Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.11.2019, Az. NotSt (Brfg) 6/18

Senat für Notarsachen | REWIS RS 2019, 1482

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Gegenstand

Rechtsweg bei Ahndung mehrerer Verfehlung eines Anwaltsnotars


Tenor

Auf die Berufung des [X.] wird das Urteil des Senats für Notarsachen des [X.] vom 6. November 2018 dahingehend abgeändert, dass die Disziplinarverfügung des Präsidenten des [X.] vom 1. März 2018 aufgehoben und das Disziplinarverfahren insgesamt eingestellt wird.

Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

1. Der Kläger ist seit Januar 1986 als Rechtsanwalt zugelassen. Seit 15. September 2000 ist er zudem Notar mit Amtssitz in M.

2

[X.] wurde die [X.] gegründet. Gesellschafter zu je 1/3 und Geschäftsführer waren [X.], E. und [X.] Nachfolgend kam es zu Differenzen zwischen [X.] und E. einerseits und [X.] andererseits. Im November 2015 luden [X.] und E. zu einer Gesellschafterversammlung am 4. Dezember 2015 ein, in der der Gesellschaftsanteil von [X.] eingezogen werden sollte. Der Aufforderung der anwaltlichen Vertreter von [X.], die Gesellschafterversammlung abzusetzen, trat Rechtsanwalt [X.] aus der Kanzlei des [X.] unter der Mitteilung, dass die [X.] mit der anwaltlichen Beratung sowie der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragt habe, entgegen. In der Gesellschafterversammlung am 4. Dezember 2015 war auch der Kläger anwesend. Er verfügte über ein vorgefertigtes [X.] und vertrat mit vorgefertigter Vollmacht den Gesellschafter E. Er erklärte, als Vorsitzender der Gesellschafterversammlung auftreten und die Protokollführung übernehmen zu wollen und stimmte für den Gesellschafter E. für die Einziehung des Geschäftsanteils des [X.] Im [X.] daran kam es zu einer weiteren außerordentlichen Gesellschafterversammlung der Gesellschafter [X.] und E., die in den Kanzleiräumen des [X.] stattfand und in der die Abberufung des [X.] als Geschäftsführer beschlossen wurde. Noch am 4. Dezember 2015 beglaubigte der Kläger zur [X.]. 321/2015 die Unterschriften der Gesellschafter [X.] und E. unter der Anmeldung der Abberufung des [X.] als Geschäftsführer zur Eintragung in das Handelsregister, wobei in die Urkunde der Vermerk aufgenommen wurde, dass die [X.] gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurkG verneint worden sei, und übersandte die Anmeldung zusammen mit der geänderten Gesellschafterliste elektronisch an das zuständige Amtsgericht. In der Folgezeit kam es zu zivilrechtlichen Rechtsstreitigkeiten in vier verschiedenen Verfahren vor dem [X.], die von [X.] im Hinblick auf die Einziehung seines Geschäftsanteils und seine Abberufung und Kündigung als Geschäftsführer angestrengt wurden. In allen vier Verfahren wurde die beklagte Gesellschaft mit den verbliebenen Gesellschaftern [X.] und E. anwaltlich durch die Kanzlei des [X.] vertreten, wobei der Kläger teilweise selbst tätig wurde.

3

2. Der Beklagte verhängte mit Disziplinarverfügung vom 1. März 2018 gegen den Kläger eine Geldbuße in Höhe von 2.000 €. Er legte dem Kläger zur Last, als Notar im Zusammenhang mit der [X.]. 321/2015 in fahrlässiger Weise gegen § 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurkG verstoßen zu haben, da er die Gesellschafter [X.] und E. bereits vor der Gesellschafterversammlung am 4. Dezember 2015 anwaltlich beraten sowie in dieser Versammlung vertreten und für die Einziehung des Geschäftsanteils des [X.] gestimmt habe. Der Kläger habe zudem einen falschen Vorbefassungsvermerk in die Urkunde aufgenommen und schließlich durch die anwaltliche Vertretung der Gesellschaft in den Rechtsstreitigkeiten in Nachgang zu den Unterschriftenbeglaubigungen zugleich mit dem Verstoß gegen § 45 [X.] gegen seine notarielle Neutralitätspflicht verstoßen.

