Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.01.2010, Az. IX ZR 93/09

9. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 10376

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Insolvenzverfahren: Zulässigkeit der Befriedigung einzelner Insolvenzgläubiger aus dem insolvenzfreien Vermögen


Leitsatz

Die Vorschriften der Insolvenzordnung stehen der Befriedigung einzelner Insolvenzgläubiger aus dem insolvenzfreien Vermögen des Schuldners während des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nicht entgegen .

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des [X.] vom 27. April 2009 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin ist Verwalterin in dem am 22. Oktober 2003 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des [X.] (im Folgenden: Schuldner). Der beklagte [X.] meldete mit Schreiben vom 2. Februar 2004 eine Forderung in Höhe von 548,20 € zur Insolvenztabelle an. Die Forderung resultierte im Wesentlichen aus rückständigen Gebühren im Zusammenhang mit der Zulassung von Kraftfahrzeugen. Als der Schuldner ein neues Fahrzeug anmelden wollte, machte der Beklagte die Zulassung gemäß §§ 1, 3 des [X.] von Gebühren- und Auslagenrückständen bei der Zulassung von Fahrzeugen ([X.]/[X.] - [X.]) vom 19. September 2006 von der Zahlung der Rückstände abhängig. Der Schuldner zahlte daraufhin den geschuldeten Betrag aus seinem insolvenzfreien Vermögen.

2

Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Rückzahlung des Betrags aus eigenem Recht, hilfsweise aufgrund einer mit dem Schuldner vereinbarten Abtretung. Amts- und [X.] haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben richtig entschieden.

I.

4

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, ein Anspruch auf Rückzahlung folge nicht aus dem Bereicherungsrecht, weil die Leistung nicht ohne Rechtsgrund gemäß § 812 Abs. 1 BGB erfolgt sei. Die Verfügung des Schuldners habe nicht die Insolvenzmasse betroffen. Deshalb sei sie nicht nach § 81 Abs. 1 [X.] unwirksam. Mit seinem freien Vermögen könne der Schuldner nach eigenem Belieben verfahren. Zahlungen aus diesem Vermögen verkürzten nicht die Masse und verstießen deshalb nicht gegen § 87 [X.] und den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung. Ein Rückzahlungsanspruch folge auch nicht aus § 826 BGB. Das Verhalten des Beklagten habe den §§ 1, 3 [X.] entsprochen und sei rechtlich nicht zu missbilligen. Mit der Zahlung sei dem Schuldner keine Verletzung seiner Obliegenheit nach § 295 Abs. 1 Nr. 4 [X.] zugemutet worden, weil Leistungen aus dem pfändungsfreien Vermögen dem Gläubiger keinen Sondervorteil im Sinne dieser Bestimmung verschafften.

II.

5

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.

6

1. Ansprüche der Klägerin aus eigenem Recht als Insolvenzverwalterin bestehen nicht, weil die Zahlung an den Beklagten mit Mitteln erfolgte, die nicht zur Insolvenzmasse im Sinne der §§ 35, 36 [X.] gehörten und deshalb nicht der Verfügungsbefugnis der Klägerin nach § 80 [X.] unterlagen.

7

2. Die Klägerin hat auch durch die mit dem Schuldner vereinbarte Abtretung keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Rückzahlung erworben, denn dem Schuldner stand ein solcher Anspruch nicht zu.

8

a) Die Voraussetzungen für einen Anspruch des Schuldners aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB liegen nicht vor. Der Beklagte hat die Zahlung des Schuldners nicht ohne rechtlichen Grund erlangt. Der die Vermögensverschiebung an den Beklagten materiell rechtfertigende Grund liegt in dessen Anspruch auf Zahlung der Gebühren, den auch die Klägerin nicht in Abrede stellt. Zu den Rechtsnormen, die bestimmen, ob dem [X.] das Erlangte dauerhaft zustehen soll, gehören im Streitfall allerdings auch die Normen und die darin enthaltenen Wertungen des Insolvenzrechts ([X.]/[X.], 5. Aufl. § 812 Rn. 345; [X.] WM 2002, 974, 975; vgl. auch [X.], 309, 312). Diese rechtfertigen jedoch entgegen der Ansicht der Revision keine andere Beurteilung.

