Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.02.2020, Az. 2 AZR 498/19

2. Senat | REWIS RS 2020, 340

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Gegenstand

Kündigungsschutz bei Schwangerschaft


Leitsatz

Das Kündigungsverbot gegenüber einer schwangeren Arbeitnehmerin gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG gilt auch für eine Kündigung vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 13. Juni 2019 - 5 [X.] 751/18 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Der Beklagte, der in der Regel nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, schloss mit der Klägerin am 9./14. Dezember 2017 einen Arbeitsvertrag über eine Tätigkeit als Rechtsanwaltsfachangestellte. Nach dessen § 1 Nr. 1 sollte „das Arbeitsverhältnis“ am 1. Februar 2018 beginnen. § 1 Nr. 2 bestimmte, dass der Vertrag unbefristet geschlossen sei bei einer Probezeit von sechs Monaten. Während dieser sollte das Arbeitsverhältnis beiderseits mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden können. Gemäß § 13 sollte die Klägerin im Falle einer schuldhaften Nichtaufnahme oder vertragswidrigen Beendigung der Tätigkeit eine Vertragsstrafe zahlen. Nach § 18 Nr. 2 des Vertrags war sie verpflichtet, bereits in der [X.] vom 27. bis zum 29. Dezember 2017 für eine tägliche Arbeitszeit von mindestens fünf Stunden auf Abruf zur Verfügung zu stehen.

3

Mit Schreiben vom 18. Januar 2018 informierte die Klägerin den Beklagten darüber, dass bei ihr eine Schwangerschaft festgestellt und aufgrund einer chronischen Vorerkrankung „mit sofortiger Wirkung ein komplettes Beschäftigungsverbot“ attestiert worden sei. Der Beklagte kündigte „das zwischen uns bestehende Arbeitsverhältnis“ mit Schreiben vom 30. Januar 2018 zum 14. Februar 2018.

4

Dagegen hat sich die Klägerin rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt. Sie hat gemeint, aufgrund des Kündigungsverbots gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG sei die Kündigung unwirksam.

5

Die Klägerin hat, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 30. Januar 2018 beendet wurde.

6

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Das Kündigungsverbot gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG finde auf arbeitgeberseitige Kündigungen vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme keine Anwendung. Bei einem anderen Verständnis führe es insbesondere zu einem unzulässigen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers.

7

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das [X.] hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die Kündigung vom 30. Januar 2018 gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] iVm. § 134 BGB nichtig ist.

9

I. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] ist die Kündigung gegenüber einer Frau während ihrer Schwangerschaft unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zum [X.]punkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt oder sie ihm innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt worden ist. § 17 Abs. 2 Satz 1 [X.] bestimmt, dass die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestellte Stelle in besonderen Fällen, die nicht mit dem Zustand der Frau in der Schwangerschaft im Zusammenhang stehen, ausnahmsweise die Kündigung für zulässig erklären kann. § 17 Abs. 1 [X.] enthält ein gesetzliches Verbot iSd. § 134 BGB. Eine Kündigung unter Verstoß gegen dieses Verbot ist gem. § 134 BGB nichtig (zu § 9 [X.] aF zuletzt [X.] 26. März 2015 - 2 [X.] - Rn. 10, [X.]E 151, 189).

II. Das [X.] hat zu Recht angenommen, das Kündigungsverbot gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] gelte auch für eine Kündigung vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme (ebenso [X.]/[X.] Stand 1. Dezember 2019 [X.] § 17 Rn. 6; [X.]/[X.]/[X.] [X.]/[X.] 2. Aufl. § 17 [X.] Rn. 13; [X.]/[X.] [X.]/[X.] 2. Aufl. § 17 [X.] Rn. 9; Hk-[X.]/[X.]/[X.]. [X.] § 17 Rn. 14; Küttner/Poeche Personalbuch 2019 Mutterschutz Rn. 41; zu § 9 Abs. 1 [X.] aF: [X.]/[X.] [X.]/[X.] 8. Aufl. § 9 [X.] Rn. 2; [X.] 30. September 1992 - 11 Sa 1049/92 -; zum Anwendungsbereich gem. § 1 Nr. 1 [X.] aF vgl. auch [X.] 30. September 2016 - 9 [X.] - zu [X.] der Gründe; aA APS/[X.] 5. Aufl. BGB § 622 Rn. 55; [X.]/Spilger 12. Aufl. § 622 BGB Rn. 151). Dies ergibt die Auslegung von § 17 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.].

