Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.11.2017, Az. 3 StR 385/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2017, 1464

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Gegenstand

Revision im Strafverfahren wegen Körperverletzung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen: Auslegung einer widersprüchlichen Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft mit Rechtsmittelbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch; Revisionsbeschränkung auf eine Verwarnung mit Strafvorbehalt und die unterbliebene Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus; tatrichterliche Gefährlichkeitsprognose


Tenor

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 1. März 2017 wird verworfen.

2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung sowie Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwarnt und die Verurteilung zu einer [X.] von 30 Tagessätzen zu je 2 € vorbehalten. Von der Anordnung seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es abgesehen. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und auf den "Rechtsfolgenausspruch" beschränkte Revision der [X.]taatsanwaltschaft wendet sich mit der [X.]achrüge gegen die Anwendung des § 59 [X.]tGB und die unterbliebene Anordnung der Maßregel nach § 63 [X.]tGB. Das vom [X.] nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2

1. Nach den Feststellungen hatte der bei Urteilsverkündung 42-jährige Angeklagte eine frühkindliche irreparable Hirnschädigung erlitten, auf Grund derer er leicht intelligenzgemindert ist (IQ von etwa 58). Bei einem Unfall im jungen Erwachsenenalter hatte er sich eine Kopfverletzung mit Hirnblutung zugezogen, als deren Folge sich eine [X.], schizophrenieforme [X.]törung entwickelte.

3

Am 27. Januar 2016 beging der Angeklagte die zwei verfahrensgegenständlichen Taten:

4

a) Gegen Mittag erschien der Zeuge [X.]     , der Wiedereingliederungsbetreuer des Angeklagten, mit dessen langjähriger Lebensgefährtin sowie einer Mitarbeiterin der [X.] in der von dem Paar gemeinsam genutzten Wohnung. Am Tag zuvor hatte die Lebensgefährtin dem Angeklagten gegenüber erklärt, sie werde sich von ihm trennen und ausziehen. Der Angeklagte, der noch im Bett lag, bat den Zeugen [X.]      darum, in Ruhe gelassen zu werden, und beantwortete dessen Fragen nicht.

5

Als der Angeklagte hörte, dass darüber gesprochen wurde, einen Krankenwagen zu rufen, einen Facharzt zu kontaktieren oder ihn gegebenenfalls zwangsweise stationär in einer psychiatrischen Klinik unterbringen zu lassen, stand er auf, ging auf den Zeugen [X.]      zu und schlug mit der Faust in die Richtung dessen Kopfes. Dem körperlich weit überlegenen Wiedereingliederungsbetreuer gelang es, den [X.]chlag abzuwehren und die Hände des Angeklagten festzuhalten. Bei der anschließenden Rangelei fielen beide zu Boden; der Zeuge [X.]      stürzte auf das Knie. Dies war für ihn schmerzhaft und führte zu einer kurzzeitigen Rötung des Knies, was der Angeklagte für möglich hielt und billigend in Kauf nahm.

6

b) Kurz nachdem der Zeuge [X.]      die Wohnung verlassen hatte, folgte ihm der Angeklagte nach draußen. Auf der [X.]traße vor dem in einem eng besiedelten Wohngebiet gelegenen Haus, zeigte er in Richtung des [X.] den "Hitlergruß".

7

2. Das sachverständig beratene [X.] hat angenommen, der Angeklagte habe bei beiden Taten im Zustand verminderter [X.]chuldfähigkeit im [X.]inne des § 21 [X.]tGB gehandelt. Der festgestellte psychische Defekt, der primär durch die [X.], schizophrenieforme [X.]törung, sekundär durch die Intelligenzminderung geprägt sei, habe zur Tatzeit seine Fähigkeit erheblich herabgesetzt, nach vorhandener Unrechtseinsicht zu handeln. Von der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das [X.] abgesehen, weil es eine Gefährlichkeit des Angeklagten im [X.]inne des § 63 [X.]atz 1 und 2 [X.]tGB verneint hat.

II.

8

1. Die Revision der [X.]taatsanwaltschaft ist rechtswirksam auf die Anwendung des § 59 [X.]tGB sowie die unterbliebene Anordnung der Maßregel nach § 63 [X.]tGB beschränkt.

