Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.10.2015, Az. VI ZR 23/15

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 3301

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BUNDESGERI[X.]HTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI [X.]

Verkündet am:

27. Oktober 2015

Holmes

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 823 Abs. 1 ([X.]), § 833 Satz 1, 249 Abs. 2 ([X.]), § 251 Abs. 2 Satz 2, §
254 (Ba), § 840 Abs. 3; ZPO § 287; GG Art. 20a; § 1 TierSchG
Zur Höhe des Schadensersatzes bei der Verletzung von Tieren:
a)
Im Fall der Verletzung eines Tieres ist §
251 Abs.
2 Satz 2 [X.] dahin auszulegen, dass
die aus der Heilbehandlung des Tieres entstandenen Aufwendungen nicht bereits dann unverhältnismäßig sind, wenn sie dessen Wert erheblich übersteigen.
b)
Zur Ermittlung der noch verhältnismäßigen Heilbehandlungskosten bedarf es stets einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände des konkreten Einzelfalls sei-tens des Tatrichters. Dabei kann auch das individuelle Verhältnis zwischen dem Geschädigten und dem verletzten Tier von Bedeutung sein.
-

2

-

c)
Im Fall der Verletzung eines Tieres kann der Schädiger den Geschädigten bei un-verhältnismäßig hohen Heilbehandlungskosten nicht gemäß §
251 Abs.
2 Satz
1 [X.] auf Wertersatz in Geld verweisen; der Schädiger schuldet dem Geschädigten vielmehr -
in Ausnahme von dieser Vorschrift
-
Ersatz der noch als verhältnismä-ßig zu erachtenden Tierbehandlungskosten.
[X.], Urteil vom 27. Oktober 2015 -
VI [X.] -
LG Oldenburg

[X.]

-

3

-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
27. Oktober
2015
durch den Vorsitzenden [X.], die
Richter
Wellner
und Stöhr sowie
die Richterinnen Dr. [X.] und [X.]

für Recht erkannt:

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil der 5. Zivilkammer des [X.] vom 10. Dezember 2014 im Kosten-punkt und insoweit aufgehoben, als das vorbezeichnete Gericht in Höhe eines [X.] über dem Basiszinssatz seit dem 10. Dezember 2013 das Urteil des [X.] vom 3. Juli 2014 abge-ändert und die Klage abgewiesen hat. Insoweit wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
Die weitergehende Revision des [X.] und die [X.] des Beklagten werden zurückgewiesen.
Von den Kosten der ersten Instanz tragen der Kläger 56% und der Beklagte 44%; von den Kosten der Rechtsmittelzüge tragen der Kläger 27% und der Beklagte 73%.

Von Rechts wegen
-

4

-

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von dem Beklagten Schadensersatz wegen der [X.], eines [X.]. Am 2. April 2013 pas-sierte die Ehefrau des [X.] auf einem Spaziergang in Begleitung des Hun-des
das
Grundstück des Beklagten, auf dem sich dessen
nicht angeleinter Wolfshund befand. Nachdem die Hunde sich am Gartenzaun begegnet waren, sprang der Wolfshund über den Zaun und fügte dem Hund
des [X.] erhebli-che Verletzungen zu. Die
tierärztliche Behandlung kostete

Die Tier-halterversicherung
des Beklagten erstattete dem Kläger die
Hälfte dieses [X.].
Der Kläger begehrt Ersatz der restlichen Kosten. Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung nebst Zinsen verurteilt, wobei es auf Grund der von dem Hund des [X.] ausgehenden Tiergefahr eine Mithaftung des [X.] zu 20% angenommen hat [X.]. Auf die Berufung des Beklagten hat das [X.] die Klage unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils abgewiesen, soweit nebst Zinsen verurteilt worden war; die weitergehende
Berufung hat es zurückgewiesen. Mit seiner vom [X.] zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils. Der Beklagte hat [X.] mit dem Ziel der vollständigen Klageabweisung eingelegt.
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-

