Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.02.2014, Az. 2 StR 413/13

2. Strafsenat | REWIS RS 2014, 7767

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
2 StR 413/13
vom
19. Februar 2014
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.

-
2 -

Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 19. Februar 2014, an der teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,

[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. [X.],
Prof. Dr. [X.],

[X.]in am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],
[X.] am Bundesgerichtshof
[X.]

Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof

in der Verhandlung,
Richterin am [X.]
bei der Verkündung

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

,
Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3 -

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 30.
April 2013 im [X.] aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über
die
Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.]s zurückverwiesen.
2.
Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten
Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperver-letzung zu einer Jugendstrafe von zwei
Jahren und
sechs
Monaten
verurteilt. Darüber hinaus hat es eine Adhäsionsentscheidung zu Gunsten des Nebenklä-gers H.

B.

getroffen.
Seine dagegen gerichtete auf die Sachrüge gestütz-te Revision hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg; im
Übrigen
ist sie unbegründet.

I.
1. Nach den Feststellungen des [X.]s sah sich der Angeklagte zusammen mit [X.] am 2.
Oktober 2012 die Übertragung eines Fußball-1
2

-
4 -

spiels zwischen [X.] Istanbul
und Sporting Braga
im Café
Sp.

in E.

an. Zu ihrer Verärgerung verlor [X.] das Spiel, worüber sich der Zeuge Co.

, der der Gruppe um die Nebenkläger H.

und [X.]

B.

angehörte, lustig
machte. Co.

geriet deshalb mit [X.] des Angeklag-ten, dem Zeugen [X.]

in einen verbalen Streit. H.

B.

versuchte
diesen zunehmend heftiger werdenden Streit zu schlichten,
geriet dabei
aber
mit [X.]

in eine körperliche Auseinandersetzung. Um [X.]

zu unterstützen, griff nunmehr auch der Angeklagte ein. Im Verlaufe dieser Auseinandersetzung versetzte

H.

B.

dem
Angeklagten einen
Faustschlag
gegen den Kopf, während
H.

B.

selbst die Schulter ausgekugelt
wurde.

Nach Trennung der Kontrahenten durch umstehende Personen entfernte sich der Angeklagte
und ging in Richtung seines Elternhauses.
Da er wegen des erlittenen [X.] noch immer wütend auf H.

B.

war, machte
er
nach wenigen Minuten aber wieder kehrt,
um sich bei H.

B.

zu revanchie-ren.
Noch vor Erreichen des Cafés
Sp.

traf er auf [X.]

, der
sich ihm anschloss. [X.] zog der Angeklagte ein Butterflymesser aus seiner Hosentasche, öffnete es und hielt es offen vor sich. Einer seiner Freun-de, der Zeuge
A.

, hielt ihn deshalb fest, ließ ihn aber nach Androhung von [X.] wieder los.

Bei der Gruppe um H.

und [X.]

B.

angekommen griff [X.]

so-gleich den H.

B.

an. Dieser war wegen seiner Schulterverletzung kaum wehrfähig, weshalb mehrere Personen aus seiner Gruppe versuchten, den [X.], der
ihn
ebenfalls angreifen wollte, zurückzudrängen.
[X.]

B.

gelang es schließlich, den Angeklagten festzuhalten und von hinten zu [X.]. Nachdem sich der Angeklagte aufgrund des
Eingreifens
umstehen-der Personen aus dieser Umklammerung lösen
konnte, stellte er sich frontal vor 3
4

-
5 -

[X.]

B.

und
stach ihm, dessen Tod billigend in Kauf nehmend, mit voller Wucht in den Brustkorb. Anschließend setzte er weitere Stiche
in den [X.] und das Gesicht
des [X.]

B.

, der schließlich nicht
mehr atmen
konnte und sich blutüberströmt vorn über
beugte; der Angeklagte wurde festgehalten und weggedrängt.

Während oder nach der Auseinandersetzung mit [X.]

B.

gelang es dem Angeklagten
zudem, einen gezielten Stich gegen H.

B.

zu setzen.
Der Stichkanal von sechs Zentimeter Länge verlief tangential zur [X.] am Schulterblatt. Seinen
Freund
Al.

, der ihn zurückhalten wollte, stach der Angeklagte versehentlich ca.
sieben Zentimeter tief in den Rücken.

2. Das [X.] hat das Tatgeschehen als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß §
224 Abs.
1 Nr.
2 und
5
StGB zum Nachteil des [X.]

