Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.02.2016, Az. V ZB 23/15

V. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 15989

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:180216BVZB23.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V [X.]
vom

18. Februar 2016

in der Abschiebungshaftsache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 (Fassung bis 31.7.2015); Richtlinie 2008/115/[X.]. 3 Nr. 7
Der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.] in der bis zum 31.
Juli 2015 geltenden Fassung war auch nach dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG (sog. [X.]) am 24.
Dezember 2011 weiter anzuwenden.
[X.] Art. 104; FamFG
§ 420
a)
Verfahrensfehler bei der Durchführung der persönlichen Anhörung des Be-troffenen verletzen § 420 FamFG und damit Art. 104 Abs. 1 [X.] nur, wenn sie nicht nur den formal ordnungsmäßigen Ablauf der Anhörung, sondern
deren Grundlagen betreffen.
b)
Die
Grundlagen der Anhörung sind nicht schon betroffen, wenn dem Be-troffenen eine Kopie des [X.] oder von dessen Übersetzung nicht ausgehändigt wird, sondern erst, wenn der Anhörung ein unzulässiger oder ein unvollständiger Haftantrag zugrunde liegt, oder wenn der zulässige Haftantrag bei der Anhörung nicht zumindest in den wesentlichen Grundzü-gen sinngemäß mündlich in eine Sprache übersetzt wird, die der Betroffene beherrscht.
[X.], Beschluss vom 18. Februar 2016 -
V [X.] -
[X.]

[X.]

-
2
-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 18. Februar 2016
durch die Vorsitzende Richterin Dr.
[X.], die Richterinnen
Prof
Dr. [X.] und Dr.
Brückner, den Richter [X.] und die Richterin Haberkamp

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 19. Zivilkammer des [X.] vom 16. Februar 2015 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt

Gründe:

I.

Der Betroffene ist kosovarischer Staatsangehöriger. Er wurde am 6.
Dezember 2014 in [X.] bei einer Polizeikontrolle festgenommen, weil er keine gültigen Papiere bei sich führte, und am 12.
Dezember 2014 unter Be-fristung des
Einreiseverbots auf
zwei Jahre in den [X.] abgeschoben. Am 15.
Januar 2015 wurde er erneut in [X.] bei einer Polizeikontrolle ohne gültige Einreise-
und [X.] angetroffen und festgenommen. Bei seiner Anhörung durch das Amtsgericht erklärte er, er beabsichtige, Asyl zu beantragen.
1
-
3
-

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am Folgetag ge-gen den Betroffenen Haft zur Sicherung seiner Abschiebung in den [X.] bis zum 26.
Februar 2015 angeordnet. Die mit einem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Haft verbundene Beschwerde hat das [X.] zu-rückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, nach seiner Abschiebung in den [X.] am 26.
Februar 2015 mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung festzustellen.

II.

Das [X.] ([X.], Beschluss vom 16. Februar 2015
-
19 [X.], juris) hält die Haftanordnung des Amtsgerichts im Ergebnis für rechtmäßig. Zwar könne sie mit Rücksicht auf den Asylantrag nicht mehr auf den Tatbestand der unerlaubten Einreise gestützt werden. Gegeben sei aber der von dem Amtsgericht ebenfalls angenommene Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.] aF.
Der Anwendung dieses Haft-grunds stehe die Richtlinie 2008/115/EG (des [X.]n Parlaments
und des Rates vom 16.
Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöri-ger, ABl. EG Nr. L
348 S.
98 -
sog. [X.]) nicht entgegen. Der [X.] habe zwar entschieden, dass Haft zur Sicherung einer Rücküberstellung nach Maßgabe der Dublin-III-Verordnung nicht mehr auf [X.]n Haftgrund gestützt werden könne, weil er durch nationale gesetzliche Vor-schriften näher ausgeformt werden müsse. Für die Abschiebungshaft gelte [X.] Rechtsfolge aber nicht. Zwar sehe die [X.] eine ähnliche Regelung für den dort bestimmten Haftgrund der Fluchtgefahr vor. Dieser sei 2
3
-
4
-
aber, anders als der Haftgrund der Fluchtgefahr nach Art.
28 Abs.
2 der Dublin-III-Verordnung, nicht abschließend, sondern nur einer von mehreren möglichen Haftgründen.

