Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.06.2017, Az. III B 157/16

3. Senat | REWIS RS 2017, 9694

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Kindergeld: Im Ausland lebende Kinder - Wohnsitz im Inland - Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung


Leitsatz

1. NV: Für die Beurteilung der Frage, ob ein Kind, das sich mehrere Jahre im Ausland zu Ausbildungszwecken aufhält, seinen Inlandswohnsitz bei den Eltern beibehält, kommen u.a. Dauer und Häufigkeit der Inlandsaufenthalte erhebliche Bedeutung zu (vgl. z.B. Senatsurteile vom 28. April 2010 III R 52/09, BFHE 229, 270, BStBl II 2010, 1013, und vom 25. September 2014 III R 10/14, BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655) .

2. NV: Zwar können zur Aufrechterhaltung eines inländischen Wohnsitzes auch unregelmäßige Aufenthalte genügen; es ist aber eine Nutzung der Wohnung erforderlich, die über bloße Besuche oder kurzfristige Ferienaufenthalte hinausgeht (vgl. z.B. Senatsurteile vom 20. November 2008 III R 53/05, BFH/NV 2009, 564, und vom 18. Dezember 2013 III R 44/12, BFHE 244, 344, BStBl II 2015, 143) .

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 13. Oktober 2016 14 K 103/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist der Kindergeldanspruch der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) für ihre beiden Stiefsöhne [X.] und [X.] für den [X.]raum September 2014 bis März 2016.

2

[X.] und [X.] wurden am 31. [X.]ugust 1996 in den [X.] ([X.]) geboren und besitzen die [X.] Staatsbürgerschaft. Die Klägerin lebte mit dem Kindsvater --ihrem Ehemann-- und den Söhnen bis [X.]ugust 2008 in den [X.]. Danach zogen sie und ihr Ehemann nach [X.], die Söhne blieben zunächst in den [X.] und besuchten dort die Schule.

3

[X.] hielt sich von [X.]uni 2009 bis [X.]uni 2010 im Haushalt der Klägerin auf und besuchte eine Schule am Wohnort. Danach ging er in die [X.] zurück und beendete dort seine Schulausbildung; hier wohnte er bei Verwandten. Seine Ferienzeiten verbrachte er zu dieser [X.] in den [X.]. Im [X.] an die High School war [X.] an einer [X.] in den [X.] eingeschrieben. Er kehrte erstmals wieder für die [X.] vom 13. [X.]uni 2016 bis 22. [X.]ugust 2016 nach [X.] zurück.

4

[X.] wohnte zunächst weiterhin bei Verwandten in den [X.] und besuchte dort dieselbe Schule wie [X.]. Von [X.]ugust 2012 bis November 2013 hielt er sich für einen Schulbesuch in [X.] auf und kehrte im [X.] ebenfalls in die [X.] zurück, wo er die Schulausbildung im [X.]uni 2014 mit dem High School [X.]bschluss beendete und danach an derselben [X.] in den [X.] wie [X.] eingeschrieben war. In der [X.] vom 29. [X.]uli 2015 bis 13. [X.]ugust 2015 hielt sich [X.] in [X.] auf und besuchte dort zunächst Verwandte; die Klägerin befand sich in dieser [X.] im [X.]usland. [X.] war zudem vom 15. [X.]uni 2016 bis 5. September 2016 in [X.] und kehrte im [X.] in die [X.] zurück. [X.]m 2. [X.]uni 2016 stellte [X.] erstmals einen [X.]ntrag auf [X.]nerkennung seines [X.] Schulabschlusses; er bewarb sich zudem um einen Studienplatz für das Wintersemester 2016/2017 an der Ludwig-Maximilians-[X.] in München.

5

Mit Bescheid vom 15. Oktober 2015 lehnte die Beklagte und Beschwerdegegnerin (die Familienkasse) den [X.]ntrag der Klägerin auf Kindergeld für [X.] und [X.] für die [X.] ab September 2014 ab, da die Kinder nicht in den Haushalt der Klägerin aufgenommen seien.

6

Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen erhobene Klage als unbegründet ab. Es war der [X.]uffassung, die Kinder hätten einen etwaigen Wohnsitz im Inland für die Dauer ihrer Schulbesuche jedenfalls nach ihrer Rückkehr in die [X.] nicht beibehalten, da die anschließenden [X.]ufenthalte im Haushalt der Klägerin lediglich Besuchscharakter gehabt hätten.

7

Mit der Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 [X.]bs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 [X.]bs. 2 Nr. 2 [X.]lternative 2 FGO).