B.

sowie als gefährliche Körperverletzung gemäß §
224 Abs.
1
Nr.
2 und 5 StGB zum Nachteil des H.

B.

gewertet. Das Verfahren wegen der Tat zum Nachteil des Al.

hat es gemäß §
154
Abs.
2 StPO eingestellt.
Gegen den zur Tatzeit 19 Jahre und fünf
Monate
alten Angeklagten hat es Jugendstrafrecht
angewandt
und wegen der Schwere der
Schuld eine Jugendstrafe in Höhe von zwei Jahren
und sechs Monaten [X.].
II.

1. Der Schuldspruch beruht auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdi-gung. Auch sonst sind Rechtsfehler nicht ersichtlich.

2. [X.] hält indes der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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6 -

a)
Die [X.] ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass
wegen der Schwere der Schuld die Verhängung von Jugendstrafe erfor-derlich ist. Das Vorliegen des Anordnungsgrundes des §
17 Abs.
2 Satz
2 [X.] versteht sich angesichts der getroffenen Feststellungen aus dem [X.] von selbst (vgl. auch [X.], Beschluss vom 6.
Mai
2013 -
1 [X.]).

Die Ausführungen der [X.] lassen zwar nicht erkennen, dass sie sich bewusst war, dass bei der Beurteilung der Schuldschwere im Sinne des §
17 Abs.
2 [X.] dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Einstufung nach allgemeinem Strafrecht keine selbständige Bedeutung zukommt, sondern in erster Linie auf die innere Tatseite abzustellen ist. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist aber jedenfalls
insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des [X.] und die Höhe der Schuld gezogen werden können (vgl. [X.], Beschlüsse
vom 19.
November 2009 -
3 [X.], [X.], 281
mwN;
vom
14.
August 2012 -
5 [X.], [X.], 289, 290). Dies ist vorliegend ohne weiteres möglich. Der Angeklagte ist -
obgleich schon
eine [X.] eingetreten und er auf dem Heimweg war -
mit einem offen geführten Messer gezielt zur Revanche gegen H.

B.

geschritten. Er hat sich weder von [X.] abhalten lassen, die sich ihm in den Weg gestellt ha-ben, noch von [X.]

B.

, dem er mehrere gezielte Stiche in den Oberkörper beibrachte. In der Tat des Angeklagten offenbaren sich daher eine hohe [X.] und geringe
Hemmschwelle zur Begehung einer das Leben gefährdenden Körperverletzung, denn der Angeklagte hat eine schwere und in Bezug auf [X.]

B.

zudem tödliche Verletzung von mehreren Personen bewusst in Kauf genommen. Vor diesem Hintergrund begründen das [X.] und die in der Tat zum Ausdruck gekommene charakterliche Hal-tung des Angeklagten offensichtlich auch die Schwere seiner Schuld.
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7 -

b) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen jedoch die Erwä-gungen, mit denen die [X.] die Höhe der Strafe begründet hat.

Gemäß § 18 Abs.
2 [X.] bemisst sich die Höhe der Jugendstrafe -
auch wenn deren Verhängung vollständig auf die Schwere der Schuld gestützt wird
-
vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm [X.] geschenkt und bei der Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 28. Februar 2012 -
3 StR 15/12, [X.], 186, 187 mwN).

Diesen Anforderungen genügen
die Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils nicht. Die Urteilsgründe verhalten sich zum [X.] nur formelhaft und stellen -
wie bei einem Erwachsenen
-
ausschließ-lich auf das Gewicht des Tatunrechts und
auf die [X.] ab.

[X.]) Den Erziehungsgedanken hat die [X.] nur im Rahmen der von ihr vorgenommenen Gesamtabwägung "aller" -
an dieser Stelle nicht ausgeführten
-
Umstände nach §
18 Abs.
2 [X.] erwähnt und gefolgert, dass "zur Ermöglichung der erforderlichen erzieherischen Einwirkung auf den Ange-klagten" die Verhängung einer Jugendstrafe in der erkannten Höhe erforderlich sei. Weiter hat sie ausgeführt, dass insbesondere die Verhängung einer "aus-setzungsfähigen" Jugendstrafe von bis zu zwei Jahren dafür nicht ausreiche. Eine derartige lediglich formelhafte Erwähnung des [X.] reicht aber grundsätzlich nicht aus ([X.], Beschluss vom 19.
November 2009
-
3 [X.], [X.], 281).

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-
8 -

bb) Den Urteilsgründen lässt sich auch in ihrem Zusammenhang nicht entnehmen, dass die [X.] den Erziehungsgedanken in der [X.] Weise beachtet hat.

