Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.05.2014, Az. 3 StR 386/13

3. Strafsenat | REWIS RS 2014, 5525

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Gegenstand

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Vorliegen eines Hangs zum Rauschmittelkonsum


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 14. Juni 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Vom Vorwurf einer weiteren Brandstiftung hat es den Angeklagten freigesprochen. Die gegen die Verurteilung gerichtete, auf Verfahrensrügen und sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat nur den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s hielten sich der Angeklagte und     M.     nachts in der Wohnung von      N.      und      [X.]     auf. Zwischen den deutlich alkoholisierten Personen kam es zu einem Streit. Die von     N.      alarmierte Polizei verwies den Angeklagten und M.      der Wohnung. Beide gingen sodann in der Absicht, an einem anderen Ort [X.], zur Wohnung eines Bekannten des M. in den sechsten Stock eines in der Nachbarschaft gelegenen Hauses. Als sie dort niemand antrafen, begab sich der Angeklagte zu der in diesem Haus im Erdgeschoss gelegenen Wohnung des    S.    , seines Cousins.

3

Der Angeklagte trat die schlecht gesicherte Wohnungstür auf und gelangte so in die Wohnung. Verärgert darüber, dass auch    S.     nicht anwesend war, zündete er mit seinem Feuerzeug die dort wegen Sanierungsarbeiten im Schlafzimmer aufgestapelten Möbel an. Es entwickelte sich schnell ein heftiges Feuer, das zur Zerstörung des Fensters, zum weitgehenden Abplatzen des [X.] im Schlafzimmer und zu einer starken Verrußung der gesamten Wohnung führte. Der Angeklagte wusste, dass sich in dem Haus mehrere Wohnungen befanden. Die Folgen seiner Brandstiftung - eine längere Unbewohnbarkeit der Wohnung seines Cousins - nahm er billigend in Kauf.

4

M.      war an der Brandstiftung nicht beteiligt. Er war nicht mit in die Wohnung hineingegangen, hatte jedoch von draußen mitbekommen, dass es dort zu einem Brand kam, und hatte sodann das Gebäude verlassen. Nachdem einige [X.] vergangen war, kam ihm der Angeklagte nachgelaufen.

5

2. Die Angriffe der Revision gegen den Schuld- und den Strafausspruch bleiben ohne Erfolg. Lediglich ergänzend zur Antragsschrift des [X.] bemerkt der Senat insoweit:

6

a) Die beantragte Einholung eines "Glaubwürdigkeitsgutachtens" betreffend die polizeiliche Aussage des Zeugen M.     hat die [X.] ohne Rechtsfehler abgelehnt. Sie konnte sich auf die eigene Sachkunde berufen, die ihr durch die Angaben des psychiatrischen Sachverständigen zur Vernehmungsfähigkeit des Zeugen in der [X.] vermittelt worden war. Insoweit hatte der Sachverständige einerseits ausgeführt, die unterschiedlichen, logisch nicht immer nachvollziehbaren Angaben des Zeugen bei seiner Vernehmung ließen den Einfluss einer hirnorganischen Störung nicht ausgeschlossen erscheinen und damit im Zusammenwirken mit dem genossenen Alkohol an der Vernehmungsfähigkeit zweifeln. Andererseits sei es möglich, dass der Zeuge inkonsistent geantwortet habe, weil seine Darstellung nicht in allen Punkten der Wahrheit entsprochen habe. Nachdem sich in der Hauptverhandlung - auch nach Ansicht des Sachverständigen - keinerlei Anhaltpunkte für eine psychische Beeinträchtigung des Zeugen ergeben hatten, hat sich das [X.] daraufhin rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass die teilweisen Ungereimtheiten in der Aussage der Zeugen davon herrührten, dass dieser in der [X.] mehr wusste, als er bei der Vernehmung angeben wollte. Vor diesem Hintergrund war die Zuziehung eines Sachverständigen nicht geboten. Mit den Schwächen der Aussage hat sich das [X.] bei der Beurteilung, ob die den Angeklagten belastenden Angaben zutreffen, im Rahmen der Beweiswürdigung ohne Rechtsfehler auseinandergesetzt.

7

b) Die Feststellungen des [X.]s beruhen auf einer tatrichterlichen Beweiswürdigung, die der Nachprüfung im Revisionsverfahren standhält (vgl. [X.], Urteil vom 16. November 2006 - 3 [X.], [X.], 384, 387). Danach gilt: Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht prüft dessen Überzeugungsbildung nur darauf, ob sie auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht. Dies ist namentlich der Fall, wenn die Würdigung des Tatgerichts mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen oder unbezweifelbarem Erfahrungswissen unvereinbar ist, Widersprüche oder sonstige Verstöße gegen die Gesetze der Logik enthält oder Lücken aufweist, sich insbesondere nicht mit naheliegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt. Dagegen ist es für die revisionsrechtliche Prüfung ohne Belang, ob die vom Tatrichter gezogenen Schlüsse zwingend oder auch nur naheliegend sind und eine abweichende Würdigung der Beweise aus der Sicht des Revisionsgerichts ebenso gut möglich oder überzeugender gewesen wäre.

