Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.06.2012, Az. V ZB 63/12

V. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 5608

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[X.]UNDESGERICHTSHOF

[X.]ESCHLUSS
V Z[X.] 63/12

vom

14. Juni 2012

in der Abschiebungshaftsache

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-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 14. Juni 2012
durch den [X.] [X.] [X.], [X.] Lemke
und
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch
und die Richterinnen Dr.
[X.] und Weinland
beschlossen:

Der [X.]etroffenen wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur [X.]egründung der Rechts-beschwerde gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde der [X.]etroffenen wird festgestellt, dass die [X.]eschlüsse des [X.] vom 5.
Juli
2011 und der 5. Zivilkammer des [X.] vom 18. Juli 2011 sie in ihren Rechten
verletzt haben.

Gerichtskosten werden in [X.] Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der
[X.]etroffenen in [X.] Instanzen werden dem [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] be-

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-
Gründe:

I.

Die [X.]etroffene, eine [X.] Staatsangehörige, kam mit einem gültigen [X.]esuchsvisum nach [X.] und reiste von dort am 15. April 2010 unerlaubt nach [X.] ein, wo sie erfolglos Asyl beantragte. Zwei Anordnungen von vor-läufiger [X.] vom 22. September 2010 und vom 6. Oktober 2010 konnten nicht vollzogen werden, weil sie nicht auffindbar war. Ihre Abschiebung wurde -
seit dem 5. März 2011 vollziehbar
-
angeordnet. Mit seit dem 4.
Juli
2011 bestandskräftigem [X.]escheid vom 18. Mai 2011 wurde sie ausge-wiesen. Die [X.] [X.]ehörden sagten die Rücknahme der [X.]etroffenen bis zum 7.
März 2012 zu. Am 28. Juni 2011 beantragte diese erneut in [X.] Asyl. Auf den Antrag der beteiligten [X.]ehörde auf Anordnung von [X.] hat das Amtsgericht mit [X.]eschluss vom 5. Juli 2011 Haft zur Siche-rung der Zurückschiebung bis zum 4.
Oktober 2011 angeordnet. Die [X.]eschwer-de der [X.]etroffenen hat das [X.] zurückgewiesen. Dagegen wendet sie sich mit der Rechtsbeschwerde, nach ihrer Abschiebung nach [X.] am 27.
Juli 2011 mit dem Antrag, die Verletzung ihrer Rechte durch die Anordnung und Aufrechterhaltung der Haft festzustellen.

II.

Das [X.]eschwerdegericht meint, die [X.]etroffene sei vollziehbar [X.]. Ihr Asylantrag vom 28. Juni 2011 stehe der Anordnung von Siche-rungshaft nicht entgegen. Es bestehe
der begründete Verdacht, dass sie sich der Abschiebung entziehe werde. Sie habe sich zwei Haftanordnungen [X.]. Es sei offensichtlich, dass sie das [X.]esuchsvisum für [X.] angestrebt ha-1
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be, um von dort nach [X.] zu gelangen, wo ihre [X.]rüder wohnten. Sie werde der Abschiebung deshalb nicht Folge leisten. Ihre Zurückschiebung sei auch nicht unverhältnismäßig. Von der [X.]etroffenen nicht zu vertretende Grün-de, die einer Durchführung der Abschiebung in den nächsten drei Monaten ent-gegenstünden, seien nicht ersichtlich. Eine ergänzende Anhörung der [X.] sei nicht erforderlich.

III.

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG mit dem [X.] analog § 62 FamFG statthafte (Senat, [X.]eschluss vom 25.
Februar
2010 -
V [X.], [X.] 2010, 150, 151 Rn.
9) und auch sonst zulässige (§
71 FamFG) Rechtsbeschwerde ist begründet. Die
[X.]etroffene ist durch die Haftanordnung und ihre Aufrechterhaltung durch das [X.]eschwerdege-richt in ihren
Rechten verletzt worden.

1. Die Haft hätte nach §§
417, 420
FamFG nicht
angeordnet werden [X.], weil der vorgelegte Haftantrag nicht zulässig war und weil er der [X.]
nicht ausgehändigt worden ist.

a) [X.] darf nur angeordnet werden, wenn der von der betei-ligten [X.]ehörde vorgelegte Haftantrag die nach § 417 Abs. 2 Satz 1
FamFG vorgeschriebene [X.]egründung enthält und diese den gesetzlichen An-forderungen des § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG entspricht
(Senat, [X.]eschluss vom 15.
September 2011 -
V
Z[X.]
123/11, [X.] 2011, 317 Rn.
8). Daran fehlt es hier.

