Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.01.2011, Az. V ZB 116/10

5. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 10215

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Gegenstand

Vorläufige Freiheitsentziehung: Zulässigkeit der isolierten Feststellung der Rechtswidrigkeit der einstweiligen Anordnung


Leitsatz

Die Frage der Rechtswidrigkeit einer nach § 427 FamFG vorläufig angeordneten Ingewahrsamnahme kann nur innerhalb des für einstweilige Anordnungen vorgesehenen Rechtszuges geklärt werden; ein außerhalb dieses Verfahrens gestellter (isolierter) Feststellungsantrag ist unzulässig .

Tenor

Der Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des [X.] vom 12. März 2010, berichtigt durch Beschluss des [X.] vom 28. April 2010, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Feststellungsantrag als unzulässig verworfen wird.

Die Kosten des [X.] trägt der Betroffene.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 1.500 €.

Gründe

1

Der Betroffene ist eritreischer Staatsangehöriger. Am Abend des 11. September 2009 reiste er aus den [X.] kommend mit einer [X.] Identitätskarte, die eine räumliche Beschränkung auf [X.] enthielt, in das [X.] ein. Über einen Aufenthaltstitel für die [X.] verfügte er nicht. Gegen 19.30 Uhr ist er von der [X.] festgenommen worden. Der hiervon fernmündlich informierte [X.] hat gegen 21 Uhr die vorläufige Ingewahrsamnahme des Betroffenen zunächst bis zum 12. September 2009, 12 Uhr, angeordnet. Diese Anordnung ist später bis 15 Uhr verlängert worden.

2

Mit Beschluss vom 12. September 2009 hat das Amtsgericht auf Antrag der Beteiligten zu 2 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Zurückschiebung für die Dauer von drei Monaten angeordnet. Am 3. Dezember 2009 ist der Betroffene nach [X.] zurückgeschoben worden.

3

Mit Schriftsatz vom 15. Januar 2010 hat der Betroffene bei dem Amtsgericht die Feststellung beantragt, dass die Ingewahrsamnahme vom 11. September 2009, 21 Uhr, bis zum Erlass der Sicherungshaftanordnung am 12. September 2009 rechtswidrig gewesen ist. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Antrag weiter.

[X.]

4

1. Das Rechtsmittel ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG statthaft. Dem steht nicht die Bestimmung des § 70 Abs. 4 FamFG entgegen. Danach ist zwar die Rechtsbeschwerde gegen eine im Verfahren über die Anordnung einer einstweiligen Anordnung ergangene Beschwerdeentscheidung ausgeschlossen (vgl. auch Senat, Beschluss vom 11. November 2010 - [X.] 123/10, juris Rn. 3 f.). So liegt es hier jedoch nicht, weil Gegenstand der Rechtsbeschwerde eine Entscheidung ist, die außerhalb des einstweiligen [X.] ergangen ist. Gegen die von dem [X.] am 11. September 2009 beschlossene vorläufige Ingewahrsamnahme hat der Betroffene mit Schriftsatz vom 15. Januar 2010 weder ausdrücklich noch der Sache nach Beschwerde eingelegt (vgl. auch den Schriftsatz vom 29. März 2010). Vielmehr hat er außerhalb dieses Verfahrens einen (isolierten) Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit gestellt. Folgerichtig hat über diesen Antrag zunächst das Amtsgericht und erst auf die gegen dessen Entscheidung eingelegte Beschwerde das Landgericht befunden.

5

2. Dem Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache der Erfolg versagt. Der bei dem Amtsgericht eingereichte Feststellungsantrag ist unzulässig. An dem auch für einen isolierten Feststellungsantrag erforderlichen Rechtsschutzinteresse fehlt es, wenn das Gesetz eine spezielle Rechtsschutzmöglichkeit bereit stellt, mit der der Betroffene eine Klärung der Rechtmäßigkeit der gegen ihn angeordneten Haft erreichen kann. So liegt es hier, weil der Betroffene durch Einlegung der Beschwerde gegen die von dem [X.] vorläufig angeordnete Ingewahrsamnahme die von ihm gewünschte rechtliche Überprüfung hätte erreichen können.

6

a) Für einen wirkungsvollen Rechtsschutz hält das Gesetz auch in Konstellationen der vorliegenden Art das Rechtsmittel der Beschwerde (§ 58 Abs. 1 FamFG) bereit. Aus der unzweideutigen Regelung des § 62 Abs. 1 FamFG folgt, dass die Frage der Rechtswidrigkeit einer erledigten Freiheitsentziehung im Beschwerdeverfahren und damit in dem bereits anhängigen Verfahren zu klären ist. Da es sich bei dem Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG um ein eigenständiges Verfahren handelt (§ 51 Abs. 3 Satz 1 FamFG), gilt insoweit nichts anders.

