Bundessozialgericht, Beschluss vom 30.03.2020, Az. B 9 SB 59/19 B

9. Senat | REWIS RS 2020, 2325

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - beschränkte Berufungseinlegung - keine Rechtskraft des unangefochtenen Teils der Entscheidung - Möglichkeit der Berufungserweiterung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung - beschränkter Rechtsmittelantrag kein endgültiger Verzicht auf eine Berufung im Übrigen - Schwerbehindertenrecht - GdB-Feststellung - Gesamt-GdB-Bildung - tatsachengerichtliche Würdigung - Vorwurf der Anmaßung medizinischer Fachkompetenz - kein angreifbarer Verfahrensfehler


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 18. Juli 2019 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 ab dem 16.10.2015 anstelle des zuerkannten GdB von 30. Ein während des erstinstanzlichen Verfahrens abgegebenes Vergleichsangebot des [X.]n, den GdB ab 6.7.2017 mit 40 zu bewerten, hat der Kläger abgelehnt. Anschließend hat das [X.] den GdB mit 40 für die Zeit vor dem 6.7.2017 und mit 50 ab diesem Zeitpunkt festgestellt und die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 13.9.2018). Das L[X.] hat mit Urteil vom 18.7.2019 auf die Berufung des [X.]n die Klage umfassend abgewiesen, weil unter Berücksichtigung der Grundsätze für die Bildung des [X.] auf der Grundlage der aktenkundigen medizinischen Befunde der behandelnden Ärzte und Kliniken sowie nach den vorliegenden Gutachten im Falle des [X.] der [X.] keinesfalls mehr als 30 ab 16.10.2015 betrage. Der [X.] habe in der mündlichen Verhandlung zulässigerweise die Entscheidung des [X.] im gesamten Umfang seiner Verurteilung zur Überprüfung gestellt und die umfassende Abweisung der Klage verfolgt. Zwar habe dieser bei der schriftlichen Berufungseinlegung zunächst lediglich beantragt, das Urteil des [X.] abzuändern, soweit er verurteilt worden sei, beim Kläger ab dem 6.7.2017 einen höheren GdB als 40 festzustellen und die Klage auch insoweit abzuweisen. Der [X.] habe seine Berufung jedoch während des zweitinstanzlichen Verfahrens erweitern dürfen. Selbst wenn es sich um eine echte Änderung nach § 99 Abs 1 [X.]G gehandelt haben sollte, so sei diese zulässig, da sich der durch einen vertretungsbefugten [X.] vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung [X.] auf den erweiterten Antrag des [X.]n eingelassen habe.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim B[X.] eingelegt und rügt das Vorliegen von Verfahrensmängeln. Der [X.] habe sein Rechtsmittel beschränkt, sodass die vom L[X.] angenommene Berufungserweiterung rechtsfehlerhaft gewesen sei. Zudem habe sich das L[X.] eigene medizinische Fachkompetenz angeeignet und damit den Untersuchungsgrundsatz verletzt.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist unzulässig. Seine Begründung vom [X.] genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund eines [X.] (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G).

4

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall des [X.] darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 1 [X.]G), so müssen bei der Bezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G und auf eine Verletzung des § 103 [X.]G nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das L[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

5

a) Soweit die Beschwerde rügt, das L[X.] habe den Untersuchungsgrundsatz nach § 103 [X.]G verletzt, weil es sich insbesondere bzgl des Funktionssystems "Gehirn und Psyche" über sämtliche an dem Verfahren beteiligten Einschätzungen der Ärzte hinwegsetze und sich eine medizinische Fachkompetenz anmaße, die nur einem ausgebildetem Arzt zugesprochen werden könne, hat sie keinen Verfahrensmangel bezeichnet. Ein Verfahrensmangel kann nach § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G auf eine Verletzung des § 103 [X.]G nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das L[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Einen solchen konkreten, bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag bezeichnet die Beschwerde jedoch nicht. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus dem angefochtenen Urteil. Die tatsächlich gegen die Beweiswürdigung des L[X.] gerichtete, also auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G gestützte Rüge, kann nach der ausdrücklichen Regelung des § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G zufolge nicht zur Revisionszulassung führen. Deshalb ist es für die Frage der Zulassung zur Revision unerheblich, dass der Kläger mit der Auswertung und Würdigung der vorliegenden Arzt- und Klinikberichte durch das L[X.] bei der Bildung des [X.] nicht einverstanden ist (vgl Senatsbeschluss vom 16.11.2018 - [X.] V 26/18 B - juris Rd[X.] 10). Der Kläger berücksichtigt insoweit insbesondere nicht, dass die Bemessung des GdB nach der ständigen Rechtsprechung des Senats grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe ist (vgl Senatsbeschluss vom 9.12.2010 - [X.] SB 35/10 B - juris Rd[X.] 5 mwN). Auch sofern die Beschwerde die "Einschätzung" der ärztlichen Bewertungen durch das L[X.] rügt, wendet sie sich ausschließlich gegen dessen Beweiswürdigung und legt keine eigenständige medizinische Beurteilung des L[X.] dar, die eine Anmaßung medizinischer Fachkompetenz enthalten könnte.

