Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 13.02.2012, Az. 9 B 77/11

9. Senat | REWIS RS 2012, 9221

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Gegenstand

Verfahrensfehler; aktenwidrige Tatsachenfeststellung; Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes; Tatbestandsberichtigung


Leitsatz

1. Nach § 119 VwGO können nur die im Urteil enthaltenen tatsächlichen Feststellungen berichtigt werden, nicht die darauf bezogenen Wertungen des Gerichts. Daher wird eine auf aktenwidrigen Feststellungen beruhende Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht dadurch geheilt, dass die Aktenwidrigkeit im Wege der Tatbestandsberichtigung behoben wird.

2. Die Entscheidung kann auch dann i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf einer verfahrensfehlerhaften Tatsachenfeststellung beruhen, wenn sich dieser Mangel nach der maßgeblichen Sachverhaltswürdigung des Gerichts nur zusammen mit einem weiteren, auf eine andere Tatsachenfeststellung bezogenen Verfahrensfehler auf diese ausgewirkt haben kann.

Gründe

1

Die [X.]eschwerde der Klägerin ist begründet. Das Urteil des [X.] leidet an einem von der [X.]eschwerde geltend gemachten Verfahrensmangel, auf dem es auch beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dies führt zu seiner Aufhebung und zur Zurückverweisung der Rechtssache an die Vorinstanz (§ 133 Abs. 6 VwGO).

2

1. Allerdings greifen nicht alle Verfahrensrügen durch.

3

a) Das gilt einmal für die der Sache nach erhobene Rüge einer Verletzung der [X.]egründungspflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Danach müssen sich den Urteilsgründen die tatsächlichen Umstände und rechtlichen Erwägungen entnehmen lassen, die das Gericht bestimmt haben, die Voraussetzungen für seine Entscheidung als erfüllt anzusehen. Das Urteil muss erkennen lassen, dass das Gericht den ermittelten Tatsachenstoff wertend gesichtet hat und in welchen konkreten [X.]ezug es ihn zu den angewandten Rechtsnormen gesetzt hat. Dies setzt voraus, dass das Gericht zum einen seinen rechtlichen Prüfungsmaßstab offenlegt und zum anderen in tatsächlicher Hinsicht angibt, von welchem Sachverhalt es ausgeht und - sofern es den Tatsachenbehauptungen eines [X.]eteiligten widerspricht - warum es dessen Vortrag nicht folgt und aufgrund welcher Erkenntnisse es eine ihm ungünstige Tatsachenlage als erwiesen ansieht. Aus den Entscheidungsgründen muss sowohl für die [X.]eteiligten als auch für das Rechtsmittelgericht nachvollziehbar sein, aus welchen Gründen des materiellen Rechts oder des Prozessrechts nach Meinung des Gerichts dem Vortrag eines [X.]eteiligten, jedenfalls soweit es sich um einen zentralen Punkt seiner Rechtsverfolgung handelt, nicht zu folgen ist (vgl. [X.]eschluss vom 18. Oktober 2006 - [X.]VerwG 9 [X.] - [X.] 310 § 108 Abs. 2 Nr. 66 Rn. 24; vgl. auch [X.]eschluss vom 30. Juni 2009 - [X.]VerwG 9 [X.] 23.09 - juris Rn. 3). Gemessen daran lässt das [X.]eschwerdevorbringen eine Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht erkennen.

