrie dar (vgl zu [X.] und [X.] [X.] Spieß-Kiefer/Kiefer/Berbig, [X.] 2021, 201, 202; [X.], [X.] 2020, 102; [X.], [X.] 2016, 271; [X.]/[X.]/[X.], Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl 2017, 150, 160 f).

Generelle Tatsachen stellen (zumindest ab Entwicklungsstufe 2) auch die hierzu ergangenen konsensbasierten Begutachtungsleitlinien der [X.] ([X.]) dar. Die [X.] koordiniert (seit 1995, auf Anregung des "[X.] Aktion im Gesundheitswesen") die Entwicklung, Aktualisierung und Erweiterung von Leitlinien für Diagnostik und Therapie durch die einzelnen [X.] und veröffentlicht diese Leitlinien. Die konsensbasierte [X.]-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Störungen der Klasse [X.] wurde von der [X.]n Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. ([X.]) entwickelt und gilt als repräsentativ (vgl zur Klassifikation der [X.]-S2-Leitlininen: https://www.awmf.org/leitlinien/awmf-regelwerk/leitlinien-register/klassifikation-der-entwicklungsstufe-s2e-und-s2k.html).

[X.], [X.] sowie die hierzu ergangenen konsensbasierten Begutachtungsleitlinien der [X.] sind insoweit revisionsrechtlich darauf überprüfbar, ob sie dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechen (vgl zu den von der [X.] herausgegebenen klinisch-diagnostischen Leitlinien [X.] vom [X.] - B 2 U 8/18 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.] 71 Rd[X.] 20; vgl zu den zur Feststellung einer [X.] heranzuziehenden Quellen, Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc [X.] [X.] vom [X.] - [X.], 24 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 1103 [X.] 1, Rd[X.] 18).

Das [X.] hat sich für seine Entscheidung auf das [X.]-IV gestützt, ohne den seit Mai 2013 im [X.]-V enthaltenen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand heranzuziehen. Zwar mögen für eine gewisse [X.]spanne nach Einführung neuer Diagnosekriterien vor dem Hintergrund des wissenschaftlichen Diskurses noch Zweifel begründet sein können, dass diese bereits den aktuellen Erkenntnisstand im Sinne der Mehrheit der Wissenschaftler des jeweiligen Fachgebietes wiedergeben. Auch für diese Übergangsphase ist indes zu beachten, dass Einzelmeinungen einen allgemeinen Konsens in der Wissenschaft nicht zu erschüttern vermögen ([X.] [X.] vom [X.] - [X.], 24 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 1103 [X.] 1, Rd[X.] 18; [X.] vom [X.] B[X.]E 118, 255 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 6, Rd[X.] 21; [X.] vom [X.] - [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 7 Rd[X.] 21). [X.] war hingegen eine derartige Übergangszeit offenkundig abgelaufen. Denn das [X.]-V stellte zu dieser [X.] den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand dar (vgl trotz Detailkritik [X.] [X.]/[X.]/Gonschorek/[X.]/[X.], [X.] 2016, 156; [X.], [X.] 2015, 162). Inzwischen wird die Gültigkeit des [X.]-V als aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand in der Wissenschaft ohnehin nicht mehr allgemein angegriffen, insbesondere nicht bzgl der Diagnose der [X.]. Von ihrer Aktualität wird vielmehr ohne Weiteres ausgegangen ([X.] Spieß-Kiefer/Kiefer/Berbig, [X.] 2021, 201, 202; [X.], [X.] 2020, 102; Spellbrink, [X.] 2020, 114; [X.], [X.] 2020, 134; Spellbrink, [X.] 2019, 32; [X.]/[X.]/[X.], Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl 2017, 154 f, 160 f; s auch die Begutachtungsleitlinie der [X.] zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Störungen, die eindeutig von der Aktualität des [X.]-V ausgeht, ohne zeitlich zwischen dem In-[X.]-Treten des [X.]-V und der Überarbeitung der [X.]-Leitlinie im Dezember 2019 zu differenzieren: [X.]-Register [X.] 051-029l, Teil II 1., Teil [X.], Teil [X.]; konkret für [X.]: Teil [X.]2.2; s auch den zugehörigen [X.], [X.]-Register [X.] 051-029m, S 4).