Entscheidungsgründe:
A
Das Berufungsgericht hat
den gegen die Quotenbildung gerichteten Be-rufungsangriffen
den Erfolg versagt. Dabei hat es vor allem berücksichtigt, dass der Wolfshund des Beklagten allein auf Grund seiner Konstitution gefährlicher gewesen sei als der deutlich kleinere Hund des [X.] und dass der Beklagte seinen Hund frei ohne Aufsicht habe laufen lassen, weshalb
er ihn nicht unter Kontrolle gehabt
habe. Zwar sei auch der Hund des [X.] nicht angeleint ge-wesen. Es könne jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die [X.] andernfalls verhindert worden wäre. Dass das Amtsgericht nicht festgestellt
ha-be, dass der Hund des [X.] den Hund des Beklagten gebissen habe, bevor dieser ihn angegriffen habe, sei nicht zu beanstanden und im Übrigen auch un-erheblich.
Der Höhe nach hat das Berufungsgericht
den ersatzfähigen Schaden mit 3.000

, so dass
es
nach Abzug der vorgerichtlichen Zahlung die Klageforderung nur für berechtigt gehalten hat

x
80% -

Die Behandlungs-kosten hat es als unverhältnismäßig angesehen. § 251 Abs. 2 Satz 2 [X.] führe nicht dazu, dass bei der Verletzung von Tieren keine Verhältnismäßigkeitsgren-ze existiere. Für
deren Bestimmung sei eine genaue
Festlegung des Wertes des Hundes
nicht erforderlich, weil sich angesichts der geringen Preise, die für derartige Tiere erfahrungsgemäß gezahlt würden,
ein dem [X.] und dem Anliegen des Gesetzgebers entsprechendes Ergebnis so nicht begründen lasse.
Den Beklagten treffe lediglich eine einfache Sorgfaltspflich[X.]verletzung, aus der heraus eine besondere Anhebung der Verhältnismäßig-3
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keitsgrenze nicht zu begründen sei. Im Gegenzug böten tiermedizinische Über-legungen keinen Anhaltspunkt für eine Begrenzung der Haftung, da die [X.] uneingeschränkt erfolgreich gewesen sei, woran es offenbar auch von Anfang an keinen Zweifel gegeben habe. Die Bemühungen der Kammer, die individuelle Beziehung des [X.] zu seinem Hund zu ergründen, hätten erge-ben, dass es sich um einen durchschnittlichen Familienhund handele, eher ein wenig loser mit der Familie verbunden als wirkliche "Schoßhunde". [X.] komme es daher darauf an, was ein verständiger Tierhalter in der Lage des Geschädigten aufgewendet hätte. Das einzige objektive Kriterium ergebe sich letztlich aus den Kosten, die der Eigentümer unabhängig von dem Scha-densfall für das Tier aufzuwenden bereit sei. Für einen Hund fielen
am Wohnort des [X.] jährlich Kosten

Steuer, Futter, Versi-cherung). Der verständige Besitzer eines durchschnittlich begabten und sympa-thischen Hundes werde noch das Dreifache dieses Betrags
aufwenden, um den Hund behandeln zu lassen. Mehr jedoch sei als verständige wirtschaftliche Be-trachtung nicht mehr begründbar.
Auch wenn der Hund noch recht jung sei, sei bereits bei seiner Anschaffung klar gewesen, dass er seinen Besitzer vermutlich nicht überleben werde. Keine Rolle spiele das Verbot des Tierschutzgesetzes,
ein Tier nicht ohne vernünftigen Grund zu töten. Wenn ein Tierarzt nicht bereit sein sollte, ein schwer verletztes Tier einzuschläfern, verwirkliche sich ein [X.] in der Sphäre des Tierhalters.

B
Das hält den Angriffen der Revision nicht in vollem Umfang stand. Der [X.] ist hingegen kein Erfolg beschieden.

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7

-

I. Zur Revision:
1.
Die Revision ist unbeschränkt zulässig. Das Berufungsgericht hat die Revision im Tenor unbeschränkt zugelassen. Dass es mit der Begründung der Zulassung in den Urteilsgründen die Revision auf die Frage der Höhe des [X.] beschränken wollte, ergibt sich aus den Gründen nicht mit hinreichen-der Deutlichkeit.

