Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.12.2017, Az. IV ZR 319/16

4. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 705

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

VERSPÄTUNG/PRÄKLUSION BERUFUNG KURZER PROZESS NOVENRECHT

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Deckungsschutz in der Kfz-Kaskoversicherung wegen des Diebstahls eines Pkw: Gehörsverletzung bei Zurückweisung konkretisierenden Vortrags in der zweiten Instanz; Ermittlung nicht bekannter Umstände; Beweislast des Versicherers für Wahrscheinlichkeit eines vorgetäuschten Kfz-Diebstahls


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird die Revision gegen den Beschluss des [X.] - 8. Zivilsenat - vom 25. Oktober 2016 zugelassen.

Der vorbezeichnete Beschluss wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 49.065,49 €

Gründe

1

[X.] Der Kläger begehrt von der Beklagten aus einer bei dieser unterhaltenen Teilkaskoversicherung eine Entschädigung in einer Gesamthöhe von 49.065,49 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten wegen des behaupteten Diebstahls eines PKW [X.] Cabrio.

2

Dieses Fahrzeug hatte der Kläger im Januar 2011 von einem Verkäufer in [X.] erworben und anschließend nach [X.] eingeführt. Am 11. November 2013 meldete er das Fahrzeug bei der Polizei als gestohlen. Nachfolgend übergab er der Polizei einen Fahrzeugschlüssel und erklärte dazu, nur diesen einen Schlüssel erhalten zu haben. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen stimmt dieser Schlüssel nicht mit den beim Hersteller zum streitgegenständlichen PKW gespeicherten Daten zur mechanischen und elektronischen Schließvorrichtung überein.

3

Der Kläger, der einen gewerblichen Autohandel betreibt, behauptet, er habe das Fahrzeug am 5. November 2013 auf seinem Ausstellungsparkplatz in [X.]     abgestellt, um es dort "winterfest" zu machen und anschließend in die Garage zu stellen, am 8. November 2013 zuletzt dort gesehen und am 11. November 2013 nicht mehr aufgefunden. In der Zwischenzeit sei es entwendet worden. Die Schließanlage des PKW sei vor der Auslieferung an ihn in [X.] komplett ausgetauscht worden. In der ersten Instanz hat er zuletzt behauptet, dieser Austausch sei am 11. Januar 2011 erfolgt; im Berufungsverfahren hat er als Datum des [X.] den 4. Januar 2011 angegeben.

4

Die Beklagte behauptet einen lediglich vorgetäuschten Diebstahl. Sie verweist darauf, dass Ort und Grund des [X.] nicht nachvollziehbar seien, sowie auf verschiedene widersprüchliche Angaben des [X.] und den Umstand des nicht zum Fahrzeug passenden Schlüssels.

5

I[X.] In den Vorinstanzen ist die Klage erfolglos geblieben.

6

Das Berufungsgericht hat - wie schon das [X.] - offen gelassen, ob das äußere Bild eines Fahrzeugdiebstahls bewiesen ist, und die erhebliche Wahrscheinlichkeit der bloßen Vortäuschung eines Diebstahls bejaht.

7

Das ergebe sich zunächst daraus, dass der vom Kläger vorgelegte Fahrzeugschlüssel nicht mit den beim Hersteller gespeicherten Daten zur Schließvorrichtung übereinstimme. Diese Nichtübereinstimmung ließe sich nur mit einem vollständigen Austausch sowohl der mechanischen als auch der elektronischen Schließeinrichtung erklären. Anhaltspunkte für einen solchen [X.] bestünden aber nicht. [X.] Hinweise fänden sich weder in der "[X.]" noch in den vom Kläger vorgelegten Unterlagen zu den am 11. Januar 2011 durch [X.] in [X.]      durchgeführten Arbeiten; nach dem letzten Klägervortrag in der Berufungsinstanz sei zudem unstreitig, dass an diesem Tage jedenfalls keine mechanischen Komponenten der Schließanlage ausgetauscht worden seien. Soweit der Kläger nunmehr stattdessen einen [X.] der Schließanlage durch den Verkäufer bereits am 4. Januar 2011 behaupte, sei er mit diesem Vorbringen nach § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO ausgeschlossen.

8

Darüber hinaus habe der Kläger im Zuge seiner Rechtsverfolgung widersprüchliche Angaben gemacht. So habe er in der Schadenmeldung an die Beklagte einen Erwerbspreis von 49.000 € angegeben, während im Kaufvertrag ein Gesamtpreis von 41.000 € ausgewiesen sei. Ferner habe er in der polizeilichen Vernehmung vom 12. November 2013 angegeben, den Schlüssel immer an seinem Schlüsselbund bei sich zu haben, während er bei seiner Anhörung vor dem [X.] gesagt habe, der Schlüssel sei an einem roten Mäppchen gewesen, an dem sich keine anderen Schlüssel befunden hätten.

