Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.12.2015, Az. StB 15/15

3. Strafsenat | REWIS RS 2015, 445

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Gegenstand

Anklage wegen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung und Mord in Tateinheit: Zulässigkeit der teilweisen Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens; Fehlen von individualisierenden Merkmalen des angeklagten Mordes im Anklagesatz


Tenor

Die sofortige Beschwerde des [X.] gegen den Beschluss des [X.] vom 20. Oktober 2015 wird verworfen.

Gründe

1

Der [X.] hat dem Angeklagten mit der zum [X.] erhobenen Anklage vorgeworfen, sich spätestens seit September 2013 als Mitglied an einer ausländischen terroristischen Vereinigung beteiligt (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB), tateinheitlich hierzu aus niedrigen Beweggründen einen Menschen getötet (§ 211 StGB) sowie in weiterer Tateinheit eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben (§ 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StGB). Das [X.] hat mit Beschluss vom 20. Oktober 2015 die Anklage teilweise zur Hauptverhandlung zugelassen; hinsichtlich des Vorwurfs des Mordes hat es die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Gegen die teilweise Nichteröffnung wendet sich der [X.] mit seiner sofortigen Beschwerde.

2

Das nach § 210 Abs. 2, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 2 [X.] statthafte Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.

3

1. Mit der Anklageschrift wird dem Angeklagten, der [X.] und [X.] Staatsangehöriger ist, folgender Sachverhalt zur Last gelegt:

4

Der Angeklagte, der sich seit 2010 mit islamistischem Gedankengut befasste, entschied sich spätestens Anfang 2013, sich kämpfend am [X.] zu beteiligen. Zu diesem Zweck reiste er im März 2013 nach [X.]. Spätestens im September 2013 schloss er sich dort der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat im [X.] und Großsyrien ([X.])" an. Er unterwarf sich deren Befehlsgewalt, ließ sich im Umgang mit Schusswaffen ausbilden, verschaffte sich eine Kalaschnikow und legte gegenüber dem Befehlshaber seiner Kampfeinheit den Treueid auf den Anführer des "[X.]" ab. Spätestens ab dem 13. Oktober 2013 nahm er mehrfach an [X.] teil. Außerdem leistete er als Kämpfer Wachdienste. Während seiner Mitwirkung an den bewaffneten Auseinandersetzungen tötete er noch im Alter von 20 Jahren - also vor dem 25. Januar 2014 - an einem nicht näher bekannten Ort in [X.] einen Menschen, getragen von den radikal-islamistischen Vorstellungen des "[X.]", die die körperliche Vernichtung aller Gegner und Andersdenkender zur religiösen Verpflichtung pervertieren. Vom 25. Januar 2014 bis zum 1. Juli 2014 hielt er sich vorübergehend in [X.] auf, um sich zur Wiederherstellung seiner Kampffähigkeit ärztlich behandeln zu lassen. Danach reiste er erneut nach [X.], wo er wiederum an Kampfhandlungen des "[X.]" teilnahm.

5

Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wird zur Beweislage hinsichtlich des Vorwurfs des Mordes ausgeführt, dass die Lebensgefährtin des Angeklagten gegenüber der Polizei angegeben habe, dieser habe ihr erzählt, "ungefähr" 16 Personen bei [X.] getötet zu haben, was sie am Telefon auch ihrer Cousine erzählt habe. Außerdem habe der Angeklagte gegenüber zwei Mitgefangenen angegeben, Menschen bei den [X.] "geköpft" zu haben. Auf Nachfrage eines der Mitgefangenen, ob er Menschen getötet habe, habe er genickt.

6

Hinsichtlich des Vorwurfs des Mordes wird in der Anklageschrift ergänzend angeführt, es sei zugunsten des Angeklagten nur von einem Mord auszugehen, da mangels näherer Anhaltspunkte die genaue Zahl der getöteten Personen nicht festgestellt werden könne. Dieser stehe zu den beiden anderen Delikten in Tateinheit.

7

2. Zutreffend geht das [X.] davon aus, dass die Anklage wegen Mordes ihrer Umgrenzungsfunktion nicht gerecht wird. Auf die Frage, ob ein hinreichender Tatverdacht vorliegt, kommt es deshalb nicht an.

8

Die Anklage hat die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben [X.] unterscheiden lassen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll; sonst ist die Anklage unwirksam (st. Rspr.; [X.], Urteil vom 25. Januar 1995 - 3 StR 448/94, [X.]St 40, 390, 391 f.).

9

Diesen Anforderungen genügt die Anklageschrift hinsichtlich des Vorwurfs des Mordes nicht. Das dem Angeklagten angelastete Tötungsdelikt ist weder im [X.] noch im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen hinreichend umschrieben. Die Anklage enthält zwar eine ungefähre zeitliche Einordnung der Tat zwischen dem 13. Oktober 2013 und dem 25. Januar 2014 und nennt als Tatort geographisch das Land "[X.]". Über diese wenig konkreten Angaben hinaus finden sich in der Anklage jedoch keinerlei konkretisierenden Merkmale hinsichtlich des dem Angeklagten vorgeworfenen Tötungsdelikts. Weder die Person des Opfers noch die Art und die Umstände der Tötung werden mitgeteilt. Damit enthält der [X.] - auch zusammen mit den Ausführungen im wesentlichen Ermittlungsergebnis - keine individualisierenden Merkmale, mit denen sich das angeklagte Delikt von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben [X.] unterscheiden lässt. Ergänzend wird auf die zutreffenden Gründe der Entscheidung des [X.]s verwiesen.