9

a) Zwar hat die [X.]taatsanwaltschaft in ihrer [X.] eingangs die Beschränkung des Rechtsmittels auf den gesamten Rechtsfolgenausspruch erklärt und abschließend die Aufhebung des angefochtenen Urteils in diesem Umfang beantragt. Hiermit stimmt jedoch der übrige Inhalt der [X.] nicht überein. Aus dieser ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin das Urteil allein deshalb für rechtsfehlerhaft hält, weil die [X.] darauf erkannt hat, den Angeklagten unter Vorbehalt der verhängten [X.] zu verwarnen, und die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt hat. Rechtliche Bedenken gegen die Bestimmung der Höhe der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe sind nicht geltend gemacht. Vielmehr hat die [X.]taatsanwaltschaft - im rechtlichen Ansatz zutreffend - ausgeführt, von einer Beschränkung der Revision allein auf die [X.] der Maßregel nach § 63 [X.]tGB schon deshalb abzusehen, weil dies in Anbetracht des § 59 Abs. 2 [X.]atz 2 [X.]tGB nicht in Betracht komme. Die daraus gezogene Konsequenz - Anfechtung des Rechtsfolgenausspruchs insgesamt - geht indes zu weit. Die Möglichkeit einer innerhalb des [X.]trafausspruchs zu erklärenden Rechtsmittelbeschränkung auf die Anwendung des § 59 [X.]tGB hat die Beschwerdeführerin ersichtlich nicht bedacht.

Folglich widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der [X.]. In einem solchen Fall ist nach ständiger Rechtsprechung das Angriffsziel durch Auslegung zu ermitteln (vgl. [X.], Urteile vom 11. Juni 2014 - 2 [X.], [X.]R [X.] § 344 Abs. 1 Antrag 9; vom 18. Dezember 2014 - 4 [X.]tR 468/14, [X.], 88; vom 22. Februar 2017 - 5 [X.]tR 545/16, juris Rn. 10, jeweils mwN). Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 1, 2 [X.] ist das [X.] dahin zu verstehen, dass die [X.]taatsanwaltschaft die Höhe der festgesetzten [X.]trafen nicht angreifen will.

b) Die Beschränkung der Revision auf den Ausspruch der Verwarnung mit [X.]trafvorbehalt und die unterbliebene Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist rechtswirksam.

Entgegen verbreiteter Ansicht (grundlegend [X.], Beschluss vom 9. Juni 1976 - 2 [X.]s 229/76, [X.] 1976, 1041; s. [X.], [X.]tGB, 65. Aufl., § 59 Rn. 11; [X.]/[X.], [X.], 26. Aufl., § 318 Rn. 99; LK/Hubrach, [X.]tGB, 12. Aufl., § 59 Rn. 25) kann die Revision grundsätzlich auch auf die Anwendung des § 59 [X.]tGB beschränkt werden, ohne dass die [X.]trafzumessung im Übrigen angegriffen werden müsste. Es ist kein Grund ersichtlich, die Verwarnung mit [X.]trafvorbehalt insoweit anders zu behandeln als die [X.]trafaussetzung zur Bewährung (ebenso - allerdings unter Bezugnahme auf mittlerweile überholte Rechtsprechung bezüglich § 56 [X.]tGB - [X.], Beschluss vom 9. Juni 1976 - 2 [X.]s 229/76, aaO). Eine isolierte Anfechtung einer Bewährungsentscheidung ist grundsätzlich zulässig, es sei denn, die hierfür maßgeblichen Gesichtspunkte sind so eng mit den [X.] verknüpft, dass das Rechtsmittel notwendig den ganzen [X.]trafausspruch erfasst, oder es besteht die Gefahr, dass das nach einem Teilrechtsmittel stufenweise entstehende Gesamturteil nicht mehr frei von inneren Widersprüchen bliebe (vgl. [X.], Urteile vom 6. April 1982 - 4 [X.], [X.], 285, 286; vom 9. Februar 1983 - 3 [X.], NJW 1983, 1624; Beschluss vom 15. Mai 2001 - 4 [X.]tR 306/00, [X.][X.]t 47, 32, 35; BayObLG, Urteil vom 15. Juli 2004 - 5 [X.] 182/04, [X.], 336, 337; [X.], § 56 Rn. 27; [X.]/[X.], [X.], 26. Aufl., § 344 Rn. 40; KK-Gericke, [X.], 7. Aufl., § 344 Rn. 12; [X.]/[X.] aaO, Rn. 96; [X.]/[X.]-[X.]tree/[X.], [X.]tGB, 29. Aufl., § 56 Rn. 65; [X.] [X.]/Wiedner, § 344 Rn. 25, 25.2). Entsprechendes hat für die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Frage der Anwendung des § 59 [X.]tGB zu gelten.