4

3. Mit seiner Klage hat der Kläger die Aufhebung der Disziplinarverfügung beantragt und - wie schon zuvor im disziplinarischen Ermittlungsverfahren - geltend gemacht, der disziplinarrechtlichen Ahndung stehe § 110 Abs. 1 [X.] entgegen, da es keine Anhaltspunkte für ein Übergewicht der vorgeworfenen notariellen Amtspflichtverletzungen gegenüber den angeblichen Verstößen gegen § 45 [X.] gebe. Zudem lägen die behaupteten Verstöße nicht vor. Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

5

4. Das [X.] hat unter Abweisung der weitergehenden Klage die Disziplinarverfügung des Beklagten dahingehend abgeändert, dass es die Geldbuße auf 750 € herabgesetzt hat. Wegen des Vorwurfs, der Kläger habe durch die anwaltliche Vertretung der Gesellschafter [X.] und E. in den von [X.] angestrengten zivilrechtlichen Rechtsstreitigkeiten vor dem [X.] gegen seine fortwirkende Neutralitätspflicht als Notar verstoßen, hat es das Disziplinarverfahren eingestellt. Die Berufung hat es zugelassen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das [X.] ausgeführt, der Beklagte könne zwar den Verstoß des [X.] gegen das [X.] nach § 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurkG und die Beurkundung eines falschen Vorbefassungsvermerks notarrechtlich ahnden, nicht aber die vorwiegend gegen § 45 [X.] verstoßende Vertretung der Gesellschaft in den vor dem [X.] geführten Zivilverfahren. Zu Recht habe der Beklagte in der Disziplinarverfügung - zusammen mit dem Verstoß des [X.] gegen seine fortbestehende Neutralitätspflicht als Notar durch die anwaltliche Vertretung der Gesellschaft in den Zivilverfahren - drei Verstöße des [X.] gegen seine notariellen Amtspflichten festgestellt. Der Verstoß gegen die fortbestehende Neutralitätspflicht stehe aber vorwiegend mit der Tätigkeit des [X.] als Rechtsanwalt im Zusammenhang, weshalb das Disziplinarverfahren insoweit einzustellen sei. Bei der Beurteilung der disziplinarrechtlichen Zuständigkeit sei vorliegend zwischen zwei Tatkomplexen zu unterscheiden. Der Komplex im Zusammenhang mit der Errichtung der [X.]. 321/2015, in welchem der Kläger eindeutig nur gegen seine notariellen Pflichten verstoßen habe, [X.] dem notariellen Disziplinarrecht. Davon zu trennen sei die anwaltliche Tätigkeit, die der Kläger aufgrund des von seiner vorangegangenen Tätigkeit grundsätzlich unabhängigen Entschlusses entfaltet habe, das Mandat zur Vertretung der [X.] vor dem [X.] zu übernehmen. Insoweit liege der Schwerpunkt der Verfehlung auf seiner anwaltlichen Tätigkeit, nämlich in dem Verstoß gegen § 45 Abs. 1 Nr. 1 [X.]; ein Übergewicht des gleichzeitig verwirklichten Verstoßes gegen die Neutralitätspflicht sei nicht festzustellen. Die beiden in Tatmehrheit stehenden Komplexe seien im Rahmen der Beurteilung der disziplinarrechtlichen Zuständigkeit entsprechend der Wertung des [X.] im Urteil vom 20. Dezember 1965 - [X.]([X.]) 2/65 zur Frage der Verjährung von Dienstvergehen gemäß § 95a [X.] unterschiedlich zu behandeln. Es sei nicht einsichtig, dass der vom Kläger im Zusammenhang mit der Errichtung der Urkunde im Dezember 2015 verwirklichte Verstoß nur deshalb nicht mehr als notarielle Dienstpflichtverletzung verfolgt werden könne, weil der Kläger nachträglich aufgrund verschiedener selbständiger Entschlüsse weitere Verfehlungen begangen habe, die ihren Schwerpunkt in seiner Tätigkeit als Anwalt hätten, so dass möglicherweise bei einer Beurteilung aller Verfehlungen als Ganzes der Schwerpunkt nicht mehr mit seinem Amt als Notar im Zusammenhang stehe.