7

b) Mit der Regelung des § 70 Abs. 4 FamFG hat der Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebracht, dass einstweilige Anordnungen keiner rechtlichen Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren unterworfen sein sollen. Diese Regelung darf nicht durch die Zulassung von Feststellungsanträgen in Verfahren unterlaufen werden, in denen der Rechtsweg bis zum Rechtsbeschwerdegericht eröffnet ist. Folgerichtig setzt auch die Einleitung eines Hauptsacheverfahrens nach § 52 FamFG voraus, dass sich die einstweilige Anordnung noch nicht erledigt hat. § 62 FamFG ist nicht mit der Folge entsprechend anwendbar, dass im Hauptsacheverfahren die Rechtswidrigkeit einer einstweiligen Anordnung festgestellt werden könnte ([X.], FamFG, 16. Aufl., § 52 Rn. 3). An der für einen Analogieschluss erforderlichen planwidrigen Regelungslücke fehlt es insoweit schon deshalb, weil die Rechtmäßigkeit der einstweiligen Anordnung auch sonst nicht den Verfahrensgegenstand des Hauptsacheverfahrens bildet. Das Gericht der Hauptsache hat zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer - nicht nur vorläufigen - Haftanordnung gegeben sind. [X.] es dies aufgrund der im Hauptsacheverfahren zur Verfügung stehenden besseren Erkenntnismöglichkeiten, scheidet zwar eine (weitere) Inhaftierung des Betroffenen aus. Das rechtfertigt jedoch nicht den Schluss, die einstweilige Anordnung sei deshalb rechtswidrig gewesen. Denn eine vorläufige Haftanordnung ist schon dann rechtmäßig, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht (§ 427 Abs. 1 Satz 1 FamFG).

8

c) Den Betroffenen auf das Rechtsmittel der Beschwerde in einem bereits anhängigen Verfahren zu verweisen, ist auch unter dem Blickwinkel eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) unbedenklich. Zwar ist vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben, die an einen wirkungsvollen Rechtsschutz bei prozessualer Überholung zu stellen sind, ein Rechtschutzinteresse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer freiheitsentziehenden Maßnahme regelmäßig gegeben ([X.] 104, 220, 234; Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - [X.] 172/09, [X.] 2010, 150 Rn. 9 mwN). Dieses rechtliche Interesse erlaubt jedoch nicht die Stellung eines Feststellungsantrages losgelöst von dem jeweils bestehenden Rechtsschutzsystem, sofern es dem Betroffenen zumutbar und möglich war, eine von der Verfahrensordnung bereitgestellte Rechtsschutzmöglichkeit zu ergreifen (KG, NVwZ-RR 2009, 222, 223; [X.], [X.] 2005, 276, 277; vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 4. Juni 2003 - 3 [X.], juris Rn. 18; [X.], FamFG, 16. Aufl., § 62 Rn. 4; [X.]/Weinreich/[X.], FamFG, 2. Aufl., § 62 Rn. 3). Besteht eine solche Möglichkeit, kann von dem Betroffenen erwartet werden, dass er diese wahrnimmt. Das gilt umso mehr, wenn effektiver Rechtsschutz - wie hier - in einem bereits anhängigen Verfahren zu erlangen ist. Es wäre dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden [X.]gut der Rechtssicherheit höchst abträglich, wenn noch lange nach Abschluss des Ausgangsverfahrens die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme auf den Prüfstand gestellt werden könnte, obwohl deren Klärung durch Einlegung eines Rechtsmittels zeitnah hätte herbeigeführt werden können (vgl. BayObLG, Beschluss vom 4. Juni 2003 - 3 [X.], juris Rn. 18). Von [X.] wegen ist es nicht geboten, einem Betroffenen, der es unterlassen hat, um Rechtsschutz in einem bereits anhängigen Verfahren nachzusuchen, eine weitere - hier unbefristete - Rechtsschutzmöglichkeit zu eröffnen (vgl. KG, NVwZ-RR 2009, 222, 223; [X.], [X.] 2005, 276, 277).

9

3. [X.] beruht auf § 84 FamFG. Da Gegenstand des Verfahrens allein die vorläufige Ingewahrsamnahme ist, hat der Senat den Gegenstandswert nach § 128c Abs. 2, § 30 Abs. 2 [X.] nur in Höhe der Hälfte des [X.] von 3.000 € festgesetzt.

I[X.]

Der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe hat schon deshalb keinen Erfolg, weil der Betroffene die hierfür erforderlichen Unterlagen nicht vorgelegt hat. Davon abgesehen ist er aus den Erwägungen zu [X.] unbegründet.

[X.]                                  [X.]                                Schmidt-Räntsch

                   Roth                                   Brückner

Meta

V ZB 116/10

20.01.2011

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Aurich, 12. März 2010, Az: 1 T 39/10, Beschluss

§ 62 FamFG, § 427 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.01.2011, Az. V ZB 116/10 (REWIS RS 2011, 10215)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10215

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