8

Das [X.] hat - sachverständig beraten - ausgeschlossen, dass der Brand anders als durch vorsätzliche Brandlegung entstanden ist. Von der Täterschaft des Angeklagten, der in der Hauptverhandlung keine Aussage gemacht hat, hat es sich aufgrund einer Gesamtschau von Indizien überzeugt. Danach kündigten der Angeklagte und     M.      kurz vor dem Brand an, in das später vom Brand betroffene Haus gehen zu wollen. Der Angeklagte bestritt, nachdem er von der Polizei in der [X.] in der Wohnung seiner Eltern am Küchentisch schlafend und in der Hand ein Feuerzeug haltend angetroffen worden war, bei seiner polizeilichen Vernehmung zwar den Tatvorwurf, räumte aber ein, in der Wohnung seines Cousins gewesen zu sein. Der Zeuge M.       belastete bei seiner polizeilichen Vernehmung den Angeklagten dahin, dass dieser in die Wohnung gegangen und aus der Wohnung alsbald ein Licht- schein zu sehen gewesen sei. Dieser Aussage ist das [X.] gefolgt und hat damit zugleich den Zeugen M.       als (Mit)Verursacher des Brandes ausgeschlossen. Es hat dabei die Widersprüche, die sich zwischen den Aussagen gegenüber zwei Polizeibeamten in der [X.] und den Bekundungen in der Hauptverhandlung ergeben haben, nicht außer Betracht gelassen, indes mit der Besonderheit der Befragungssituation, insbesondere der fehlenden Information der Vernehmungspersonen über die Hintergründe, sowie mit der Alkoholisierung des Zeugen in der [X.] und seinem Bemühen, zwar den Tatverdacht von sich zu weisen, aber zugleich den Angeklagten nicht übermäßig zu belasten, nachvollziehbar erklärt. Ergänzend hat die [X.] darauf abgestellt, dass dem Angeklagten die Zerstörung von Sachen durch Feuer nicht fremd war. Zudem war ein Motiv für den Zeugen, die Wohnung in Brand zu setzen, nicht erkennbar, während nach Darlegungen des gehörten psychiatrischen Sachverständigen für den Angeklagten in der zur Tatzeit herrschenden Stresssituation und der alkoholischen Enthemmung ein Abreagieren durch die Brandlegung in Betracht gekommen ist.

9

3. Das Urteil hält indes rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit das [X.] eine Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt abgelehnt und dies damit begründet hat, bei dem Angeklagten liege keine Abhängigkeitserkrankung, sondern lediglich ein schädlicher Gebrauch von Alkohol gemäß [X.] 10 F10.1 vor. Damit hat das [X.] einen unzutreffenden Maßstab für die Annahme eines Hangs im Sinne von § 64 StGB angelegt.

Der Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indes nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus. Dass der Angeklagte in der Lage war, während der Arbeitszeiten seinen Alkoholkonsum zu unterlassen, steht daher dem Vorliegen eines Hangs nicht entgegen (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Dezember 2011 - 3 [X.], [X.], 204 mwN). Das [X.] bejaht den konstellativen Faktor der erheblichen Alkoholisierung zur Tatzeit, derentwegen es auch von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten ausgegangen ist. Es liegt angesichts der Vorstrafe des Angeklagten sowie der weiteren von der Kammer festgestellten Geschehnisse in der Vergangenheit auch nicht fern, dass die von § 64 StGB vorausgesetzte Gefahr erheblicher künftiger Taten infolge des Hangs festgestellt werden wird. Es sind zuletzt keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass keine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Angeklagten von seinem Hang zu heilen oder doch über eine gewisse [X.]spanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren.

Über die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt muss deshalb neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; [X.], Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, [X.]St 37, 5).

Der Senat kann ausschließen, dass der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf eine geringere Freiheitsstrafe erkannt hätte. Der Strafausspruch kann deshalb bestehen bleiben.

[X.]                            Hubert

                 Mayer                          Spaniol

Meta

3 StR 386/13

15.05.2014

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Lüneburg, 14. Juni 2013, Az: 22 KLs 6/13

§ 64 S 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.05.2014, Az. 3 StR 386/13 (REWIS RS 2014, 5525)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5525

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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