6

Der Kläger habe die Verstöße im Zusammenhang mit der Errichtung der Urkunde [X.]. 321/2015 vorsätzlich begangen. Er habe sich in einem vermeidbaren Verbotsirrtum befunden, der sein Verschulden nicht entfallen lasse. Die Verstöße seien mit einer Geldbuße in Höhe von 750 € zu ahnden.

7

5. Beide Parteien haben gegen das Urteil Berufung eingelegt. Sie vertreten übereinstimmend die Auffassung, dass die vom [X.] vorgenommene Aufspaltung des Sachverhalts in zwei Tatkomplexe gegen § 110 Abs. 1 [X.] verstoße.

8

Der Kläger sieht den Schwerpunkt der ihm vorgeworfenen Verfehlungen in seiner anwaltlichen Tätigkeit und hält daher das Disziplinarverfahren für unzulässig. Zudem lägen die vom [X.] angenommenen Verfehlungen nicht vor.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des [X.]s Köln vom 6. November 2018 abzuändern, die Disziplinarverfügung des Beklagten vom 1. März 2018 aufzuheben und das Disziplinarverfahren einzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des [X.] zurückzuweisen

und (im Rahmen seiner eigenen Berufung)

das Urteil des [X.]s Köln vom 6. November 2018 teilweise abzuändern und dem Kläger wegen schuldhafter Verletzung der ihm als Notar obliegenden Amtspflichten nach § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] eine Geldbuße in Höhe von 2.000 € aufzuerlegen.

9

Er sieht das Übergewicht der Verfehlungen des [X.] in der notariellen Tätigkeit, weshalb sämtliche Verfehlungen im Disziplinarverfahren nach der [X.] zu verfolgen seien.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die [X.]erufung des [X.] ist begründet, die des [X.]eklagten unbegründet. Die Disziplinarverfügung vom 1. März 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen [X.]echten. Sie ist daher aufzuheben (§ 109 [X.], § 65 Abs. 1 Satz 1, § 3 [X.], § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Da eine Ahndung der dem Kläger als Notar vorgeworfenen Verfehlung im Disziplinarverfahren nicht in [X.]etracht kommt, ist das Verfahren einzustellen (§ 32 Abs. 1 Nr. 4 [X.] analog; [X.]surteil vom 4. März 2013 - [X.]([X.]) 1/12, [X.], 15 [X.]n. 10).

1. Eine disziplinarrechtliche Ahndung scheitert bereits an § 110 Abs. 1 [X.]. Nach dieser [X.]egelung, die den [X.]echtsweg und die anwendbare Verfahrensordnung bestimmt ([X.]surteil vom 5. Dezember 1966 - [X.]([X.]) 2/66, [X.]St 21, 232, 235, juris [X.]n. 22 zu § 110 [X.] a.F.; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl., § 110 [X.]n. 1; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 8. Aufl., § 110 [X.]n. 6), ist für die Zuständigkeit zur Ahndung einer Verfehlung eines [X.]s maßgebend, ob diese vorwiegend mit dem Amt des Notars oder der Tätigkeit als [X.]echtsanwalt im Zusammenhang steht. Ist dies zweifelhaft oder besteht ein solcher Zusammenhang nicht, so ist im anwaltsgerichtlichen Verfahren zu entscheiden. Eine Ahndung im notariellen Disziplinarverfahren ist also bereits dann ausgeschlossen, wenn kein Übergewicht des notariellen Amtspflichtverstoßes festzustellen ist ([X.]surteil vom 4. März 2013 - [X.]([X.]) 1/12, [X.], 15 [X.]n. 15). Dies ist hier der Fall.