2. Die Revision ist teilweise begründet. Das Berufungsurteil hält nicht in allen Punkten der rechtlichen Prüfung stand.
a) Das Berufungsgericht hat allerdings zutreffend
erkannt, dass der [X.] nicht nur aus § 833 Satz 1 [X.]
für die Tiergefahr seines Hundes, son-dern auch aus § 823 [X.] haftet. Er hat fahrlässig das Eigentum des [X.] verletzt (§ 90a Satz 3, § 823 Abs. 1 [X.]), indem er den (Fußgänger-)Verkehr vor seinem Grundstück nicht ausreichend vor den von seinem Wolfshund aus-gehenden Gefahren geschützt hat. Der Beklagte hätte entweder durch eine ausreichende Beaufsichtigung oder eine ausreichend sichere Einzäunung sei-nes Grundstücks dafür sorgen müssen, dass der Hund nicht entweichen kann (vgl. Senatsurteil vom 28. April 1992 -
VI [X.], [X.], 844; [X.]/[X.], [X.], Neubearb. 2009, § 823 Rn. [X.]). Sein Vortrag, wonach der Hund das Grundstück zuvor noch nie selbständig verlassen hatte und seine Ehefrau sofort eingegriffen hat, steht dem [X.] nicht entgegen. Denn der Vortrag zeigt nicht auf, dass es dem Beklagten mit zumutbarem Auf-wand nicht möglich gewesen wäre, das Entweichen des Hundes zu verhindern.
b)
Die Revision bleibt ohne Erfolg, soweit sie sich gegen die Bemessung der Anspruchshöhe wendet. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach
nicht der
für die Heilbehandlung aufgewandte Geldbetrag
in Höhe von 4.177,59

ersatzfähig ist
(§ 90a Satz 3, § 249 Abs. 2 Satz 1 [X.]), sondern der 6
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8

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Beklagte dem
Kläger
nach § 251 Abs. 2 [X.] iVm §
249 [X.] -
vorbehaltlich der Prüfung des Mitverschuldens
-
Ersatz der Heilbehandlungskosten in Höhe von 3.000

schuldet, hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Ohne durchgrei-fenden Rechtsfehler hat das Berufungsgericht die entstandenen Aufwendungen als unverhältnismäßig angesehen.
aa) Der zum Schadensersatz Verpflichtete hat dem Geschädigten ge-mäß §
249 Abs.
1 [X.] vollständige Restitution zu leisten. Im Fall der Verle[X.]zung einer (Person oder Beschädigung einer Sache -
entsprechend ist die [X.] eines Tieres zu behandeln (vgl. §
90a Satz 3 [X.])
-
kann der [X.] statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen (§
249 Abs.
2 [X.]). Nach § 251 Abs. 2 Satz 1 [X.] kann der Ersatzpflichtige aller-dings den Gläubiger in Geld entschädigen, wenn die Herstellung nur mit unver-hältnismäßigen Aufwendungen möglich ist. Diese Ersetzungsbefugnis
kann
der Schuldner auch gegenüber dem Zahlungsanspruch aus § 249 Abs. 2 [X.] gel-tend machen
(vgl. Senatsurteile vom 8. Dezember 1987 -
VI
ZR 53/87, [X.]Z 102, 322, 330
und
vom 23. Mai 2006 -
VI
ZR 259/04, [X.], 1076 Rn.
27, beide mwN).
Sie ist eine besondere Ausprägung von [X.] und Glauben
und
begrenzt die Ersatzpflicht unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit (vgl. Se-natsurteile
vom 3. Dezember 1974 -
VI
ZR 1/74, [X.]Z 63, 295, 298 f.; vom 13.
Mai 1975 -
VI
ZR 85/74, [X.], 1047; vom 9. Dezember 2008 -
VI
ZR 173/07, [X.], 408 Rn. 14; [X.], Urteile vom 24. April 1970 -
V
ZR 97/67, NJW 1970, 1180, 1181; vom 26. Oktober 1972 -
VII
ZR 181/71, [X.]Z 59, 365, 368; vom 27. November 2009 -
LwZR 11/09, [X.], 442 Rn. 21; vom 4.
April 2014 -
V
ZR 275/12, [X.]Z 200, 350 Rn. 43). Die
Zumutbarkeitsgrenze
ist
durch eine Güter-
und Interessenabwägung zu ermitteln (vgl. Senatsurteil vom 3. Dezember 1974 -
VI
ZR 1/74, aaO, 299; [X.], Urteil vom 24. Mai 2007
-
IX
ZR 142/05, [X.], 218 Rn. 25), bei der
auch andere Umstände als das reine
Wertverhältnis zu berücksichtigen sind ([X.], Urteile
vom 2. Oktober 11
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1987 -
V
ZR 140/86, NJW 1988, 699, 700
und vom 27. November 2009
-
LwZR
11/09, aaO).
Im Fall der Verletzung eines Tieres bestimmt § 251 Abs. 2 Satz 2 [X.]
angesichts der
herausgehobenen Anerkennung des Tierschutzes durch die Rechtsordnung (Art.
20a GG, § 1 TierSchG), dass die aus der Heilbehandlung
des Tieres entstandenen Aufwendungen nicht bereits dann unverhältnismäßig sind, wenn sie dessen Wert erheblich übersteigen. Ausgehend von der Veran[X.]wortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf und schmerzempfindliches Lebewesen verbietet diese Vorschrift bei der [X.] eine streng wirtschaftliche Betrachtungsweise (BT-Drucks. 11/5463 S. 5). Das bedeutet zwar nicht, dass eine Verpflichtung zum Schadensersatz in unbegrenzter Höhe besteht
(vgl. BT-Drucks. 11/5463 [X.] und 11/7369 [X.]; [X.], [X.] 2014, 1391; MünchKomm[X.]/[X.], 6. Aufl., §
251 Rn. 58). Unter der Vo-raussetzung, dass eine Heilbehandlung tatsächlich durchgeführt wurde (vgl. BT-Drucks. 11/5463 S. 6
und 11/7369 [X.]), verlangt §
251 Abs. 2 Satz 2 [X.] aber, dass dem Interesse des Schädigers, nicht mit den Behandlungskosten belastet zu werden, bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht nur der Wert des Tieres
gegenüber
gestellt wird, sondern auch das aus der Verantwortung für das Tier folgende immaterielle Interesse an der Wiederherstellung seiner
Ge-sundheit und seiner körperlichen Integrität
(vgl. [X.]/[X.], [X.], Neubearb. 2005, § 251 Rn. 27; [X.]/[X.], [X.], 14. Aufl., § 251 Rn. 25
f.; [X.], [X.] 1990, 1057, 1059). So können bei Tieren mit einem geringen mate-riellen Wert Behandlungskosten auch dann ersatzfähig sein, wenn sie ein Viel-faches dieses Wertes ausmachen (vgl. BT-Drucks. 11/5463 S. 5; vgl. [X.], [X.], 1412; MünchKomm[X.]/[X.], 6. Aufl., §
251 Rn. 62; vgl. auch [X.], NJW 1997, 3320, 3321 für Tiere ohne Marktwert). Immer
bedarf es einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände des konkreten Einzelfalls
(vgl. Senatsurteile
vom 3. Dezember 1974 -
VI
ZR 1/74, [X.]Z 63, 12
-

