Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 15.06.2016, Az. 1 BvR 2544/08

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2016, 9912

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Unzulässigkeit einer unmittelbar gegen Vorschriften des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes (juris: VerfSchutzG BY 1997) bzw des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (juris: PolAufgG BY) idF vom 01.08.2008 gerichteten Verfassungsbeschwerde - keine Beschwer bzw unzureichende Darlegung der gegenwärtigen Selbstbetroffenheit der Beschwerdeführer durch Regelungen zu diversen heimlichen Ermittlungs- und Datenerhebungsbefugnissen


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft verschiedene Normen, die durch das Gesetz zur Änderung des [X.] vom 8. Juli 2008 ([X.] ff.) und das Gesetz zur Änderung des [X.], des Ausführungsgesetzes Art. 10-Gesetz und des [X.] vom 8. Juli 2008 ([X.] ff.) in das [X.] (im Folgenden: [X.]) und das [X.] (im Folgenden: [X.]) eingefügt wurden oder die hierdurch novelliert wurden.

2

1. Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer waren in der 15. Wahlperiode Mitglieder des [X.]; die Beschwerdeführerinnen sind zwischenzeitlich aus dem [X.] ausgeschieden. Sie rügen eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informati-onstechnischer Systeme nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, ihres Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG und des Art. 1 Abs. 1 GG, soweit er den Kernbereich privater Lebensgestaltung schützt.

3

Sie machen geltend, aufgrund ihrer politischen Arbeit und Abgeordnetentätigkeit mit dem Schwerpunkt Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen würden sich Bürgerinnen und Bürger bei ihnen über Maßnahmen von Polizei- und Verfassungsschutz beschweren und in diesen Angelegenheiten um Rat fragen. Dies sei auch für die [X.] nach Beendigung der Abgeordnetentätigkeit anzunehmen. Aus den politischen Inhalten, mit denen die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer befasst seien, ergäben sich Kontakte zu Organisationen oder zu Personen in Organisationen, die Objekt der Beobachtung durch das [X.] in [X.] seien.

4

Sie wenden sich gegen die neu in das Polizeiaufgabengesetz eingefügte Befugnis zum verdeckten Zugriff auf informationstechnische Systeme nach Art. 34d [X.] sowie gegen die Befugnis zur verdeckten Online-Datenerhebung nach Art. 6e [X.]. Begrenzt auf den Aspekt des unzureichend normierten Schutzes des Kernbereichs privater Lebensgestaltung richtet sich die Verfassungsbeschwerde ferner gegen verschiedene Änderungen der Art. 34 [X.] (Besondere Bestimmungen über den Einsatz technischer Mittel in Wohnungen), Art. 34a [X.] (Datenerhebung und Eingriffe in den Telekommunikationsbereich) und Art. 34c [X.] (Verfahrensregelungen, Verwendungsverbote, Zweckbindung, Benachrichtigung und Löschung), die Neufassung des Art. 6a [X.] (Einsatz technischer Mittel im Schutzbereich des Art. 13 Grundgesetz) und des Art. 6b [X.] (Verfahrensregelungen für Maßnahmen nach Art. 6a) sowie gegen die in das Verfassungsschutzgesetz neu eingefügten Art. 6d [X.] (Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes) und Art. 6f [X.] (Verfahrensvorschriften). Schließlich wenden sich die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer gegen die zeitgleich mit Art. 34d [X.] und Art. 6e [X.] in das Landesrecht eingefügten Art. 34e [X.] und Art. 6g [X.], die es den handelnden Behörden gestatteten, zum verdeckten Zugriff auf informationstechnische Systeme sowie zur Durchführung von Maßnahmen nach Art. 34 Abs. 1 [X.], von Maßnahmen nach Art. 34a [X.] oder nach Art. 6a [X.], Sachen verdeckt zu durchsuchen und Wohnungen ohne Einwilligung der Betroffenen zu betreten und zu durchsuchen.

5

2. Art. 34e [X.] und Art. 6g [X.] wurden durch das Gesetz zur Änderung des [X.], des [X.] und des [X.] Datenschutzgesetzes vom 27. Juli 2009 ([X.] ff.) mit Wirkung ab 1. August 2009 gestrichen. Mit Ausnahme des Art. 6d [X.] waren auch die übrigen angegriffenen Bestimmungen durch zwischenzeitlich erfolgte Gesetzesänderungen zum Teil erheblichen Streichungen oder Änderungen des Gesetzeswortlauts unterworfen (vgl. § 2 des Gesetzes zur Änderung des [X.] und des [X.] vom 24. Juni 2013, [X.] 373 ff.).

6

3. Wie aus den Unterrichtungen der Landesregierung an den [X.] [X.] folgt, wurden bislang keine berichtspflichtigen Maßnahmen bezüglich eines Zugriffs auf informationstechnische Systeme nach Art. 34d [X.] durchgeführt. Gleiches gilt für [X.]en nach Art. 6e [X.]. Nur im [X.] erfolgte ein berichtspflichtiger Einsatz technischer Mittel in Wohnungen nach Art. 34 Abs. 1 [X.] und im Schutzbereich des Art. 13 GG nach Art. 6a [X.].

7

4. Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich die [X.], die [X.], die Staatskanzlei des [X.], das [X.], das [X.], der [X.] Rheinland-Pfalz, der Sächsische [X.], der [X.] für den Datenschutz, die Landesbeauftragte für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht des [X.], das [X.] und der 6. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts geäußert.