a) An der insoweit vom [X.] abweichenden [X.]eurteilung ist der [X.] nicht gemäß § 17a Abs. 5 [X.] gehindert.

aa) Danach prüft ein Gericht, das über ein [X.]echtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene [X.]echtsweg zulässig ist. § 17a [X.] ist zwar im [X.]ahmen der [X.]echtswegbestimmung des § 110 [X.], soweit dort keine besonderen [X.]egelungen getroffen sind, anwendbar, wobei dahinstehen kann, ob sich dies aus § 96 Abs. 1 Satz 1 [X.], § 3 [X.], § 173 Satz 1 VwGO oder daraus ergibt, dass das [X.] und der [X.] als die in § 99 [X.] bestimmten Disziplinargerichte den Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes unterstehen (so [X.] in [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl., § 110 [X.]n. 10, § 99 [X.]n. 1). § 17a Abs. 5 [X.] kommt allerdings dann nicht zur Anwendung, wenn es die Vorinstanz versäumt hat, nach einer [X.]üge der Zulässigkeit des [X.]echtswegs das nach § 17a Abs. 3 Satz 2 [X.] zwingende Vorabentscheidungsverfahren einzuleiten (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 9. April 2009 - [X.]/08, [X.], 790 [X.]n. 4 mwN; Urteil vom 25. Februar 1993 - [X.], [X.]Z 121, 367, 370 f., juris [X.]n. 21). Die [X.]eschränkung der Prüfungskompetenz des [X.]echtsmittelgerichts in § 17a Abs. 5 [X.] rechtfertigt sich daraus, dass die [X.] vorab im [X.]eschwerdeverfahren überprüft werden kann. Hat das erstinstanzliche Gericht das vom Gesetzgeber in § 17a Abs. 2 bis 4 [X.] als Ausgleich für die Entlastung des [X.]echtsmittelverfahrens von [X.]n vorgesehene Zwischenverfahren, in dessen [X.]ahmen durch einen beschwerdefähigen [X.]eschluss eine Entscheidung über die Zulässigkeit des [X.]echtswegs getroffen wird, trotz [X.]üge nicht eingeschlagen, so ist § 17a Abs. 5 [X.] nicht anzuwenden. Den Parteien bliebe sonst jeder [X.]echtsbehelf versagt, mit dem sie eine Nachprüfung der Entscheidung über die Zulässigkeitsfrage erreichen könnten ([X.], Urteil vom 25. Februar 1993 aaO).

bb) Vorliegend hatte der Kläger die [X.]üge, dass gemäß § 110 Abs. 1 [X.] über die ihm vorgeworfene Verfehlung nicht im Disziplinarverfahren, sondern im anwaltsgerichtlichen Verfahren zu entscheiden sei, schon vor Erlass der Disziplinarverfügung erhoben, sie in seiner Klagebegründung wiederholt und im weiteren Verfahren vor dem [X.] vertieft. Wegen dieser [X.]üge hätte das [X.] nicht, wie sonst (vgl. [X.] in [X.]/[X.], aaO, § 110 [X.]n. 10), die [X.] lediglich in den Gründen des Urteils abhandeln und eine Sachentscheidung treffen dürfen, sondern es hätte die Zulässigkeit des [X.]echtswegs vorab durch beschwerdefähigen [X.]eschluss klären müssen.

b) Die Frage, welcher [X.]echtsweg gemäß § 110 Abs. 1 [X.] eröffnet ist, ist eine Sachurteilsvoraussetzung; die Prüfung erfolgt von Amts wegen ([X.] in [X.]/[X.], aaO, § 110 [X.]n. 10; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 110 [X.]n. 30; [X.] in [X.]/Vaasen, [X.], [X.], 4. Aufl., § 110 [X.]n. 19). Entgegen der Ansicht des [X.] handelt es sich nicht um eine Abwägungs- oder Ermessensentscheidung.