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295, 299 ff. und vom 19. Oktober 1993 -
VI
ZR 20/93, [X.], 64, 65 f.; [X.], Urteile vom 26. Oktober 1972 -
VII
ZR 181/71, [X.]Z 59, 365, 367 und vom 4. April 2014 -
V
ZR 275/12, [X.]Z 200, 350 Rn. 41, 45).
Nach Auffassung des Gesetzgebers kommt es für die Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze auf das Maß des Verschuldens des Schädigers, das individuelle Verhältnis zwi-schen dem Geschädigten und dem verletzten Tier sowie darauf an, ob die [X.] Heilbehandlungskosten aus tiermedizinischer Sicht vertretbar ge-wesen sind (vgl. BT-Drucks. 11/5463 [X.]). Diese Aufzählung schließt weitere dem [X.] dienende Kriterien im Einzelfall nicht aus.
bb) Die Beurteilung, ob danach die Voraussetzungen des § 251 Abs. 2 [X.]
vorliegen, ist in erster Linie Angelegenheit tatrichterlicher Würdigung in
Anwendung des § 287 Abs. 1 ZPO
(vgl. Senatsurteile vom 17. November 1961
-
VI
ZR 66/61, [X.], 137, 138; vom 13. Mai 1975 -
VI
ZR 85/74, [X.], 1047; vom 8. Dezember 1987 -
VI
ZR 53/87, [X.]Z 102, 323, 330; vom 19.
Oktober 1993 -
VI
ZR 20/93, [X.], 64, 65). [X.] [X.] ist insoweit nur, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der [X.] ver-kannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (st. Rspr., vgl. nur Senats-urteile vom 5. März 2013 -
VI
ZR 245/11, [X.], 730 Rn. 14 und vom 22.
Juli 2014 -
VI
ZR 357/13, VersR
2014, 1141 Rn. 12, beide mwN).
cc) Im Streitfall hält die Beurteilung des Berufungsgerichts insoweit den Angriffen der Revision stand.
(1) Entgegen der Auffassung der Revision hat sich das Berufungsgericht -
auch in Ansehung einer einzelnen missverständlichen Wendung
-
nicht unter Verkennung der Mitgeschöpflichkeit der Tiere
von rein wirtschaftlichen Erwä-13
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-