1. Der Gesetzeswortlaut ist nicht eindeutig. § 17 Abs. 1 Satz 1 [X.] normiert ein Kündigungsverbot ua. gegenüber (werdenden) Müttern ohne nähere Bestimmung, welche Rechtsverhältnisse oder diesen zugrunde liegenden Verträge davon erfasst sind. Dafür ist auf den persönlichen Anwendungsbereich des Mutterschutzgesetzes abzustellen. Dieser ist in § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] mit Wirkung ab dem 1. Januar 2018 neu gefasst worden. Danach gilt das [X.] „in einer Beschäftigung iSv. § 7 Abs. 1 SGB IV“ sowie ferner gem. § 1 Abs. 2 Satz 2 [X.], „unabhängig davon, ob ein solches Beschäftigungsverhältnis vorliegt“, für Frauen in weiteren, im Streitfall nicht einschlägigen Tätigkeitsformen. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Satz 2 der Vorschrift nennt als Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Dies lässt auch eine Lesart zu, wonach die Geltung des Mutterschutzgesetzes und damit des [X.] in § 17 Abs. 1 [X.] voraussetzt, dass eine Beschäftigung bereits in Vollzug gesetzt, die Tätigkeit also bereits aufgenommen ist.

2. Schon die Gesetzessystematik legt dagegen ein Verständnis nahe, wonach es nur auf das Bestehen eines auf eine Beschäftigung iSv. § 7 Abs. 1 SGB IV gerichteten Rechtsverhältnisses ankommt. Dies zeigt die synonyme Verwendung der Begriffe „Beschäftigung“ in § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] und „ein solches Beschäftigungsverhältnis“ in Satz 2 der Bestimmung. Erfasst ist damit insbesondere ein Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Ein solches entsteht bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrags ([X.] ArbR-HdB/[X.] 18. Aufl. § 29 Rn. 8). Dies gilt selbst dann, wenn die Tätigkeit erst zu einem späteren [X.]punkt aufgenommen werden soll. Auch in diesem Fall werden bereits mit dem Vertragsabschluss wechselseitige Verpflichtungen begründet. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, die vereinbarte Tätigkeit ab dem vereinbarten [X.]punkt zu erbringen, der Arbeitgeber, ihn ab diesem [X.]punkt zu beschäftigen und vertragsgemäß zu vergüten. Auch Nebenpflichten wie die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Gegenpartei gem. § 241 Abs. 2 BGB entstehen bereits mit Vertragsabschluss. Dem steht nicht entgegen, dass im arbeitsrechtlichen Sprachgebrauch für den Beginn des Arbeitsverhältnisses ggf. auch erst auf den vereinbarten Einstellungszeitpunkt bzw. den vereinbarten [X.]punkt der Arbeitsaufnahme abgestellt wird (für den Beginn der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG vgl. [X.] 24. Oktober 2013 - 2 [X.] 1057/12 - Rn. 30 f., [X.]E 146, 257). Das zutreffende Verständnis des Merkmals „Arbeitsverhältnis“ ist vom jeweiligen Regelungszweck abhängig. Das ändert jedoch nichts daran, dass zwischen dem Abschluss des Arbeitsvertrags als grundsätzlich maßgeblichem [X.]punkt für den Beginn eines Arbeitsverhältnisses und dem möglicherweise davon abweichenden [X.]punkt der tatsächlichen Arbeitsaufnahme zu unterscheiden ist. Auch die zwischen einem Dienstverhältnis und einem „angetretenen Dienstverhältnis“ differenzierenden Ausführungen in der Entscheidung des Sechsten [X.]s des [X.] vom 23. Februar 2017 (- 6 [X.] 665/15 - Rn. 30, [X.]E 158, 214) bestätigen entgegen der Auffassung der Revision, dass ein Dienstverhältnis bereits dann bestehen kann, wenn es noch nicht angetreten ist.

