Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.04.2022, Az. B 5 R 4/22 C

5. Senat | REWIS RS 2022, 2550

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Gegenstand

Sozialgerichtsverfahren - Anhörungsrüge - Beschluss über eine Nichtzulassungsbeschwerde


Tenor

Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss des Senats vom 16. Februar 2022 wird zurückgewiesen.

Kosten des Verfahrens über die Anhörungsrüge sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Der [X.] hat mit Beschluss vom 16.2.2022 (B 5 R 198/21 B) eine Beschwerde des [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom [X.] als unzulässig verworfen und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abgelehnt. Der Beschluss des [X.]s wurde dem Kläger am [X.] zugestellt. Mit einem am selben Tag eingegangenen Schriftsatz vom [X.] hat der Kläger eine Anhörungsrüge erhoben. Er macht geltend, der [X.] habe in seiner Entscheidung nicht hinreichend dargelegt, warum er den von ihm vorgetragenen Tatsachenbehauptungen und/oder Rechtsauffassungen zu der Frage, ob die Beschwerde innerhalb der Monatsfrist formgerecht eingelegt worden sei, nicht folge. Auch die Ausführungen in dem Beschluss zur nicht formgerechten Begründung des [X.] der grundsätzlichen Bedeutung beruhten auf einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör, weil der [X.] verkannt habe, dass die von ihm formulierte Frage sehr wohl klärungsbedürftig sei. Eine weitere Gehörsverletzung liege darin, dass der [X.] erstmals die Erfüllung der [X.] thematisiert habe, obwohl das in den Vorinstanzen nicht angesprochen worden sei; ihm hätte Gelegenheit gegeben werden müssen, hierzu Stellung zu nehmen.

2

II. Die Anhörungsrüge des [X.] gegen den Beschluss vom 16.2.2022 ist - ihre Zulässigkeit unterstellt - jedenfalls unbegründet und daher nach § 178a Abs 4 Satz 2 [X.] zurückzuweisen. [X.]ierüber entscheidet der [X.] durch Beschluss außerhalb der mündlichen Verhandlung ohne Mitwirkung [X.] (§ 12 Abs 1 Satz 2 iVm § 40 Satz 1, § 33 Abs 1 Satz 2, § 124 Abs 3, § 153 Abs 1 und § 165 Satz 1 [X.]; s dazu [X.] Beschluss vom 8.11.2006 - B 2 U 5/06 C - [X.] 4-1500 § 178a [X.] RdNr 7 f).

3

Nach § 178a Abs 1 Satz 1 [X.] ist auf die Anhörungsrüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist ([X.]) und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat ([X.]). Die Rüge muss nach § 178a Abs 2 Satz 5 [X.] ua das Vorliegen der in Abs 1 Satz 1 [X.] genannten Voraussetzungen darlegen. Dem Vorbringen müssen daher konkrete Umstände zu entnehmen sein, die im Falle ihres Vorliegens tatsächlich eine Verletzung des Anspruchs des [X.]s auf rechtliches Gehör ergeben. Zugleich ist darzulegen, weshalb ohne die vermeintliche Gehörsverletzung eine für den [X.] günstigere Entscheidung nicht ausgeschlossen werden kann (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl 2020, § 178a Rd[X.]b mwN). Es ist bereits zweifelhaft, ob der Kläger mit seinem Vorbringen die Möglichkeit einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 [X.], Art 103 Abs 1 GG) durch den Beschluss des [X.] schlüssig dargetan hat. Das bedarf jedoch keiner Vertiefung; die Rüge ist jedenfalls unbegründet.