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-

gungen leiten lassen. Es
hat den von ihm als gering eingeschätzten Wert des Tieres gerade wegen seiner
Geringfügigkeit nicht als sachgerechten Anknüp-fungspunkt für die Ermittlung der [X.] angesehen, son-dern maßgeblich auf das immaterielle Interesse an der Durchführung der Heil-behandlung abgestellt. Bei der Gewichtung dieses Interesses
hat es rechtsfeh-lerfrei die individuelle Beziehung des [X.] zu seinem Hund
("durchschnittli-cher Familienhund"), die Erfolgsaussichten der Behandlung, das Alter des Hun-des und das Verschulden des Beklagten
berücksichtigt.
(2) Dass es
ausgehend von dieser Würdigung der konkreten Umstände des [X.] die [X.] letztlich bei
dem dreifachen Be-trag der jährlichen Kosten
der Tierhaltung gezogen hat, hält sich im Rahmen einer zulässigen tatrichterlichen Würdigung. Zwar hat der Gesetzgeber es [X.], die Grenze der Zumutbarkeit als Haftungsgrenze danach zu bestim-men, was ein verständiger Tierhalter in der Lage des Geschädigten aufgewen-det hätte, um zu
ermöglichen,
dass weitestgehend ein sachgerechter Interes-senausgleich erreicht werden kann.
Doch hat er diesen Gesichtspunkt damit nicht als einen unter mehreren im Rahmen der Gesamtbetrachtung des Einzel-falls verworfen (vgl. BT-Drucks. 11/5463 [X.] und 11/7369 [X.]).
Der Revision ist zuzugeben, dass die vom Berufungsgericht herangezo-genen Kosten für die Haltung des
Hundes in keinem direkten Bezug zu der Frage
stehen, ob die Anforderungen für die Heilbehandlung des Tieres ange-messen waren. Die Berücksichtigung der Kosten war
von Rechts wegen nicht geboten. Dennoch handelt es sich nicht um ein sachfremdes Kriterium. Dadurch dass
der Kläger
die nicht nur geringfügigen "Unterhaltungskosten"
freiwillig [X.], zeigt er, was ihm die Haltung des Tieres mindestens wert ist. Indem
das Berufungsgericht in den Kosten
der Tierhaltung einen Anhalt für die Gewichtung des Interesses an der Wiederherstellung der Tiergesundheit gesehen hat, hat 16
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es die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens
nicht überschritten. Soweit die Revision die Sachwidrigkeit des Kriteriums durch einen Vergleich mit ande-ren Fallgestaltungen aufzuzeigen versucht, übersieht sie, dass es immer auf eine Gesamtbetrachtung aller Einzelfallumstände ankommt. Die vom [X.] im Streitfall bei dem dreifachen Betrag der jährlichen Kosten
gezo-gene [X.] kann deshalb nicht schematisch auf andere Fälle übertragen werden.
(3) Ebenfalls ohne Erfolg
macht die Revision geltend, rechtsfehlerhaft habe das Berufungsgericht die [X.] verneint, obwohl der Kläger keine andere Wahl gehabt habe, als die [X.]
in die Wege zu leiten.
Zwar hat das Berufungsgericht ausgeführt, wenn ein Tierarzt nicht bereit sei, ein verletztes Tier einzuschläfern, verwirkliche sich ein Risiko in der Sphäre des Tierhalters. Auf dieser -
rechtlich bedenklichen
-
Erwägung beruht das an-gefochtene Urteil aber nicht. Denn weder hat das Berufungsgericht festgestellt, dass es dem Kläger nicht mit zumutbarem Aufwand möglich gewesen wäre,
einen zur Einschläferung des Hundes bereiten Tierarzt zu finden, noch verweist die Revision auf entsprechenden Sachvortrag.
c) Der Kläger kann -
wie das Berufungsgericht angenommen hat
-
vom Beklagten gemäß
§ 249 Abs. 2, § 251 Abs. 2 Satz 2 [X.] die als verhältnismä-ßig erachteten Heilbehandlungskosten seines
Hundes
verlangen
(3.000