Soweit dem [X.]-V vereinzelt noch in der obergerichtlichen Rechtsprechung unter Hinweis auf Bedenken pauschal die Validität für die Feststellung einer [X.] abgesprochen wird ([X.] Baden-Württemberg Urteil vom [X.] - L 6 VG 2800/21 - juris Rd[X.] 81; [X.] Baden-Württemberg Urteil vom 19.7.2018 - L 6 U 2309/17 - juris Rd[X.] 48; [X.] Baden-Württemberg Urteil vom [X.] 4569/14 - juris Rd[X.] 41), handelt es sich bei den zur Begründung herangezogenen Fundstellen um wissenschaftliche Stellungnahmen aus den Jahren 2013 und 2015. Die Quellen stellen Einzelmeinungen dar, die den im [X.]-V abgebildeten aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft nicht erschüttern und sind überdies durch aktuellere wissenschaftliche Äußerungen überholt.

4. Ob sich das Urteil des [X.] auch auf Grundlage des aktuellen [X.] als richtig erweist, kann ohne weitere Sachermittlungen nicht entschieden werden (§ 170 Abs 1 Satz 2 [X.]G).

Der [X.] vermag anhand der Feststellungen des [X.] vorliegend nicht abschließend darüber zu entscheiden, ob in der Person des [X.] eine [X.] vorlag oder nicht. Den für das [X.] im [X.]punkt seiner Entscheidung maßgeblichen Erkenntnisstand bilden das [X.]-10 sowie das [X.]-V ab. Sowohl das [X.]-10 als auch das [X.]-V enthalten vergleichbar zum [X.]-IV für die Diagnose einer [X.] neben einem [X.] ([X.]; [X.]-IV noch [X.] und A2-Kriterium) [X.] - unter anderem - im Sinne eines Wiedererlebens ([X.]) und eines Vermeidungsverhaltens ([X.]). Diese [X.] sind zwingend erforderlich (vgl [X.] Spieß-Kiefer/Kiefer/Berbig, [X.] 2021, 201, 202 f; [X.], [X.] 2016, 271, 272). Das [X.] hat ihr Vorliegen auf Grundlage des Gutachtens von [X.] verneint. An diese Bewertung (§ 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G) ist der [X.] für die Prüfung der Kriterien nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand indes nicht gebunden. Denn trotz der im Ausgangspunkt bestehenden Vergleichbarkeit unterscheiden sich die konkreten Diagnosekriterien sowohl des [X.]-10 als auch des [X.]-V erkennbar von denen des [X.]-IV. So wurde das [X.]-V im Vergleich zum [X.]-IV systematisch umgestaltet und enthält umfassendere Erläuterungen zu den jeweiligen Diagnosen. Die [X.] wird nun (gemeinsam ua mit der akuten Belastungsstörung und der Anpassungsstörung) in einem neuen Kapitel der Trauma- und belastungsbezogenen Störungen aufgeführt. Die Zuordnung in das Kapitel der Angststörungen wurde dagegen aufgegeben. Auch innerhalb der Kriterien der [X.] ist eine relevante Umgestaltung erfolgt. Das [X.] ("[X.]", [X.]) umfasst nun genauer Ereignisse, die als "traumatisch" aufgefasst werden können. Dagegen verzichtet das [X.]-V auf das Erfordernis emotionaler Reaktionen im Sinne einer subjektiven Beeindruckung durch das traumatische Ereignis ([X.] Furcht, Hilflosigkeit, Entsetzen - subjektives Trauma-Erleben; A2-Kriterium nach [X.]-IV) und bezieht in die [X.] nun gesondert anhaltende negative Veränderungen von Kognitionen und Stimmung im Zusammenhang mit dem oder den traumatischen Ereignissen ein ([X.] nach [X.]-V). Letzteres beinhaltet neue oder veränderte Symptome wie anhaltende negative emotionale Zustände.