4

a) § 62 [X.] verpflichtet ebenso wie Art 103 Abs 1 GG die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl [X.] Beschluss vom 22.3.2022 - 1 BvR 618/22 - juris Rd[X.]8 mwN). Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Fehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben könnten. Dieses Gebot verpflichtet die Gerichte allerdings nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (stRspr; vgl [X.] Beschluss vom 4.9.2008 - 2 BvR 2162/07 ua - [X.]K 14, 238, 241 f; [X.] Beschluss vom 31.3.2020 - 1 BvR 2392/19 - juris Rd[X.]7). Die Gerichte sind auch nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (vgl [X.] Beschluss vom 31.3.2020 aaO). Sie müssen nur das wesentliche, der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienende Vorbringen in den Entscheidungsgründen verarbeiten (stRspr; zB [X.] Beschluss vom 20.2.2008 - 1 BvR 2722/06 - [X.]K 13, 303, 304 = juris Rd[X.]1; [X.] Beschluss vom [X.] - 2 BvR 613/21 - juris RdNr 4). Einem Beschluss über eine Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160a Abs 4 Satz 2 [X.]albsatz 1 [X.] muss grundsätzlich nur eine kurze Begründung beigefügt werden, soweit nicht auf eine solche ganz verzichtet werden kann (§ 160a Abs 4 Satz 2 [X.]albsatz 2 [X.]). Auch für einen Beschluss über eine Nichtzulassungsbeschwerde gilt daher, dass in dieser Entscheidung nicht auf jegliches Beteiligtenvorbringen und jeden denkbaren Gesichtspunkt eingegangen werden muss, wenn sich daraus zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen auch ohne ausdrückliche Erwähnung für unerheblich gehalten wurde (vgl [X.] Beschluss vom 22.3.2018 - B 12 KR 12/17 C - juris Rd[X.]2). Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist somit anzunehmen, wenn sich dies aus besonderen Umständen ergibt. Das ist insbesondere der Fall, wenn das Gericht auf [X.] des [X.] zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, es sei denn, der Tatsachenvortrag ist nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert (vgl [X.] Beschluss vom 8.2.2021 - 1 BvR 242/21 - juris Rd[X.] mwN).

5

b) Bei Berücksichtigung dieser Maßstäbe liegt ein entscheidungserheblicher Verstoß gegen den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör nicht vor. Der [X.] hat sich im angegriffenen Beschluss vom 16.2.2022 mit dem wesentlichen Vorbringen des [X.] befasst und seine Entscheidung in Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen begründet. Dass das Gericht seine Rechtsansichten übernimmt, kann der Kläger - wie bereits erwähnt - nicht verlangen.

6

aa) Im Beschluss vom 16.2.2022 ist ausgeführt, dass das mit einer einfachen Signatur des [X.] versehene elektronische Dokument vom [X.] nicht von diesem über den sicheren Übermittlungsweg des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs [X.]) übermittelt und deshalb nach Maßgabe des § 65a Abs 3 Satz 1 Alt 2 [X.] nicht formgerecht bei Gericht eingereicht worden sei. Das Dokument sei auch nicht mit einer einfachen Signatur des tatsächlich versendenden Rechtsanwalts [X.] versehen gewesen, da die hinzugefügten handschriftlichen Kürzel nicht entzifferbar gewesen seien. Der Kläger meint, mit der zuletzt genannten Bewertung habe der [X.] sein Vorbringen, dass es auf die Lesbarkeit der [X.]andzeichen nicht ankommen könne, weil ausschließlich Rechtsanwalt [X.] die bei der Nutzung [X.] erforderliche PIN gekannt habe, "missachtet". Damit rügt er letztlich, der [X.] sei seiner Rechtsansicht zur Entbehrlichkeit einer einfachen Signatur bei Nutzung [X.] nicht gefolgt (dazu, dass bei einer Versendung über [X.] eines Kollegen dieser "den Schriftsatz als verantwortende Person mit seinem Namen einfach elektronisch signieren, d.h. seinen maschinenschriftlich getippten Namen unter das Dokument setzen" und anschließend aus [X.] eigenhändig an das Gericht senden muss, s auch Bundesrechtsanwaltskammer, Newsletter zum [X.], Ausgabe 3/2022 vom [X.] - Vertretung bei fehlendem [X.]-Zugriff). Eine Gehörsverletzung ergibt sich daraus nicht.