3. Jedenfalls nach dem Normzweck des [X.] in § 17 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist für dessen Eingreifen die Bekanntgabe einer bestehenden Schwangerschaft nach Abschluss des Arbeitsvertrags ausreichend. Die Aufnahme der vereinbarten Tätigkeit ist hierfür nicht erforderlich.

a) Das Kündigungsverbot soll die (werdende) Mutter temporär vor dem Verlust des Arbeitsplatzes schützen. Hierdurch werden der Bestand des Arbeitsverhältnisses während der Schwangerschaft und nach der Entbindung gewährleistet (Hk-[X.]/[X.]/[X.]. [X.] § 17 Rn. 1a). Die Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 [X.] setzt Art. 10 der Richtlinie 92/85/[X.] (Mutterschutzrichtlinie 92/85/[X.], ABl. L 348 vom 28. November 1992 S. 1) um (vgl. [X.]. 18/8963 S. 87; [X.]/[X.] Stand 1. Dezember 2019 § 17 [X.] Rn. 1; [X.]/[X.] 20. Aufl. [X.] § 17 Rn. 1). Danach sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um Kündigungen von Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs zu verbieten. Eine Kündigung kann sich schädlich auf die physische und psychische Verfassung von Schwangeren, Wöchnerinnen oder stillenden Arbeitnehmerinnen auswirken, eine Schwangere kann durch den sonst drohenden Arbeitsplatzverlust sogar zum baldigen Abbruch ihrer Schwangerschaft veranlasst werden ([X.] 22. Februar 2018 - [X.]/16 - [[X.]] Rn. 45 f. und 61 f.). Die Arbeitnehmerin und mittelbar das Kind sollen nicht durch wirtschaftliche Existenzängste belastet (vgl. auch §§ 18 ff. [X.]), seelische Zusatzbelastungen durch einen Kündigungsschutzprozess vermieden werden (vgl. [X.] 26. April 1956 - [X.] 1/56 - zu I 4 der Gründe, [X.]E 3, 66; [X.]/[X.] aaO; [X.]/[X.] aaO).

b) Der demnach mit dem Kündigungsverbot bezweckte Gesundheits- und Existenzsicherungsschutz ist nur dann gewährleistet, wenn die Kündigung eines Arbeitsvertrags unabhängig davon unzulässig ist, ob die Tätigkeit erst zu einem späteren [X.]punkt aufgenommen werden soll. Ein rechtlich geschütztes Bedürfnis, das die wirtschaftliche Existenz sichernde Arbeitsverhältnis zu erhalten, besteht auch bei einer vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme bekannt gegebenen Schwangerschaft. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die beabsichtigte Tätigkeitsaufnahme innerhalb der Schutzzeiten liegt. Auch die psychischen Belastungen der schwangeren Arbeitnehmerin sind keine anderen, wenn das Arbeitsverhältnis, das anderenfalls während ihrer Schwangerschaft fortbestünde, bereits vor der in Aussicht genommenen Tätigkeitsaufnahme gekündigt werden könnte.