Eine Ausnahmekonstellation, die der innerhalb des [X.]trafausspruchs isolierten Anfechtung der Verwarnungs- und Vorbehaltsentscheidung entgegenstünde, ist hier nicht gegeben. Es liegen keine Umstände vor, aus denen sich eine untrennbare Verknüpfung der Erörterungen zu dieser Frage mit denjenigen zur [X.]chuld- und sonstigen [X.]traffrage ergibt; auch innere Widersprüche infolge der [X.] sind - unabhängig vom Erfolg des Rechtsmittels - nicht zu besorgen. Insbesondere wendet sich die Beschwerdeführerin nicht gegen die (getroffene bzw. unterlassene) Feststellung oder Bewertung doppelrelevanter Tatsachen.

2. Die sachlichrechtliche Überprüfung der Entscheidungen, den Angeklagten gemäß § 59 [X.]tGB unter Vorbehalt der festgesetzten [X.] zu verwarnen und die Maßregel des § 63 [X.]tGB nicht anzuordnen, hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler ergeben.

a) Die von der [X.] ausgesprochene Verwarnung mit [X.]trafvorbehalt kann bestehen bleiben.

aa) Im Hinblick auf die Höhe der [X.] ist der Anwendungsbereich des § 59 Abs. 1 [X.]atz 1 [X.]tGB eröffnet. Die Vorschrift ist auch nicht deshalb gemäß § 59 Abs. 2 [X.]atz 2 [X.]tGB unanwendbar, weil daneben auf Maßregeln der Besserung und [X.]icherung zu erkennen gewesen wäre (dazu im Einzelnen unten b).

bb) Des Weiteren hat die [X.] rechtsfehlerfrei die in § 59 Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 1 bis 3 [X.]tGB normierten tatbestandlichen Voraussetzungen mit Blick auf den ihr zustehenden Bewertungsspielraum bejaht und das ihr eingeräumte gesetzliche Rechtsfolgeermessen ausgeübt (UA [X.]. 15 ff.).

[X.]oweit die Revision ausführt, die [X.] habe verkannt, dass § 59 Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 2 [X.]tGB "besondere Umstände in der Tat und der Persönlichkeit des Täters" verlange, gibt sie den Gesetzeswortlaut nicht zutreffend wieder. Denn die Vorschrift setzt das Vorliegen besonderer Umstände "nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Täters" voraus. Gegen die Annahme solcher besonderen Umstände auf Grund wertender Betrachtung ist hier revisionsrechtlich nichts zu erinnern.

b) Das Absehen von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus begegnet ebenfalls keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die [X.] hat rechtsfehlerfrei eine Gefährlichkeit des Angeklagten im [X.]inne des § 63 [X.]atz 1 und 2 [X.]tGB verneint.

aa) Für eine negative Gefährlichkeitsprognose muss nach § 63 [X.]atz 1 [X.]tGB eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher [X.]chaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere [X.]törungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen [X.](en) zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Angeklagten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschlüsse vom 24. Oktober 2013 - 3 [X.]tR 349/13, juris Rn. 5; vom 29. April 2014 - 3 [X.]tR 171/14, juris Rn. 5; vom 16. [X.]eptember 2014 - 3 [X.]tR 372/14, juris Rn. 4; vom 21. Dezember 2016 - 1 [X.]tR 594/16, juris Rn. 10; vom 21. Februar 2017 - 3 [X.]tR 535/16, [X.]tV 2017, 575, 576).

Liegen - wie hier - nur geringfügige [X.]en vor, gelten gemäß § 63 [X.]atz 2 [X.]tGB verschärfte Darlegungsanforderungen; die besonderen Umstände im [X.]inne dieser Vorschrift müssen die schmale Tatsachenbasis infolge der anders gelagerten Anlassdelikte ausgleichen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 21. Februar 2017 - 3 [X.]tR 535/16, aaO, [X.]. 577; vom 7. März 2017 - 5 [X.]tR 609/16, N[X.]tZ-RR 2017, 171; vom 5. [X.]eptember 2017 - 3 [X.]tR 329/17, juris Rn. 5).

bb) Gemessen daran hält die vom [X.] getroffene Prognoseentscheidung rechtlicher Nachprüfung stand.