3. Entgegen der Auffassung des [X.]s war es dem [X.] vorliegend auch rechtlich nicht verwehrt, die Eröffnung des Hauptverfahrens teilweise abzulehnen.

a) Das [X.] hat die nur teilweise Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 207 Abs. 2 Nr. 1 [X.] auf der Grundlage bisheriger Rechtsprechung des Senats als zulässig angesehen, weil es sich bei dem Mord im Verhältnis zu den anderen dem Angeklagten angelasteten Delikten um eine andere Tat im prozessualen Sinne des § 264 Abs. 1 [X.] handele. Nach dieser Rechtsprechung standen sonstige Straftaten, die sich gleichzeitig als mitgliedschaftliche Beteiligungsakte an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung darstellten, materiell-rechtlich zwar in Tateinheit mit dem Verstoß gegen § 129 Abs. 1 oder § 129a Abs. 1 bzw. Abs. 2 (gegebenenfalls [X.]. § 129b Satz 1) StGB, bildeten aber - in Abweichung von sonst geltenden Grundsätzen - jedenfalls mit Blick auf einen möglichen Strafklageverbrauch dann keine einheitliche prozessuale Tat mit dem [X.], wenn sie gemessen an ihrer Strafandrohung schwerer wogen als dieses ([X.], Urteil vom 11. Juni 1980 - 3 StR 9/80, [X.]St 29, 288). Das [X.] ist davon ausgegangen, dass der Begriff der prozessualen Tat im Hinblick auf die vorliegend in Frage stehende Kognitionspflicht des Gerichts nicht anders als beim Strafklageverbrauch verstanden werden kann.

b) Eines näheren [X.] hierauf bedarf es nicht. Die Entscheidung des [X.]s erweist sich jedenfalls auf Grundlage der neueren Rechtsprechung des Senats im Ergebnis als zutreffend; denn der Senat hat seine bisherige Rechtsprechung, wonach alle mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte an einer kriminellen (oder terroristischen) Vereinigung zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit zusammengefasst werden, aufgegeben ([X.], Beschluss vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14 juris). Vielmehr unterbleibt eine tateinheitliche Verknüpfung solcher Handlungen, die zwar der Zwecksetzung der Vereinigung oder sonst deren Interessen dienen, aber auch den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen. Diese stehen dann für sich genommen gemäß § 52 Abs. 1 Alt. 1 StGB materiell-rechtlich zwar in Tateinheit mit der jeweils gleichzeitig verwirklichten mitgliedschaftlichen Beteiligung im Sinne des § 129 Abs. 1, § 129a Abs. 1 oder Abs. 2 oder § 129b Abs. 1 StGB, jedoch - soweit sich nach allgemeinen Grundsätzen nichts anderes ergibt - sowohl untereinander als auch zu der Gesamtheit der sonstigen mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte in Tatmehrheit. Denn die Verletzung eines Individualrechtsguts durch eine Beteiligungshandlung, die ihrerseits einen Straftatbestand erfüllt, kann gegenüber dessen bloßer Gefährdung, der § 129 Abs. 1, § 129a Abs. 1, Abs. 2, § 129b Satz 1 StGB (auch) entgegenwirken wollen, nicht untergeordnet sein (s. näher [X.] aaO).

Dies gilt auch vorliegend. Das angeklagte Tötungsdelikt steht zwar für sich in Tateinheit mit der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, zur sonstigen Erfüllung des Tatbestandes des § 129b, § 129a Abs. 1 [X.]. 2 StGB besteht aber Tatmehrheit. Damit beansprucht der Grundsatz Gültigkeit, dass sachlich-rechtlich selbständige Taten auch prozessual selbständig sind (vgl. [X.]/[X.], [X.], 58. Aufl., § 264 Rn. 2, 6 mwN). Für das angeklagte Tötungsdelikt bedeutet dies, dass es sich als eine einzelne von mehreren angeklagten Taten darstellt, so dass nach § 207 Abs. 2 Nr. 1 StGB eine Teilablehnung der Eröffnung zulässig war. Es unterlag damit auch nicht der Kognitionspflicht des [X.]s zu prüfen, ob sich aus dem angeklagten Sachverhalt möglicherweise Hinweise auf nach dem 25. Januar 2014 begangene weitere Tötungshandlungen ergaben, da solche Delikte nach dem oben [X.] als eigenständige prozessuale Taten zu werten wären, die von der Anklage nicht umfasst wären. Diese rechtsfehlerhafte Prüfung hat allerdings in der Entscheidung keinen Niederschlag gefunden.

[X.]                    Hubert                         Schäfer

               [X.]                      Spaniol

Meta

StB 15/15

17.12.2015

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Düsseldorf, 20. Oktober 2015, Az: III-5 StS 2/15

§ 52 Abs 1 Alt 1 StGB, § 53 StGB, § 129a Abs 1 Nr 1 StGB, § 129a Abs 1 Alt 2 StGB, § 129b Abs 1 S 1 StGB, § 129b Abs 1 S 2 StGB, § 211 StGB, § 207 Abs 2 Nr 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.12.2015, Az. StB 15/15 (REWIS RS 2015, 445)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 445

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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3 StR 537/14

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