Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.05.2016, Az. VI ZR 465/15

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 10765

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:310516UVIZR465.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
VI [X.]
Verkündet am:

31. Mai 2016

Holmes

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

BGB § 833 Satz 1, § 254 Abs. 1 Ba, § 823 Dc, § 840 Abs. 3

a)
Kommt es zu einem Gerangel zwischen zwei Hunden, in dessen Rahmen
der Halter des einen Hundes von dem anderen Hund gebissen wird, so ist die typi-sche Tiergefahr des Hundes des Geschädigten bei der [X.] adäquat mitursächlich geworden. Dies muss sich der Geschädigte entsprechend § 254 Abs. 1, § 833 Satz 1 BGB mindernd auf seinen Anspruch aus § 833 Satz 1 BGB anrechnen lassen.

b)
Eine Anspruchsminderung wegen mitwirkender Tiergefahr ist allerdings dem Sinngehalt des § 840 Abs. 3 BGB entsprechend ausgeschlossen, wenn der [X.] des schädigenden Hundes dem Geschädigten auch gemäß § 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet ist.

[X.], Urteil vom 31. Mai 2016 -
VI [X.] -
Thüringer [X.]

[X.] Erfurt

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Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 31. Mai
2016
durch den Vorsitzenden [X.], die
Richter Wellner
und Stöhr und die Richterinnen von [X.] und Müller
für Recht erkannt:
Auf die Revision der [X.]
wird das Urteil des 1. Zivilsenats des [X.] vom 16. Juli 2015
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Kläger nimmt die
[X.]
nach einem Hundebiss
auf Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.
Der Kläger ging am 16. Juli 2011 gegen 22:00 Uhr auf dem Weg zur Hauptstraße an dem Grundstück der [X.] vorbei. Er führte seinen Hund, einen Labrador-Mischling, angeleint bei Fuß, wobei die Hundeleine um sein linkes Handgelenk gewickelt war. Auf dem Grundstück der [X.] befand sich deren
Hund, ein
[X.]. Dieser zwängte sich durch die etwa ei-nen
Meter hohe Hecke, durch die das Grundstück von dem Weg abgegrenzt war, und rannte auf den Kläger und dessen Hund zu. Es kam zu einem Geran-gel und einem Kampf zwischen den Hunden, wobei der Hund der [X.] immer wieder am Kläger hochsprang. Zwischen den Hunden stehend
und mit der sein Handgelenk umwickelnden [X.]
war der Kläger in seiner Abwehr ein-geschränkt und konnte sich nicht befreien. In dieser Situation wurde er von dem Hund der [X.] gebissen. Er trug blutende Wunden davon.
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Das [X.] hat sowie
Ersatz des materiellen Schadens in Höhe von 1.560,

wegen Be-schädigung der Kleidung und der Brille des [X.]
zugesprochen und die [X.] im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der
[X.], mit der diese das Urteil des [X.] insoweit angegriffen hat, als sie zur Zahlung von mehr

hat das [X.] das Urteil des [X.] abgeändert

r-Auf die Berufung des [X.] hat es zudem die [X.] zur Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten verurteilt. Im Übrigen hat es die Berufungen beider Parteien
zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt
die [X.]
ihre in der Berufungsinstanz gestellten Anträge weiter.

Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat die [X.]
als Halterin des [X.] gemäß § 833 Satz
1 BGB für
verpflichtet
erachtet, dem Kläger alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, soweit diese auf den Hundebiss zu-rückzuführen sind. Dabei müsse sich der Kläger kein eigenes Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen, da er keine bewussten Handlun-gen dahingehend unternommen habe, in den Streit zwischen den Hunden ein-zugreifen, diese zu trennen oder den [X.] der [X.] auf sei-nen Hund abzuwehren. Er müsse sich ferner nicht die Tiergefahr seines [X.] analog § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen. Auch wenn der Hund der [X.]
höchstwahrscheinlich
nicht auf den Kläger losgegangen wäre, wenn dieser ohne Hund unterwegs gewesen
wäre, stelle allein der Umstand, dass der 3
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Kläger seinen Hund angeleint bei sich geführt habe, keinen
dem Kläger zure-chenbaren
[X.] für den
durch das aggressive Verhalten des Hundes der [X.]
entstandenen Schaden dar. Allein die Tatsache, dass der Hund des [X.] ein Hund sei, begründe keine Mithaftung des [X.].
Der [X.] im Urteil des [X.]