c) Für die [X.]eurteilung, ob ein Übergewicht des Vorwurfs eines notariellen Amtspflichtverstoßes festzustellen ist, ist auf das Gesamtverhalten des [X.]s, das zur [X.]eurteilung steht, abzustellen. Die vom [X.] vorgenommene Aufspaltung in zwei Tatkomplexe widerspricht dem Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens sowie Sinn und Zweck des § 110 Abs. 1 [X.].

aa) Die [X.]egelung des § 110 Abs. 1 Satz 1 [X.] verwendet den [X.]egriff der Verfehlung zwar nur in der Einzahl. Sie ist jedoch auch in den Fällen anzuwenden, in denen einem [X.] mehrere Verstöße zur Last gelegt werden, also im natürlichen Sinne mehrere verschiedene Handlungsweisen oder Vorkommnisse, gleichgültig, ob und wie diese rechtlich zusammengefasst werden können ([X.]surteil vom 5. Dezember 1966 - [X.]([X.]) 2/66, [X.]St 21, 232, 233 f., juris [X.]n. 18; vgl. [X.], Urteil vom 27. Mai 1968 - [X.]([X.]) 8/67, [X.]St 22, 157, 164, juris [X.]n. 28). Verfehlung ist der Oberbegriff für Dienstvergehen im Sinne von § 95 [X.] und Pflichtverletzungen im Sinne von § 113 Abs. 1 [X.][X.]AO ([X.] in [X.]/[X.], aaO, § 110 [X.]n. 2; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 110 [X.]n. 18). Nach dem disziplinarrechtlichen Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens, der entsprechend auch im anwaltsgerichtlichen Verfahren nach der [X.]undesrechtsanwaltsordnung gilt, sind alle bekannten Pflichtverletzungen desselben [X.]eschuldigten zu einem einzigen Dienstvergehen zusammenzufassen, in einem Verfahren einheitlich zu beurteilen und mit nur einer Disziplinarmaßnahme zu ahnden (vgl. [X.]sbeschluss vom 31. Juli 2000 - [X.]([X.]) 1/00, NJW-[X.][X.] 2001, 498, juris [X.]n. 6; [X.] in [X.]/[X.], aaO, § 95 [X.]n. 7; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 95 [X.]n. 41, 45). Dies gilt auch dann, wenn die Pflichtverletzungen strafrechtlich als in Tatmehrheit begangen zu würdigen wären (vgl. [X.]sbeschluss vom 10. August 1987 - [X.] 6/87, D[X.] 1988, 259, 260, juris [X.]n. 16; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 95 [X.]n. 41). § 110 Abs. 1 [X.] führt diesen Grundsatz weiter, indem die möglicherweise aus mehreren Einzelakten bestehenden pflichtwidrigen Handlungen bei Ausübung des Notarberufs und des Anwaltsberufs zu einer Einheit zusammengefasst und nur mit einer einzigen Disziplinar- oder anwaltsgerichtlichen Maßnahme belegt werden, auch wenn einzelne Verhaltensweisen ausschließlich mit dem jeweils anderen [X.]eruf zusammenhängen (vgl. [X.]surteil vom 5. Dezember 1966 - [X.]([X.]) 2/66, [X.]St 21, 232, 233-235, juris [X.]n. 18, 20, 22; [X.] in [X.]/[X.], aaO, § 110 [X.]n. 2; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 110 [X.]n. 18). Zweck des § 110 [X.] ist es, für (Amts-)Pflichtverletzungen, die beide [X.]erufe des [X.]s berühren, nur ein Verfahren durchzuführen, um der Gefahr zu begegnen, dass der Sachverhalt in zwei Verfahren von unterschiedlichen [X.]ehörden oder Gerichten möglicherweise unterschiedlich festgestellt und gewertet wird und einander widersprechende Entscheidungen ergehen ([X.] in [X.]/[X.], aaO, § 110 [X.]n. 1; [X.] in [X.]/Vaasen, aaO, § 110 [X.]n. 4; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 110 [X.]n. 6).