c) Dieses Verständnis des Normzwecks von § 17 Abs. 1 Satz 1 [X.] liegt auch nicht außerhalb der in § 1 Abs. 1 [X.] generell formulierten Zwecke des Mutterschutzgesetzes. Das Gesetz schützt nicht nur die Gesundheit der (werdenden) Mutter und ihres Kindes „am Arbeitsplatz“ (§ 1 Abs. 1 Satz 1 [X.]), sondern soll es der Frau gem. Satz 2 der Bestimmung auch ermöglichen, ihre Beschäftigung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung fortzusetzen, sowie Benachteiligungen während dieser [X.] entgegenwirken. Dazu dient insbesondere auch das Kündigungsverbot ([X.]. 18/8963, S. 48). Damit eine Beschäftigung während der Schwangerschaft fortgesetzt werden kann, ist es erforderlich, dass eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses auch bereits vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme ausgeschlossen ist. Dass mit „Beschäftigung“ auch insoweit nicht lediglich eine tatsächliche Ausübung der Tätigkeit, sondern das zugrunde liegende Beschäftigungsverhältnis gemeint ist, ergibt sich schon daraus, dass das Mutterschutzgesetz mit den Leistungen nach §§ 18 ff. [X.] gerade auch für [X.]en eines Beschäftigungsverbots eine wirtschaftliche Absicherung der Frau sicherstellen soll.

d) Ob das Kündigungsverbot des § 17 Abs. 1 [X.] selbst dann Anwendung findet, wenn die Kündigung einen Arbeitsvertrag betrifft, nach welchem der Dienstantritt zu einem [X.]punkt erfolgen soll, zu dem die Schutzzeiten schon wieder abgelaufen sein werden, bedarf hier keiner Entscheidung. Dafür dürfte sprechen, dass eine psychische Belastung auch daraus erwachsen kann, dass keine wirtschaftliche Absicherung für die [X.] nach Ablauf der Schutzfristen besteht. Der Arbeitgeber wiederum könnte nach Ablauf der Schutzfristen ohnehin ohne die Beschränkung des § 17 Abs. 1 [X.] kündigen.

4. Die Entstehungsgeschichte von § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] stützt das Verständnis, das Kündigungsverbot des § 17 Abs. 1 [X.] greife grundsätzlich bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrags.

a) In der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung bestimmte § 1 Nr. 1 [X.] den persönlichen Anwendungsbereich des Mutterschutzgesetzes noch dahingehend, das Gesetz gelte „für Frauen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen“. Ein solches wird aus den vorgenannten Gründen bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrags begründet, selbst wenn die Tätigkeitsaufnahme erst für einen späteren [X.]punkt vereinbart ist (Rn. 12).

b) Durch die mit Wirkung ab dem 1. Januar 2018 in § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] geregelte Bezugnahme auf den [X.] iSv. § 7 Abs. 1 SGB IV sollte der persönliche Anwendungsbereich des Gesetzes nicht etwa beschränkt, sondern lediglich um Formen der Beschäftigung außerhalb eines Arbeitsverhältnisses erweitert werden ([X.]. 18/8963 S. 49). Ein Anhaltspunkt dafür, dass der Anwendungsbereich auf die [X.] erst ab dem Beginn der tatsächlichen Tätigkeitsaufnahme begrenzt werden sollte, ist nicht ersichtlich. Beabsichtigt war vielmehr ausschließlich, die Anwendbarkeit des Gesetzes auf Rechtsverhältnisse auch außerhalb von Arbeitsverhältnissen zu erstrecken.

