Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.01.2000, Az. IX ZR 58/99

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2000, 3403

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[X.] DES VOLKESURTEIL[X.]Verkündet am:20. Januar 2000BürkJustizhauptsekretärinals Urkundsbeamtinder Geschäftsstellein dem [X.]:[X.]:ja [X.] § 10Nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 [X.] können auch Rechtshandlungen von Gläubigernangefochten werden.[X.], [X.]eil vom 20. Januar 2000 - [X.] - [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche [X.] vom 20. Januar 2000 durch [X.] [X.]chund [X.] Kreft, [X.], Dr. Zugehör und [X.] Recht erkannt:Auf die Revision des [X.] wird das [X.]eil des [X.] [X.] vom 14. Januar 1999aufgehoben.Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das [X.] zurückverwiesen.Von Rechts [X.]:Der Kläger ist Verwalter in der Gesamtvollstreckung über das [X.] in [X.] (fortan: Schuldnerin). Ein Finanzamt des [X.] erließ am 4. Februar 1997 eine Pfändungs- und Einziehungs-verfügung, mit der es wegen Steuerschulden von insgesamt 333.317,43 [X.] anderem Guthaben der Schuldnerin bei der [X.] in [X.]pfändete und die Einziehung der gepfändeten Ansprüche anordnete. Die [X.], der die Verfügung am Tage ihres Erlasses zugestellt wurde, überwies- 3 -an das Finanzamt am 10. Februar 1997 einen Betrag von 151.317,43 DM. [X.] der Schuldnerin vom 26. Februar 1997 wurde am 25. April 1997 die Ge-samtvollstreckung eröffnet.Mit der Klage verlangt der Kläger von dem Beklagten aus dem Gesichts-punkt der Anfechtung Zahlung in Höhe des geflossenen Geldes. Der Klägerhält die Pfändungs- und Einziehungsverfügung für anfechtbar, weil die Schuld-nerin im Februar 1997 die Zahlungen eingestellt habe und dies dem [X.] hätte bekannt sein müssen.Das [X.] hat die Berufung gegen das klageabweisende[X.]eil des [X.] zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Klä-ger den Klageantrag weiter.Entscheidungsgründe:Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.[X.] und [X.] (das Berufungsurteil ist abgedruckt in NZI1999, 229) haben die Klage für unbegründet gehalten, weil im Bereich der Ge-samtvollstreckungsordnung nur Rechtshandlungen des Schuldners, d.h. nur- 4 -solche Handlungen anfechtbar seien, die zumindest auch auf einer Willensent-scheidung des Schuldners beruhten. Das treffe für die Zwangsvollstreckungs-maßnahmen des Beklagten nicht zu.[X.] Berufungsurteil hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.1. Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 vor [X.] und Nr. 4 GesVO und[X.] hatten der Gesetzgeber der Gesamtvollstreckungsverordnung vom6. Juni 1990 ([X.] Nr. 32 S. 285) und derjenige der Gesamtvollstrek-kungsordnung (Einigungsvertrag vom 31. August 1990 [X.]. [X.]. III Sach-geb. A Abschn. II [X.] i.V.m. Art. 1 des Gesetzes vom 23. September 1990,[X.]. [X.] 885, 1153; Art. 5 des Hemmnisbeseitigungsgesetzes v. 22. März1991, [X.]