III.

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung stand.

1. Gegen die Anordnung der Haft durch das Amtsgericht wendet der Be-troffene zu Unrecht ein, sie habe wegen der unmittelbaren Wirkung der Rück-führungsrichtlinie nicht auf den Haftgrund der Fluchtgefahr nach dem hier noch maßgeblichen § 62 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 [X.] in der bis zum Inkrafttreten des [X.] und der Aufenthaltsbeen-digung vom 27. Juli 2015 ([X.]) am 1. August 2015 geltenden [X.] gestützt werden können. Dieser Haftgrund war auch nach dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der [X.] am 24. Dezember 2011 weiter anzuwenden.

a) Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt des Betroffenen.

aa) §
62 Abs.
3 Satz
1 Nr.
5 [X.] genügte in der bis zum 31.
Juli 2015 geltenden Fassung nicht den Anforderungen der [X.]. Diese Richtlinie lässt in Art.
15 Abs.
1 Satz
1 Buchst.
a unter näheren Voraus-setzungen eine Inhaftierung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger zur Siche-rung der Abschiebung unter anderem wegen Fluchtgefahr zu. Zur Umsetzung dieses Haftgrunds reichte es allerdings nicht aus, in den [X.] Umset-zungsvorschriften lediglich den Haftgrund der Fluchtgefahr zu wiederholen.

4
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-
5
-

[X.]) Art.
3 Nr.
7 der Richtlinie bestimmt nämlich, dass unter Fluchtgefahr im Sinne der Richtlinie das Vorliegen von Gründen im Einzelfall [zu verstehen ist], die auf objektiven, gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der An-nahme Anlass geben, dass sich Drittstaatsangehörige einem Rückkehrverfah-ren durch Flucht entziehen könnten. Die Vorschrift verlangt somit gesetzlich festgelegte Kriterien zur Konkretisierung der im Gemeinschaftsrecht bestimm-ten Voraussetzung der Fluchtgefahr. Solche Kriterien sah das [X.] in der bis zum 31.
Juli 2015 geltenden Fassung nicht vor. Es genügte [X.] in diesem Punkt nicht den Umsetzungsverpflichtungen der Richtlinie. Der [X.] hat das für die wortgleiche Regelungsverpflichtung der Mitgliedstaaten zur Ausfüllung des Begriffs der Fluchtgefahr in Art.
28 Abs.
2 der Dublin-III-Verordnung gemäß deren Art.
2 Buchst.
n entschieden (Beschluss vom 26.
Juni 2014 -
V
ZB 31/14 NVwZ 2014, 1397 Rn.
14 und Beschluss vom 22.
Oktober 2014 -
V
ZB 124/14, NVwZ 2015, 607 Rn.
10). Für Art.
3 Nr.
7 der [X.] gilt nichts anderes.

[X.]) Es trifft schließlich auch zu, dass sich Betroffene in Mitgliedstaaten der [X.],
die die Rückkehrrichtlinie nicht bis zum Ablauf der in Art.
20 Abs.
1 der Richtlinie geregelten Umsetzungsfrist am 24.
Dezember 2011
fristgemäß und vollständig umgesetzt haben, auf inhaltlich unbedingte und hin-reichend genaue Bestimmungen dieser Richtlinie berufen können,
und dass Art.
15 (und 16)
der [X.] solche unbedingten und hinreichend genauen Vorschriften enthält ([X.], Urteil vom 28.
April 2011, [X.].
[X.]/11 PPU
-
El [X.], [X.]:[X.]:C:2011:268 Rn.
46
f).

b) Folge dessen ist aber
nicht, dass die Anordnung von Abschiebungs-haft in dem Zeitraum von dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der Rückkehr-8
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-
6
-
richtlinie bis zur Behebung des [X.]s
mit dem Gesetz zur Neube-stimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27.
Juli 2015 ([X.]
I S.
1386) am 1.
August 2015 nicht auf den Haftgrund der Fluchtgefahr nach §
62 Abs.
3 Satz
1 Nr.
5 [X.] in der bis dahin geltenden Fassung gestützt werden durfte.