5. Dem Auslegungsergebnis lässt sich entgegen der Auffassung der Revision nicht die [X.]sentscheidung vom 17. Mai 1962 (- 2 [X.] 354/60 -) entgegenhalten. Nach dieser fand das Kündigungsverbot des § 9 Abs. 1 [X.] aF auf eine von den Arbeitsvertragsparteien vereinbarte, an einen sachlichen Grund geknüpfte auflösende Bedingung des Arbeitsverhältnisses keine Anwendung ([X.] 17. Mai 1962 - 2 [X.] 354/60 - zu II der Gründe). Eine Anwendbarkeit des [X.] des § 17 Abs. 1 [X.] auf Kündigungen bereits vor der Tätigkeitsaufnahme betrifft nicht die Wirksamkeit einer auflösenden Bedingung. Entsprechendes gilt für die Entscheidung des Siebten [X.]s des [X.] vom 23. Oktober 1991 (- 7 [X.] 56/91 -), wonach eine Nichtverlängerungsmitteilung nicht vom Kündigungsverbot des § 9 Abs. 1 [X.] aF erfasst war ([X.] 23. Oktober 1991 - 7 [X.] 56/91 - zu II 4 a der Gründe, [X.]E 69, 1). Soweit in der Entscheidung ausgeführt ist, aus dem wirtschaftlichen Schutzzweck des [X.] lasse sich keine Pflicht zum Abschluss neuer (Anschluss-)Verträge ableiten, wird der beabsichtigte Schutz lediglich als auf den Erhalt eines bestehenden Arbeitsverhältnisses beschränkt verstanden. Insofern besteht das Ziel des [X.] aber auch nach Auffassung des Siebten [X.]s in einer effektiven Absicherung der im Mutterschutzgesetz gewährleisteten wirtschaftlichen Rechte ([X.] 23. Oktober 1991 - 7 [X.] 56/91 - zu II 4 b der Gründe, aaO).

III. Die vorstehende Auslegung des [X.] gem. § 17 Abs. 1 [X.] steht im Einklang mit dem Unionsrecht. Das kann der [X.] ohne ein darauf gerichtetes Vorabentscheidungsersuchen an den [X.] nach Art. 267 Abs. 3 AEUV beurteilen. Die dafür relevanten Fragen zur Auslegung des Unionsrechts sind durch den Gerichtshof bereits geklärt. Ob die Auslegung des [X.] Rechts darüber hinaus sogar unionsrechtlich geboten ist, bedarf keiner Entscheidung.

1. Der [X.] hat bereits entschieden, dass das Kündigungsverbot gem. Art. 10 Nr. 1 der Richtlinie 92/85/[X.] „während der gesamten Schwangerschaft“ besteht ([X.] 11. November 2010 - [X.] 232/09 - [[X.]] Rn. 59). Er hat dabei auch auf den Zusammenhang mit der Gleichbehandlungsrichtlinie hingewiesen, aus der sich ggf. ein selbständiges Verbot einer Kündigung „wegen der Schwangerschaft“ ergebe ([X.] 11. November 2010 - [X.]-232/09 - [[X.]] Rn. 64 ff.). Zwar folgt im [X.] Recht ein gesetzliches Verbot einer Kündigung „wegen der Schwangerschaft“ auch aus § 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1 AGG iVm. § 134 BGB ([X.] 26. März 2015 - 2 [X.] - Rn. 32 bis 36, [X.]E 151, 189). Ein Kündigungsverbot „während der Schwangerschaft“ mit bloßem Erlaubnisvorbehalt wie nach § 9 Abs. 1 [X.] aF und § 17 Abs. 1 [X.] reicht aber weiter. Die [X.]/[X.] erlaubt gem. ihrem Art. 1 Abs. 1 keine Einschränkung des bereits in den einzelnen Mitgliedstaaten erzielten Schutzes.

2. Darüber hinaus enthält die Richtlinie 92/85/[X.] lediglich Mindestvorschriften und schließt es deshalb nicht aus, dass die Mitgliedstaaten schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen oder stillenden Arbeitnehmerinnen einen weiter gehenden Schutz gewähren ([X.] 22. Februar 2018 - [X.]/16 - [[X.]] Rn. 73).