4

Nach dem angefochtenen Urteil ist einschlägige Rechtsgrundlage § 5 Abs. 6 [X.]remLStrG, wonach Straßen, die, ohne gewidmet zu sein, bereits vor Inkrafttreten des [X.]remischen Landesstraßengesetzes dem öffentlichen Verkehr dienten und diesem kraft Privatrechts nicht entzogen werden können, als gewidmet gelten. Ausgehend davon hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, dass die Tatsache, dass ein Weg dem allgemeinen Verkehr diente, zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für die [X.] des § 5 Abs. 6 [X.]remLStrG sei. Vielmehr komme es weiter entscheidend darauf an, ob den jeweiligen Eigentümern des [X.] eine privatrechtliche [X.]efugnis zugestanden habe, die [X.]enutzung des Weges durch andere Personen zu unterbinden. Das Oberverwaltungsgericht unterstellt dann im Folgenden eine Nutzung des streitgegenständlichen Weges durch die Allgemeinheit im maßgeblichen [X.]raum bis zum Inkrafttreten des [X.]remischen Landesstraßengesetzes im Januar 1977 und prüft, ob es Indizien gibt, die für oder gegen eine privatrechtliche [X.]efugnis zur [X.]eschränkung der Wegenutzung sprechen. Es hat als Indizien für das Vorliegen einer solchen privatrechtlichen [X.]efugnis unter anderem auf ein im Grundbuch auf dem Weg eingetragenes Gossenrecht, die Vorgänge im Zusammenhang mit der Veräußerung eines Teilstücks des Weges durch die [X.]eklagte an private Grundstückseigentümer im Jahre 1921 und den zeitweiligen Abschluss des Weges durch Pforten abgestellt und daraus - auch für die [X.] nach der Veräußerung eines Teilstücks des Weges - den Schluss gezogen, dass sich eine [X.] nach § 5 Abs. 6 [X.]remLStrG nicht feststellen lasse. Damit hat das Oberverwaltungsgericht eine [X.] der Sache nach jedenfalls für die Fälle verneint, in denen der Eigentümer - hier die [X.]eklagte - vor Inkrafttreten des [X.]remischen Landesstraßengesetzes zu erkennen gegeben hatte, dass er mit der Duldung einer [X.]enutzung des Weges durch die Allgemeinheit nicht auch darauf verzichtete, diese öffentliche Nutzung wieder unterbinden zu können. Hierfür hat das Gericht Anhaltspunkte gesehen. Es hat somit seinen rechtlichen Prüfungsmaßstab hinreichend offengelegt und in nachvollziehbarer Weise angewandt.

5

b) Das [X.]eschwerdevorbringen lässt auch keine Gehörsverletzung erkennen. Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet die Gerichte, deren Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht dieser Pflicht nachgekommen ist. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der [X.]eteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Die fehlende [X.]escheidung von Vorbringen in den Entscheidungsgründen lässt nur dann auf dessen Nichtberücksichtigung schließen, wenn es [X.] des [X.] zu einer Frage von zentraler [X.]edeutung für das Verfahren betrifft und nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert ist ([X.]eschluss vom 18. Oktober 2006 a.a.[X.]). Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass diese Voraussetzungen für einen Gehörsverstoß vorliegen.

6

Die [X.]eschwerde meint, das Oberverwaltungsgericht habe übergangen, dass die Klägerin vorgetragen habe, nach dem Rechtsinstitut der "Rechtsvermutung der unvordenklichen [X.]" sei von einer Widmung des Weges für den öffentlichen Verkehr auszugehen. Sie legt jedoch nicht dar, dass und weshalb diesem Vorbringen im Hinblick auf die nach Auffassung des [X.] gemäß § 5 Abs. 6 [X.]remLStrG maßgebliche Frage einer privatrechtlichen [X.]efugnis, die öffentliche Nutzung des Weges unterbinden zu können, Relevanz zukam. Die [X.]eschwerde macht ferner geltend, die Klägerin habe vorgebracht, dass die im Jahre 1921 für einige [X.] am Weg angebrachten Pforten wieder beseitigt wurden und der Weg seither bis in die 1980er Jahre hinein öffentlich genutzt wurde, was als Indiz für ein öffentliches Wegerecht zu werten sei; dieses Vorbringen habe das Oberverwaltungsgericht unbeachtet gelassen. Damit ist kein Gehörsverstoß dargetan. Das Gericht hat eine öffentliche Nutzung des Weges auch in der [X.] nach seiner Veräußerung an [X.] unterstellt. Es hat diesem Umstand jedoch deshalb keine maßgebliche [X.]edeutung beigemessen, weil eine [X.] darüber hinaus voraussetze, dass die öffentliche Nutzung des Weges nicht kraft Privatrechts wieder entzogen werden konnte. Als Indiz für den Fortbestand einer entsprechenden privatrechtlichen [X.]efugnis hat es die Veräußerung des Weges durch die [X.]eklagte an private Grundstückseigentümer gewertet. Das rechtliche Gehör gibt jedoch keinen Anspruch darauf, dass das Gericht dem Vorbringen eines [X.]eteiligten folgt.

