Bundessozialgericht, Beschluss vom 12.10.2016, Az. B 11 AL 48/16 B

11. Senat | REWIS RS 2016, 4147

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss vor Ablauf der Anhörungsfrist - absoluter Revisionsgrund


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird der Beschluss des [X.] vom 10. Mai 2016 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Streitig ist ein Anspruch auf Zahlung von Insolvenzgeld ([X.]) für die [X.] vom 1.8. bis 31.10.2006 wegen Insolvenz der [X.] ([X.]C) Ltd, F, als möglicher Arbeitgeberin. Fraglich ist insbesondere, ob der Anspruch wegen der Insolvenz dieses Unternehmens entstanden ist, oder ob der Kläger Arbeitnehmer der [X.], [X.], war, nach deren Insolvenz ihm [X.] gezahlt worden ist.

2

Das [X.] hat die auf [X.] wegen des mangels Masse abgewiesenen Insolvenzantrags der [X.]C Ltd. gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 6.5.2015). Das [X.]essische [X.] hat die Berufung des [X.] durch Beschluss ohne [X.] vom [X.] zurückgewiesen.

3

Der Kläger rügt mit der Nichtzulassungsbeschwerde einen Verfahrensfehler des [X.]. Dieses habe vor der durch Beschluss getroffenen Entscheidung die [X.] nach § 153 Abs 4 [X.] [X.] verletzt. Zwar habe es ihm mit Verfügung vom 15.4.2016 mitgeteilt, dass es beabsichtige, durch Beschluss zu entscheiden und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme bis 20.5.2016 gegeben. Er habe auf den richterlichen [X.]inweis vom 15.4.2016 mit Telefax vom [X.] die Ansicht vertreten, dass dieser nicht den prozessrechtlichen Anforderungen an einen wirksamen [X.]inweis genüge. Darauf habe das [X.] bereits am [X.] durch Beschluss entschieden. Da er keine Gelegenheit gehabt habe, sich weiter zu äußern, stehe die Entscheidung vor Fristablauf dem Ausfall der Anhörung gleich. In diesen Fällen werde das Beruhen der Entscheidung auf dem Verfahrensfehler unwiderleglich vermutet.

4

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Die fristgerecht eingelegte Beschwerde genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 [X.], denn sie bezeichnet substantiiert Tatsachen (vgl dazu BSG SozR 1500 § 160a [X.], 34, 36), aus denen sich eine Verletzung des § 153 Abs 4 [X.] [X.] ergeben kann.

5

Die Beschwerde ist auch begründet, denn die gerügte Verletzung des § 153 Abs 4 [X.] [X.] liegt vor. Das [X.] hat gemäß § 153 Abs 4 S 1 [X.] durch Beschluss entschieden, obwohl die von ihm gesetzte Frist zur Stellungnahme noch nicht abgelaufen war und der Kläger sich auch nicht abschließend zur Sache geäußert hatte.

6

Zwar hat das [X.] den Kläger unter dem 15.4.2016 darauf hingewiesen, dass es in Betracht ziehe, dessen Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung [X.] zurückzuweisen. Die Anhörungsmitteilung hat - entgegen der Auffassung des [X.] - den prozessrechtlichen Anforderungen entsprochen (vgl [X.], NVwZ 2016, 806, 809; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 11. Aufl 2014, § 153 Rd[X.] 19 mwN). Auch die dem Kläger gesetzte Frist zur Äußerung bis 20.5.2016 ist angemessen gewesen.

7

Vor Ablauf der vom Gericht gesetzten [X.] darf das Gericht aber grundsätzlich nicht entscheiden (BSG vom 11.5.1995 - 2 [X.] 43/94 - [X.]VBG-Info 1995, 2372; [X.], NVwZ 2016, 806, 811). Ausnahmsweise muss es den Ablauf der von ihm gesetzten, angemessenen Frist zur Stellungnahme dann nicht abwarten, wenn ein Beteiligter sich vor Fristablauf abschließend geäußert hat (Roller in [X.]K-[X.], § 105 Rd[X.] 8; E. [X.]auck in [X.]ennig, [X.], § 105 Rd[X.] 51).

8

Der Kläger hat sich nach Zugang der Anhörungsmitteilung am [X.] geäußert und geltend gemacht, diese Mitteilung genüge nicht den prozessrechtlichen Anforderungen. Der Stellungnahme des [X.] lässt sich aber nicht entnehmen, dass dieser sich zu dem Rechtstreit oder der Absicht, über diesen ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, abschließend geäußert hat. Dem Inhalt der Äußerung und den sie begleitenden Umständen ist nicht zu entnehmen, dass der Kläger sich damit zur Sache selbst oder zur in Aussicht genommenen Verfahrensweise abschließend geäußert hätte. Nach seinem (nur) formalen Einwand hätte er sich möglicherweise veranlasst gesehen, vor Ablauf der Frist eine Stellungnahme zur Sache oder zum weiteren Verfahren abzugeben, wenn das [X.] seinen Einwand entweder zurückgewiesen hätte oder er bis kurz vor Ablauf der Frist ohne Reaktion geblieben wäre. Denn in einer solchen prozessualen Situationen hätte er damit rechnen müssen, dass das [X.] ohne weiteres Vorbringen wie angekündigt verfahren werde.

9

Da das [X.] vor Ablauf der von ihm gesetzten [X.] entscheiden hat, liegt eine Verletzung des § 153 Abs 4 [X.] [X.] vor. Der darin liegende Anhörungsmangel ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 202 S 1 [X.] iVm § 547 [X.] 1 ZPO), bei dem das Beruhen der Entscheidung auf dem Verfahrensfehler vermutet wird. Denn der Verfahrensfehler führt auch zu einer unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (BSG Beschluss vom 17.11.2015 - [X.] KR 65/15 B; BSG Beschluss vom 24.2.2016 - [X.]3 R 341/15 B).

Der Senat macht von dem ihm durch § 160a Abs 5 [X.] eingeräumten Ermessen dahingehend Gebrauch, dass das Urteil des [X.] aufgehoben und der Rechtsstreit an dieses zurückverwiesen wird.

Das [X.] wird in der abschließenden Kostenentscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entschieden haben.

Meta

B 11 AL 48/16 B

12.10.2016

Bundessozialgericht 11. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Frankfurt, 6. Mai 2015, Az: S 1 AL 108/09

§ 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 202 S 1 SGG, § 547 Nr 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 12.10.2016, Az. B 11 AL 48/16 B (REWIS RS 2016, 4147)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 4147

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