Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.06.2016, Az. 5 StR 524/15

5. Strafsenat | REWIS RS 2016, 9490

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:220616U5STR524.15.0

Nachschlagewerk: ja

[X.]St : ja

Veröffentlichung : ja

JGG § 105 Abs. 3 Satz 2

Auf das Merkmal der besonderen Schwere der Schuld in §
105
Abs. 3 Satz 2 JGG sind die von der Rechtsprechung zu § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB entwickelten Maßstäbe [X.].

[X.], Urteil vom 22. Juni 2016

5 StR 524/15

LG [X.]

[X.]:[X.]:[X.]:2016:220616U5STR524.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL

5 StR
524/15
vom
22. Juni
2016
in der Strafsache
gegen

wegen Mordes
u.a.

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Der 5.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom
22. Juni 2016, an der teilgenommen haben:

[X.] Dr. Sander

als Vorsitzender,

Richterin
Dr. [X.],
[X.] Dr. König,
[X.] [X.],
[X.] Feilcke

als beisitzende Richter,

Oberstaatsanwalt beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt S.

als Verteidiger,

Rechtsanwältin L.

als Vertreterin des [X.]

H.

,

Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landge-richts [X.] vom 30. April 2015 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die den Neben-
und Adhäsionsklä-gern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Ausla-gen zu tragen; im Übrigen wird davon abgesehen, ihm die Kos-ten des Rechtsmittels aufzuerlegen.

-
Von Rechts wegen
-

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung
in Anwendung des
§ 105 Abs. 3 Satz 2 JGG zu einer Ein-heitsjugendstrafe von 13 Jahren und sechs Monaten verurteilt und [X.] getroffen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des [X.]s hatten sich der zur Tatzeit 20 Jahre und einen Monat alte Angeklagte und das Tatopfer, die
14-jährige

A.

B.

, über das [X.] kennengelernt. Ende Oktober 2013 kam es zu einem ersten persönlichen Treffen, bei dem A.

feststellen musste, dass der Angeklagte wesentlich älter war, als er angegeben hatte; auch im Übrigen war sie
von ihm enttäuscht und hatte kein Interesse mehr an einem persönli-1
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chen Kontakt. Auf sein Drängen ließ sie sich jedoch zu einem weiteren Besuch des Angeklagten
bei ihr überreden. Hierbei teilte A.

ihm mit, dass die [X.] beendet sei. Der Angeklagte gab vor, die Heimreise antreten zu wollen, und ließ sich am 17. November 2013 von A.

s Mutter nach [X.] zum [X.] bringen.
Am Nachmittag des Folgetages befand sich A.

in Begleitung eines Mitschülers, des ebenfalls 14-jährigen [X.]

H.

, auf dem Heimweg von der Schule. In einem Waldstück traf sie auf den Angeklagten. Sie war überrascht, da er ihr am Vortag in einer Textnachricht mitgeteilt hatte, er befinde sich im Bus nach [X.]. A.

und der Angeklagte begannen nunmehr zu streiten, während sich der Nebenkläger etwas abseits hielt. Als A.

das Gespräch schließlich beendete, sich umdrehte und zum Gehen wandte, schlug der in seiner Schuldfähigkeit nicht relevant beeinträchtigte Angeklagte
mit einer Bierflasche dreimal auf ihren Hinterkopf. Verärgert und wütend über das Ende der Beziehung
beabsichtigte er spätestens in diesem Moment, sie zu töten.
A.

, die nicht mit einem Angriff gerechnet hatte, ging zu Boden. Der Ange-klagte zog sie zu seinem in der Nähe abgestellten Rucksack
und entnahm die-sem ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von etwa zehn Zentimetern. Hiermit versetzte er ihr mehrere tiefe Stiche in den Kopf, den Hals, die Brust und den Bauch. Sodann entnahm er dem Rucksack ein weiteres Messer, des-sen gezackte Klinge eine Länge von etwa 20 Zentimetern
hatte. Mit diesem stach er in fortwährender Tötungsabsicht vielfach und mit [X.] in A.

