Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 11.04.2011, Az. 2 B 17/10

2. Senat | REWIS RS 2011, 7742

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Gegenstand

Auslegung des § 204 Abs. 1 Nr. 12 Halbs. 1 BGB; Sinn und Zweck der Norm; Auslegung eines Schriftstücks als Widerspruchsbescheid; Inhalt


Gründe

1

Die auf die grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte [X.]eschwerde bleibt ohne Erfolg.

2

1. Der Kläger begehrt die Gewährung eines Zuschusses nach § 4  2. [X.]. In [X.]ezug auf den noch streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Januar 1999 bis zum 31. Dezember 2000 hat das Oberverwaltungsgericht die [X.]erufung des [X.] zurückgewiesen und hierzu ausgeführt: Der Anspruch sei gemäß Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 2 EG[X.]G[X.] i.V.m. den §§ 197, 198, 201 [X.] verjährt. Der Eintritt der Verjährung sei nicht gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 12 [X.]G[X.] durch die Erhebung des Widerspruchs gehemmt worden, da der Kläger nicht innerhalb von drei Monaten nach Ergehen des Widerspruchsbescheides Klage erhoben habe. Als solcher sei das Schreiben vom 25. Juni 2004 auszulegen, obwohl es nicht entsprechend bezeichnet, nicht in Entscheidungssatz und [X.]egründung gegliedert, weder mit einer Kostenentscheidung noch mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen und nicht zugestellt worden sei.

3

2. Eine Rechtssache hat grundsätzliche [X.]edeutung, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen [X.]edeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss (stRspr; vgl. [X.]eschluss vom 2. Oktober 1961 - [X.]VerwG 8 [X.] 78.61 - [X.]VerwGE 13, 90 <91 f.> = [X.] 310 § 132 Nr. 18 S. 22 VwGO).

4

Die von der [X.]eschwerde als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage,

ob § 204 Abs. 1 Nr. 12 [X.]G[X.] auch im Falle eines Widerspruchsverfahrens voraussetzt, dass der Gläubiger innerhalb von drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs Klage erhebt,

5

rechtfertigt die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht, da sie sich auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Interpretation und auf der Grundlage der entstandenen Rechtsprechung ohne weiteres beantworten lässt.

6

Gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 12 Halbs. 1 [X.]G[X.] wird die Verjährung gehemmt durch die Einreichung des Antrags bei einer [X.]ehörde, wenn die Zulässigkeit der Klage von der Vorentscheidung dieser [X.]ehörde abhängt und innerhalb von drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs die Klage erhoben wird; nach § 204 Abs. 1 Nr. 12 Halbs. 2 [X.]G[X.] gilt dies entsprechend für bei einem Gericht oder bei einer in § 204 Abs. 1 Nr. 4 [X.]G[X.] bezeichneten Gütestelle zu stellende Anträge, deren Zulässigkeit von der Vorentscheidung einer [X.]ehörde abhängt.

7

Der eindeutige Wortlaut der Norm sieht eine Ausnahme von dem Erfordernis der Klageerhebung innerhalb von drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs nicht vor.