Die Zusatzcodierung des Subtyps einer [X.] mit dissoziativen Symptomen ist im [X.]-V ebenfalls neu. Das [X.]-V enthält ferner präzisere Beschreibungen möglicher Differenzialdiagnosen. Unter diesen ist insbesondere die Anpassungsstörung nicht mehr als bloße Restkategorie aufzufassen (vgl zu alldem Falkai/[X.], [X.]-V, 2. Aufl 2018, 369 ff, 1111 f; Saß/[X.]/[X.], [X.]-IV, 3. Aufl 2001, 707; s auch [X.]-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Störungen - [X.]-Register [X.] 051-029l, Teil [X.]2, Teil [X.]4; s auch [X.], [X.] 2020, 134, 136; [X.], [X.] 2020, 102, 104 f). Dem [X.] ist es daher aus eigener Sachkunde nicht möglich, die Übertragbarkeit der Diagnosekriterien einer [X.] von dem einen Diagnosesystem auf das andere bzw deren verschiedenen Fassungen und in der Folge die Richtigkeit der Entscheidung des [X.] aus anderen Gründen iS von § 170 Abs 1 Satz 2 [X.]G festzustellen. Denn dies umfasst eine medizinische Bewertung des Einzelfalls.

Ebenso wie den [X.] ist es auch dem B[X.] bei fehlender Sachkunde verwehrt, medizinische Beurteilungen selbst vorzunehmen. Die Ermittlung medizinischer Sachverhalte hat vielmehr regelmäßig unter Heranziehung sachverständiger Hilfe zu erfolgen. Die Ermittlung und Feststellung der Kriterien im Einzelfall als Voraussetzung einer medizinischen Diagnose obliegt dabei den [X.]. Denn es handelt sich bei diesen nicht um allgemeine oder generelle Tatsachen, die das Revisionsgericht unter Umständen eigenständig ermitteln könne (vgl B[X.] Großer [X.] Beschluss vom 12.12.2008 - [X.] 1/08 - B[X.]E 102, 166 = [X.] 4-1500 § 41 [X.] 1, Rd[X.] 33).

5. Das [X.] wird somit auf Grundlage des im [X.]punkt der erneuten Entscheidung aktuellen [X.] das Vorliegen einer [X.] unter Zuhilfenahme geeigneter Sachverständiger zu prüfen haben.

Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass dem durch das (festzustellende) schädigende Ereignis vermittelte Trauma für die Diagnose einer [X.] entscheidende Bedeutung zukommt. Denn die isoliert betrachtet unspezifischen [X.] werden erst durch ihre Verknüpfung mit einem geeigneten traumatischen Erlebnis zu einer als solche zu diagnostizierenden [X.] ([X.] Spieß-Kiefer/Kiefer/Berbig, [X.] 2021, 201, 202 f; [X.], [X.] 2016, 271, 272; [X.]/[X.]/[X.], [X.]s Ärzteblatt 2014, 59, 60 f). Ohne das Vorliegen eines geeigneten Traumas kommen differentialdiagnostisch auch andere Traumafolgestörungen in Betracht. Denn bei der [X.] handelt es sich nur um eine, wenngleich spezifische Form der Traumafolgeerkrankungen ([X.]-Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung, [X.]-Register-[X.] 155/001 Klasse [X.], <Überarbeitung 2019/04>, [X.], 18 unter Hinweis auf mögliche Differentialdiagnosen, insbesondere Depression, Angststörungen wie [X.] die generalisierte Angststörung, Panikstörung, und auf somatoforme Störungen).

Einem zur Begutachtung berufenen Sachverständigen sind die hierfür erforderlichen Anknüpfungstatsachen mitzuteilen (§ 118 Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm § 404a Abs 3 ZPO). Das [X.] wird daher auch Ermittlungen zum konkreten Unfallhergang durchzuführen haben (§ 103 [X.]G), denn es ist tatrichterliche Aufgabe, sich über die der Entscheidung zugrunde zu legenden Anknüpfungstatsachen klar zu werden. Zwar kann die Ermittlung zunächst auch einem Sachverständigen überlassen werden, wenn es im [X.]punkt der Beweisanordnung nicht voraussehbar ist, auf welche Anknüpfungs- und Befundtatsachen es im Einzelfall ankommen wird ([X.] vom 16.3.2021 - B 2 U 11/19 R - [X.] 4-2700 § 9 [X.] Rd[X.] 21). Vorliegend handelt es sich bei dem unklaren Unfallereignis jedoch um eine Anknüpfungstatsache, deren Feststellung generell nicht in die Sachkunde eines medizinischen Sachverständigen fällt. Der Angabe des beauftragten Sachverständigen [X.], es habe möglicherweise ein objektiv aktives Handeln des [X.] vorgelegen, wird das [X.] demnach ohne eigene Ermittlungen zum Unfallhergang keine Beachtung schenken können (zur Unverwertbarkeit entsprechender Erhebungen durch medizinische Sachverständige [X.] vom [X.]; [X.] in [X.]/[X.], jurisPK-[X.]G, § 103 Rd[X.] 266 ; [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 2. Aufl 2021, § 117 Rd[X.]).