Entscheidungsgründe

8

II. Die Beschwerde ist teils unzulässig, teils unbegründet, so dass sie insgesamt als unbegründet zurückzuweisen ist.

9

1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O) ist nicht in der von § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O geforderten Art und Weise bezeichnet worden.

a) Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Hierzu bedarf es substantiierter Angaben, inwieweit die aufgeworfene Frage im Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Fortentwicklung und Handhabung des Rechts klärungsbedürftig und im konkreten Fall auch klärungsfähig ist. Dazu muss ausgeführt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchem Grunde die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist. Insbesondere muss sich die Klägerin auch mit der bereits vorhandenen Rechtsprechung auseinandersetzen und substantiiert darlegen, weshalb nach ihrer Ansicht diese Rechtsprechung keine Klärung herbeigeführt habe. Bei Streitfragen, die maßgeblich von der Beurteilung des Einzelfalls abhängen, bedarf es substantiierter Darlegungen, weshalb der Rechtsfrage ausnahmsweise eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommen soll (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 14. April 2016 III B 108/15, [X.], 1250, Rz 12, m.w.N.).

b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Soweit die Klägerin vorbringt, es stelle sich die Rechtsfrage der einheitlichen Auslegung des [X.] bzw. der Beibehaltung des Wohnsitzes gemäß § 8 der Abgabenordnung ([X.]), fehlt es bereits an der ordnungsgemäßen Konkretisierung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage. Die Konkretisierung erfordert regelmäßig, dass die Rechtsfrage mit "[X.]a" oder mit "Nein" beantwortet werden kann (z.B. Senatsbeschluss vom 21. [X.]uni 2016 III B 95/15, [X.], 1575, Rz 11, m.w.N.). Die Klägerin setzt sich zudem weder hinreichend mit der gesetzlichen Regelung noch mit der einschlägigen Rechtsprechung oder dem Schrifttum auseinander.

2. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O) zuzulassen.

a) Die Zulassung der Revision aus diesem Grund setzt voraus, dass das [X.] in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts abgewichen ist, dass dabei über dieselbe Rechtsfrage entschieden wurde und diese für beide Entscheidungen rechtserheblich war, dass die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind, dass die abweichend beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren geklärt werden kann und dass eine Entscheidung des [X.] ([X.]) zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich ist. Ferner muss das Urteil des [X.] im Grundsätzlichen von der Divergenzentscheidung abweichen (z.B. Senatsbeschluss vom 20. Mai 2016 III B 62/15, [X.], 1293, Rz 16, m.w.N.).

b) Zur Begründung der Divergenz führt die Klägerin sinngemäß im Wesentlichen aus, das [X.] weiche in der Beurteilung der Rechtsfrage der Beibehaltung des Wohnsitzes von den [X.]-Urteilen vom 17. Mai 1995 I R 8/94 ([X.]E 178, 294, [X.] 1996, 2) und vom 28. [X.]anuar 2004 I R 56/02 ([X.]/NV 2004, 917) ab, soweit es für die Annahme eines inländischen Wohnsitzes

-    

die Dauer und die Häufigkeit der Inlandsaufenthalte während der Zeiträume, in denen das Kind im Ausland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt habe, für maßgeblich erachte, und

-    

ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungs- bzw. Besuchszwecken als nicht ausreichend erachte.

c) Die Vorentscheidung stimmt indessen hinsichtlich der Beurteilung der [X.] mit der ständigen Rechtsprechung des [X.] überein.

aa) Soweit das [X.] davon ausgeht, für die Annahme eines inländischen Wohnsitzes seien u.a. maßgeblich die Dauer und die Häufigkeit der Inlandsaufenthalte während der Zeiträume, in denen das Kind im Ausland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, weicht es nicht von den [X.]-Urteilen in [X.]E 178, 294, [X.] 1996, 2 und in [X.]/NV 2004, 917 ab, da diese keine Aussage darüber treffen, ob die Dauer und die Häufigkeit von Inlandsaufenthalten für die Beurteilung des Wohnsitzes eines mehrere [X.]ahre im Ausland lebenden Kindes von Bedeutung sind. Die Vorentscheidung steht vielmehr in voller Übereinstimmung mit den [X.] vom 28. April 2010 III R 52/09 ([X.]E 229, 270, [X.] 2010, 1013, Rz 11) und vom 25. September 2014 III R 10/14 ([X.]E 247, 239, [X.] 2015, 655, Rz 20, m.w.N.).