8

Das Gebot, das Verfahren innerhalb dieses Zeitraums zu betreiben, geht auf die Vorgängernorm des § 210 Satz 1 Alt. 1 [X.]G[X.] a.F. zurück, die in [X.] bereits in der ursprünglichen Fassung des [X.]ürgerlichen Gesetzbuchs enthalten war und schon seinerzeit eine entsprechende Frist vorsah. Deren Länge trägt dem Umstand Rechnung, dass beide Normen über das Widerspruchsverfahren hinaus auf verschiedene andere verwaltungsbehördliche Vorverfahren wie auch nach § 204 Abs. 1 Nr. 12 Halbs. 2 [X.]G[X.] bzw. § 210 Satz 1 [X.]G[X.] a.F. auf das Güteantragsverfahren Anwendung fanden und finden (vgl. zur Unterbrechung bzw. Hemmung der Verjährungsfrist durch Widerspruchserhebung Urteile vom 9. März 1979 - [X.]VerwG 6 C 11.78 - [X.]VerwGE 57, 306 <308 f.> = [X.] 235.17 § 21 [X.] NW Nr. 4 S. 2 f. und vom 15. Juni 2006 - [X.]VerwG 2 C 17.05 - [X.] 240 § 73 [X.] Nr. 13 Rn. 21-23). Die jetzige Fassung der Vorschrift entspricht der bisherigen Auslegung des § 210 [X.]G[X.] a.F. Die Entstehungsgeschichte wie auch Sinn und Zweck des § 204 Abs. 1 Nr. 12 Halbs. 1 [X.]G[X.] unterstreichen das uneingeschränkte Festhalten des Gesetzgebers an dem Gebot der Klageerhebung binnen drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs. Es diente ausweislich der [X.]egründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts unter anderem dem Zweck, dem Eintritt einer Hemmung der Verjährung vorzubeugen, dass der Gläubiger die Angelegenheit nach Erledigung des Gesuchs nicht weiterbetreibt ([X.]TDrucks 14/6040 [X.]). Dieser soll einerseits nicht dadurch Nachteile erleiden, dass er durch das Erfordernis, ein behördliches Vorverfahren zu betreiben, daran gehindert ist, den Eintritt der Hemmung der Verjährung unmittelbar durch Klageerhebung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 [X.]G[X.] zu bewirken; andererseits soll das [X.]etreiben des behördlichen Vorverfahrens nur dann verjährungshemmend wirken, wenn nicht nur der eindeutige Wille besteht, den Anspruch gegenüber dem Schuldner gerichtlich durchzusetzen, sondern dieser Wille nach erfolgloser Durchführung des Vorverfahrens auch innerhalb der Frist von drei Monaten realisiert wird. [X.] die Frist, ohne dass Klage erhoben worden ist, so soll der Schuldner gemäß § 214 Abs. 1 [X.]G[X.] unter allen Umständen berechtigt sein, die Leistung zu verweigern.

9

Mit Recht ist das [X.]erufungsgericht deshalb davon ausgegangen, dass weder dem Wortlaut noch dem Zweck des § 204 Abs. 1 Nr. 12 Halbs. 1 [X.]G[X.] Anhaltspunkte für die Annahme zu entnehmen sind, der Gesetzgeber habe mit der Drei-Monatsfrist an die in den jeweiligen Prozessordnungen geltenden Klagefristen anknüpfen wollen. Während etwa die §§ 74 und 58 Abs. 2 VwGO dazu dienen, einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen den Geboten der Rechtsschutzgewährleistung und der Rechtssicherheit im Wege des Prozessrechts zu gewährleisten (vgl. Urteil vom 18. März 2009 - [X.] - [X.] 310 § 74 VwGO Nr. 15 S. 2 Rn. 22), zielt § 204 Abs. 1 Nr. 12 Halbs. 1 [X.]G[X.] darauf, Rechtsfrieden und Rechtssicherheit in [X.] Hinsicht herzustellen (vgl. [X.], Urteil vom 8. Dezember 1992 - [X.] - NJW-RR 1993, 1059 <1060>). Dieser unterschiedliche Ansatz schließt die Annahme aus, die Drei-Monatsfrist des § 204 Abs. 1 Nr. 12 Halbs. 1 [X.]G[X.] werde durch die Monatsfrist des § 74 VwGO verkürzt oder durch die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO verlängert (in diesem Sinne bereits RG, Urteil vom 16. September 1930 - [X.] - [X.] 85 Nr. 2 S. 3 <4> zum Verhältnis von § 210 [X.]G[X.] a.F. und der Klagefrist des § 2 des [X.] vom 24. Mai 1861 betreffend die Erweiterung des Rechtsweges ([X.]. [X.] 1861, 241). Gerade § 58 Abs. 2 VwGO belegt, dass der Frist des § 204 Abs. 1 Nr. 12 Halbs. 1 [X.]G[X.] auch im Vorfeld eines verwaltungsrechtlichen Klageverfahrens eine eigenständige verjährungsrechtliche [X.]edeutung zukommt.

Ebenso wenig rechtfertigt die von dem Kläger als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene sinngemäße Frage,

ob der Auslegung eines behördlichen Schriftstückes als Widerspruchsbescheid und dessen Qualifikation als nicht nichtig entgegensteht, dass es weder die [X.]ezeichnung "Widerspruchsbescheid" trägt noch in Entscheidungssatz und [X.]egründung gegliedert noch mit einer Kostenentscheidung und Rechtsmittelbelehrung versehen ist,

die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, da sie durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits geklärt ist.