Für die Feststellung des konkreten Unfallhergangs hat der Kläger die Vernehmung konkret benannter Zeugen angeregt (§ 118 Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm § 373 ZPO). Eine ggf erforderliche Ortsbegehung wird das [X.] zur Wahrung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 117 [X.]G) eigenständig durchzuführen haben. Ungeachtet dessen kann es einen oder mehrere Sachverständige zu dieser hinzuziehen (§ 118 Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm §§ 371, 372 Abs 1 ZPO).

Bei den weiteren Ermittlungen wird auch zu berücksichtigen sein, dass das Vorliegen eines Unfallereignisses von der Beklagten bereits anerkannt wurde und sich die noch relevanten Anknüpfungstatsachen daher nur deswegen auf den konkreten Geschehensablauf beziehen, um die Geeignetheit eines erlittenen Traumas zur Feststellung einer [X.] und damit das Vorhandensein einer Gesundheitsstörung bewerten zu können (s auch Spellbrink, [X.] 2020, 114, 116). Verbleiben am Ende Zweifel im Hinblick auf den konkreten Unfallhergang, ist hierüber nach den Maßstäben zur materiellen Beweislast zu entscheiden.

6. Wenn das [X.] nach Abschluss seiner weiteren Ermittlungen für die Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G) in einen Abwägungsvorgang eintritt, in die sämtliche Indizien, die für und gegen das Vorliegen einer Gesundheitsstörung sowie der Verursachung durch das Unfallereignis sprechen, einzubeziehen sind, wird es zu gewichten und darzulegen haben, ob und welche Bedeutung es den Angaben und Bewertungen einzelner Sachverständiger wird beimessen können. So hat sich etwa der als Sachverständiger hinzugezogene psychologische Psychotherapeut [X.] in seinem Zusatzgutachten zum Vorliegen der Diagnosekriterien einer [X.] geäußert und hierbei die fachmedizinischen Bewertungen anderer Gutachter kritisiert, ohne seiner Ausbildung nach über eine einem Facharzt für Neurologie oder Facharzt für Psychosomatik und Psychotherapie vergleichbare Sachkunde zu verfügen. [X.] das [X.] einem nichtärztlichen Gutachten Vorrang vor ärztlichen Gutachten einräumen, versteht sich die höhere Gewichtung jedenfalls nicht von selbst. Davon unberührt bleibt, dass eine verfahrensrechtliche Verpflichtung zur Einholung eines Gutachtens von einem Facharzt als Sachverständigem nicht besteht (stRspr; [X.] B[X.] Beschluss vom [X.] - B 9 SB 101/15 B - juris Rd[X.] 8 mwN).

7. Die vom Kläger im Revisionsverfahren erhobenen Verfahrensrügen sind nicht mehr entscheidungserheblich, weil das Urteil des Berufungsgerichts aus materiell-rechtlichen Gründen aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen war.

8. Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

[X.]                [X.]

Meta

B 2 U 9/20 R

28.06.2022

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Braunschweig, 2. Juni 2016, Az: S 14 U 75/12, Urteil

§ 56 Abs 2 S 1 SGB 7, § 56 Abs 1 S 1 SGB 7, § 8 Abs 1 SGB 7, § 31 SGB 10, § 133 BGB, § 157 BGB, § 103 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 128 Abs 1 S 1 SGG, § 128 Abs 1 S 2 SGG, § 163 Halbs 1 SGG, § 170 Abs 1 S 2 SGG, § 170 Abs 2 S 2 SGG, § 403 ZPO, § 404a Abs 1 ZPO, § 404a Abs 3 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 28.06.2022, Az. B 2 U 9/20 R (REWIS RS 2022, 6031)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6031

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