s Oberkörper und Kopf, deren Sweatshirt er
zuvor bis zur Brust hochgeschoben
hatte. Anschließend
drehte er sie
um und versetzte ihr weitere Stiche in den Rücken. Der letzte Stich war derart wuchtig, dass das Messer den Körper mit der Schneide bis zum Schaft durchstach und im Erdreich stecken blieb.
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Als der Nebenkläger des Angriffs auf seine Mitschülerin gewahr wurde, rannte er auf den Angeklagten zu und versuchte, dessen Arm zu fassen und ihn von weiteren Stichen abzuhalten. Der Angeklagte stach nun auch in Richtung des [X.] und fügte ihm eine Schnittverletzung an der Hand zu, wo-raufhin der Nebenkläger zu einer nahe gelegenen Straße lief, um von dort Hilfe herbeizuholen. Währenddessen stach der Angeklagte weiter auf A.

ein. Insgesamt versetzte er ihr mindestens 78 Stich-
und Schnittverletzungen in den Oberkörper, den Hals und den Kopf; dabei wurde durch kräftiges Einstechen auf ihren Hinterkopf auch ein Stück des [X.] herausgebrochen.
A.

, die sich zunächst noch etwa ein bis zwei Minuten durch [X.] gegen den Angeklagten zur Wehr gesetzt hatte, erlag einige Minuten [X.] ihren Verletzungen.
2. Den vom Angeklagten erhobenen Verfahrensbeschwerden bleibt aus den in der Antragsschrift des [X.] genannten Gründen der Erfolg versagt.
3. Auch die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat weder zum Schuldspruch noch zum Rechtsfolgenausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
a) Das [X.] hat rechtsfehlerfrei die Mordmerkmale der Heimtücke und der sonstigen niedrigen Beweggründe bejaht. Soweit es mit Blick auf das weitere
Mordmerkmal der Grausamkeit angenommen hat, dass die Tat diesbe-züglich

, so dass sich dieses Mordmerkmal nicht mit Sicherheit feststellen lasse (vgl. [X.]), ist der Angeklagte
jedenfalls nicht beschwert. Die
Tat zum Nachteil des
[X.] H.

hat die Strafkammer 4
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rechtlich zutreffend als gefährliche Körperverletzung gemäß
§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gewertet.
b) Der Rechtsfolgenausspruch erweist sich ebenfalls als rechtsfehlerfrei. Weder gegen die Anwendung von Jugendrecht auf den Angeklagten nach §
105 Abs.
1 Nr. 1 JGG noch gegen die Verhängung von Jugendstrafe gemäß §
17 Abs. 2 JGG ist von Rechts wegen etwas zu erinnern.
Dies gilt schließlich auch
für die Anwendung des § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG und die ihr zugrunde liegende Annahme der besonderen Schwere der Schuld
des Angeklagten.
aa) Die Entscheidung der Frage, ob die besondere Schwere der Schuld zu bejahen ist, hat das Tatgericht unter Abwägung aller im Einzelfall für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände zu treffen (vgl. [X.], Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 22. November 1994

[X.], [X.]St
40, 360, 370; Urteile
vom 2. März 1995

1 StR 595/94, [X.]St 41, 57, 62; vom 18.
Juni 2014

5 StR 60/14, [X.]R StGB § 57a Abs. 1 Schuldschwe-re
29). Dem Revisionsgericht ist bei der Nachprüfung der tatgerichtlichen [X.] eine ins Einzelne
gehende [X.] versagt. Es hat nur zu [X.], ob das Tatgericht alle maßgeblichen Umstände bedacht und rechtsfehler-frei abgewogen hat; es ist aber gehindert, seine eigene Wertung an die Stelle derjenigen des Tatgerichts zu setzen ([X.], Urteil vom 30. März 2006

4 [X.], [X.], 505, 506; Beschluss vom 20. August 1996

4 StR 361/96, [X.]St
42, 226, 227).
bb) Die angefochtene Entscheidung hält entgegen der Auffassung des [X.] im Ergebnis revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