Grundsätzlich stellt die Auslegung eines Schreibens revisionsrechtlich Tatsachenfeststellung dar. Deren Ergebnis unterliegt der revisionsgerichtlichen Überprüfung nur, soweit es um die Einhaltung allgemeiner Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsgrundsätze geht (stRspr; vgl. nur Urteil vom 24. September 2009 - [X.]VerwG 2 C 63.08 - [X.]VerwGE 135, 14 = [X.] 239.1 § 67 [X.]eamtVG Nr. 4 ). Das [X.]erufungsgericht ist ohne Verstoß gegen Auslegungsgrundsätze und auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung des [X.] mit Recht davon ausgegangen, ein Verwaltungsakt müsse angesichts der [X.], die ihm innewohnt, seinen Charakter als hoheitlich verbindliche Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts hinreichend klar erkennen lassen. Maßgebend ist hierfür nicht der innere, sondern der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte. Unklarheiten müssen hierbei zu Lasten der Verwaltung gehen (vgl. nur Urteil vom 12. Januar 1973 - [X.]VerwG 7 C 3.71 - [X.]VerwGE 41, 305 <306> = [X.] 310 Vorbemerkung III zu § 42 VwGO Ziff. 1: [X.]egriff Nr. 115 S. 40).

Daran anknüpfend steht der Auslegung eines Schriftstücks als Widerspruchsbescheid nicht zwingend entgegen, dass dieses nicht als solcher bezeichnet oder in Entscheidungssatz und [X.]egründung gegliedert ist. Vom Gegenteil wäre nur auszugehen, wenn entsprechende gesetzliche Vorgaben bestünden. Dies ist indes nicht der Fall: Solche finden sich weder in § 73 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2007 - [X.]VerwG 4 C 9.07 - [X.]VerwGE 130, 113 <116, Rn. 11> = [X.] 310 § 73 VwGO Nr. 40 Rn. 11), noch in § 73 Abs. 3 Satz 1 VwGO oder in § 37 Abs. 1 oder 3 [X.], der § 37 Abs. 1 und 3 VwVfG entspricht. Ein Widerspruchsbescheid ist schon dann inhaltlich hinreichend bestimmt, wenn der Wille der [X.]ehörde, eine Entscheidung über den Widerspruch zu treffen, für die [X.]eteiligten des Verfahrens, in dem der Verwaltungsakt ergeht, bei verständiger Würdigung ohne Zweifel erkennbar und einer unterschiedlichen subjektiven [X.]emessung nicht zugänglich ist (vgl. [X.]eschluss vom 27. Juli 1982 - [X.]VerwG 7 [X.] 122.81 - [X.] 316 § 37 VwVfG Nr. 1 = juris Rn. 2). Das Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 73 Abs. 3 Satz 1 VwGO löst lediglich die Rechtsfolge des § 58 Abs. 2 VwGO aus (stRspr; vgl. nur [X.]eschluss vom 11. Februar 1998 - [X.]VerwG 7 [X.] 30.98 - [X.] § 310, § 58 VwGO Nr. 69 S. 10). In gleicher Weise zwingt das Fehlen einer Kostenentscheidung nicht zu dem Schluss, dass es sich bei dem Schriftstück nicht um einen Widerspruchsbescheid handelt. Für den Fall, dass die Kostenentscheidung versehentlich unterblieben ist, kann der Widerspruchsführer die Ergänzung des Widerspruchsbescheides beantragen (Urteil vom 29. August 1983 - [X.]VerwG 6 C 111.82 - [X.]VerwGE 68, 1 <2, 4>); ist die Kostenentscheidung hingegen bewusst unterblieben, so ist sie im Wege der Verpflichtungsklage zu erstreiten (Urteil vom 28. April 2009 - [X.]VerwG 2 A 8.08 - [X.] 316 § 80 VwVfG Nr. 55 S. 12 Rn. 17).

Meta

2 B 17/10

11.04.2011

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Thüringer Oberverwaltungsgericht, 29. Oktober 2009, Az: 2 KO 893/07, Urteil

§ 204 Abs 1 Nr 12 BGB, § 204 Abs 1 Nr 4 BGB, § 58 Abs 2 VwGO, § 74 VwGO, § 37 VwVfG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 11.04.2011, Az. 2 B 17/10 (REWIS RS 2011, 7742)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7742

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