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Reststrafaussetzung zur Bewährung: zuständiges Gericht; Berücksichtigung der erforderlichen Vorlaufzeit
Für die Entscheidung über die Aussetzung des [X.] zur Bewährung nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Freiheitsstrafen aus den Urteilen des [X.] vom 26. Mai 2015 (5 [X.] Js 9937/13) und vom 22. Dezember 2017 (2 [X.]) ist das
[X.] – Strafvollstreckungskammer –
zuständig.
Die [X.] und [X.] streiten über die Zuständigkeit in einer Strafvollstreckungssache.
I.
Der Verurteilte befindet sich seit dem 30. Januar 2023 in der im Bezirk des [X.]s [X.] gelegenen [X.]. Bis zum 29. Januar 2023 wurde gegen ihn in der [X.], die im Bezirk des [X.] liegt, Strafhaft vollstreckt.
Der Verurteilte verbüßt eine mit Urteil des [X.] vom 22. Dezember 2017 gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten. Zudem hat das [X.] gegen ihn die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Außerdem wird gegen ihn eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten und zwei Wochen aus dem Berufungsurteil des [X.] vom 26. Mai 2015 vollstreckt. Der gemeinsame [X.] ist auf den 13. Mai 2023 notiert. Das Strafende datiert auf den 7. Juni 2026, anschließend ist der Vollzug der Sicherungsverwahrung vorgemerkt.
Mit Verfügung vom 6. Februar 2023 forderte die Staatsanwaltschaft [X.], Zweigstelle [X.], eine Stellungnahme der [X.] zur Frage der Entlassung des Verurteilten zum [X.] an. Die Haftanstalt sprach sich am 6. März 2023 gegen eine [X.] zur Bewährung aus. Mit Verfügung vom 9. März 2023 hat die Staatsanwaltschaft die Akten der Strafvollstreckungskammer des [X.]s [X.] vorgelegt und beantragt, die Reststrafe nicht zur Bewährung auszusetzen.
Das [X.] [X.] – Strafvollstreckungskammer – hält die Zuständigkeit des [X.] für gegeben; die dortige Strafvollstreckungskammer hat die Übernahme des Verfahrens durch Beschluss vom 19. Mai 2023 abgelehnt, woraufhin das [X.] [X.] die Sache dem [X.] zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt hat.
II.
1. Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung durch den [X.] sind gegeben. Da zwischen dem [X.] [X.] (Bezirk des Oberlandesgerichts [X.]) und dem [X.] Stuttgart (Bezirk des [X.]) Uneinigkeit über die Zuständigkeit besteht, ist der [X.] gemäß § 14 StPO als gemeinschaftliches oberes Gericht zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen.
2. Die Strafvollstreckungskammer des [X.] ist für die Entscheidung über die [X.] zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 1 StGB zuständig.
a) Die Zuständigkeit richtet sich nach § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO. Demnach ist – sofern gegen einen Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird – für die nach § 454 StPO zu treffende Entscheidung die Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk die Strafanstalt liegt, in die der Verurteilte zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht mit der Sache befasst wird, aufgenommen ist.
b) Die Strafvollstreckungskammer des [X.] war mit der Nachtragsentscheidung gemäß § 57 Abs. 1 StGB im Sinne des § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO bereits befasst, als der Verurteilte am 30. Januar 2023 in die [X.] verlegt wurde.
aa) „Befasst“ wird das Gericht, wenn Tatsachen aktenkundig werden, die eine Entscheidung rechtfertigen können, unabhängig davon, ob sich die Verfahrensakten zu diesem Zeitpunkt bei der (zuständigen) Strafvollstreckungskammer befinden (Senat, Beschlüsse vom 14. August 1981 – 2 [X.], [X.], 189, 191; vom 11. April 2022 – 2 [X.], NStZ-RR 2022, 358 mwN; [X.], 9. Aufl., § 462a Rn. 17 mwN). Auch ohne Antragstellung oder Zuleitung der Akten zur Entscheidung ist ein Gericht schon befasst, sobald eine nachträgliche Entscheidung ansteht, etwa weil eine Entscheidung von Amts wegen gesetzlich vorgeschrieben ist (vgl. Senat, Beschluss vom 11. April 2022 – 2 [X.], NStZ-RR 2022, 358, 359; [X.], 9. Aufl., § 462a Rn. 18 mwN). Eine Befassung tritt deshalb auch bei Untätigkeit des Gerichts ein, wenn der nach § 57 Abs. 1 StGB maßgebliche Zeitpunkt für die Entscheidung über eine Strafaussetzung herannaht; die erforderliche Vorlaufzeit ist dabei so zu bemessen, dass der Verurteilte im Falle einer Bewilligung der Strafaussetzung nach Durchführung der erforderlichen Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung bei Eintritt der [X.] entlassen werden könnte, wobei auch zu bedenken ist, dass möglicherweise ein Beschwerdeverfahren durchgeführt werden muss (Senat, Beschlüsse vom 13. Oktober 2021 – 2 [X.], NStZ-RR 2021, 390, 391; vom 11. April 2022 – 2 [X.], NStZ-RR 2022, 358, 359). Insbesondere ist bei der erforderlichen vorausschauenden Planung zu berücksichtigen, ob vor der Entscheidung gemäß § 454 Abs. 2 StPO die Einholung eines Sachverständigengutachtens vorgesehen ist ([X.], 9. Aufl., § 462a Rn. 18 mwN).