. I S. 766, 783; 1185) bei der Regelung des [X.] le-diglich Rechtshandlungen des Schuldners im Blick. Bei einer bloßen Wortaus-legung schiede im Streitfall eine Anfechtbarkeit aus, weil die Schuldnerin ander Pfändung des Guthabens, aus dem der Beklagte befriedigt wurde, in keinerWeise mitgewirkt hat. Ein Handeln der Schuldnerin durch Unterlassen [X.] deshalb nicht in Betracht, weil nichts darauf hindeutet, daß ein Rechts-behelf gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Finanzamts [X.] haben können (vgl. in diesem Zusammenhang [X.], [X.]. v. 27. [X.] 1974 - VIII ZR 21/73, [X.], 6, 7).- 5 -2. Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 [X.] genügt jedoch nicht, um aus ihmden Willen des Gesetzgebers zu entnehmen, die Anfechtung von Rechts-handlungen eines Gläubigers solle schlechthin ausgeschlossen sein. [X.] es sich bei der Vernachlässigung von Gläubigerhandlungen um eineungewollte Regelungslücke, die nach dem Vorbild von Konkurs- und Insol-venzordnung auszufüllen [X.]) Gesetzesmaterialien fehlen. Die Äußerungen der an der Fassung [X.] von 1990 maßgeblich beteiligten [X.] geben zu der Frage nichts her (vgl. Lübchen/[X.] [X.] 1990,829, 834 f; [X.] in Festschrift für [X.] 1992 S. 367, 378, 382).Die Verordnung der ehemaligen [X.] über die Gesamtvollstreckung vom18. Dezember 1975 ([X.] 1976 [X.] S. 5), die durch die Verordnungvom 6. Juni 1990 geändert und fortentwickelt wurde, enthielt keinerlei Anfech-tungsvorschriften.b) Bei der Auslegung der Gesamtvollstreckungsordnung ist deren [X.] Charakter zu berücksichtigen. Sie vereint als "Mittelweg" zwischender zur [X.] ihrer Schaffung seit langem als reformbedürftig erkannten Kon-kursordnung und der damals noch nicht ausdiskutierten [X.] unterschiedliche Normenbereiche. Neben Vorschriften, die auf die Ge-samtvollstreckungsverordnung der ehemaligen [X.] von 1975 zurückgehen,enthält sie aus der Konkursordnung übernommene Regelungen und ferner [X.], die auf Vorstellungen der Insolvenzrechtsreform beruhen. [X.] der Gesamtvollstreckungsordnung ist bewußt knapp gefaßt und weist eineVielzahl von Lücken auf. Diese sind häufig durch einen Rückgriff auf Vor-schriften der Konkursordnung oder - soweit diese als reformbedürftig erkannt- 6 -wurden - durch die Heranziehung der Insolvenzrechtsreform, gegebenenfallsauch von Rechtsprinzipien, die Konkursordnung und [X.] ge-meinsam zugrunde liegen, systemgerecht zu schließen (vgl. [X.]Z 131, 189,199; 135, 30, 34 f; 139, 319, 322 f).c) § 10 [X.] regelt das gesamte Anfechtungsrecht in einer einzigenVorschrift. Diese ist auf die Formulierung der Haupttatbestände der Anfechtungbeschränkt und notwendig in vielen Punkten ergänzungsbedürftig. Den weitausgrößten Teil anfechtbarer Rechtshandlungen machen Handlungen des [X.] aus. Nach §§ 31, 32 KO, §§ 133, 134 [X.] sind allein Schuldnerhandlun-gen anfechtbar. Für die Anfechtung nach § 10 Abs. 1 [X.] bis 3 [X.] giltnichts anderes. Die Frage der Anfechtung bloßer Gläubigerhandlungen stelltsich nur im Rahmen der besonderen Konkurs(Insolvenz)anfechtung gemäߧ 30 [X.] Fall 2, Nr. 2 KO, §§ 130, 131 [X.] sowie gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 4[X.]. Auch hier stehen freilich Rechtshandlungen des Schuldners im [X.]. Dies spricht dafür, daß sich § 10 Abs. 1 [X.] nur deshalb allein mitRechtshandlungen des Schuldners befaßt, weil die Anfechtbarkeit von Rechts-handlungen, bei denen jede Mitwirkung des Schuldners fehlt, im Vergleich mitder Anfechtbarkeit von Schuldnerhandlungen in ihrer Bedeutung zurücktritt,daß damit aber Rechtshandlungen von Gläubigern und [X.] (vgl. [X.]