9

aa) Gemäß § 87 [X.] können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur noch nach den Vorschriften des Insolvenzrechts verfolgen. Sie haben ihre Forderungen zur Insolvenztabelle anzumelden, Zwangsvollstreckungen sind weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig (§ 89 Abs. 1 [X.]). Damit soll erreicht werden, dass die Insolvenzgläubiger gleichmäßige Befriedigung erlangen (MünchKomm-[X.]/[X.], 2. Aufl. § 87 Rn. 2; HK-[X.]/[X.], 5. Aufl. § 87 Rn. 1). Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Insolvenzgläubiger gilt während der Dauer des Insolvenzverfahrens jedoch nur in Bezug auf die Insolvenzmasse. Sie soll der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger zur Befriedigung zur Verfügung stehen und muss vor unberechtigten Zugriffen einzelner Gläubiger geschützt werden. Für das freie, nicht zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen des Schuldners gilt der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung im Insolvenzverfahren hingegen nicht. Das schon in § 14 KO enthaltene Verbot, während der Dauer des Insolvenzverfahrens in dieses Vermögen zu vollstrecken, dient nicht der Gleichbehandlung der Gläubiger, sondern soll dem Schuldner die Möglichkeit geben, schon während des Konkurses eine neue wirtschaftliche Existenz zu begründen ([X.]/[X.], [X.]. § 14 Rn. 2; [X.]/[X.], KO 17. Aufl. § 14 [X.]. 1a). Da der Neuerwerb des Schuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anders als unter der Geltung der Konkursordnung zur Insolvenzmasse gehört, hat dieser Gesichtspunkt allerdings heute nur noch eine geringe Bedeutung (vgl. die Regierungsbegründung zu § 100 [X.]-E = § 89 [X.], BT-Drucks. 12/2443 [X.]). Freiwillige Zahlungen des Schuldners mit Mitteln, die nicht zur Insolvenzmasse gehören (dies sind insbesondere unpfändbare Gegenstände, § 36 [X.]), sind daher durch die §§ 87, 89 [X.] nicht untersagt. Dies entspricht auch der im Schrifttum herrschenden Auffassung ([X.]/[X.], [X.] § 89 Rn. 59; MünchKomm-[X.]/[X.], aaO § 89 Rn. 32; [X.]/[X.], aaO). Eine Rückzahlung kann allenfalls im Wege der Einzelgläubigeranfechtung erwirkt werden ([X.]/[X.], aaO; vgl. dazu [X.], [X.] 10. Aufl. § 1 Rn. 57 und § 16 Rn. 4). Auch wenn der Gläubiger - wie hier auf der Grundlage der §§ 1, 3 [X.] - weitere Leistungen an den Schuldner davon abhängig macht, dass der Schuldner zuvor seine Rückstände begleicht, handelt es sich weder um eine Anspruchsverfolgung im Sinne von § 87 [X.] noch um eine Zwangsvollstreckung im Sinne von § 89 [X.] (anders für den Fall einer Zwangsabmeldung nach § 14 KraftStG FK-[X.]/[X.], 5. Aufl. § 89 Rn. 9). Geht der Schuldner auf das Verlangen des Gläubigers ein und erbringt er eine Zahlung aus seinem insolvenzfreien Vermögen, verletzt er nicht den Grundsatz der Gleichbehandlung in seinem von der Insolvenzordnung gezogenen Rahmen.

bb) Die Ansicht der Revision, die Rechtsordnung missbillige die Vermögensverschiebung an den Beklagten, lässt sich auch nicht darauf stützen, dass die Zahlung dem Schuldner unzumutbar gewesen sei, weil er dadurch seine Obliegenheit nach § 295 Abs. 1 Nr. 4 [X.] verletzt habe. Nach dieser Vorschrift darf der Schuldner aus Gründen der Gläubigergleichbehandlung während der Laufzeit der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 [X.] Zahlungen zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger nur an den Treuhänder leisten und keinem Insolvenzgläubiger einen Sondervorteil verschaffen. Diese Obliegenheit besteht jedoch erst in der Wohlverhaltensphase nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Ankündigung der Restschuldbefreiung ([X.], [X.]. v. 18. Dezember 2008 - [X.] 249/07, [X.], 361 m.w.N.). Für die während des Insolvenzverfahrens erfolgte Zahlung des Schuldners gilt sie nicht. Es kann deshalb dahinstehen, ob § 295 Abs. 1 Nr. 4 [X.] Zahlungen des Schuldners aus seinem unpfändbaren und deshalb nicht von der Abtretungserklärung erfassten Vermögen überhaupt verbietet (verneinend [X.] Z[X.] 2005, 1001, 1002; MünchKomm-[X.]/Ehricke, 2. Aufl. § 295 Rn. 97 und § 294 Rn. 32; FK-[X.]/[X.], 5. Aufl. § 295 Rn. 58; [X.], [X.] 2006, 454, 460; [X.], Z[X.] 2006, 1132) und ob eine etwaige Obliegenheitsverletzung jedenfalls deshalb außer Betracht zu bleiben hat, weil sie unter den gegebenen Umständen die Befriedigung der Gläubiger nicht beeinträchtigen und deshalb nicht zu einer Versagung der Restschuldbefreiung führen könnte (§ 296 Abs. 1 Satz 1 [X.]).