aa) Das ergibt sich entgegen der Ansicht des [X.] (ebenso [X.], Beschluss vom 30. April 2015 -
8 [X.], juris Rn. 15) allerdings nicht schon daraus, dass Art.
15 Abs.
1 Satz
1 der Rückführungs-richtlinie die Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung auch aus an-deren Gründen als der Fluchtgefahr
zulässt. Dadurch wird der nationale Ge-setzgeber der Mitgliedstaaten nur dazu ermächtigt, neben der Fluchtgefahr noch andere Haftgründe vorzusehen. An der Verpflichtung, den an sich zulässi-gen Haftgrund der Fluchtgefahr durch Kriterien gesetzlich näher auszuformen, anhand derer eben diese Fluchtgefahr festgestellt werden soll, ändert diese Ermächtigung indessen nichts.

[X.]) Der Haftgrund der Fluchtgefahr nach §
62 Abs.
3 Satz
1 Nr.
5
[X.] in der bis zum 31.
Juli 2015 geltenden Fassung war vielmehr deshalb nach dem Ablauf der Umsetzungsfrist weiterhin anwendbar, weil der [X.] Gesetzgeber eine Vorschrift der Richtlinie unzureichend umgesetzt hat, die [X.] unmittelbare Wirkung entfaltet.

(1) Die Kriterien, anhand derer Fluchtgefahr festzustellen ist, müssen zwar sowohl für die Rücküberstellungs-
als auch für die Abschiebungshaft ge-setzlich festgelegt werden. Insofern besteht zwischen den [X.] nach Art. 2 Buchstabe n der Dublin-III-Verordnung einerseits und nach Art. 3 11
12
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-
7
-
Nr. 7 der [X.] andererseits kein Unterschied. Unterschiedlich sind aber die Folgen, die das Versäumnis des [X.] Gesetzgebers hatte.

(a) Die Voraussetzungen für die Anordnung von Haft zur Sicherung der Rücküberstellung nach der Dublin-III-Verordnung sind in deren Art. 28 ab-schließend und mit unmittelbarer Geltung in allen Mitgliedstaaten der [X.], ausgenommen [X.], geregelt. Diese unionsrechtliche Rege-lung sperrt den Rückgriff auf die nationalen Haftgründe. Der unionsrechtliche Haftgrund der erheblichen Fluchtgefahr kann dessen ungeachtet erst angewen-det werden, wenn die Mitgliedstaaten ihrer Konkretisierungspflicht nach Art. 2 Buchstabe n der Dublin-III-Verordnung nachgekommen sind. Ohne diese [X.] kann daher Haft zur Sicherung der Rücküberstellung nach dieser Verordnung nicht angeordnet werden. Das war in [X.] in dem Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Juli 2015 der Fall.

(b) Die Voraussetzungen für die Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung bestimmen sich demgegenüber nicht nach unmittelbar geltenden Unionsvorschriften, sondern nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten, in [X.] nach § 62 Abs. 3 Satz 1 [X.] in der hier noch maßgeblichen bis zum 31. Juli 2015 geltenden Fassung. Allerdings dürfen sich Betroffene nach dem Ende der Frist zur Umsetzung der [X.] am 24. De-zember 2011 auf inhaltlich unbedingte und hinreichende genaue Bestimmungen der Richtlinie berufen, wenn sie in dem betreffenden Mitgliedstaat
noch nicht umgesetzt worden sind. Nur insofern kommt der die [X.] in [X.] unmittelbare Wirkung
zu, die bei der Anordnung von [X.] zur berücksichtigen war.

