Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26.03.2012, Az. III B 218/11

3. Senat | REWIS RS 2012, 7763

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Gegenstand

Kindergeld - Wohnsitz bei Schulbesuch im Ausland


Leitsatz

NV: Die Grundsätze, nach denen zu beurteilen ist, ob ein Kind, das sich zum Zwecke des Schulbesuchs mehrere Jahre im Ausland aufhält seinen inländischen Wohnsitz beibehält, sind in der Rechtsprechung des BFH geklärt. Angesichts der für das gesamte Steuerrecht geltenden Definition des Wohnsitzbegriffs in § 8 AO bedarf es auch keiner "klaren Definition" durch den BFH.

Tatbestand

1

I. [X.]er Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist der Vater der 1989 in [X.] geborenen [X.]. Aus einer zweiten Ehe hat der Kläger drei weitere Kinder. Bis zum [X.] lebte [X.] bei ihrer Mutter in [X.]. Nachdem der Kläger das elterliche Sorgerecht für [X.] erlangt hatte, zog diese am 25. Mai 2000 in seinen Haushalt. Infolge schulischer Pro-bleme blieb [X.] jedoch nur ein halbes Jahr in [X.]eutschland und kehrte wieder nach [X.] zurück. Zwar versuchte der Kläger in der Folgezeit, [X.] wiederholt nach [X.]eutschland zu holen, sie verbrachte gleichwohl immer nur einen Teil des Schuljahres bei ihm. Im September 2003 meldete der Kläger [X.], die seit Ende August 2003 wieder in [X.] die Schule besuchte, schließlich bei der Meldebehörde ab.

2

Am 13. Juni 2004 reiste [X.] erneut in [X.]eutschland ein und wurde hier auch wieder melderechtlich erfasst. [X.]em [X.] für [X.] gab die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) statt.

3

Im Rahmen einer Überprüfung des Aufenthalts von [X.] gelangte die Familienkasse zu der Auffassung, diese habe tatsächlich bei ihren Großeltern in [X.] gelebt und dort die Schule besucht. [X.]ie Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung deshalb für [X.] ab Juni 2004 auf und forderte das bis Januar 2007 überzahlte Kindergeld zurück.

4

Nachdem die Familienkasse am 31. Oktober 2007 über seinen Einspruch noch nicht entschieden hatte, erhob der Kläger Untätigkeitsklage vor dem [X.] ([X.]). [X.]iese hatte keinen Erfolg, da das [X.] nach dem Ergebnis der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme zu der Ansicht gelangt war, [X.] habe ihren inländischen Wohnsitz mit der Wiederaufnahme des Schulbesuchs in [X.] Ende August 2003 aufgegeben. Im Streitzeitraum habe [X.] in [X.]eutschland auch keinen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse aufrechterhalten, sondern sich hier vielmehr nur zu Besuchszwecken aufgehalten.

5

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde, mit der er die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der [X.]sordnung --[X.]O--) sowie Verfahrensfehlern (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O) geltend macht.

Entscheidungsgründe

6

II. [X.] ist unzulässig und wird durch Beschluss verworfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 [X.]O). [X.]er Kläger hat die behaupteten Zulassungsgründe nicht in der durch § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O geforderten Art und Weise dargelegt.

7

1. [X.]ie [X.]arlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung verlangt insbesondere substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärungsfähig ist und deren Beurteilung von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängig ist. Hierzu muss sich die Beschwerde insbesondere mit der Rechtsprechung des [X.] ([X.]), den Äußerungen im Schrifttum sowie mit ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinandersetzen. Hat der [X.] die Rechtsfrage bereits entschieden, so ist darzulegen, weshalb eine erneute oder weitere Entscheidung für erforderlich gehalten wird (z.B. Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2003 [X.]/03, [X.]/NV 2004, 166). Eine weitere bzw. erneute Klärung der Rechtsfrage kann z.B. geboten sein, wenn gegen die bisherige Rechtsprechung gewichtige Einwendungen erhoben worden sind, mit denen sich der [X.] bislang noch nicht auseinander gesetzt hat (z.B. Senatsbeschluss vom 17. August 2004 [X.]/03, [X.]/NV 2005, 46).