7

c) Der [X.]eschwerde kann ferner nicht in vollem Umfang gefolgt werden, soweit sie eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes rügt. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Diese Pflicht verletzt es dann, wenn es seiner Entscheidung den ermittelten Sachverhalt unrichtig oder unvollständig zugrunde legt (stRspr, vgl. Urteile vom 2. Februar 1984 - [X.]VerwG 6 [X.] 134.81 - [X.]VerwGE 68, 338 <339 f.> = [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 145 S. 36 und vom 25. März 1987 - [X.]VerwG 6 [X.] 10.84 - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 183 S. 1; [X.]eschluss vom 26. Oktober 2009 - [X.]VerwG 9 [X.] 11.09 - juris Rn. 4) bzw. bei einer aktenwidrigen, gegen die Denkgesetze verstoßenden oder sonst von objektiver Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung (stRspr, vgl. Urteil vom 19. Januar 1990 - [X.]VerwG 4 [X.] 28.89 - [X.]VerwGE 84, 271 <272 f.>, [X.]eschlüsse vom 2. November 1995 - [X.]VerwG 9 [X.] 710.94 - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f., vom 3. April 1996 - [X.]VerwG 4 [X.] 253.95 - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 269 S. 28, vom 19. November 1997 - [X.]VerwG 4 [X.] 182.97 - [X.] 406.11 § 153 [X.]auG[X.] Nr. 1 S. 1 und vom 12. Februar 2008 - [X.]VerwG 9 [X.] 70.07 - juris Rn. 2 m.w.N.). Die hierauf bezogenen [X.] sind weitgehend nicht tragfähig.

8

Soweit die [X.]eschwerde rügt, das Oberverwaltungsgericht habe sich ohne eigene Würdigung der Sach- und Rechtslage auf die im Jahre 1921 vom [X.] geäußerte Einschätzung bezogen, dass es sich bei dem Weg nicht um einen "öffentlichen Gang" handele, verfehlt sie dessen rechtlichen Ansatz. Das Gericht hat sich dieser Einschätzung des [X.]es nicht einfach angeschlossen, sondern sie als ein Indiz neben anderen dafür gewertet, dass der [X.]eklagte zum [X.]punkt der Veräußerung des Weges an Private von einer privatrechtlichen [X.]efugnis ausgegangen ist, dessen Nutzung durch die Allgemeinheit auch wieder unterbinden zu können. Insoweit beruht die angegriffene Entscheidung somit auf einer eigenen Sachverhaltswürdigung durch das Oberverwaltungsgericht.

9

Die [X.]eschwerde macht weiter geltend, das Oberverwaltungsgericht hätte den zeitweiligen Ausschluss der Nutzung des Weges durch die Allgemeinheit infolge der dort angebrachten Pforten nicht als Indiz gegen eine [X.] werten dürfen, da es auf der anderen Seite dem Umstand keine [X.]edeutung beigemessen habe, dass der Weg nach 1921 überwiegend dem öffentlichen Gebrauch gedient habe. Eine solche Sachverhaltswürdigung sei widersprüchlich, weil derselbe Umstand - die tatsächliche Nutzung des Weges - einmal als erheblich und [X.] als irrelevant gewertet werde. Diese Rüge verfehlt den rechtlichen Ansatz des [X.]. Dieses hat seine Entscheidung deshalb nicht auf den tatsächlichen öffentlichen Gebrauch des Weges gestützt, weil für eine [X.] gemäß § 5 Abs. 6 [X.]remLStrG nicht nur notwendig sei, dass tatsächlich eine öffentliche Nutzung stattgefunden habe, sondern die weitere Tatbestandsvoraussetzung erfüllt sein müsse, dass diese Nutzung nicht kraft Privatrechts wieder habe unterbunden werden können. Auf die zuletzt genannte tatbestandliche Voraussetzung bezieht sich die Würdigung des zeitweiligen Ausschlusses der Nutzung des Weges durch die Öffentlichkeit. Das ist ohne Weiteres nachvollziehbar.

Eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes sieht die [X.]eschwerde außerdem in der Annahme des [X.], dass es sich bei dem Weg "ohne die Verbindung zur [X.]" um eine Sackgasse gehandelt habe. Diese Annahme sei aktenwidrig. Denn das Gericht habe entsprechend dem [X.]eweisantrag der Klägerin unterstellt, dass der Weg bis in die 1980er Jahre hinein in ganzer Länge von der Einmündung in die [X.] bis zur Einmündung in die [X.] öffentlich genutzt worden sei. Auch mit diesem Vorbringen wird kein Verfahrensmangel bezeichnet. Das Oberverwaltungsgericht hat erkennbar nicht im Widerspruch zur oben genannten [X.] festgestellt, dass der Weg zur [X.] hin gesperrt und somit tatsächlich eine Sackgasse war. Die von der [X.]eschwerde gerügte Annahme des [X.] geht vielmehr von den Indizien aus, die bezogen auf das zur [X.] führende Teilstück des Weges für eine privatrechtliche [X.]efugnis zur Unterbindung des öffentlichen Gebrauchs sprechen. Daraus folgert das Gericht, dass auch bezogen auf das zur [X.] führende Teilstück des Weges nicht die Überzeugung habe entstehen können, dass es auf Dauer dem öffentlichen Verkehr zur Verfügung stehen werde. Denn für den Fall der Sperrung des zur [X.] führenden Teilstücks des Weges kraft Privatrechts stellte sich der restliche Weg nur noch als Sackgasse dar. Auch diese Erwägungen sind plausibel.