9

II[X.] Die Beschwerde des [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, weil dieses das Recht des [X.] auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat, indem es sein Vorbringen zu einem erfolgten Austausch der Schließanlage am 4. Januar 2011 zu Unrecht nach § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückgewiesen hat.

1. Bei Auslegung und Anwendung der Präklusionsvorschriften sind die Gerichte einer strengeren verfassungsrechtlichen Kontrolle unterworfen als dies üblicherweise bei der Anwendung einfachen Rechts geschieht. Die Überprüfung geht insoweit über eine bloße Willkürkontrolle hinaus ([X.] NJW 2000, 945, 946, juris Rn. 12). Das Gebot aus Art. 103 Abs. 1 GG, rechtliches Gehör zu gewähren, ist daher bereits dann verletzt, wenn das Berufungsgericht neues Vorbringen unter offensichtlich fehlerhafter Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO nicht zur Verhandlung zulässt ([X.], Beschlüsse vom 6. April 2016 - [X.], [X.], 1209 Rn. 9 m.w.N.; vom 30. Oktober 2013 - [X.], NJW-RR 2014, 85 Rn. 8; vgl. [X.] aaO).

2. Letzteres ist hier der Fall.

a) Das zweitinstanzliche Vorbringen des [X.] zu einem Austausch der Schließanlage in [X.] vor seinem Erwerb des Fahrzeugs ist bereits nicht neu im Sinne der Vorschrift.

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Nichtübereinstimmung des vom Kläger vorgelegten Fahrzeugschlüssels mit den beim Hersteller hinterlegten Daten nur mit einem vollständigen Austausch der Schließanlage zu erklären wäre, wofür aber keine Anhaltspunkte bestünden; daraus ergebe sich eine erhebliche Wahrscheinlichkeit der bloßen Vortäuschung eines Diebstahls. [X.] ist deshalb die vom Kläger bereits in erster Instanz behauptete und unter Beweis gestellte Tatsache, dass ein solcher Austausch an dem Fahrzeug in [X.] stattgefunden hatte, bevor er dieses erwarb. Auf das genaue Austauschdatum kam es für die Erheblichkeit dieser Tatsachenbehauptung dagegen nicht an. Die erst in zweiter Instanz erfolgte Angabe des [X.], dass dieser Austausch am 4. Januar 2011 erfolgt sei, stellt sich deshalb nicht als vollständig neue Behauptung, sondern als ergänzende Präzisierung seines unabhängig vom genauen Datum erheblichen Vorbringens aus erster Instanz dar.

Ein in zweiter Instanz konkretisiertes Vorbringen ist nämlich dann nicht neu, wenn ein bereits schlüssiges Vorbringen aus erster Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird ([X.], Beschlüsse vom 6. April 2016 - [X.], [X.], 1209 Rn. 9; vom 6. Mai 2015 - [X.], NJW-RR 2015, 1109 Rn. 11; vom 21. Dezember 2006 - [X.], NJW 2007, 1531, juris Rn. 7; Urteile vom 18. Oktober 2005 - [X.], [X.]Z 164, 330, 333, juris Rn. 11; vom 8. Juni 2004 - [X.], [X.]Z 159, 245, 251, juris Rn. 21). Das gilt nicht nur für schlüssiges Vorbringen der darlegungs- und beweisbelasteten [X.], sondern ebenso für erhebliches Vorbringen des Gegners.

Das ist im Streitfall nicht deshalb anders, weil die präzisierende Angabe im Berufungsverfahren, wann genau der Austausch der Schließanlage erfolgt sein soll, mit einer Korrektur abweichender Angaben aus erster Instanz einherging. Die Korrektur einer zuvor erfolgten Präzisierung im Berufungsverfahren ist insofern nicht anders zu beurteilen als die erstmalige Präzisierung bereits schlüssigen Vorbringens.

b) Zudem ist auch die Auffassung des [X.], dem Kläger sei in Bezug auf die erstinstanzlich unterbliebene Mitteilung eines [X.] der Schließanlage schon am 4. Januar 2011 Nachlässigkeit vorzuwerfen, offensichtlich fehlerhaft. Das Berufungsgericht überspannt insoweit die Anforderungen an die [X.], ihr noch unbekannte Tatsachen gegebenenfalls zu ermitteln.

aa) Grundsätzlich ist eine [X.] nicht dazu verpflichtet, tatsächliche Umstände, die ihr nicht bekannt sind, erst zu ermitteln. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des [X.], dass dies im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände anders sein kann ([X.], Beschlüsse vom 30. Oktober 2013 - [X.], NJW-RR 2014, 85 Rn. 9; vom 10. Juni 2010 - [X.], NJW-RR 2011, 211 Rn. 28 m.w.N.).

bb) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch Umstände angenommen, die den Kläger verpflichteten, im Rahmen seiner Prozessförderungspflicht schon vor oder während des Rechtsstreits erster Instanz weitere Auskünfte des Zeugen von [X.]     einzuholen.