/[X.], [X.]. § 29 Rdn. 176 f) nicht von der Anfechtbarkeit ausge-nommen werden sollten.aa) Diese Annahme wird dadurch bestätigt, daß sowohl nach der [X.] als auch nach der [X.] in der Krise vorgenommene Gläubi-gerhandlungen anfechtbar sind, mögen die Anfechtungsvoraussetzungen nachbeiden Gesetzen auch nicht in allen Einzelheiten übereinstimmen. Der diesen- [X.] zugrundeliegende Schutzzweck der Gläubigergleichbehandlung - [X.] jedes Insolvenzverfahrens (vgl. [X.]Z 118, 151, 160) - gebietet [X.] Anfechtbarkeit ohne Rücksicht darauf, ob der Schuldner die Rechtshand-lung vorgenommen oder an ihr durch [X.] oder Unterlassen mitge-wirkt hat oder ob sie allein von Gläubigern vorgenommen wurde. Darauf hatder [X.] in seiner neueren, den Wortlaut des § 30 Nr. 2 KO be-richtigenden Rechtsprechung zum Merkmal der Begünstigungsabsicht bereitshingewiesen ([X.]Z 128, 196, 200; vgl. auch [X.]Z 136, 309, 312).bb) § 10 Abs. 1 Nr. 4 [X.] beruht auf dem gleichen Schutzzweck. [X.], daß die Gesamtvollstreckungsordnung das Gebot der Gläubigergleichbe-handlung in der Krise durch § 7 Abs. 3 und § 2 Abs. 4 im Vergleich zu Konkurs-und [X.] verstärkt hat, liegt kein hinreichender Grund, Gläubiger-handlungen nach Eintritt der materiellen Insolvenz der Anfechtung ganz zuentziehen.Nach § 7 Abs. 3 Satz 1 [X.] verlieren vor Eröffnung der Gesamtvoll-streckung gegen den Schuldner eingeleitete Vollstreckungsmaßnahmen zu-gunsten einzelner Gläubiger mit der Verfahrenseröffnung ihre Wirksamkeit.Damit werden - ähnlich wie mit der zeitlich allerdings beschränkten [X.] § 88 [X.] - lediglich solche Vollstreckungshandlungen erfaßt, die vor Er-öffnung der Gesamtvollstreckung nicht vollständig durchgeführt wurden, insbe-sondere nicht zur Befriedigung des Gläubigers geführt haben (vgl. [X.]Z 128,365, 368; 130, 347, 351 f; 140, 253, 257; [X.], [X.]. v. 15. Juli 1999 - [X.], Z[X.] 1999, 528, z.[X.]. in [X.]Z). Daß der Gläubiger, der sich durcheinen schnellen Zugriff auf das Schuldnervermögen in der Krise über eine Si-cherung hinaus sogar Befriedigung verschafft, nicht nur der Rechtsfolge des- 8 -§ 7 Abs. 3 Satz 1 [X.], sondern ohne weiteres auch der Anfechtbarkeit seinerRechtshandlung entgehen sollte, erscheint durch nichts gerechtfertigt.§ 2 Abs. 4 [X.] zufolge sind nach Eingang des Antrags auf [X.] Gesamtvollstreckung gegen den Schuldner eingeleitete [X.] vorläufig einzustellen. Nach der Rechtsprechung des [X.] sind Aufrechnungen und Verrechnungen eines Gläubigers mit eige-nen Ansprüchen gegen Forderungen des Schuldners, die nach Eingang [X.] vorgenommen werden, grundsätzlich gemäß § 2 Abs. 4[X.] i.V.m. § 394 BGB unwirksam ([X.]Z 130, 76, 80 ff; 137, 267, 287; [X.],[X.]. v. 21. März 1996 - [X.], [X.], 834, 835; v. 18. April 1996- [X.], [X.], 1063, 1064; v. 24. Oktober 1996 - IX ZR 284/95,[X.], 2250, 2251; v. 25. Februar 1999 - [X.], [X.], 781,782). Für Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, die vor Eingang eines Antragsauf Verfahrenseröffnung beendet sind, gilt § 2 Abs. 4 [X.] nicht; auf vor [X.] [X.]punkt vorgenommene Aufrechnungen und Verrechnungen findet dieerwähnte Rechtsprechung keine Anwendung (vgl. [X.]Z 130, 76, 86; [X.],[X.]