bb) Der Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens gilt allerdings nicht ausnahmslos. So hat der [X.] in dem vom [X.] zitierten Urteil vom 20. Dezember 1965 - [X.]([X.]) 2/65 (MD[X.] 1966, 523, juris [X.]n. 48) zur Verjährung von Dienstvergehen unter [X.]ezugnahme auf die [X.]echtsprechung des früheren [X.]undesdisziplinarhofs ausgeführt, dass einzelne Verfehlungen mit einer gewissen Selbständigkeit eigenständig zu behandeln sind, mit der Folge, dass einzelne Pflichtverletzungen, die mehr als fünf Jahre zurückliegen, auch dann gemäß § 95a [X.] nicht mehr verfolgt werden dürfen, wenn Pflichtverletzungen in jüngerer [X.] hinzugekommen sind. Voraussetzung ist aber, dass sich die Handlungen verselbständigen lassen, also mit den übrigen Pflichtverletzungen nicht in einem inneren Zusammenhang stehen. In der Literatur wird - teilweise auch im Anwendungsbereich des § 110 Abs. 1 [X.] - von einer Verselbständigung ausgegangen, wenn die verschiedenen Pflichtverletzungen nicht in einem konkreten zeitlichen, ursächlichen, psychologischen und wesensmäßigen Zusammenhang stehen ([X.] in [X.]/[X.], aaO, § 95 [X.]n. 8; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 110 [X.]n. 19, § 95 [X.]n. 47; [X.] in [X.]/Vaasen, [X.], aaO, § 110 [X.]n. 12, § 95 [X.]n. 24).

cc) Es kann dahinstehen, ob und inwieweit die durch § 110 Abs. 1 [X.] gebotene [X.]etrachtung des Gesamtverhaltens eine Ausnahme für verselbständigte Einzelakte zulässt, ohne dass Sinn und Zweck der Vorschrift untergraben werden. Denn vorliegend lässt sich entgegen der Ansicht des [X.]s eine Verselbständigung von Teilakten des Gesamtgeschehens nicht feststellen. Die Kanzlei des [X.] hat die Gesellschafter [X.]. und E. (teilweise auch nur E.) im Zusammenhang mit der Einziehung des Geschäftsanteils des [X.] und seiner Abberufung als Geschäftsführer von der Vorbereitung der Gesellschafterversammlung über deren Abhaltung am 4. Dezember 2015 selbst bis zur Durchführung der [X.]echtsstreitigkeiten in den vier Verfahren vor dem [X.] (anwaltlich) vertreten. Der innere Zusammenhang ergibt sich sowohl aus dem gleichbleibenden Thema der Vertretung ([X.]eendigung der Gesellschafter- und Geschäftsführerstellung des [X.]) als auch aus den (hinter der verbliebenen Gesellschaft stehenden) Personen, die die Kanzlei des [X.] in dieser Angelegenheit vertreten hat. Darauf, ob die Übernahme der Prozessvertretung auf von der notariellen Tätigkeit ([X.]eglaubigung) unabhängigen Entschlüssen beruhte, wie es das [X.] annimmt, kommt es nicht an. Eine Aufspaltung der [X.], wie sie das [X.] vorgenommen hat, lässt sich mit Sinn und Zweck des § 110 Abs. 1 [X.] nicht vereinbaren. Sie hätte zur Folge, dass sich der Kläger unter Umständen zwei isoliert ergehenden Verurteilungen wegen eines zusammenhängenden Tatkomplexes ausgesetzt sieht, was der Gesetzgeber gerade vermeiden wollte. Die einheitliche [X.]ewertung des Gesamtverhaltens im anwaltsgerichtlichen Verfahren würde entgegen der Ansicht des [X.]s nicht dazu führen, dass notarielle Amtspflichtverletzungen - einschließlich des hier vorgeworfenen Verstoßes gegen § 3 Abs. 1 Nr. 7 [X.] - nicht mehr verfolgt werden könnten. Vielmehr hat das gemäß § 110 Abs. 1 [X.] zuständige Gericht sämtlichen vorgeworfenen (Amts-)Pflichtverletzungen unter Anwendung des für die jeweilige Tätigkeit geltenden materiellen [X.]erufsrechts nachzugehen. Lediglich die Sanktion, die verhängt wird, bestimmt sich nach der für das zuständige Gericht maßgeblichen Verfahrensordnung, für den Fall also, dass das Anwaltsgericht entscheidet, nach § 114 [X.][X.]AO (vgl. [X.]surteil vom 5. Dezember 1966 - [X.]([X.]) 2/66, [X.]St 21, 232, 237, juris [X.]n. 28; [X.] in [X.]/[X.], aaO, § 110 [X.]n. 5; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 110 [X.]n. 37, 38).

