Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.05.2016, Az. 1 StR 119/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 11663

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafzumessung bei Totschlag: Begründung des Strafausspruchs bei Vorliegen mehrerer Schuldminderungsgründe


Tenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] i.d. OPf. vom 7. Dezember 2015 im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision der Angeklagten wird verworfen.

3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte und wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Angeklagten hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang entsprechend dem Antrag des [X.] Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

2

1. [X.] hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.

3

Nach den Feststellungen des [X.]s hat die Angeklagte kurz nach der Entbindung eines ausgereiften, lebenden und lebensfähigen Kindes auf einer Toilette dieses dadurch getötet, dass sie Einwegpapierhandtücher in dessen Mund- und Rachenraum fest hineindrückte und dadurch die Atemwege verschloss, so dass das neugeborene Kind innerhalb weniger Minuten erstickte.

4

a) Das [X.] hat bei seinen Strafzumessungserörterungen ausgehend vom Regelstrafrahmen des § 212 StGB im Rahmen einer Gesamtbetrachtung eine Strafrahmenverschiebung wegen eines minder schweren Falles nach § 213 2. Alt. StGB geprüft und dabei zehn zu Gunsten der Angeklagten sprechende, schuldmindernde Gesichtspunkte berücksichtigt und abschließend ausgeführt ([X.]): „Dem Gegenüber vermochte die Kammer Umstände, die zu Lasten der Angeklagten sprechen, nicht zu erkennen, so dass aufgrund des Bestehens allein entlastender Umstände vom Vorliegen eines minder schweren Falles auszugehen war.“

5

Im Rahmen der konkreten Strafzumessung innerhalb des damit geminderten Strafrahmens von einem Jahr bis zu zehn Jahren kommt das [X.] zu folgendem Ergebnis ([X.]): „Unter Abwägung aller für und gegen die Angeklagte sprechenden Umstände, insbesondere unter Berücksichtigung der im Rahmen der [X.] angesprochenen Erwägungen (s.o.) und unter besonderer Würdigung des unter [X.] festgestellten Tatbilds, hält die Kammer eine Freiheitsstrafe von 6 Jahren für tat- und [X.]. Dabei hat die Kammer besonders die [X.] und das Alter der Angeklagten zu ihren Gunsten in den Blick genommen.“

6

b) Diese Erwägungen des [X.]s sind rechtsfehlerhaft.

7

aa) Zwar ist die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des [X.] gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des [X.] in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteile vom 17. September 1980 – 2 StR 355/80, [X.]St 29, 319, 320, vom 7. Februar 2012 – 1 [X.], juris Rn. 17, [X.]St 57, 123, 127 und vom 12. Januar 2016 – 1 [X.], juris Rn. 12, [X.], 719, jeweils mwN). Nur in diesem Rahmen kann eine „Verletzung des Gesetzes“ (§ 337 Abs. 1 StPO) vorliegen. Dagegen ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 10. April 1987 – [X.], [X.]St 34, 345, 349; [X.], Urteile vom 12. Januar 2005 – 5 [X.], wistra 2005, 144, vom 7. Februar 2012 – 1 [X.], juris Rn. 17, [X.]St 57, 123, 127 und vom 12. Januar 2016 – 1 [X.], juris Rn. 12, [X.], 719).

8

bb) Ein solcher Rechtsfehler bei der konkreten Strafzumessung liegt hier jedoch vor.

9

Im Hinblick auf die Vielzahl der festgestellten Schuldminderungsgründe und den ausdrücklichen Hinweis darauf, dass Schulderhöhungsgründe nicht festgestellt werden konnten, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht, weshalb das [X.] bei dem nach § 213 StGB gemilderten Strafrahmen eine deutlich über der Mindeststrafe liegende Strafe festgesetzt hat (vgl. [X.], Beschluss vom 14. November 2007 – 2 [X.], [X.], 106). Dies gilt umso mehr, als das [X.] im Rahmen der konkreten Strafzumessung im engeren Sinn ausdrücklich nochmals die besondere [X.] und das Alter der Angeklagten zu ihren Gunsten berücksichtigt hat. Aus den Ausführungen des [X.]s erschließt sich damit nicht, welche gegen die Angeklagte sprechenden Umstände das Gericht bei der Strafzumessung berücksichtigt haben will.

2. Soweit die Angeklagte in der Revisionsbegründung auch die Feststellungen des [X.]s zum Strafausspruch beanstandet, ist die Revision unbegründet. Insoweit handelt es sich um urteilsfremdes Vorbringen, das der Revision im Rahmen der Sachrüge nicht zum Erfolg verhelfen kann. Da die Feststellungen im Übrigen von dem vorgenannten Zumessungsfehler unberührt bleiben, können sie bestehen bleiben. Der neue Tatrichter ist aber nicht gehindert, ergänzende, den bisher getroffenen nicht widersprechende Feststellungen zu treffen.

Raum                             Jäger                      Cirener
               [X.]                      Bär

Meta

1 StR 119/16

10.05.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Weiden, 7. Dezember 2015, Az: 1 Ks 21 Js 3511/15

§ 46 StGB, § 212 StGB, § 213 Alt 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.05.2016, Az. 1 StR 119/16 (REWIS RS 2016, 11663)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 11663

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 119/16 (Bundesgerichtshof)


1 StR 629/14 (Bundesgerichtshof)

Strafzumessung: Prüfungsreihenfolge der Milderungsgründe bei versuchtem Totschlag in einem minder schweren Fall


6 StR 517/22 (Bundesgerichtshof)

Berücksichtigung der alkoholbedingten Enthemmung bei der Strafrahmenwahl zu Gunsten des Angeklagten sowie bei der anschließenden …


1 StR 415/16 (Bundesgerichtshof)


1 StR 415/16 (Bundesgerichtshof)

Strafzumessung bei Kindstötung durch die Mutter: Berücksichtigung des Vortatverhaltens; verminderte Schuldfähigkeit


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.