7

bb) Der Beschluss vom 16.2.2022 legt zudem dar, dass selbst dann (dh hilfsweise und ergänzend), wenn die unlesbaren handschriftlichen Kürzel als einfache Signatur des Rechtsanwalts [X.] anerkannt werden könnten, es an dem gesetzlichen Erfordernis fehle, dass dieser die volle Verantwortung für den Inhalt des von ihm übersandten Dokuments übernommen habe. Der [X.] hat hierzu die vom Kläger beigebrachte Stellungnahme des Rechtsanwalts [X.] gewürdigt. Dieser hatte erklärt, die Verwendung seiner eigenen Signatur sei ihm nicht opportun erschienen, zumal eine inhaltliche Befassung mit dem Verfahren durch ihn nicht erfolgt sei. Wenn der Kläger nunmehr vorträgt, die Würdigung durch den [X.] sei "schlichtweg abwegig", bringt er damit zum Ausdruck, dass er mit der Argumentation des [X.]s nicht einverstanden ist. Eine Gehörsverletzung lässt sich damit nicht belegen.

8

cc) Der [X.] hat seinen Beschluss vom 16.2.2022 zur Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] entscheidend darauf gestützt, dass die Beschwerdebegründung innerhalb der Beschwerdefrist nicht in der vorgeschriebenen Form eingelegt worden ist (vgl RdNr 3 des Beschlusses B 5 R 198/21 B - juris). Er hat unter Rd[X.]3 ff des Beschlusses weitere Ausführungen auch zu inhaltlichen Aspekten gemacht, um dem [X.] des [X.] umfassend gerecht zu werden. Da diese nicht entscheidungstragend sind, kann der Vorhalt des [X.], der [X.] habe dabei die von ihm gestellte Frage von grundsätzlicher Bedeutung falsch ausgelegt, von vornherein eine Gehörsverletzung "in entscheidungserheblicher Weise" nicht in schlüssiger Weise belegen.

9

dd) Dasselbe gilt auch, soweit der Kläger eine Überraschungsentscheidung rügt, weil der [X.] im Beschluss vom 16.2.2022 unter Rd[X.]9 "im Übrigen" eine unzureichende Darlegung der Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren auch deshalb angenommen hat, weil in der Beschwerdebegründung Angaben dazu fehlten, inwiefern im Fall der Annahme von Erwerbsunfähigkeit erst am 8.12.2015 die Anspruchsvoraussetzung der sog [X.] (vgl § 43 Abs 1 Satz 1 [X.], Abs 2 Satz 1 [X.] SGB VI) erfüllt ist. Ungeachtet der fehlenden Entscheidungserheblichkeit dieses Umstands für den Beschluss des [X.]s war die Erfüllung der [X.] im Rechtsstreit des [X.] von Beginn an der zentrale Streitpunkt (vgl bereits die Begründung des angefochtenen Ausgangsbescheids vom [X.]). Ein Abstellen darauf im Rahmen der Erörterung erforderlicher Darlegungen zur Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) konnte deshalb für einen gewissenhaften und kundigen Beteiligten (vgl zu diesem Maßstab [X.] Beschluss vom 3.5.2021 - 2 BvR 1176/20 - juris Rd[X.]1 mwN) nicht überraschend sein.

Von einer weiteren Begründung sieht der [X.] ab (§ 178a Abs 4 Satz 4 [X.]).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 [X.].

                [X.]

Meta

B 5 R 4/22 C

14.04.2022

Bundessozialgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend BSG, 16. Februar 2022, Az: B 5 R 198/21 B, Beschluss

§ 62 SGG, § 160a Abs 4 S 2 Halbs 1 SGG, § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG, § 178a Abs 1 S 1 SGG, § 178a Abs 2 S 5 SGG, § 178a Abs 4 S 2 SGG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.04.2022, Az. B 5 R 4/22 C (REWIS RS 2022, 2550)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 2550

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1 BvR 618/22

1 BvR 2392/19

2 BvR 613/21

1 BvR 242/21

2 BvR 1176/20

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