8

2. [X.]iesen Anforderungen genügen die Ausführungen in der Beschwerdebegründung nicht.

9

[X.]er Kläger hält die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam, wann und unter welchen Umständen ein Kind den Wohnsitz im Inland habe, also welche Umstände vorliegen müssten, die [X.] von § 8 der Abgabenordnung ([X.]) darauf schließen ließen, dass die betreffende Person die Wohnung beibehalten und benutzen werde.

[X.]er Kläger hat sich weder mit der umfangreich vorhandenen Rechtsprechung und Kommentarliteratur zum Wohnsitzbegriff des § 8 [X.] im Allgemeinen, noch mit den konkreten Anforderungen an die Beibehaltung eines Wohnsitzes durch ein Kind, das sich zum Schulbesuch im Ausland aufhält, im Besonderen auseinander gesetzt. Anders als der Kläger meint, hat der [X.] bereits mehrfach die Rechtsgrundsätze dargelegt, nach denen zu entscheiden ist, ob ein Kind, das sich zum Zwecke des Schulbesuchs mehrere Jahre im Ausland aufhält, seinen inländischen Wohnsitz (§ 8 [X.]) beibehält (z.B. [X.]-Urteile vom 22. April 1994 [X.], [X.]E 174, 523, [X.] 1994, 887; vom 27. April 1995 [X.]/93, [X.]/NV 1995, 967; vom 23. November 2000 [X.]/99, [X.]E 193, 569, [X.] 2001, 279, und [X.], [X.]E 193, 558, [X.] 2001, 294; Senatsbeschluss vom 31. Mai 2007 [X.]/07, [X.]/NV 2007, 1907, jeweils m.w.N.). [X.]ie Frage, ob im Einzelfall bei Anwendung dieser Grundsätze davon auszugehen ist, dass ein Kind seinen Wohnsitz im Inland hat, es dort einen weiteren Wohnsitz hat oder seine Aufenthalte lediglich Besuchscharakter haben, hat das [X.] unter Berücksichtigung der Umstände des Falles im Wege der Tatsachenwürdigung zu beurteilen (vgl. z.B. Senatsbeschluss in [X.]/NV 2007, 1907).

Warum gleichwohl eine erneute Entscheidung des [X.] erforderlich sein soll, hat der Kläger nicht substantiiert dargelegt. [X.]ie von ihm in seiner Beschwerdebegründung geforderte "klare [X.]efinition" durch den [X.] rechtfertigt die Zulassung nicht, weil der Begriff des Wohnsitzes für das gesamte Steuerrecht bereits in § 8 [X.] definiert ist. [X.]arüber hinaus reicht es angesichts der vorhandenen Rechtsprechung insbesondere auch nicht aus, nur anzuführen, der Hinweis im Urteil in [X.]E 174, 523, [X.] 1994, 887, dass es auf die tatsächliche Gestaltung der Verhältnisse ankomme, bleibe vage und bedürfe der Auslegung, zumal sich das Senatsurteil ersichtlich nicht auf diese Aussage reduzieren lässt.

3. [X.]ie Revision ist auch nicht wegen eines [X.] zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O).

a) Zur ordnungsgemäßen Rüge der Verletzung der dem [X.] obliegenden Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 [X.]O) bedarf es der [X.]arlegung, welche Fragen tatsächlicher Art aufklärungsbedürftig waren, welche Beweismittel zu welchem Beweisthema das [X.] ungenutzt ließ, warum der Kläger nicht von sich aus einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, warum sich die Notwendigkeit der Beweiserhebung gleichwohl dem [X.] auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung hätte aufdrängen müssen und inwieweit die als unterlassen gerügte Beweiserhebung zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Ferner ist darzulegen, dass der Kläger die nach seiner Ansicht unzulängliche Sachaufklärung vor dem [X.] gerügt hat oder ihm eine solche Rüge nicht möglich gewesen sei (vgl. [X.]-Beschluss vom 19. Januar 2005 [X.]/04, [X.]/NV 2005, 921).