b) Die Revision nimmt hin, dass das Berufungsgericht einen Anspruch auf Rückzahlung aus § 826 BGB verneint hat. Rechtsfehler sind insoweit nicht zu erkennen. Die Durchsetzung berechtigter Forderungen kann nur dann gegen die guten Sitten verstoßen, wenn sich der Gläubiger unlauterer Mittel bedient ([X.], Urt. v. 7. März 1985 - [X.], [X.], 866, 868; v. 19. Oktober 1987 - [X.], NJW 1988, 700, 703). Welche Voraussetzungen dafür unter insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten erfüllt sein müssen, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. In Betracht können etwa Fälle kommen, in denen ein Gläubiger mit Monopolstellung Leistungen, welche der Schuldner dringend benötigt, von der Begleichung rückständiger Verbindlichkeiten in einem Umfang abhängig macht, die dem insolventen Schuldner unter Berücksichtigung seines berechtigten Interesses am Erhalt seines pfändungs- und damit insolvenzfreien Vermögens nicht zuzumuten ist. Ein solcher Fall liegt hier nicht annähernd vor. Der Beklagte hat ausschließlich die gesetzlichen Bestimmungen der §§ 1, 3 [X.] angewandt. Danach war ihm die Zulassung eines neuen Fahrzeugs für den Schuldner ohne Ermessensspielraum verwehrt, solange dieser noch Gebühren oder Auslagen aus vorausgegangenen Zulassungs- und damit zusammenhängenden Verwaltungsvorgängen schuldete. Für den Schuldner entstand dadurch zwar eine gewisse Zwangslage. Es ist aber weder festgestellt, dass der Schuldner auf die Zulassung eines Fahrzeugs zwingend angewiesen war, noch war die Bezahlung der Rückstände aus dem insolvenzfreien Vermögen unzumutbar.

c) Beurteilt man die Rechtsbeziehung zwischen dem Schuldner und dem Beklagten als öffentlich-rechtliche, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Für einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gilt uneingeschränkt, was zu einem Bereicherungsanspruch nach § 812 BGB ausgeführt wurde. Ein Amtshaftungsanspruch besteht nicht, weil seitens des Beklagten keine Amtspflicht verletzt wurde.

Ganter                               [X.]

                  Fischer                                   Grupp

Meta

IX ZR 93/09

14.01.2010

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Hagen (Westfalen), 27. April 2009, Az: 10 S 27/09, Urteil

§ 87 InsO, § 89 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.01.2010, Az. IX ZR 93/09 (REWIS RS 2010, 10376)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 10376

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZR 93/09 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 265/20 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzverfahren: Geltendmachung von vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Schadensersatzansprüchen der Gläubiger gegen den Insolvenzschuldner …


6 AZR 736/09 (Bundesarbeitsgericht)

Insolvenzanfechtung nach Befriedigung durch Zwangsvollstreckung - Entreicherung - verschärfte Haftung


IX ZR 69/14 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzrecht: Tilgungsbestimmung des Insolvenzverwalters bei Verteilung des Erlöses aus der Verwertung dem Vermieterpfandrecht unterliegender Gegenstände


VII R 35/08 (Bundesfinanzhof)

Aufrechnung der Finanzbehörde mit vorinsolvenzlichen Steuerschulden gegen einen Umsatzsteuervergütungsanspruch des Insolvenzschuldners, der im Rahmen einer …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.