e-duzieren, da
die [X.]
diesen Betrag bereits
auf das Schmerzensgeld ge-leistet habe.
II.
Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des [X.], dass sich der Kläger
im Rahmen der Tierhalterhaftung der [X.] die von seinem Hund ausgehende Tiergefahr nicht analog § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen müsse. Das angefochtene Urteil begegnet allerdings auch insoweit durchgreifenden Bedenken, als
lediglich eine Haftung der Beklag-ten als Tierhalterin nach
§ 833 Satz 1 BGB angenommen, nicht aber
der Frage einer verschuldensabhängigen Haftung nach § 823 BGB nachgegangen [X.] ist. Sollten deren Voraussetzungen erfüllt sein,
wozu die notwendigen Feststellungen nachzuholen sein werden,
käme
der von dem Labrador-Misch-ling
des [X.] ausgehenden Tiergefahr keine Bedeutung zu (§ 840 Abs.
3 BGB), so dass die [X.] im Ergebnis ebenfalls in vollem Umfang haften würde.
1. Zutreffend und von der Revision nicht angegriffen ist das Berufungsge-richt davon ausgegangen, dass die [X.] (jedenfalls) gemäß § 833 Satz 1 BGB
dem Grunde
nach
für den Schaden einzustehen hat, der daraus entstan-5
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den ist, dass ihr [X.] den Kläger gebissen hat. Hingegen hält die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger müsse sich
im Rahmen der Haf-tung der [X.] gemäß § 833 Satz 1 BGB
die von seinem Hund ausgehen-de Tiergefahr nicht
analog § 254 BGB
schadensmindernd anrechnen lassen, rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Ist für die Entstehung eines Schadens auch die Tiergefahr des eige-nen Tieres des Geschädigten mitursächlich, so muss sich der Geschädigte dies entsprechend § 254 Abs. 1, § 833 Satz 1 BGB
mindernd auf seinen Anspruch aus § 833 Satz 1 BGB anrechnen lassen (vgl. Senatsurteile vom 5. März 1985
-
VI ZR 1/84, [X.], 665, 666 mwN; vom 27. Oktober 2015 -
VI [X.], [X.], 60 Rn. 26). Voraussetzung ist, dass
die
typische
Tiergefahr
des Tieres des Geschädigten bei der [X.]
adäquat mitursächlich geworden ist (vgl. Senatsurteile
vom 6. Juli 1976
-
VI [X.], [X.], 1090, 1091, insoweit in
[X.]Z 67, 129 nicht abgedruckt; vom
20. Dezember 2005 -
VI [X.], [X.], 416 Rn. 7; vom 27. Januar 2015 -
VI [X.], [X.], 592 Rn. 12).
Eine typische Tiergefahr äußert sich nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbständigen Verhalten
(vgl. grundlegend Senatsurteil vom 6.
Juli 1976 -
VI [X.], aaO sowie Urteile
vom 20. Dezember 2005 -
VI
[X.], aaO; vom 25. März 2014 -
VI [X.], [X.], 640 Rn. 5; vom 27. Januar 2015 -
VI [X.],
aaO, je-weils
mwN). An der Verwirklichung der Tiergefahr fehlt es
insbesondere
dann, wenn keinerlei eigene Energie des Tieres an dem Geschehen beteiligt ist ([X.] vom 25. März 2014 -
VI [X.],
aaO) oder wenn das Tier lediglich der Leitung und dem Willen eines Menschen folgt (Senatsurteil vom 20. [X.] -
VI [X.],
aaO mwN). Demgegenüber
können bereits von einem Tier ausgehende und auf ein anderes
Tier einwirkende Reize
eine
für einen Schaden
mitursächliche Tiergefahr darstellen (vgl. Senatsurteil vom 9
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6.
Juli 1976 -
VI [X.], aaO für den von läufigen Hündinnen ausgehenden Duft).
Für die entsprechend § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmende Abwägung der Verursachungsbeiträge der beiden Tierhalter kommt es
sodann
darauf
an, mit welchem Gewicht konkret
sich
das in den Tieren jeweils verkörperte [X.] in der Schädigung manifestiert hat (Senatsurteil vom 5.
März 1985 -
VI
ZR 1/84, aaO, 666; [X.], [X.], 115, 116).
b) Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen
dessen rechtliche Beurteilung, die Tiergefahr des [X.]
stelle keinen dem Kläger
zurechenbaren [X.] für die [X.] dar, nicht.
Dabei kann dahinstehen, ob und unter welchen
Voraussetzungen es das rein passive Verhalten eines Tieres ausschließen würde, von einer bei der [X.] mitwirkenden Tiergefahr