Vorliegend hat der Kläger insbesondere nicht dargelegt, weshalb er die --ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung 45 Minuten dauernde-- Vernehmung von [X.] als Zeugin nicht bereits in der mündlichen Verhandlung als unzureichend gerügt oder eine weitere Beweisaufnahme beantragt hat. [X.]arüber hinaus fehlen Ausführungen dazu, warum sich dem [X.] auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung eine weitere Beweisaufnahme auch ohne Rüge bzw. weiteren Beweisantrag hätte aufdrängen müssen.

b) Auch soweit sich der Kläger auf eine Verletzung rechtlichen Gehörs beruft, kommt eine Revisionszulassung nicht in Betracht.

aa) [X.]er Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 [X.]O) verpflichtet das [X.], die Beteiligten über den Verfahrensstoff zu informieren und ihnen Gelegenheit zur Äußerung zu geben, ihre Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit [X.] ihres Vorbringens auseinanderzusetzen (z.B. Senatsbeschluss vom 27. Juli 2007 III S 8/07, [X.]/NV 2007, 2135). Er verpflichtet das Gericht jedoch nicht, sich mit Ausführungen auseinanderzusetzen, auf die es für die Entscheidung nicht ankommt. [X.]as Gericht ist auch nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich auseinanderzusetzen (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 15. September 2006 [X.], [X.]/NV 2007, 28).

[X.]as rechtliche Gehör ist vielmehr erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls deutlich ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (z.B. Senatsbeschluss in [X.]/NV 2007, 2135). [X.]ie Gewährung rechtlichen Gehörs bedeutet zudem nicht, dass das [X.] den Kläger "erhören", sich also seinen rechtlichen Ansichten anschließen müsste (vgl. [X.]-Beschluss vom 26. November 2007 V[X.]/07, [X.]/NV 2008, 397).

bb) Eine dementsprechende Verletzung seines rechtlichen Gehörs hat der Kläger nicht schlüssig dargelegt. Eine Verletzung des Rechts auf Gehör liegt auch ersichtlich nicht vor. Zur [X.]arlegung des seiner Ansicht nach nicht berücksichtigten Sachvortrags wiederholt der Kläger weitestgehend wörtlich seine Klagebegründung. [X.]iese basierte wesentlich auf der zivilrechtlichen Bestimmung des Wohnsitzes eines Kindes gemäß § 11 i.V.m. §§ 7, 8 des Bürgerlichen Gesetzesbuches ([X.]). Hiermit hat sich das [X.] in seinen Entscheidungsgründen jedoch durchaus auseinander gesetzt, was der Kläger mit seinen Einschränkungen der "nicht hinreichenden Berücksichtigung" und "nicht richtigen Würdigung" letztlich auch einräumt. So hat das [X.] --im Einklang mit der Senatsrechtsprechung-- ausgeführt, dass der steuerrechtliche Wohnsitzbegriff [X.] von § 8 [X.] an die tatsächliche Gestaltung anknüpft, so dass auch ein Minderjähriger --abweichend von § 11 [X.] und unabhängig vom Willen des gesetzlichen [X.] einen steuerlichen Wohnsitz begründen kann (vgl. Senatsurteil in [X.]E 174, 523, [X.] 1994, 887). Aufgrund des vom zivilrechtlichen Begriff des Wohnsitzes abweichenden steuerrechtlichen Wohnsitzbegriffes musste sich das [X.] dann insbesondere nicht weiter mit der von dem Kläger zur Stützung seiner Auffassung herangezogenen zivilrechtlichen Rechtsprechung auseinandersetzen. [X.]ass das [X.] die vom Kläger und [X.] dargestellten Umstände nicht in seinem Sinne gewürdigt und auch der von ihm vertretenen Rechtauffassung nicht gefolgt ist, stellt keine Verletzung rechtlichen Gehörs dar.

c) Soweit sich der Kläger in diesem Zusammenhang schließlich gegen die (vermeintlich) fehlerhafte tatrichterliche Beweiswürdigung wendet, macht er keinen Verfahrensfehler, sondern eine falsche materielle Rechtsanwendung geltend, die grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führt.

Meta

III B 218/11

26.03.2012

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend FG Köln, 15. September 2011, Az: 8 K 4137/07, Urteil

Art 103 Abs 1 GG, § 8 AO, § 76 Abs 1 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 7 BGB, § 8 BGB, § 11 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26.03.2012, Az. III B 218/11 (REWIS RS 2012, 7763)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7763

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