8

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da Annahmegründe im Sinne des § 93a Abs. 2 [X.] nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

9

1. Mangels Beschwer bedarf es keiner Entscheidung über die vor dem Hintergrund des Art. 13 Abs. 1 GG gerügten Art. 34e [X.] und Art. 6g [X.]. Sie sind, ohne dass eine Anwendung ersichtlich wäre, zum August 2009 aufgehoben worden (vgl. BayGVBl 2009 S. 380 ff.).

Gleiches gilt infolge der zwischenzeitlich erfolgten Streichungen und Änderungen des Gesetzeswortlauts (vgl. BayGVBl 2009 S. 380 ff.), soweit die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer sich gegen die Befugnis zum verdeckten Zugriff auf informationstechnische Systeme im Vorfeld einer absehbaren konkreten Gefahr im polizeirechtlichen Sinne, gegen die Befugnis zur Online-Datenveränderung und gegen die Nutzung von aus der [X.] stammenden Daten zum Zwecke der Strafverfolgung nach Art. 34d [X.] wenden. Ebenfalls keiner gerichtlichen Entscheidung bedürfen aus diesem Grund die Rüge des erleichterten Zugriffs auf Zugangsdaten im Vergleich zu sonstigen gespeicherten Daten und die gerügten Ausnahmen vom Richtervorbehalt in Art. 34d [X.].

2. Im Übrigen ergibt sich aus der Darlegung der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer keine gegenwärtige Selbstbetroffenheit durch die von ihnen gerügten Normen.

a) Den Verfassungsbeschwerden ist nicht hinreichend zu entnehmen, worauf die Beschwerdeführer ihre Annahme stützen, trotz des gesetzlich verankerten Schutzes der Zeugnisverweigerungsberechtigten von einer solchen Maßnahme betroffen zu werden. Es fehlt insoweit an einer sachhaltigen Auseinandersetzung mit diesen Vorschriften (vgl. hierzu [X.], Urteil des [X.] vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09 -, juris, Rn. 7, 84; [X.]K 10, 283 <287 f.>). Nach Art. 34d Abs. 1 Satz 4 [X.] ist der verdeckte Zugriff auf ein informationstechnisches System unzulässig, wenn erkennbar wird, dass in ein durch ein Berufsgeheimnis geschütztes Vertrauensverhältnis im Sinn der §§ 53, 53a StPO eingegriffen wird, es sei denn, die Maßnahme richtet sich gegen den Berufsgeheimnisträger selbst. Gleiches gilt nach Art. 6e Abs. 1 Satz 5 [X.] für die verdeckte Online-Datenerhebung des Verfassungsschutzes. Zu den zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern zählen indes nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StPO die Mitglieder eines [X.]s bezogen auf solche Informationen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Abgeordnete anvertraut worden sind. In der Verfassungsbeschwerde wird nicht ausgeführt, inwiefern dieser besondere Schutz der Abgeordnetenkommunikation den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern, die sich ganz wesentlich darauf berufen, aufgrund ihrer politischen Arbeit und Abgeordnetentätigkeit mit Dritten, die von Polizei und Verfassungsschutz beobachtet werden, in Kontakt zu stehen, nicht genügen soll und warum sie gleichwohl mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen müssen, Objekt der Online-Datenerhebung durch den [X.] oder einer [X.] zu werden.

b) Auch hinsichtlich der Rüge des Fehlens verfassungsrechtlich gebotener Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist eine eigene Betroffenheit der Beschwerdeführer nicht zu erkennen. Sie haben nicht dargelegt, inwiefern die von ihnen angegriffenen [X.] Regelungen im [X.] und im [X.] nach Struktur und Inhalt geeignet sein sollen, in von Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Positionen der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer einzugreifen. Dies folgt hinsichtlich Art. 6e [X.] und Art. 34d [X.] bereits aus den Schutznormen für Zeugnisverweigerungsberechtigte (vgl. II 2 a). Im Übrigen fehlt es an einer Darlegung, weshalb gerade die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer im Kernbereich privater Lebensgestaltung betroffen sein könnten (vgl. [X.]K 10, 283 <287 f.>). Auch insofern hätte es - auch mit Blick auf den durch die angegriffenen Normen regelmäßig in Bezug genommenen § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StPO und den daraus resultierenden besonderen Schutz der Abgeordnetenkommunikation - besonderen Vortrags bedurft.

3. Ob die Verfassungsbeschwerde darüber hinaus auch deswegen nicht zur Entscheidung anzunehmen ist, weil es infolge der zwischenzeitlich erfolgten Gesetzesänderungen ergänzenden Vortrags bedurft hätte (vgl. [X.]E 87, 181 <194 f.>; 106, 210 <214>), bedarf keiner Entscheidung. Die wesentlichen ursprünglich aufgeworfenen Fragen sind durch das Urteil des [X.] vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09 - geklärt.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2544/08

15.06.2016

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Art 34 PolAufgG BY vom 01.08.2008, Art 34a PolAufgG BY vom 01.08.2008, Art 34c PolAufgG BY vom 01.08.2008, Art 34d Abs 1 S 4 PolAufgG BY vom 01.08.2008, Art 34e PolAufgG BY vom 01.08.2008, § 53 Abs 1 S 1 Nr 4 StPO, Art 6a VerfSchutzG BY 1997 vom 01.08.2008, Art 6b VerfSchutzG BY 1997 vom 01.08.2008, Art 6d VerfSchutzG BY 1997 vom 01.08.2008, Art 6e Abs 1 S 5 VerfSchutzG BY 1997 vom 01.08.2008, Art 6f VerfSchutzG BY 1997 vom 01.08.2008, Art 6g VerfSchutzG BY 1997 vom 01.08.2008

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 15.06.2016, Az. 1 BvR 2544/08 (REWIS RS 2016, 9912)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9912

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvR 99/11 - Vz 1/15

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