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aa) Den gesetzlichen Anforderungen an die [X.]egründung genügt ein Haftantrag nicht schon dann, wenn darin entsprechend § 23 FamFG "die zur [X.]egründung dienenden Tatsachen und [X.]eweismittel angegeben"
werden. [X.] muss er sich zu [X.] in § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG bestimmten Punkten verhalten. Die dazu notwendigen Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falls ansprechen (vgl. Senat, [X.]eschluss vom 15. September 2011 -
V
Z[X.] 123/11, [X.] 2011, 317 f. Rn. 9),
auf den konkreten Fall zugeschnitten sein und dürfen sich nicht in Leerformeln und Textbausteinen erschöpfen (Senat, [X.]eschluss vom 27.
Oktober 2011 -
V
Z[X.]
311/10, [X.]
2012, 82, 83 Rn. 13). Das gilt insbesondere für die Ausführungen zur beantragten Dauer der Haft. Hieran fehlt es.

bb) Dem Haftantrag ist eine Mitteilung des [X.] vom 29. Oktober 2010 beigefügt, aus welcher sich ergibt, dass eine Rückführung der [X.]etroffenen nach [X.] bis zum 7. März 2012 möglich war. Aus welchen Gründe die
beteiligte [X.]ehörde angesichts der offenbar vorhande-nen Rücknahmebereitschaft der [X.] [X.]ehörden die Anordnung einer Haft von bis zu drei Monaten für notwendig hielt, ist weder dem
Antrag noch den beigefügten Unterlagen zu entnehmen. Ausführungen dazu waren aber geboten. Die in § 62 Abs. 2 Satz 4 [X.] aF bestimmte Frist von drei Mona-ten darf nur ausgeschöpft werden, wenn eine schnellere
Abschiebung nicht möglich ist. Das ist heute in § 62 Abs. 1 Satz 2 [X.] ausdrücklich geregelt, galt aber auch schon vor Inkrafttreten dieser Regelung. Mit dieser Norm setzte
der [X.] Gesetzgeber nämlich Art. 15
Abs. 1
Satz
2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ([X.]. EG Nr. L 348 S.
98) 6
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um, die bis zum 24. Dezember 2010 umzusetzen und seit diesem Zeitpunkt bei der Anwendung des Aufenthaltsgesetzes zu beachten war (Senat, [X.]eschluss vom 17.
Juni 2010 -
V Z[X.] 9/10 InfAuslR 2010, 384, 387 = juris Rn. 27
für Art.
17 der Richtlinie).

b) Die Haft hätte auch deshalb nicht angeordnet werden dürfen, weil der Haftantrag der [X.]etroffenen nach dem Anhörungsprotokoll und dem sonstigen Inhalt der Akten weder vor noch während
der Anhörung in Kopie ausgehändigt oder auch nur zur Kenntnis gebracht worden ist. Der Haftantrag kann dem [X.]e-troffenen zwar erst zu [X.]eginn der Anhörung eröffnet werden, wenn dieser einen einfachen, überschaubaren Sachverhalt betrifft, zu dem der [X.]etroffene auch unter [X.]erücksichtigung einer etwaigen Überraschung ohne weiteres auskunfts-fähig ist (Senat, [X.]eschluss vom 4. März 2010 -
V
Z[X.] 222/09, [X.], 323, 330 Rn. 16 mwN). Hier ist dem Anhörungsprotokoll schon nicht zu entnehmen, dass die [X.]etroffene überhaupt mit dem Inhalt des [X.] vertraut gemacht worden ist. Eine solche Information über den Inhalt des [X.] wäre aber ohnehin nicht ausreichend gewesen. Denn aus dem Umstand, dass der [X.] in einfachen Fällen erst zu [X.]eginn der Anhörung eröffnet werden kann, folgt nicht, dass sich der Haftrichter in einem solchen Fall darauf beschränken dürfte, den Inhalt des [X.] mündlich vorzutragen. Vielmehr muss dem [X.]etroffenen in jedem Fall eine Kopie des [X.] ausgehändigt werden und dies in dem Anhörungsprotokoll oder an einer anderen Aktenstelle schriftlich dokumentiert werden (Senat, [X.]eschluss vom 21. Juli 2011 -
V [X.], [X.] 2011, 257, 258 Rn. 8). Das gilt auch dann, wenn der [X.] über den Termin unterrichtet worden ist. Denn durch die -
hier zudem aus den Akten nicht ersichtliche
-
Unterrichtung über den Termin allein erfährt auch dieser nichts von dem Inhalt des [X.].