Eine solche Verpflichtung ergab sich entgegen der Auffassung des [X.] insbesondere nicht daraus, dass der Kläger schon vorgerichtlich Kontakt zum Zeugen von [X.]          gehabt und von diesem auch die vorgelegte Anlage [X.] erhalten hatte. Aus dieser Anlage, die sich lediglich zu dem Umstand verhält, warum mit dem Fahrzeug nur ein Schlüssel übergeben wurde, ergab sich ersichtlich kein Anhaltspunkt für einen erfolgten Austausch der Schließanlage.

Vortrag des [X.] hierzu erfolgte demgemäß auch erst im [X.] an das vom [X.] eingeholte Schlüsselgutachten, nach dessen Ergebnis der vorgelegte Schlüssel nicht zu der werkseitig im Fahrzeug eingebauten Schließanlage passte. Danach stellte der Kläger gemäß seinem Vorbringen sogar Recherchen an, die dazu führten, dass er noch in erster Instanz mit Schriftsatz vom 1. Juli 2015 eine Mail der Zeugin E.      - nach eigenem Bekunden Servicemanagerin bei [X.] in [X.]      - vorlegte, in der diese über Arbeiten an der Schließanlage am 11. Januar 2011 in der dortigen Werkstatt berichtete, und zugleich diese Zeugin für die Richtigkeit des entsprechenden Vortrags benannte. Dass der Kläger danach schon zu dieser Zeit Zweifel an der Datumsangabe hätte haben und weitere Erkundigungen beim Zeugen von [X.]        hätte einziehen müssen, ob der entscheidende Austausch der Schließanlage nicht doch an einem anderen Datum stattgefunden hat, erschließt sich nicht.

cc) Eine Nachlässigkeit des [X.] wäre deshalb nur dann zu bejahen, wenn er von dem Austausch der Schließanlage am 4. Januar 2011 auch ohne weitere Ermittlungen bereits Kenntnis gehabt hätte, etwa weil ihm die entsprechende Rechnung bereits vorgelegen hätte. Der Kläger hat jedoch mit Schriftsatz vom 24. Mai 2016 vorgetragen, diese Rechnung erst "nunmehr" erhalten zu haben. Belastbare Feststellungen für das Gegenteil hat das Berufungsgericht nicht getroffen.

3. Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens zu einem Austausch der Schließanlage am 4. Januar 2011 einschließlich der dazu vorgelegten Rechnung [Anlage [X.]] zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Dies gilt vor allem deshalb, weil schon die Rechnung als solche der Feststellung des [X.], es gebe keinerlei Anhaltspunkte für einen erfolgten Austausch, entgegensteht. Ob die übrigen vom Berufungsgericht angeführten, gegen den Kläger sprechenden Umstände für sich alleine genommen bereits ausreichen, die erhebliche Wahrscheinlichkeit eines nur vorgetäuschten Diebstahls zu begründen, ist ungewiss. Dies wird das Berufungsgericht neu zu beurteilen haben.

Sollte es dagegen entscheidend darauf ankommen, ob der Austausch tatsächlich durchgeführt wurde, so wäre es Sache der Beklagten, das durch die nunmehr vorgelegte Rechnung gestützte und zu berücksichtigende Vorbringen des [X.] zu widerlegen, da der Versicherer für Umstände, die eine überwiegende Vortäuschungswahrscheinlichkeit begründen, beweispflichtig ist (Senatsurteile vom 16. Oktober 1996 - [X.], [X.], 474 unter [X.], juris Rn. 17; vom 17. März 1993 - [X.], [X.], 169 unter II, juris Rn. 16; vom 5. Oktober 1983 - [X.], [X.], 29 unter I 3 a, juris Rn. 14; st. Rspr.).

[X.]          

      

[X.]          

      

Lehmann

      

Dr. Brockmöller          

      

Dr. Bußmann          

      

Meta

IV ZR 319/16

13.12.2017

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Nürnberg, 25. Oktober 2016, Az: 8 U 724/16

Art 103 GG, § 531 Abs 2 S 1 ZPO, § 544 Abs 7 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.12.2017, Az. IV ZR 319/16 (REWIS RS 2017, 705)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 705

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen
Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.