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8
-

(1) Solche unmittelbare Wirkungen entfalten zwar, wie ausgeführt, die Regelungen in Art.
15 bis 17 der [X.] über die Voraussetzun-gen für die Anordnung von Abschiebungshaft und für ihre Durchführung ([X.], Urt. v. 28. April 2011, [X.].
[X.]/11 PPU -
El [X.], [X.]:[X.]:C:2011:268 Rn.
40, 47 für Art.
15, 16 und [X.], Beschluss vom 17. Juni 2010 -
V
ZB 127/10, NVwZ 2010, 1318 Rn.
27 für Art. 17). Der [X.] Gesetzgeber hatte aber mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der [X.] und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den [X.]-Visakodex vom 22. November 2011 ([X.] I S.
2258) nicht Art. 15 der [X.] unzureichend umgesetzt. Denn diese Vorschrift sieht gerade vor, dass [X.] unter anderem wegen Fluchtgefahr angeordnet werden darf.
Nicht umgesetzt hatte der [X.] Gesetzgeber vielmehr Art.
3 Nr.
7 der [X.], wonach Kriterien zur Feststellung von Fluchtgefahr nach Art.
15 Abs.
1 Satz
1 Buchst.
a dieser Richtlinie gesetzlich festzulegen sind.

[X.] Diese Vorschrift der Richtlinie enthält keine hinreichend genaue Be-stimmung, auf die sich ein Betroffener gegenüber dem Mitgliedsstaat berufen könnte, der sie nicht zulänglich umgesetzt hat. Dem nationalen Gesetzgeber der Mitgliedsstaaten wird nämlich mit Art. 3 Nr. 7 der [X.] nur vorgeschrieben, Kriterien zur Feststellung der Fluchtgefahr im Sinne von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie festzulegen. Im Unterschied zu dieser Vorschrift legt Art. 3 Nr. 7 der Richtlinie keine inhaltlichen Vorgaben für solche Kriterien fest, auf die sich ein Betroffener berufen könnte. Damit fehlt dieser Vorschrift der Richtlinie das entscheidende Element, das dem Einzelnen eine Berufung auf die Vor-schrift der Richtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist ermöglicht. Sie entfaltet keine unmittelbare Wirkung (übersehen von [X.], [X.] 2015, 149; [X.], [X.] 2015, 150).

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-
9
-

(3) Diese Frage kann der [X.] ohne Vorlage an den Gerichtshof der [X.] nach Art. 267 Abs. 3 A[X.]V entscheiden, weil sie sich [X.] der Begründung klar und eindeutig beantworten lässt, die der [X.] einer unmittelbaren Wirkung von Art. 15 derselben Richtlinie gegeben hat (sog. acte claire, [X.], Urteil vom 6. Oktober 1982 -
[X.]. 283/81 [X.], [X.]:[X.]:C:1982:335 Rn. 14-16; Einzelheiten bei: [X.] in Riesenhuber, [X.] Methodenlehre, 3. Aufl., § 23 Rn. 27, 29). In [X.] oben angesprochenen Urteil vom 28. April 2011 ([X.]. [X.]/11 PPU
-
El [X.], [X.]:[X.]:C:2011:268 Rn. 40, 47) hat der Gerichtshof die unmittelbare Wirkung von Art. 15 der [X.] mit den konkreten Anforderun-gen begründet, die diese Vorschrift an die Ausgestaltung des nationalen Rechts stellt und die auch zur Änderung des § 62 [X.] etwa durch die Einführung des
heutigen Absatzes 1 dieser
Vorschrift geführt haben. Solche konkreten Vorgaben enthält Art. 3 Nr. 7 der Richtlinie, wie ausgeführt, nicht. Der Mangel an inhaltlichen Vorgaben zur Ausformung des [X.] legt, anders als der Betroffene meint, eine Vorlage an den Gerichtshof zur Klärung der Frage nach der unmittelbaren Wirkung auch nicht nahe, zumal der [X.] Gesetzgeber das [X.] inzwischen erkannt und durch Erlass der erforderlichen Bestimmungen auch für die Abschiebungshaft vollständig beho-ben hat.