(1) Die von der Rechtsprechung zu § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB ent-wickelten Maßstäbe
sind gleichermaßen auf § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG anzu-8
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wenden (vgl. [X.]/Schlehofer, Stand: 15. März 2016, §
105 Rn. 23
l ff.). Hierfür spricht bereits der
insoweit
identische Wortlaut der beiden Vorschrif-ten. Darüber hinaus steht
diese Auslegung
im Einklang mit dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers. Die Begründung des [X.] führt hierzu uch wenn das Jugendstrafrecht vom Erziehungsgedanken geleitet wird und insbesondere bei seiner Anwendung im Einzelfall erzieherische und spezi-alpräventiv behandlungsorientierte Aspekte im Vordergrund stehen, bleibt es vom Ausgangspunkt her Strafrecht und muss deshalb angemessene Reak-tionsmöglichkeiten auf strafrechtlich vorwerfbares Unrecht bereitstellen

(BT-Drucks. 17/9389 S. 8).
Durch §
105 Abs. 3
Satz 2 JGG
soll demnach in Fällen des Mordes einer besonders schweren
Schuld Rechnung getragen wer-den können, wenn das allgemeine Höchstmaß der Jugendstrafe für Heran-wachsende von zehn
Jahren dafür im Einzelfall auch unter Berücksichtigung des das Jugendstrafrecht leitenden [X.] nicht ausreicht
(vgl. BT-Drucks. aaO S. 8 f., 20); aufgrund dieser gesetzgeberischen Entscheidung kommt hier dem Gebot gerechten Schuldausgleichs gegenüber dem Erzie-hungsgedanken Vorrang zu. Dieser ist im Übrigen Grund dafür, dass im [X.] das Höchstmaß
der Jugendstrafe zeitlich begrenzt ist.
(2) Das [X.] hat

ersichtlich unter Berücksichtigung des Erzie-hungsgedankens

bei der Prüfung des §
105 Abs. 3 Satz 2 JGG
alle [X.] bedacht
und rechtsfehlerfrei abgewogen. Zwar hat es sie bei diesem gesonderten Zumessungsschritt nicht (nochmals) ausdrücklich benannt. Es
hat aber

in zulässiger Weise

auf seine
konkreten Strafzumessungserwä-gungen Bezug genommen.
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Als für den Angeklagten sprechende Umstände hat es
insbesondere
sei-ne bisherige Unbestraftheit, die durch seine Verteidiger in
der Hauptverhand-lung abgegebene Erklärung, dass er die Tat nicht abstreite, die Zahlung von Nebenkläger H.

und seinen
Versuch ge-wertet, sich bei den Eltern der Getöteten zu entschuldigen; insgesamt hat es
keine für den Angeklagten sprechenden
Umstände übersehen.

Als schuldsteigernde Gesichtspunkte
hat es
insbesondere angeführt, dass der Angeklagte äußerst
brutal vorgegangen
ist und A.

eine Vielzahl von Verletzungen zugefügt
hat, darunter solche, die äußerst schmerzhaft [X.]. Weiter
hat es
in die Abwägung eingestellt, dass der Angeklagte zwei Mordmerkmale erfüllt
hat. Zudem
hat
Berücksichtigung
gefunden, dass sich der Angeklagte nicht einmal durch die vom Nebenkläger H.

vorgenommene Stö-rung von der weiteren Tatbegehung abhalten ließ, vielmehr auch diesen mit einem Messer verletzte, und dass als Folge der Tat sowohl die Eltern des getö-teten Mädchens als auch der Nebenkläger H.

schwerwiegende psychische Beeinträchtigungen erlitten haben.
Es lässt keinen Rechtsfehler erkennen, dass die [X.] ihrer Gesamtwürdigung dieser Umstände die besondere
Schwere der Schuld des Angeklagten bejaht hat und sie damit zur Anwendbarkeit
des §
105 Abs. 3 Satz 2 JGG gelangt ist.
Die Höhe der festgesetzten Jugendstrafe
be-gegnet ebenfalls keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
4. [X.] beruht auf § 473 Abs.
1 [X.], § 109 Abs. 2 Satz 1, § 74 JGG.

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Sander
[X.]
[X.]

König
Feilcke

Meta

5 StR 524/15

22.06.2016

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.06.2016, Az. 5 StR 524/15 (REWIS RS 2016, 9490)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9490

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1 StR 207/15

1 StR 433/14

5 StR 524/15

5 StR 60/14

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