d) Schließlich kann der [X.]eschwerde auch insoweit nicht gefolgt werden, als sie einen Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend macht. Die Aufklärungsrüge erfordert die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung der Vorinstanz aufklärungsbedürftig waren, welche Aufklärungsmaßnahmen hierfür in [X.]etracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese Feststellungen nach der maßgeblichen Rechtsauffassung der Vorinstanz zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätten führen können. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem [X.] auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (vgl. [X.]eschluss vom 19. August 1997 - [X.]VerwG 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14 f.; stRspr).

Dem genügt das [X.]eschwerdevorbringen nicht. Es wird weder ein bestimmtes [X.]eweisthema genannt noch das in [X.]etracht kommende [X.]eweismittel noch das voraussichtliche Ergebnis einer [X.]eweisaufnahme. Die [X.]eschwerde legt im Übrigen auch nicht dar, weshalb nach der Rechtsauffassung des [X.], wonach die "in den Straßen" liegenden Ableitungen zur Entwässerung der anliegenden Grundstücke vom Staat zu unterhalten waren, weiterer Klärungsbedarf bestanden haben sollte. Sie unterstellt lediglich, dass die staatliche Unterhaltungspflicht nur für eine Ableitung je Haus bestanden habe, ohne aufzuzeigen, dass und weshalb diese Annahme auch der Rechtsauffassung des [X.] entsprach.

2. Im Übrigen liegen die geltend gemachten Verfahrensmängel hingegen vor; sie können sich auch auf die Entscheidung ausgewirkt haben.

Das gilt einmal für eine weitere Rüge aktenwidriger Tatsachenfeststellung. [X.] liegt vor, wenn zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt ein offensichtlicher Widerspruch besteht (vgl. [X.]eschlüsse vom 1. April 2009 - [X.]VerwG 4 [X.] 61.08 - NVwZ 2009, 910 Rn. 3 und vom 30. Juni 2009 a.a.[X.] Rn. 10). Die [X.]eschwerde macht zu Recht geltend, dass danach die Feststellung des [X.] aktenwidrig ist, in der Lassungsbescheinigung von 1894 sei nicht von einem öffentlichen, sondern von einem "gemeinschaftlichen Gang" die Rede ([X.]). Denn in der von der Klägerin in erster Instanz vorgelegten Lassungsbescheinigung von 1894 ist davon die Rede, dass die an der [X.] 61 belegene Immobilie im Nordwesten an einen "öffentlichen Gang" grenzt.

Die [X.] ist nicht dadurch entfallen, dass das Oberverwaltungsgericht auf Antrag der Klägerin mit [X.]eschluss vom 18. August 2011 den Tatbestand des angegriffenen Urteils bezogen auf den Inhalt der Lassungsbescheinigung von 1894 gemäß § 119 VwGO berichtigt hat. Mit der Rüge der [X.] wird eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes geltend gemacht. Wie bereits ausgeführt, ist der Überzeugungsgrundsatz verletzt, wenn das Gericht seiner Sachverhaltswürdigung Tatsachen zugrunde legt, die in offensichtlichem Widerspruch zum Inhalt der vom Gericht beigezogenen Akten stehen, die zum Gesamtergebnis des Verfahrens i.S.d. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gehören (vgl. Urteil vom 2. Februar 1984 - [X.]VerwG 6 [X.] 134.81 - [X.]VerwGE 68, 338 <339 f.>; [X.]eschluss vom 30. Juni 2009 a.a.[X.]). Dieser Verfahrensmangel wird nicht dadurch geheilt, dass der Widerspruch zwischen einer tatsächlichen Feststellung und dem Akteninhalt nachträglich im Wege der [X.] nach § 119 VwGO aufgehoben wird. [X.]erichtigungsfähig sind danach nur die im Urteil enthaltenen tatsächlichen Feststellungen selbst, nicht die darauf bezogenen Wertungen des Gerichts. Somit kann eine [X.] nicht den Mangel einer auf einer unrichtigen bzw. aktenwidrigen Tatsachenfeststellung beruhenden Überzeugungsbildung beseitigen.