bb) Im vorliegenden Fall standen zum Zeitpunkt der Verlegung bis zum gemeinsamen [X.] am 13. Mai 2023 noch dreieinhalb Monate zur Verfügung, um das Verfahren betreffend die Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB abzuschließen. Zwar kann bei einer Verlegung drei Monate vor dem [X.] von einem Befasstsein der Strafvollstreckungskammer im Allgemeinen noch nicht ausgegangen werden (Senat, Beschlüsse vom 26. Oktober 2021 – 2 [X.], juris Rn. 11 mwN; vom 11. April 2022 – 2 [X.], NStZ-RR 2022, 358, 359). Dies gilt indes für Fälle, in denen die Einholung eines Sachverständigengutachtens vom Gesetz nicht vorgeschrieben ist. Wenn hingegen gemäß § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO die Einholung eines Sachverständigengutachtens in Betracht kommt, ist von einem deutlich längeren Vorlauf auszugehen. Auch wenn im Einzelfall die Einholung eines Gutachtens entbehrlich ist, weil eine Strafaussetzung aus Sicht des Gerichtes nicht in Betracht kommt (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Dezember 2020 – StB 45/20, juris Rn. 10 mwN), führt dies nicht zu einer kürzeren Vorlaufzeit. Die Entscheidung, ob überhaupt ein Gutachten einzuholen ist, muss so rechtzeitig erfolgen, dass bei positiver Entscheidung das Gutachten rechtzeitig vor dem [X.] des § 57 Abs. 1 StGB zur Verfügung steht und die erforderlichen Anhörungen zuvor stattfinden können. Sobald eine Strafvollstreckungskammer zu entscheiden hat, ob ein Sachverständigengutachten einzuholen ist, ist sie mit der Sache befasst. Wann der maßgebliche Zeitpunkt gegeben ist, zu dem eine Strafvollstreckungskammer die Einholung eines Gutachtens prüfen muss, hängt im Einzelfall von verschiedenen Faktoren ab. Neben der Länge der gegen den Verurteilten verhängten Freiheitsstrafe und dem Umstand, ob – wie hier – auch die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung im Hintergrund steht (vgl. § 67c Abs. 1 StGB, § 463 Abs. 3 Satz 3 StPO), sind die zeitlichen Verfügbarkeiten von Sachverständigen von Bedeutung, die sich in den Gerichtsbezirken und auch im Einzelfall unterscheiden können. Die Einholung eines entsprechenden Gutachtens benötigt jedenfalls regelmäßig einen längeren Vorlauf als die hier angenommenen dreieinhalb Monate (vgl. auch [X.], Beschluss vom 6. Dezember 2004 – 2 Ws 681/04, juris Rn. 14; [X.]/[X.], [X.]., § 36 Rn. 27).
Nach alledem bleibt das mit der Aussetzungsentscheidung befasste [X.] Stuttgart – Strafvollstreckungskammer – zuständig, bis über die Sache abschließend entschieden ist (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Mai 2011 – 2 [X.], [X.]St 56, 252, 253 mwN; [X.], 9. Aufl., § 462a Rn. 16 mwN).
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Zeng |
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Meyberg |
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Grube |
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Schmidt |
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Meta
01.08.2023
Bundesgerichtshof 2. Strafsenat
Beschluss
Sachgebiet: ARs
§ 454 Abs 2 S 1 Nr 2 StPO, § 462a Abs 1 S 1 StPO, § 57 Abs 1 StGB, § 57a StGB
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.08.2023, Az. 2 ARs 267/23 (REWIS RS 2023, 5753)
Papierfundstellen: REWIS RS 2023, 5753
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