. In-soweit hat der Gesetzgeber mit § 251 Abs. 2 Satz
2 [X.] eine Ausnahmerege-lung im Sinne von §
90a Satz 3 [X.] geschaffen, mit der die [X.] des Schuldners nach §
251 Abs. 2 Satz 1
[X.] eingeschränkt wird
([X.]/
[X.], [X.], 14. Aufl., §
251 Rn. 2, 25 f.; vgl. auch [X.], [X.], 981,
982; so im Ergebnis -
ohne Begründung
-
[X.], [X.],
1412)
18
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und der geschädigte Tierhalter Wiederherstellung in Höhe der verhältnismäßi-gen Heilbehandlungskosten beanspruchen kann.

Grundsätzlich kann bei unverhältnismäßigen Wiederherstellungskosten für Sachen, in den Fällen, in denen sich kein den Schädiger treffendes Progno-serisiko verwirklicht, der Geschädigte nur den Wert ersetzt verlangen und nicht einen Betrag in Höhe der noch verhältnismäßigen Wiederherstellungskosten (vgl. [X.]/[X.], [X.], Neubearb. 2005, § 251 Rn. 25 f.; [X.]/
[X.], [X.], 74. Aufl., § 251 Rn. 9; zu § 249 [X.] vgl. Senatsurteile vom 20.
Juni 1972 -
VI [X.], NJW 1972, 1800, 1801; vom 15. Oktober 1991
-
VI [X.], [X.]Z 115, 375, 380; vom 14. Dezember 2010 -

VI [X.], [X.], 282 Rn. 12 mwN; zur Unverhältnismäßigkeit von [X.] vgl. [X.], Urteil vom 4. April 2014 -
V
ZR 275/12, [X.]Z 200, 350 Rn.
37).
Dies widerspräche
bei der Verletzung von Tieren aber der Zielsetzung des Gesetzgebers, der nach dem Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht eine Begrenzung der ta[X.]sächlich angefallenen Heilbehandlungskosten auf den Wert des Tieres ablehnt (vgl. BT-Drucks. 11/5463 S.
1,
5). Danach werde
mit der Regelung des §
251 Abs. 2
Satz 2 [X.] die Auffassung auf eine gesetzliche Grundlage gestellt, dass die Verletzung eines Tieres nicht mit einem Schaden an einem wirtschaftlichen Nutzobjekt, wie etwa einem Kraftwagen,
gleichgestellt werden könne. Einem Tier, das im Einzelfall auch einmal keinen materiellen Wert haben könne, solle durch die Rechtsordnung die erforderliche Heilbehandlung nicht deshalb ver-wehrt werden, weil die Behandlungskosten auf den Wert begrenzt würden, der dem Wert des Tieres im Geschäftsverkehr entspreche, und der Eigentümer des Tieres nicht über die für die Heilbehandlung erforderlichen Geldmittel verfüge. Daher werde eine Regelung vorgeschlagen, die den vollen Ersatz der [X.] vorsehe, soweit sich die entstehenden
Kosten
im Rahmen der 21
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14

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allgemeinen Verhältnismäßigkeit
hielten
(vgl. BT-Drucks. 11/5463 S.
5; s. auch BT-Drucks. 11/7369 S.
7).

Für dieses Verständnis der §§
249, 251 Abs.
2 [X.] kann ferner ange-führt werden, dass sich bei der Verletzung von Tieren in zahlreichen
Fällen das den Schädiger treffende Prognoserisiko verwirklichen
dürfte. Denn
Heilbehand-lungen sind hinsichtlich Dauer,
Umfang
und damit auch Kosten
oft unüberseh-bar und deshalb mit Reparaturen nicht vergleichbar, insbesondere wenn Verle[X.]zungen ein unverzügliches ärztliches Handeln fordern.