d) Handelt es sich, wie vorliegend, um Teilakte einer einheitlichen Verfehlung, sind zur Feststellung des zulässigen [X.]echtswegs zunächst die Teilakte dem einen oder dem anderen Tätigkeitsbereich zuzuordnen. Sodann ist unter [X.]erücksichtigung ihrer Intensität, Anzahl und Dauer in einer Gesamtschau zu bestimmen, mit welcher [X.]erufsausübung die Verfehlung vorwiegend im Zusammenhang steht (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 110 [X.]n. 22; [X.] in [X.]/Vaasen, aaO, § 110 [X.]n. 14). In die Prüfung ist einzubeziehen, welche Vorwürfe besonders schwer wiegen (vgl. [X.]surteil vom 5. Dezember 1966 - [X.]([X.]) 2/66, [X.]St 21, 232, 235, juris [X.]n. 21). Für das Zusammentreffen eines vorgeworfenen Verstoßes gegen das Tätigkeitsverbot eines [X.]echtsanwalts nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 [X.][X.]AO mit der vorgeworfenen Verletzung der Neutralitätspflicht eines Notars nach § 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 [X.] in Fällen, in denen ein [X.] in derselben [X.]echtssache zunächst als Notar und dann als [X.]echtsanwalt tätig geworden sein soll, ist nach der [X.]echtsprechung des [X.]s von einem Übergewicht der anwaltlichen Pflichtverletzung auszugehen, wenn nicht besondere Anhaltspunkte eine andere Wertung erfordern ([X.]surteil vom 4. März 2013, [X.], 15 [X.]n. 12; [X.], Urteil vom 27. Mai 1968 - [X.] ([X.]) 8/67, [X.]St 22, 157, 164, juris [X.]n. 27). Wie in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt und entgegen der von der [X.]echtsanwaltskammer H. im Vorfeld geäußerten Auffassung ist diese [X.]echtsprechung durch den [X.]eschluss des [X.]s vom 23. November 2015 - [X.]([X.]) 5/15 (NJW-[X.][X.] 2016, 754), in welchem dem dortigen [X.] nicht nur ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht, sondern zahlreiche Verstöße gegen das [X.]eurkundungsgesetz vorgeworfen wurden und in dem (deshalb) eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit § 110 Abs. 1 [X.] entbehrlich war, nicht geändert worden.

e) Nach diesen Grundsätzen lässt sich vorliegend nicht feststellen, dass die vorgeworfene Verfehlung vorwiegend mit dem Amt des [X.] als Notar im Zusammenhang steht:

Soweit die Kanzlei des [X.] in den vier Verfahren vor dem [X.] die anwaltliche Vertretung der Gesellschaft bzw. der verbliebenen Gesellschafter [X.]. und E. übernommen hat, überwiegen die diesbezüglich vorgeworfenen Verstöße gegen § 45 Abs. 1 Nr. 1 [X.][X.]AO die vorgeworfenen Verstöße gegen die notarielle Neutralitätspflicht. [X.]esondere Anhaltspunkte, die eine andere Wertung erfordern (vgl. hierzu [X.]surteil vom 4. März 2013 - [X.]([X.]) 1/12, [X.], 15 [X.]n. 14), sind nicht ersichtlich und werden auch vom [X.]eklagten nicht geltend gemacht.