2. Auch die Beschwerdeentscheidung ist nicht zu beanstanden. Entge-gen der Ansicht des Betroffenen musste ihn das Beschwerdegericht nicht er-neut anhören.

a) Die Aufrechterhaltung der angeordneten Haft durch das Beschwerde-gericht wäre nur rechtsfehlerhaft, wenn das Beschwerdegericht den Betroffenen selbst persönlich anzuhören gehabt hätte. Denn in diesem Fall verletzte die 18
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20
-
10
-
Entscheidung des [X.] dessen Grundrechte aus Art.
2 Abs.
2 Satz
2, Art.
104 Abs.
1 [X.]
([X.], Beschluss vom 29.
Oktober 2015 -
V
ZB 67/15, [X.] 2016, 54
Rn.
6). Nach §
68 Abs.
3 Satz
2 FamFG kann das Be-schwerdegericht von einer erneuten Anhörung des Betroffenen absehen, wenn eine ordnungsgemäße persönliche Anhörung in erster Instanz stattgefunden hat und zusätzliche Erkenntnisse durch eine erneute Anhörung nicht zu erwarten sind ([X.]sbeschlüsse vom 17.
Juni 2010 -
V
[X.], [X.] 2010, 261 Rn.
8, vom 4.
März 2010 -
V
ZB
222/09, [X.]Z 184, 323 Rn.
13 und vom 29.
Oktober 2015 -
V
ZB
67/15, juris Rn.
6 f.). Diese Voraussetzungen hat das Beschwerdegericht ohne Rechtsfehler angenommen.

b) Das Beschwerdegericht musste den Betroffenen auch nicht deshalb erneut anhören, weil ihm der Haftantrag der beteiligten Behörde bei der Anhö-rung durch den Haftrichter nicht ausgehändigt worden ist.

aa) Richtig ist allerdings, dass der Haftantrag der beteiligten Behörde einem Betroffenen bei der Anhörung durch den Haftrichter nicht nur bekannt zu machen, sondern in Ablichtung auszuhändigen ist und dass dieser Vorgang im Protokoll festgehalten werden muss ([X.], Beschluss vom 5.
Dezember 2013 -
V
ZB 71/13, [X.] 2014, 150 Rn.
7). Fehlt es an einer entsprechenden Do-kumentation im Protokoll über die persönliche Anhörung, ist für das [X.] davon auszugehen, dass der Haftantrag nicht ausgehändigt worden ist. Die fehlende Aushändigung des [X.] führte nach der bishe-rigen Rechtsprechung des [X.]s dazu, dass die Haftanordnung ohne weiteres rechtswidrig war (vgl. etwa [X.]sbeschlüsse vom 30.
März 2012 -
V
ZB 59/12, juris Rn.
10 und vom 30. Oktober 2013 -
V
ZB 9/13, [X.]
2014, 43 Rn.
10). Der [X.] hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass sich ohne eine Aus-händigung des [X.] die persönliche Anhörung des Betroffenen nicht 21
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-
11
-
ordnungsgemäß durchführen lasse (Beschluss vom 11.
Oktober 2012
-
V
ZB
274/11, [X.] 2013, 40 Rn.
7; ähnlich schon [X.]sbeschluss vom 4.
März 2010 -
V
ZB 222/09, [X.]Z 184, 323 Rn.
16).

[X.]) (1) An dieser Rechtsprechung hält der [X.], was der Betroffene nicht verkennt, im Hinblick auf die abweichende Rechtsprechung des [X.] (Urteil vom 10.
September 2013, [X.]. [X.]/13
-
PPU -
G. and R., [X.]:[X.]:C:2013:533 Rn.
44 f.) nicht mehr uneingeschränkt fest. Die unterbliebene Aushändigung des [X.] führt nur dann zu einer Aufhebung der Haftanordnung oder der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit, wenn das Verfahren ohne diesen Fehler zu einem anderen Ergebnis hätte [X.] können ([X.], Beschluss vom 16.
Juli 2014 -
V
ZB
80/13, [X.] 2014, 384 Rn.
9). Die Verpflichtung, dem Betroffenen eine Ablichtung des [X.] auszuhändigen, ist nicht Teil der persönlichen Anhörung des Betroffenen, die als Verfahrensgarantie nach Art.
104 Abs.
1 [X.] unbedingt einzuhalten ist und deren
Verletzung ohne Rücksicht auf die inhaltliche Richtigkeit der Haftan-ordnung zu ihrer Rechtswidrigkeit führt. Die Aushändigung des [X.] ist vielmehr Ausfluss der Verpflichtung, dem Betroffenen rechtliches Gehör zu ge-währen (Art.
103 [X.]). Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung des rechtlichen Gehörs führt nur dann zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung, wenn das Verfahren ohne den Verstoß zu einem anderen Ergebnis hätte führen [X.] (zum Ganzen:
[X.], Beschluss vom 16.
Juli 2014 -
V
ZB
80/13, [X.] 2014, 384 Rn.
8).