Eine Abwägung von strafzumessungsrelevanten Umständen hat die Ju-gendkammer überhaupt nur im Rahmen einer vorangestellten Prüfung eines minder schweren Falls des versuchten Totschlags nach §
213 StGB oder der gefährlichen Körperverletzung nach §
224 Abs.
1 StGB vorgenommen. Dies begegnet schon im Ansatz grundsätzlichen Bedenken.

Zwar ist es in der Rechtsprechung anerkannt, dass -
unbeschadet der Regelung des §
18 Abs.
1 Satz
3 [X.] -
die Frage, ob nach Erwachsenenstraf-recht ein minder schwerer Fall vorläge, auch für die Bemessung der Jugend-strafe von Bedeutung sein kann, weil darin die Bewertung des Tatunrechts durch den Gesetzgeber
zum Ausdruck kommt (vgl. [X.], Beschluss vom 4.
November 1987 -
3 [X.], [X.]R [X.] §
18 Abs.
1 Satz
3 minder schwerer Fall 3 mwN; Beschluss vom 25. Februar 1992 -
5 StR 36/92, [X.], 631; kritisch dazu Senat, Urteil vom 4. April 2007 -
2 StR 37/07).
Die landgerichtliche Erörterung eines minder schweren Falls steht aber in keinerlei Kontext und lässt insbesondere nicht erkennen, dass es sich insoweit nur um eine hypothetische Betrachtung handeln kann, dass bei Anwendung von Er-wachsenenrecht ein minder
schwerer Fall nicht anzunehmen gewesen wäre. Dementsprechend wird auch nicht deutlich, ob und wenn ja, welches Gewicht das Gericht einem hypothetischen Vergleich beigemessen hat.

Die Erwägungen, die das [X.] im Rahmen dieser Prüfung ange-stellt
hat, lassen auch keine erzieherischen Gesichtspunkte erkennen. Es [X.] sich vielmehr vornehmlich um solche, die auch im Erwachsenenstrafrecht 15
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9 -

für die Bemessung der Rechtsfolgen maßgeblich sind, wie zum Beispiel, dass der Übergriff auf [X.]

B.

besonders brutal war und zu massiven Verlet-zungen mit erheblichen gesundheitlichen Folgen geführt hat und dass der An-geklagte mehrere Qualifikationsvarianten der Körperverletzung verletzt hat.

Dass bei dem Angeklagten ein Erziehungsbedürfnis vorliegt,
welches die Verhängung einer zu verbüßenden Haftstrafe erfordert, versteht sich auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht von selbst. Zwar erweisen sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit des Angeklagten, wie sie in der Tat zum Ausdruck gekommen sind, für die [X.] als ebenso bedeutsam wie für das Erziehungsbedürfnis (vgl. [X.], Urteil vom 31.
Oktober 1995 -
5 [X.], [X.], 120). Das [X.] durfte aber nicht in erster Linie auf
das Gewicht des [X.] abstellen, sondern hätte sich nach den getroffenen Feststellungen insbe-sondere damit auseinandersetzen müssen, ob der Tat nicht Ausnahmecharak-ter zukommt und ob auch mit Rücksicht auf die bisher problemlos verlaufene Persönlichkeitsentwicklung und Unbestraftheit des Angeklagten die Verbüßung einer längeren Jugendstrafe zu seiner Erziehung erforderlich ist (vgl. Senat, Beschluss vom 21.
Juli 1995 -
2 StR 309/95, [X.]R [X.] §
18 Abs.
2 Erzie-hung
10). Hierbei hätte es auch die Folgen
der Verbüßung einer längeren Ju-gendstrafe für die weitere Entwicklung des Angeklagten abwägen müssen (vgl. [X.], Beschluss vom 11.
April 1989 -
1 [X.], [X.]R [X.] §
18 Abs.
2 Erziehung 3; [X.], Beschluss vom 14.
Januar 1992 -
5 StR 657/91, [X.]R [X.] §
18
Abs.
2 Erziehung
7).

c) Das neue Tatgericht hat über die [X.] deshalb insgesamt neu zu entscheiden. Die Feststellungen sind von dem aufgezeigten [X.] nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht 19
20

-
10 -

kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widerspre-chen.

Fischer Schmitt

[X.]

[X.]

[X.]

Meta

2 StR 413/13

19.02.2014

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.02.2014, Az. 2 StR 413/13 (REWIS RS 2014, 7767)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7767

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 StR 413/13

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5 StR 318/12

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