Sollte die Klägerin davon ausgehen, das [X.] habe seiner Entscheidung den Rechtssatz zugrunde gelegt, zur Beibehaltung des Wohnsitzes sei ein Mindestaufenthalt von Tagen oder Wochen im [X.]ahr in der Wohnung im Inland erforderlich, so lässt sich dieser Rechtssatz dem angegriffenen [X.]-Urteil nicht entnehmen. Das [X.] hat vielmehr die tatsächlichen Umstände dahingehend gewürdigt, dass aufgrund der Aufenthaltszeiten der Kinder in [X.] nicht auf eine Beibehaltung ihres Wohnsitzes im Haushalt der Klägerin geschlossen werden könne; denn nach den Feststellungen des [X.] hielt sich [X.] weder im [X.]ahr 2014 noch im [X.]ahr 2015 und im [X.]ahr 2016 erstmals (außerhalb des [X.]) vom 13. [X.]uni 2016 bis 22. August 2016 in [X.] auf, und auch A war nach seiner Rückkehr in die [X.] im November 2013 lediglich vom 29. [X.]uli 2015 bis 13. August 2015 in [X.], besuchte dort aber zunächst Verwandte, und kehrte darüber hinaus im Streitzeitraum nicht nach [X.] zurück.

bb) Das [X.] weicht auch nicht insoweit von den [X.]-Urteilen in [X.]E 178, 294, [X.] 1996, 2 und in [X.]/NV 2004, 917 ab, als es für die Begründung eines inländischen Wohnsitzes ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungs- bzw. Besuchszwecken als nicht ausreichend erachtet. Denn soweit die Klägerin meint, nach den vermeintlichen Divergenzentscheidungen könne auch ein unregelmäßiger Aufenthalt in einer Wohnung zur Aufrechterhaltung eines Wohnsitzes führen, lässt sie die maßgeblichen Rechtsprechungsgrundsätze unberücksichtigt, wonach auch bei unregelmäßigen Aufenthalten jedenfalls eine Nutzung der Wohnung erforderlich ist, die über bloße Besuche oder kurzfristige Ferienaufenthalte hinausgeht (vgl. z.B. [X.]-Beschluss vom 31. Mai 2006 I B 79/05, juris, unter [X.], m.w.N.; [X.]-Urteil vom 10. April 2013 I R 50/12, [X.]/NV 2013, 1909, Rz 16, m.w.N.; Senatsurteile vom 20. November 2008 III R 53/05, [X.]/NV 2009, 564, Rz 15, und vom 18. Dezember 2013 III R 44/12, [X.]E 244, 344, [X.] 2015, 143, Rz 8 f.).

Das [X.] hat die tatsächlichen Umstände des Streitfalls in Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen dahingehend gewürdigt, dass die Aufenthalte von [X.] und A, soweit diese sich im Streitzeitraum überhaupt im Haushalt der Klägerin aufhielten, bloßen Besuchscharakter hatten.

cc) Mit Einwänden gegen die Überzeugungsbildung des [X.] könnte die Zulassung der Revision wegen Divergenz im Übrigen nicht erreicht werden. Die Beurteilung der Begleitumstände des Innehabens einer Wohnung liegt weitgehend auf tatsächlichem Gebiet. Die Tatsachen- bzw. Sachverhaltswürdigung sowie Schlussfolgerungen tatsächlicher Art sind einer Nachprüfung durch den [X.] entzogen, sofern nicht Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze zu beanstanden sind (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 2010 III B 141/10, [X.]/NV 2011, 576, Rz 9, m.w.N.). Solche Verstöße sind im Streitfall jedoch weder vorgetragen noch erkennbar.

3. Soweit sich die Klägerin schließlich im Ergebnis gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung wendet, kann dies ebenfalls nicht zu einer Zulassung der Revision führen. Denn Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen für sich gesehen nicht die Zulassung der Revision (vgl. z.B. [X.]-Beschluss vom 25. [X.]anuar 2016 VII B 97/15, [X.], 764, Rz 7, m.w.N.).

4. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O).

5. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

III B 157/16

12.06.2017

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 13. Oktober 2016, Az: 14 K 103/16, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 8 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.06.2017, Az. III B 157/16 (REWIS RS 2017, 9694)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 9694

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

III R 11/21 (Bundesfinanzhof)

Kindergeld für ein in Australien studierendes Kind


III R 46/18 (Bundesfinanzhof)

Kindergeld - Beibehalten des Wohnsitzes - mehrjähriger Schulaufenthalt mit der Mutter des Kindes


III B 92/16 (Bundesfinanzhof)

Beibehaltung eines inländischen Wohnsitzes durch ein im Ausland studierendes Kind - Zulassung der Revision


III R 10/14 (Bundesfinanzhof)

Kindergeld - Beibehaltung des Wohnsitzes - mehrjähriger Auslandsaufenthalt - Auslandsstudium


VIII B 15/16 (Bundesfinanzhof)

Übertragung eines Teils der Beteiligungsrechte auf einen Mitgesellschafter ohne Verlust der Mitunternehmerstellung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.