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2. Die Aufrechterhaltung der Haftanordnung durch das [X.]eschwerdege-richt hat
die [X.]etroffene in ihren Rechten
verletzt, weil die beteiligte
[X.]ehörde den Haftantrag nicht ergänzt hatte, es deshalb immer noch an den [X.] fehlte,
und weil es sie
nicht selbst angehört hat, obwohl es dazu ver-pflichtet war.

a) Die angeordnete Haft durfte nur aufrechterhalten werden, wenn zu diesem Zeitpunkt ein zulässiger Haftantrag vorlag. Das ist der Fall, wenn die beteiligte [X.]ehörde die fehlenden Angaben im [X.]eschwerdeverfahren nachholt und dem [X.]etroffenen rechtliches Gehör dazu gewährt wird (Senat, [X.]eschluss vom 15. September 2011 -
V [X.], [X.] 2011, 318 f. Rn. 8). Das ist nicht geschehen.

b) Das [X.]eschwerdegericht durfte von der auch in einem [X.]eschwerdever-fahren grundsätzlich erforderlichen Anhörung (vgl. Senat, [X.]eschlüsse vom 28.
Januar 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 163, vom 4. März 2010 -
V
[X.], [X.] 2010, 152, 153 Rn.
7 und vom 4.
März 2010
[X.], [X.]
184, 323, 329 Rn.
13) nicht absehen. Nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG ist dies zwar ausnahmsweise -
auch unter [X.]erücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 [X.] -
zulässig, wenn eine persönliche Anhörung in erster Instanz bereits er-folgt ist und zusätzliche Erkenntnisse durch eine erneute Anhörung nicht zu er-warten sind (Senat, [X.]eschlüsse vom 4. März 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 152, 153 Rn.
7 und vom 4.
März 2010
[X.], [X.]
184, 323, 329 Rn.
13). Daran fehlt es aber, wenn die angegriffene Haft ohne zulässigen Haftantrag angeordnet worden ist. Das Fehlen eines zulässigen
[X.]
entzieht nicht erst der Haftanordnung die Grundlage, sondern schon der vo-rausgehenden Anhörung des [X.]etroffenen durch den Haftrichter. Ohne zulässi-gen Haftantrag kann der Haftrichter dem [X.]etroffenen nicht, wie geboten, Gele-9
10
11
-
8
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genheit geben, sich zu den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der gegen ihn zu verhängenden Freiheitsentziehung sowie zu [X.] wesentlichen [X.] zu äußern, auf die es für die Entscheidung über die Freiheitsent-ziehung ankommt (vgl. Senat, [X.]eschlüsse vom 29. April 2010

V
Z[X.] 218/09, NVwZ 2010, 1508, 1510 Rn. 25 und vom 18. August 2010

V
Z[X.] 119/10, NVwZ 2010, 1575 ([X.]) Rn.
14, Abdruck bei juris). Außerdem hatte das Amtsgericht versäumt, die [X.]etroffene, wie geboten (Senat, [X.]eschluss vom 19. Januar 2012 -
V [X.], [X.] 2012, 84, 85 Rn. 5), dazu zu befragen, ob sie der [X.] trotz grundsätzlicher Ausreiseunwilligkeit, die für sich genommen eine Inhaftierung nicht rechtfertigt (Senat, [X.]eschluss vom 12. Juni 1986

[X.], [X.] 98,

109, 113), freiwillig Folge leisten werde.
-
9
-

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81
Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs.
2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 [X.] analog. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.

Krüger

Lemke

Schmidt-Räntsch

[X.]

Weinland

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 05.07.2011 -
XIV 57/11 ([X.]) -

LG Augsburg, Entscheidung vom 18.07.2011 -
52 T 2557/11 -

12

Meta

V ZB 63/12

14.06.2012

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.06.2012, Az. V ZB 63/12 (REWIS RS 2012, 5608)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5608

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V ZB 172/09

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V ZB 141/11

V ZB 136/11

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V ZB 184/09

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