d) Mit Erfolg beanstandet die Revision dagegen die Anrechnung
der Mi[X.]haftung auf Seiten des [X.]. Die amtsgerichtliche Verurteilung des [X.] ist in Höhe von weiteren 600

aa) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung steht eine Mithaf-tung im Umfang von 20% nicht rechtskräftig fest, weil der Kläger gegen das Ur-teil des Amtsgerichts kein Rechtsmittel
eingelegt hat. In Rechtskraft erwachsen gemäß § 322 ZPO lediglich die im Hinblick auf den Streitgegenstand ausge-sprochenen Rechtsfolgen, nicht jedoch Vorfragen, aus welchen das Gericht diese Rechtsfolgen abgeleitet hat ([X.], Urteil vom 5. November 2009 -
IX
ZR 239/07, [X.]Z 183, 77 Rn. 9 f. mwN). Vorliegend ist danach nur der Ausspruch rechtskräftig geworden, dass der geltend gemachte Anspruch in einer bestimm-ten Höhe nicht besteht, nicht aber die dafür gegebene Begründung.
bb) Der Schadensersatzanspruch des [X.] ist nicht wegen eines Mi[X.]verschuldens nach § 254 Abs.
1 [X.] zu kürzen. Zwar hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Hund des [X.] nicht angeleint war. Das führt aber [X.] deshalb nicht zu einer Anspruchskürzung, weil den [X.] nur ein Verhalten begründet, von dem feststeht, dass es zu dem Schaden oder dessen Umfang beigetragen hat (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteile 22
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-

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-

vom 24. September 2013 -
VI [X.], [X.], 80 Rn. 7 mwN und vom 28.
April 2015 -
VI [X.], [X.], 767 Rn. 10; [X.], Urteil vom 20.
Februar 2013 -
VIII ZR 339/11, [X.], 252 Rn. 34 mwN). Eine solche Feststellung hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Es ist nicht davon [X.], dass die [X.] verhindert worden wäre, wenn der Hund angeleint gewesen wäre. Daran ist der Senat gebunden (§ 559 Abs. 2 ZPO). Die [X.] zeigt keinen gegenteiligen Sachvortrag des Beklagten auf. So-weit sie sich auf einen allgemeinen Erfahrungssatz beruft, verkennt sie, dass es von den Umständen des Einzelfalles abhängt, ob derjenige, der einen Hund an der [X.] führt, gehalten ist, das Tier bei einer Begegnung mit einem anderen Hund zurückzuziehen, und ob er dadurch einen Angriff des anderen Hundes verhindern kann.
cc)
Der Kläger muss sich auch nicht entsprechend § 254 Abs. 1, § 833 Satz 1 [X.] die von seinem Hund ausgehende Tiergefahr anspruchsmindernd anrechnen lassen (vgl. Senatsurteil vom 5. März 1985 -
VI ZR 1/84, [X.], 665, 666 mwN). Dieser
hat zwar nach den vom Berufungsgericht gebillig-ten Feststellungen des Amtsgerichts seinen Kopf durch den Zaun gesteckt. [X.] liegt auch ein der tierischen Natur entsprechendes unberechenbares und selbständiges Verhalten, das eine (Mi[X.])Haftung aus § 833 Satz 1 [X.] begrün-den kann (vgl. Senatsurteil vom 27. Januar 2015 -
VI [X.], [X.], 592 Rn. 12 mwN). Ihrer Zurechnung steht aber § 840 Abs. 3 [X.] entgegen, wonach der Tiergefahr gegenüber der Verschuldenshaftung aus § 823 [X.] keine Bedeutung zukommt. § 840 Abs. 3 [X.] greift nach seinem Sinngehalt zu Lasten eines aus Verschulden haftenden Schädigers auch dann ein, wenn es um den eigenen, von dem Tier mitverursachten Schaden des Tierhalters geht (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 1994 -
VI [X.], [X.], 90, 91; [X.], Urteil vom 23. September 2010 -
III ZR 246/09, [X.]Z 187, 86 Rn. 31; MünchKomm[X.]/[X.], 6. Aufl., § 840 Rn. 19). Für die vom Berufungsge-26
-

16

-

richt vorgenommene Abwägung der Verursachungsbeiträge ist daher kein Raum.
Im Hinblick darauf kann auch dahinstehen, ob der Hund des [X.] den Hund des Beklagten durch den Zaun zuerst gebissen hat.
e) Die weiteren Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet; von einer Begründung wird abgesehen (§ 564 Satz 1 ZPO).

II.
Aus den Ausführungen zur Revision ergibt sich zugleich, dass die [X.] nicht begründet ist.
Galke
Wellner
Stöhr

[X.]
Roloff

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 03.07.2014 -
41 [X.] 1446/13 (IV) -

LG Oldenburg, Entscheidung vom 10.12.2014 -
5 [X.]/14 -

27
28

Meta

VI ZR 23/15

27.10.2015

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.10.2015, Az. VI ZR 23/15 (REWIS RS 2015, 3301)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 3301

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