IV. Entgegen der Auffassung der Revision bestehen gegen die vorstehende Auslegung des [X.] gem. § 17 Abs. 1 [X.] keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der [X.] muss nicht über die Frage befinden, inwiefern bei der Auslegung des [X.] die Grundrechte des Grundgesetzes überhaupt Beurteilungsmaßstab sein können, wenn - wie vorliegend - der [X.] Gesetzgeber mit dem nationalen Gesetz Unionsrecht umgesetzt hat (vgl. dazu [X.] 6. November 2019 - 1 BvR 16/13 - [Recht auf Vergessen I]; 6. November 2019 - 1 BvR 276/17 - [Recht auf [X.]]). Selbst wenn unterstellt würde, die Rechtsstellung der Arbeitgeber in [X.] würde insofern ungeachtet des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts durch die Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG oder ihre allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) geschützt, würde eine Auslegung des § 17 Abs. 1 [X.], wonach das Kündigungsverbot bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrags eingreifen kann, nicht ihre durch das Grundgesetz geschützten Rechte verletzen. Der Eingriff in den Schutzbereich dieser Gewährleistungen ist vielmehr durch den verfolgten Zweck gerechtfertigt.

1. Die Beschränkung der unternehmerischen Freiheit der Arbeitgeber durch das Kündigungsverbot ist geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne, um den Schutz von Schwangeren und Müttern nach der Entbindung am Arbeitsplatz sicherzustellen. Art. 6 Abs. 4 GG gewährt Schwangeren und Müttern nach der Entbindung einen Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der [X.]. Dies gebietet auch einen wirksamen arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz ([X.] 24. April 1991 - 1 BvR 1341/90 - zu [X.] III 4 der Gründe, [X.]E 84, 133; zu dem weiter gehenden Schutzauftrag aus Art. 6 Abs. 4 GG [X.] 18. November 2003 - 1 BvR 302/96 - zu [X.] 2 b aa und [X.] 3 b bb der Gründe, [X.]E 109, 64; [X.] 26. April 1956 - [X.] 1/56 - zu I 3 der Gründe, [X.]E 3, 66). Entgegenstehende Arbeitgeberinteressen müssen demgegenüber weitgehend zurückstehen ([X.] 13. November 1979 - 1 [X.], 1 [X.], 1 [X.] - zu [X.] I der Gründe, [X.]E 52, 357).

2. Zwar kann es Fälle geben, in denen ein absoluter Kündigungsschutz auch bei Würdigung der Schutzbedürftigkeit der (werdenden) Mutter eine übermäßige Beeinträchtigung der Interessen der betroffenen Arbeitgeber darstellen würde ([X.] 13. November 1979 - 1 [X.], 1 [X.], 1 [X.] - zu [X.] I der Gründe, [X.]E 52, 357). Die Ausgestaltung des [X.] in § 17 Abs. 1 [X.] vermeidet aber deren übermäßige Belastung.

a) Soweit sie aufgrund des [X.] an das Arbeitsverhältnis mit der (werdenden) Mutter gebunden bleiben, gilt dies zum einen nur zeitlich begrenzt, zum anderen besteht bei außergewöhnlichen Umständen die Möglichkeit einer Zulässigerklärung der Kündigung nach § 17 Abs. 2 Satz 1 [X.].

b) Die Kosten für [X.]en von [X.] gem. §§ 1820 [X.] müssen die Arbeitgeber nicht allein tragen. Es gilt vielmehr das Umlageverfahren gem. § 1 Abs. 2, § 7 [X.] ([X.]). Nach § 1 Abs. 2 [X.] werden Leistungen gem. §§ 18, 20 [X.] vollständig von den Krankenkassen erstattet. Die Arbeitgeber müssen nach § 7 [X.] lediglich ihren Anteil zur Umlage erbringen.

c) Anders als die Revision meint, besteht auch keine Gefahr, dass ein bisheriger Kleinbetrieb allein durch die Einstellung einer Ersatzkraft für eine (werdende) Mutter während eines Beschäftigungsverbots in den Anwendungsbereich des allgemeinen Kündigungsschutzes gelangt. Die für § 23 Abs. 1 KSchG maßgebliche Betriebsgröße bestimmt sich vielmehr nach der für den Betrieb im Allgemeinen kennzeichnenden Belegschaftsstärke ([X.] 24. Januar 2013 - 2 [X.] 140/12 - Rn. 11, 24, [X.]E 144, 222; 8. Oktober 2009 - 2 [X.] 654/08 - Rn. 15), ein zeitweilig abwesender Arbeitnehmer und die für diesen beschäftigte Ersatzkraft zählen daher nicht doppelt.

d) Der Umstand, dass das Kündigungsverbot bereits ab dem [X.]punkt des [X.] gilt, stellt ebenfalls keine übermäßige Belastung der Arbeitgeber dar. Die Folgen sind nicht weiter reichend als wenn der Arbeitgeber am ersten [X.] von der Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin erfährt.