auszugehen. Denn in der Situ-ation, in der der Kläger von dem Hund der [X.] gebissen wurde, be-schränkte sich die Rolle des Hundes des [X.]
entgegen der Annahme des Berufungsgerichts
nicht darauf, ein an der [X.] geführter Hund zu sein. [X.] fand nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ein Gerangel und ein Kampf zwischen den Hunden statt, von dem sich der zwischen den Hunden stehende Kläger nicht entfernen konnte, und in dessen Verlauf er von dem Hund der [X.] gebissen wurde. Das Gerangel war
eine [X.] den beiden Hunden, die ihrer tierischen Natur entsprechend aufeinander eingewirkt haben, bis es schließlich zu der Schädigung des [X.] kam. Damit hat sich in der Bissverletzung die von beiden Hunden ausgehende Tiergefahr adäquat mitursächlich verwirklicht. Für die Begründung der Mithaftung des Klä-gers
als solcher
ist nicht von Bedeutung, was Auslöser
des Gerangels war und
welcher der
beiden
Hunde in dem Geschehen
eine über-
oder
untergeordnete 10
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Rolle einnahm. Diese Umstände können allerdings bei der Bildung der [X.] sein
(vgl. [X.], [X.], 115, 116; [X.], NJW-RR 2007, 748, 749; [X.], BeckRS 2014, 00768).
2. Eine bei der Entstehung des Schadens mitwirkende Tiergefahr des [X.] dürfte allerdings dann nicht
anspruchsmindernd
berück-sichtigt werden, wenn die [X.]
dem Kläger
nicht nur gemäß
§ 833 Satz 1 BGB, sondern auch gemäß
§ 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet wäre. Denn gegenüber der Verschuldenshaftung aus § 823 BGB käme
der Tiergefahr des Hundes des [X.]
dem Sinngehalt des § 840 Abs. 3 BGB ent-sprechend
keine Bedeutung zu
(Senatsurteil
vom 27. Oktober 2015 -
VI
[X.],
aaO Rn. 26 mwN). Die Tatsache, dass es dem [X.] der [X.] gelungen ist, sich durch die Hecke zu zwängen, legt die Frage nahe, ob die [X.] fahrlässig die Gesundheit des [X.] verletzt
hat, indem sie den (Fußgänger-)Verkehr vor ihrem Grundstück nicht hinreichend vor den von ihrem Hund
ausgehenden Gefahren geschützt hat. Im Rahmen ihrer Verkehrssiche-rungspflicht hat die [X.] durch eine ausreichende Beaufsichtigung oder eine ausreichend sichere Einzäunung ihres Grundstücks dafür zu sorgen, dass ihr Hund nicht entweichen kann (Senatsurteile vom 27. Oktober 2015 -
VI
[X.],
aaO
Rn. 9; vom 28. April 1992 -
VI [X.], [X.], 844). Anders als das [X.], das der Auffassung des [X.]
folgend von einer Pflicht-verletzung
der [X.]
ausgegangen ist, ist das Berufungsgericht dieser [X.] nicht weiter nachgegangen. Sie ist aber vorrangig zu klären, da sich [X.] eine
anspruchsmindernde Anrechnung der Tiergefahr verbieten
wür-de.
III.
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Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§
562 Abs.
1, §
563 Abs.
1 Satz
1
ZPO).
Das Berufungsgericht wird -
erforderlichenfalls nach ergänzendem Vor-trag der Parteien
-
die notwendigen Feststellungen
dazu
nachzuholen haben, ob die [X.] verschuldensabhängig gemäß § 823 BGB haftet. Sollte dies nicht der Fall sein, wird es entsprechend § 254 Abs. 1 BGB eine Abwägung der Verursachungsbeiträge der von jedem der beiden Hunde
ausgehenden Tierge-fahr vorzunehmen und die hierfür gegebenenfalls noch erforderlichen Feststel-lungen zu treffen haben.

Galke
Wellner
Stöhr

von [X.]
Müller
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 09.09.2014 -
8 O 1517/11 -

OLG [X.], Entscheidung vom 16.07.2015 -
1 [X.] -

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Meta

VI ZR 465/15

31.05.2016

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.05.2016, Az. VI ZR 465/15 (REWIS RS 2016, 10765)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 10765

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VI ZR 465/15

VI ZR 23/15

VI ZR 467/13

VI ZR 372/13

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