[X.] Die unterbliebene
Aushändigung des [X.] erforderte keine erneute Anhörung des Betroffenen in der Beschwerdeinstanz.

23
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-
12
-

(a) Verfahrensfehler bei der Durchführung der erstinstanzlichen Anhö-rung können zwar den Betroffenen nicht nur in seinem Anspruch auf Gewäh-rung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 [X.], sondern auch in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 104 Abs. 1 Satz 1 [X.] verletzen. Ein sol-cher Fehler kann -
mit Wirkung für die Zukunft -
nicht schon dadurch geheilt werden, dass dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird, sondern nur durch eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen nach §
420 FamFG ([X.], Beschluss vom 18. Dezember 2014 -
V [X.], juris Rn. 9 mwN). Daran hat sich durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] nichts geändert. Denn die persönliche Anhörung des Be-troffenen ist ebenso wie der zulässige Haftantrag eine Voraussetzung für die Anordnung von Sicherungshaft
im Sinne von Art. 104 Abs. 1 [X.], an deren Ein-führung der [X.] Gesetzgeber unionsrechtlich nicht gehindert ist.

(b) Nicht jeder Verfahrensfehler führt aber dazu, dass die durchgeführte Anhörung gewissermaßen als Nichtanhörung

anzusehen ist ([X.],
Beschluss vom 17. Juni 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 261 Rn. 22). [X.] bei der Durchführung der persönlichen Anhörung des Betroffenen verletzen § 420 FamFG und damit Art. 104 Abs. 1 [X.] nur, wenn sie nicht nur den formal ordnungsmäßigen Ablauf der Anhörung, sondern deren
Grundlagen betreffen ([X.], Beschluss vom 18. Dezember 2014 -
V [X.], juris Rn. 9 mwN; ähnlich [X.], Beschluss vom 2. März 2011 -
XII [X.], NJW 2011, [X.], aber unterbliebene Bestellung eines Verfahrenspflegers für die Anhörung im Unterbringungsverfahren, und diese Entscheidung aufgreifend: [X.], [X.] vom 10. Oktober 2013 -
V [X.], [X.] 2014, 39 Rn. 9 [X.]). Die Grundlagen der Anhörung sind im Zusammenhang mit einem Haftantrag nicht schon betroffen, wenn dem Betroffenen eine Kopie des [X.] oder von 25
26
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13
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dessen Übersetzung nicht ausgehändigt wird, sondern erst, wenn der Anhörung ein unzulässiger ([X.], Beschluss vom 16. Juli 2014 -
V ZB 80/13 [X.] 2014, 384 Rn. 19, 22) oder ein unvollständiger ([X.], Beschluss vom 29. April 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 210 Rn. 16 f.) Haftantrag zugrunde liegt, oder wenn der zulässige Haftantrag bei der Anhörung nicht zumindest in den wesentlichen Grundzügen sinngemäß mündlich in eine Sprache übersetzt wird, die der Betroffene beherrscht (vgl. [X.], Beschluss vom 12. März 2015
-
V [X.], [X.] 2015, 301 Rn. 5 [X.]). Das Beschwerdegericht muss deshalb einen Betroffenen nicht allein wegen der unterlassenen Aushändigung des [X.] erneut persönlich anhören. Eine Anhörung
ist auch nicht zur nachträglichen Gewährung rechtlichen Gehörs erforderlich. Dieses
kann, wie hier, etwa dadurch nachgeholt
werden, dass dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen eine Kopie des Antrags zugeleitet wird.

-
14
-

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs.

3 GNotKG.

[X.] [X.] Brückner

Göbel Haberkamp
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 16.01.2015 -
209 [X.]/15 -

[X.], Entscheidung vom 16.02.2015 -
19 [X.] -

27

Meta

V ZB 23/15

18.02.2016

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.02.2016, Az. V ZB 23/15 (REWIS RS 2016, 15989)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 15989

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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