Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.04.2023, Az. B 9 V 38/22 B

9. Senat | REWIS RS 2023, 2657

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Gegenstand

(Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - rechtliches Gehör - Kenntnisnahme des Berufungsvorbringens durch das LSG - Aufgreifen in den Entscheidungsgründen - Aufklärungspflicht - Übergehen eines Beweisantrags - Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 SGG - anwaltlich vertretener Beteiligter - erforderliche Aufrechterhaltung des Beweisantrags - Darlegungsanforderungen)


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 10. November 2022 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit hat das [X.] einen Anspruch der Klägerin auf Anerkennung eines Impfschadens nach dem [X.] aufgrund einer 1995 mit dem Wirkstoff Impfstoff Oral-Virelon T1 durchgeführten Auffrischungsimpfung gegen Poliomyelitis verneint (Beschluss vom 10.11.2022).

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim [X.] eingelegt und mit Verfahrensmängeln begründet.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G gebotenen Form. Die Klägerin hat den von ihr allein geltend gemachten Zulassungsgrund des [X.] (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) nicht in der danach vorgeschriebenen Weise bezeichnet.

4

1. Die Klägerin macht geltend, die angegriffene Entscheidung des [X.] beruhe auf einem Verfahrensmangel, weil das [X.] ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 [X.]G) verletzt und gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 [X.]G) verstoßen habe.

5

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.]G vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des [X.] die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des [X.] ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G und auf eine Verletzung des § 103 [X.]G nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des [X.] möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl stRspr; zB [X.] Beschluss vom 10.6.2021 - B 9 V 56/20 B - juris Rd[X.] 7; [X.] Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.]0 Rd[X.] 16, jeweils mwN). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

6

a) Den an die Darlegung einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 [X.]G) zu stellenden Anforderungen genügt der Beschwerdevortrag der Klägerin nicht. Sie legt zwar dar, welches Vorbringen das [X.] ihrer Meinung nach nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt haben soll. Ihrer Begründung lässt sich aber - anders als erforderlich - nicht entnehmen, aus welchen Umständen geschlossen werden könnte, dass das [X.] dieses Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen haben könnte. Hierzu fehlen bereits Angaben zum Inhalt der angefochtenen Entscheidung. Deren Begründung wird von der Klägerin in nur drei Sätzen zusammengefasst. Danach hat das [X.] ua ausgeführt, ihr Vortrag im Berufungsverfahren begründe keine andere Entscheidung. Dem ist jedoch zu entnehmen, dass das [X.] das Berufungsvorbringen sehr wohl zur Kenntnis genommen hat, diesem aber nicht gefolgt ist. Hierin liegt jedoch keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Denn dieser gebietet lediglich, dass die Gerichte die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen, es verpflichtet sie aber nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen, ihn also zu "erhören" ([X.] Beschluss vom [X.] - 1 BvR 2933/13 - juris Rd[X.] 12 f; [X.] Beschluss vom [X.] SB 68/21 B - juris Rd[X.] 10). Vielmehr entscheidet das Gericht nach § 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung, und ein Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung dieser Vorschrift gestützt werden (§ 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G). Diese Regelungen dürfen auch nicht durch die Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs umgangen werden ([X.] Beschluss vom [X.] - B 9 SB 7/22 B - juris Rd[X.] 10; [X.] Beschluss vom [X.] - B 12 R 31/21 B - juris Rd[X.] 18).

7

b) Unzulässig ist die Beschwerde auch mit Blick auf die von der Klägerin in die [X.] eingebundene Rüge, wonach das [X.], wie bereits das in erster Instanz mit der Sache befasste [X.], verfahrensfehlerhaft davon abgesehen habe, weitere Sachverständigengutachten von Amts wegen nach § 103 [X.]G einzuholen.

8

Wie bereits ausgeführt, kann die Geltendmachung eines [X.] wegen Verletzung des § 103 [X.]G ([X.]) gemäß § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G nur darauf gestützt werden, dass das [X.] einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zudem kann ein - wie hier - in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt (stRspr; zB [X.] Beschluss vom 30.8.2022 - B 9 SB 17/22 B - juris Rd[X.] 7; [X.] Beschluss vom [X.] - B 9a [X.]/06 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] 13 Rd[X.] 11). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn - wie hier - das [X.] von der ihm durch § 153 Abs 4 [X.]G eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen, weil es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der in einem solchen Fall den Beteiligten zugestellten Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 [X.]G muss jedenfalls ein anwaltlich vertretener Beteiligter auch entnehmen, dass das Berufungsgericht keine weitere Sachaufklärung mehr beabsichtigt und dass es etwaige schriftsätzlich gestellte Beweisanträge lediglich als Beweisanregungen, nicht aber als förmliche Beweisanträge iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G ansieht. Nach Zugang der Anhörungsmitteilung muss daher der Beteiligte, der schriftsätzlich bereits gestellte Beweisanträge aufrechterhalten will, dem [X.] ausdrücklich die Aufrechterhaltung dieser Anträge mitteilen oder neue förmliche Beweisanträge stellen (vgl stRspr; zB [X.] Beschluss vom 30.8.2022 - B 9 SB 17/22 B - juris Rd[X.] 7; [X.] Beschluss vom 16.7.2019 - B 13 R 150/19 B - juris Rd[X.] 14). Dass dies der Fall gewesen wäre, hat die Klägerin in der Beschwerdebegründung ebenso wenig dargetan wie eine Erwähnung von Beweisanträgen durch das [X.] in der angefochtenen Entscheidung. Das Verbot der Umgehung der Einschränkungen des § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G gilt auch für die Rüge einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht (stRspr; zB [X.] Beschluss vom 30.8.2022 - B 9 SB 17/22 B - juris Rd[X.] 10; [X.] Beschluss vom 18.5.2016 - B 5 RS 10/16 B - juris Rd[X.] 8).

9

c) Dass die Klägerin die Entscheidung des [X.] inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB [X.] Beschluss vom 6.7.2022 - [X.] [X.] B - juris Rd[X.] 10; [X.] Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] 22 Rd[X.] 4).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

2. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 [X.]G durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

3. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 [X.]G.

Kaltenstein

Ch. [X.]

Othmer

Meta

B 9 V 38/22 B

17.04.2023

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: V

vorgehend SG Wiesbaden, 21. März 2022, Az: S 3 VE 3/16, Urteil

§ 62 SGG, § 103 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.04.2023, Az. B 9 V 38/22 B (REWIS RS 2023, 2657)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2657

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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