6

b) Mit der weiteren Rüge, das L[X.] habe unzulässig eine "Berufungserweiterung" angenommen, weil der [X.] das Rechtsmittel insoweit beschränkt habe, "als er zur Feststellung eines über 40 liegenden [X.] verurteilt worden ist" und "insoweit auch ein Verzicht" vorliege, bezeichnet die Beschwerde ebenfalls keinen Verfahrensmangel.

7

Mit seinen Ausführungen rügt der Kläger sinngemäß, dass das L[X.] teilweise unzutreffend durch Sach- statt durch Prozessurteil entschieden habe, weil der [X.] in Bezug auf den vom [X.] zugesprochenen GdB von 40 auf seine Berufung bei deren Einlegung verzichtet habe, das erstinstanzliche Urteil insoweit rechtskräftig geworden sei und die tatsächlich getroffene Sachentscheidung des L[X.] sich damit über den Einwand der Rechtskraft hinweggesetzt haben könnte (vgl zum Verfahrensmangel bei Entscheidung durch Sach- statt Prozessurteil zB Senatsbeschluss vom 6.10.2011 - [X.] SB 45/11 B - [X.] 4-1500 § 144 [X.] 7 Rd[X.] 6; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 12. Aufl 2017, § 160 Rd[X.] 19 jeweils mwN). Hierzu hätte sich der Kläger dann aber zunächst mit der Frage auseinandersetzen müssen, unter welchen Voraussetzungen ein beschränkter [X.] einen Verzicht auf die Anfechtung des Urteils im Übrigen bedeuten kann und in welchem Umfang Rechtskraft eintritt.

8

Nach § 202 Satz 1 [X.]G iVm § 705 Satz 2 ZPO wird der Eintritt der Rechtskraft durch rechtzeitige Einlegung des Rechtsmittels gehemmt. Diese Hemmungswirkung erfasst grundsätzlich das gesamte Urteil und nicht lediglich den Teil, der in der [X.] oder in der [X.] als angefochten bezeichnet ist, weil bei einem statthaften Rechtsmittel eine Erweiterung der [X.] bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zulässig ist, soweit nicht hinsichtlich des nicht mehr im Streit stehenden Teils ein eindeutiger Rechtsmittelverzicht erklärt wird (vgl B[X.] Beschluss vom 11.10.1991 - 7 [X.] - [X.] 3-1750 § 706 [X.] 1 S 5 mwN; [X.] Urteil vom 12.11.1997 - [X.] - juris Rd[X.] 14; [X.] Urteil vom 6.10.1987 - VI ZR 155/86 - juris Rd[X.] 5). Ein Rechtsmittelverzicht muss dabei unmissverständlich den Willen zum Ausdruck bringen, dass sich ein Beteiligter mit der Entscheidung zufrieden gibt (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 12. Aufl 2017, vor § 143 Rd[X.] 11 mwN). Die Stellung beschränkter [X.] enthält für sich allein im Zweifel keinen Verzicht auf die Anfechtung des Urteils im Übrigen oder auf eine künftige Erweiterung des [X.] (vgl [X.] Urteil vom 12.11.1997 - [X.] - juris Rd[X.] 14). Denn erst mit dem Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Rechtsmittelgericht steht auch für die Berufung fest, wie weit die Entscheidung der Vorinstanz angefochten wird. Bis dahin hat der [X.] nur vorläufigen Charakter und kann im Rahmen der Begründung noch erweitert werden (vgl [X.] Urteil vom 6.10.1987 - VI ZR 155/86 - juris Rd[X.] 5 mwN). Darlegungen hierzu enthält die Beschwerdebegründung nicht.

9

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

3. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 [X.]G durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

4. [X.] beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

Meta

B 9 SB 59/19 B

30.03.2020

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Freiburg (Breisgau), 13. September 2018, Az: S 17 SB 3782/16, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 103 SGG, § 128 Abs 1 S 1 SGG, § 141 SGG, § 202 S 1 SGG, § 705 S 2 ZPO, § 152 Abs 1 S 1 SGB 9 2018, § 152 Abs 3 S 1 SGB 9 2018, § 2 VersMedV, Anlage Teil A Nr 3 VersMedV

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 30.03.2020, Az. B 9 SB 59/19 B (REWIS RS 2020, 2325)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2325

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