[X.]ei der gebotenen [X.]etrachtung des Gesamtverhaltens des [X.] gewinnt der notarielle Amtspflichtverstoß entgegen der Auffassung des [X.]eklagten nicht schon deshalb Übergewicht, weil dem Kläger zusätzlich zu dem Verstoß gegen die nachwirkende Neutralitätspflicht im [X.]ahmen der vier [X.] der Verstoß gegen § 3 Abs. 1 Nr. 7 [X.] und - damit zusammenhängend - ein falscher Vorbefassungsvermerk vorgeworfen werden. In dem gesamten Verlauf von der Vorbereitung der Gesellschafterversammlung und der Vertretung in der Versammlung am 4. Dezember 2015 bis zu den [X.] hat die Kanzlei des [X.] die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter [X.]. und E. anwaltlich betreut und deren rechtliche Interessen im Zusammenhang mit der [X.]eendigung der Gesellschafter- und Geschäftsführerstellung des [X.] vertreten. Mit der [X.]eglaubigung hat der Kläger einen [X.]eitrag zu der gemäß § 39 GmbHG vorgeschriebenen Anmeldung der Abberufung des Geschäftsführers [X.] zum Handelsregister geleistet und ist damit den Gesellschaftern [X.]. und E. auch in diesem Punkt "behilflich" gewesen. Dass damit der erste ihm vorgeworfene Verstoß in dieser Angelegenheit ein solcher gegen notarielle Amtspflichten war, ändert nichts daran, dass der Kläger bzw. seine Kanzlei im gesamten Geschehensverlauf in erster Linie und ganz überwiegend anwaltlich für die Gesellschafter [X.]. und E. tätig geworden sind.

Der Annahme eines Übergewichts des notariellen [X.] stehen weiter die Anzahl der in dieser Angelegenheit übernommenen [X.] sowie die Dauer und Intensität der hierbei entwickelten anwaltlichen Tätigkeit entgegen. Dabei hat von den dem Kläger als [X.]echtsanwalt vorgeworfenen Verstößen gegen § 45 Abs. 1 Nr. 1 [X.][X.]AO vor allem derjenige im Zusammenhang mit der Prozessvertretung der Gesellschaft in dem einstweiligen Verfügungsverfahren 25 O 111/15 vor dem [X.] besondere [X.]edeutung, weil in diesem gerade der (handelsregisterrechtliche) Vollzug der [X.]eschlüsse vom 4. Dezember 2015 verhindert werden sollte, zu dem der Kläger kurz zuvor als Notar beigetragen hatte.

Nach alledem gewinnt der Vorwurf mehrfacher Verstöße gegen § 45 Abs. 1 Nr. 1 [X.][X.]AO ein solches Gewicht, dass ein Übergewicht des notariellen [X.] nicht (zweifelsfrei) festgestellt werden kann.

2. Da eine disziplinarrechtliche Ahndung nicht in [X.]etracht kommt, ist neben der Aufhebung des angefochtenen [X.]escheids die Einstellung des Disziplinarverfahrens auszusprechen.

3. [X.] beruht auf § 109 [X.], § 77 Abs. 1 [X.], § 154 Abs. 1 VwGO.

[X.]     

        

[X.]oloff     

        

Müller

        

Strzyz     

        

[X.]     

        

Meta

NotSt (Brfg) 6/18

18.11.2019

Bundesgerichtshof Senat für Notarsachen

Urteil

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Köln, 6. November 2018, Az: 2 X (Not) 3/18, Urteil

§ 45 Abs 1 Nr 1 BRAO, § 14 Abs 1 S 1 BNotO, § 95a BNotO, § 110 BNotO, § 3 Abs 1 Nr 7 BeurkG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.11.2019, Az. NotSt (Brfg) 6/18 (REWIS RS 2019, 1482)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 1482

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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