Zu Recht sieht die [X.]eschwerde eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes darüber hinaus in der Feststellung, in einer weiteren Lassungsbescheinigung von 1899 sei von einem "gemeinschaftlichen Gang" die Rede. Allerdings steht diese Feststellung nicht in offensichtlichem Widerspruch zum Inhalt des von der Klägerin in erster Instanz eingereichten Dokumentes. In der Lassungsbescheinigung von 1899 ist von einem im Kataster mit [X.] bezeichneten "gemeinschaftlichen Gang" zwischen den Erben [X.] No. 4, 5, 6 und 7 die Rede, der in einen mit [X.] bezeichneten "öffentlichen Weg" ausmündet. Anhand der Akte kann nicht die Feststellung getroffen werden, dass der zuletzt genannte "öffentliche Weg" mit dem streitgegenständlichen Weg identisch ist. Denn die Akte enthält keine Lagepläne mit den oben genannten, im Jahre 1899 geltenden [X.]; anhand der vorliegenden Lagepläne mit den neuen [X.] kann insoweit auch kein Abgleich vorgenommen werden. Dann hat das Oberverwaltungsgericht jedoch eine tatsächliche Feststellung getroffen, für die es nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens keine Grundlage gab. Darin ist eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes zu sehen (vgl. [X.]eschluss vom 14. Juni 2011 - [X.]VerwG 8 [X.] 74.10 - NVwZ-RR 2011, 749 Rn. 5). Diesen Verfahrensmangel hat die [X.]eschwerde auch hinreichend bezeichnet. Sie hat zutreffend gerügt, dass sich das Oberverwaltungsgericht für seine Feststellung, der streitgegenständliche Weg werde in der Lassungsbescheinigung von 1899 als "gemeinschaftlicher Gang" gewertet, zu Unrecht auf den Inhalt der ihm vorliegenden Akten berufen hat. Dass die [X.]eschwerde darüber hinaus fälschlich meint, der Akteninhalt sei derart eindeutig, dass er die Annahme rechtfertige, die Feststellung des [X.] sei im Sinne der [X.] unrichtig, ist unschädlich.

Die angegriffene Entscheidung kann auf der [X.] Tatsachenfeststellung beruhen. Das würde allerdings nicht gelten, wenn die Entscheidungserheblichkeit für jeden der oben genannten Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz gesondert zu beurteilen wäre. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass aus dem [X.]escheid der Polizeidirektion von 1851, in dem der Weg als "öffentlicher Gang", und den [X.] von 1894 und 1899, in denen er als "gemeinschaftlicher Gang" bezeichnet worden sei, deshalb keine Schlussfolgerungen für eine eindeutige rechtliche Zuordnung des Weges ziehen ließen, weil eine unterschiedliche Terminologie verwendet worden sei. Diese unterschiedliche Terminologie bleibt bestehen, wenn allein - entsprechend dem Akteninhalt hinsichtlich der Lassungsbescheinigung von 1894 - davon ausgegangen wird, dass von einem "öffentlichen Gang" die Rede ist. Denn daneben steht die Feststellung des [X.], dass der Weg in der Lassungsbescheinigung von 1899 als "gemeinschaftlicher Gang" bezeichnet wird.

Die Entscheidung kann jedoch auch dann [X.]. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf einer [X.] Tatsachenfeststellung beruhen, wenn sich dieser Mangel nach der maßgeblichen Sachverhaltswürdigung des Gerichts nur zusammen mit einem weiteren, auf die Tatsachenfeststellung bezogenen Verfahrensfehler auf diese ausgewirkt haben kann. So liegt es hier. Ohne die beiden Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz ist davon auszugehen, dass der Weg in den Vorgängen der Jahre 1851 und 1894 einheitlich als "öffentlicher Gang" bzw. "öffentlicher Weg" bezeichnet wurde, während die Einordnung des Weges im Jahre 1899 - vorbehaltlich etwaiger ergänzender Feststellungen - offenbleiben muss. Nach der oben genannten Sachverhaltswürdigung des [X.] kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass es ohne die beiden Verfahrensverstöße zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre.

3. Der Senat übt sein ihm im Rahmen von § 133 Abs. 6 VwGO eingeräumtes Ermessen dahingehend aus, dass die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen wird. Die Kostenentscheidung ist der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.

Meta

9 B 77/11

13.02.2012

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, 14. Juni 2011, Az: 1 A 407/05, Urteil

§ 119 VwGO, § 108 Abs 1 VwGO, § 132 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 5 Abs 6 StrG BR

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 13.02.2012, Az. 9 B 77/11 (REWIS RS 2012, 9221)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9221

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