(1) Dass die Gefahr künftiger erheblicher rechtswidriger Taten als gering einzustufen ist, hat die [X.] im Wesentlichen wie folgt begründet:

Mit dem psychiatrischen [X.]achverständigen sei auszuschließen, dass der Angeklagte die Taten in einer den Realitätsbezug aufhebenden psychotischen Episode mit [X.] begangen habe. Zwar träten bei ihm immer wieder solche Episoden auf, die mit einer ausgeprägten Angstsymptomatik sowie psychomotorischer Unruhe und Agitiertheit einhergingen, wodurch stationäre psychiatrische Behandlungen erforderlich würden. Auch sei in der Vergangenheit, mit Urteil vom 5. Juni 2007, wegen wahnbedingter Delikte die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus unter Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung angeordnet worden. Im Mai 2006 habe der Angeklagte in einem akuten psychotischen [X.]chub der wahnhaft-organischen, schizophrenieformen [X.]törung Wahnvorstellungen entwickelt und - ohne Unrechtseinsicht - aus Angst den Willen eines imaginären "[X.]" vollzogen gehabt, indem er insbesondere zwei Messerattacken auf Unbeteiligte ausgeführt gehabt habe. Anders als damals habe der Angeklagte jedoch zur hiesigen Tatzeit wegen der regelmäßigen medikamentösen Versorgung nicht unter Wahnvorstellungen gelitten. Vielmehr habe er "in der Tatsituation extremen [X.]tress empfunden", womit er auf Grund seiner Krankheit nur schwer habe umgehen können; deshalb sei er "raptusartig entgleist" (UA [X.]. 10 f.).

Mit - ein erhöhtes Deliktsrisiko bergenden - Wahnvorstellungen sei auch künftig nicht zu rechnen, weil der Angeklagte krankheitseinsichtig sei und zuverlässig seit Langem eine Depotmedikation in Anspruch nehme. Die medikamentöse Behandlung habe der Angeklagte fortgesetzt, auch als die entsprechende Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht (s. § 67b Abs. 2, § 68 Abs. 2, § 68b Abs. 2 [X.]atz 1, 2 [X.]tGB) ab dem 10. Juli 2012 nicht mehr bestanden habe. Er sei seit den früheren Taten im Mai 2006 und wieder seit den verfahrensgegenständlichen Taten im Januar 2016 nicht durch körperliche Gewalt gegenüber Dritten aufgefallen, abgesehen von "Rangeleien", die bei zwangsweisen Einweisungen in die psychiatrische Klinik stattgefunden hätten und die für die dort Bediensteten Routine seien. Er habe die Taten in einer emotionalen Ausnahmesituation (Trennungserklärung der Lebensgefährtin am Tag zuvor) und stressbelasteten Konfliktsituation (In-Aussicht-[X.]tellen eines stationären Aufenthalts in der psychiatrischen Klinik) begangen, wobei er zur Konfliktentstehung nichts beigetragen habe, vielmehr generell Auseinandersetzungen meide, indem er sich zurückziehe. Die Möglichkeit einer vergleichbaren tatauslösenden Ausgangslage sei "eher fernliegend" (UA [X.]. 18 ff.).

(2) Diese Erwägungen sind frei von [X.]. Die [X.] hat insbesondere darauf abstellen dürfen, dass der Angeklagte über lange Zeit strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist (zum Kriterium der Vordelinquenz vgl. nur [X.], Beschluss vom 22. August 2017 - 3 [X.]tR 249/17, juris Rn. 20 mwN), und dabei geringfügigen körperlichen Auseinandersetzungen anlässlich zwangsweiser Einweisungen in die psychiatrische Klinik eine zu vernachlässigende Bedeutung beimessen dürfen (zum minderen Gewicht deliktischen Verhaltens innerhalb von Betreuungs- und Behandlungseinrichtungen vgl. nur [X.], Beschluss vom 5. [X.]eptember 2017 - 3 [X.]tR 329/17, juris Rn. 5 mwN). Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass das [X.] die überdauernde Krankheitseinsicht, verbunden mit einer langjährigen zuverlässigen Medikamenteneinnahme, risikomindernd in die gebotene umfassende Würdigung eingestellt hat.