V. Danach war die Kündigung des Beklagten vom 30. Januar 2018 gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] iVm. § 134 BGB nichtig. Es kann daher dahinstehen, ob sie außerdem nach § 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1 AGG iVm. § 134 BGB nichtig wäre (vgl. dazu [X.] 26. März 2015 - 2 [X.] - Rn. 32 bis 36, [X.]E 151, 189).

1. Die Parteien hatten im Dezember 2017 einen „Arbeitsvertrag“ über die Begründung eines „Arbeitsverhältnisses“ zur Beschäftigung der Klägerin als Rechtsanwaltsfachangestellte geschlossen. Gegenstand des Vertrags war damit eine Beschäftigung in nichtselbständiger Arbeit iSv. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Zwar sollte nach § 1 Nr. 1 des Vertrags „das Arbeitsverhältnis“ erst am 1. Februar 2018 beginnen. Wie sich aus den übrigen vertraglichen Regelungen ergibt, betraf dies aber allein den [X.]punkt, ab dem die wechselseitigen Hauptleistungspflichten ausgetauscht werden sollten, also die Tätigkeit der Klägerin als Rechtsanwaltsfachangestellte mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 20 Stunden wöchentlich (§§ 2, 3 Nr. 1 des Arbeitsvertrags) gegen die in § 4 des Arbeitsvertrags vereinbarte Vergütung. Die Verpflichtung zur Erbringung der Hauptleistungen, wenn auch erst ab dem 1. Februar 2018, wurde indes auch im Streitfall bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrags begründet. Dies zeigt sich auch an seinem § 13, wonach sich die Klägerin verpflichtete, im Falle einer schuldhaften Nichtaufnahme der Tätigkeit eine Vertragsstrafe zu zahlen. Hinzu kommt, dass die Parteien in § 18 Nr. 2 des Arbeitsvertrags eine auf einen [X.]raum bereits vor dem 1. Februar 2018 bezogene weitere Verpflichtung der Klägerin begründeten. Die Klägerin sollte demnach bereits in der [X.] vom 27. bis 29. Dezember 2017 für eine tägliche Arbeitszeit von mindestens fünf Stunden auf Abruf zur Verfügung zu stehen.

2. Auch die übrigen Voraussetzungen für das Kündigungsverbot des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] sind erfüllt. Die Klägerin war im [X.]punkt der Kündigung schwanger. Davon hatte der Beklagte zum [X.]punkt der Kündigung Kenntnis. Eine Zulässigerklärung der Kündigung gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 [X.] lag nicht vor.

VI. Der Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglos gebliebenen Revision zu tragen.

        

    Koch    

        

    Niemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    [X.]. Peter    

        

    Brossardt    

                 

Meta

2 AZR 498/19

27.02.2020

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Kassel, 3. Mai 2018, Az: 3 Ca 46/18, Urteil

§ 17 Abs 1 S 1 Nr 1 MuSchG 2018, § 1 Abs 1 MuSchG 2018, § 1 Abs 2 MuSchG 2018, Art 10 Nr 1 EWGRL 85/92, § 134 BGB, Art 2 Abs 1 GG, Art 6 Abs 4 GG, Art 12 Abs 1 GG, § 7 Abs 1 SGB 4

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.02.2020, Az. 2 AZR 498/19 (REWIS RS 2020, 340)

Papier­fundstellen: MDR 2020, 933-934 REWIS RS 2020, 340

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