[X.]oweit die Beschwerdeführerin unter Berufung auf das [X.]ubsidiaritätsprinzip meint, das [X.] habe die [X.] der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht (auch) mit der regelmäßigen Medikamenteneinnahme begründen dürfen, sondern diesen Gesichtspunkt erst im Rahmen der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung gemäß § 67b Abs. 1 [X.]atz 1 [X.]tGB berücksichtigen dürfen, ist dem nicht zu folgen. Zwar weist die Revision im Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des [X.]enats dieses Prinzip grundsätzlich nur für die Frage der Vollstreckung, nicht für die Frage der Anordnung gilt (vgl. Urteile vom 23. Februar 2000 - 3 [X.]tR 595/99, [X.]R [X.]tGB § 63 Gefährlichkeit 28; vom 14. Februar 2001 - 3 [X.]tR 455/00, juris Rn. 8; vom 11. Dezember 2008 - 3 [X.]tR 469/08, N[X.]tZ 2009, 260, 261; Beschluss vom 8. Januar 2015 - 3 [X.]tR 590/14, [X.]tV 2016, 730, 731). Jedoch nimmt die Beschwerdeführerin nicht hinreichend darauf Bedacht, dass das [X.]ubsidiaritätsprinzip das Verhältnis der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und [X.]icherung zu minder einschneidenden Maßnahmen außerhalb dieser Maßregeln (zivilrechtliche oder verwaltungsrechtliche Unterbringung, Auflagen und Weisungen nach [X.]trafaussetzung zur Bewährung, Betreuerbestellung etc.) betrifft. Derartige Maßnahmen waren hier nicht zu veranlassen, um die Gefährlichkeit des Angeklagten weiterhin auszuschließen.

[X.]oweit der [X.] darüber hinaus in einigen Entscheidungen eine konsequente medizinische Behandlung als für die Maßregelanordnung unerheblich erachtet hat (vgl. Urteile vom 20. Februar 2008 - 5 [X.]tR 575/07, juris Rn. 14; vom 31. Mai 2012 - 3 [X.]tR 99/12, juris Rn. 10; vom 6. [X.]eptember 2012 - 3 [X.]tR 159/12, juris Rn. 8), lagen dem Fälle zugrunde, in denen der langjährig psychisch erkrankte Beschuldigte erst nach der Tat - während der einstweiligen Unterbringung (§ 126a [X.]) oder einer zwangsweise durchgesetzten Therapie - erstmals bzw. erneut medikamentös eingestellt worden war und deshalb nicht auf eine wirksame Kontrolle dieser Behandlung mittels drohenden Bewährungswiderrufs gemäß § 67g Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 2 [X.]tGB verzichtet werden konnte. Hiermit ist hingegen keineswegs eine allgemeingültige Aussage dergestalt verbunden, dass bei der Gefährlichkeitsprognose eine überdauernde Krankheitseinsicht, verbunden mit einer langjährigen zuverlässigen Medikamenteneinnahme, als [X.] Faktor grundsätzlich außer Betracht zu bleiben hätte.

cc) Da das [X.] mit [X.] Begründung den Angeklagten als nicht gefährlich im [X.]inne des § 63 [X.]tGB erachtet hat, kommt es nicht darauf an, inwieweit - was der [X.] auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen für zweifelhaft hält - ein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem psychischen Defekt und einer solchen Gefährlichkeit gegeben wäre.

[X.]          

      

[X.]chäfer          

      

[X.]paniol

      

Berg          

      

Hoch          

      

Meta

3 StR 385/17

30.11.2017

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Osnabrück, 1. März 2017, Az: 15 KLs 27/16

§ 344 StPO, § 318 StPO, § 59 StGB, § 63 S 1 StGB, § 63 S 2 StGB, § 67b Abs 1 S 1 StGB, § 86a StGB, § 223 StGB, Nr 156 Abs 1 RiStBV, Nr 156 Abs 2 RiStBV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.11.2017, Az. 3 StR 385/17 (REWIS RS 2017, 1464)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 1464

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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