. v. 14. Januar 1999 - [X.], [X.] 1999, 289, 290, insoweit in[X.]Z 140, 270, 271 nicht abgedruckt). Wollte man diese Rechtshandlungenvon der Anfechtbarkeit nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 [X.] ausnehmen, [X.], die mit den allgemein anerkannten Gerechtigkeitsvorstellun-gen, die den vergleichbaren Vorschriften von Konkurs- und [X.]zugrunde liegen, nicht zu vereinbaren wäre und auf andere Weise - etwa durchMaßnahmen nach § 2 Abs. 3 [X.] - nicht hinlänglich geschlossen [X.]) [X.] der Gesamtvollstreckungsordnung, sichohne zureichende Sachgründe derart von der Systemgerechtigkeit des über-kommenen und künftigen Insolvenzanfechtungsrechts zu entfernen, hätte deut-licher zum Ausdruck gebracht werden müssen. Das wäre etwa der Fall gewe-sen, wenn es im Text des § 10 [X.] hieße, daß der Verwalter "nur" Rechts-handlungen des Schuldners anfechten kann. Allein aus dem Wortlaut von § 10Abs. 1 vor [X.] und Nr. 4 [X.] und daraus, daß der Gesetzgeber ungeachtetmehrerer Änderungen des § 10 [X.] und der langjährigen Diskussion einerAnfechtung von Gläubigerhandlungen nach dieser Vorschrift von einer Ände-rung des Wortlauts insoweit abgesehen hat, läßt sich ein solcher Wille nichtableiten. Vielmehr ist der Wortlaut nach dem Sinn und Zweck der Norm [X.] richterlicher Rechtsfortbildung dahin zu ergänzen, daß unter den weite-ren Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 4 [X.] auch Gläubigerhandlungenanfechtbar sind.3. Dieses Verständnis von § 10 Abs. 1 Nr. 4 [X.] wird im Anschluß anFischer (Festschrift für [X.] 1996 S. 57 ff = [X.] 1997, 717 ff) [X.] auch in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur zu-nehmend vertreten (vgl. neben den Nachweisen in [X.]Z 135, 30, 36 f [X.] [X.] 1998, 1646, 1649 f; [X.] [X.] 1997, 1849, 1850; LG Rostock[X.] 1999, 1852 f; [X.] [X.] 1997, 569, 575; [X.] VIZ 1998, 297, 305; Haar-meyer/Wutzke/Förster, [X.] 4. Aufl. § 10 Rdn. 16 ff; auch [X.]/Günther[X.] 1998, 1431, 1432, 1434).4. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts werden mit dieserAuslegung die Grenzen, die der richterlichen Rechtserkenntnis durch die Bin-dung des Richters an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) gezogen sind ([X.] -[X.] 88, 145, 166 f), nicht überschritten. Anders als die Regelung des§ 61 KO, die der Entscheidung des [X.] in [X.] 65,182 zugrunde lag (vgl. in diesem Zusammenhang auch [X.]Z 116, 319, 326),ist die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 4 [X.] keine nach Wortlaut, [X.] Sinn abschließende Bestimmung, sondern steht der Rechtsfortbildung of-fen. Daran hat die Aufhebung der Gesamtvollstreckungsordnung durch Art. 2Nr. 7 [X.] [X.] nichts geändert. Soweit sie - wie hier nach Art. 103 [X.] [X.] -weiter gültig bleibt, sind auf sie die anerkannten Methoden der Rechtsfindungauch fernerhin anzuwenden.[X.] Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die zwi-schen den Parteien streitigen Fragen zu prüfen, ob die Schuldnerin im [X.]-punkt der Zustellung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung die [X.] hatte und ob dem Beklagten die Zahlungsunfähigkeit bekannt waroder den Umständen nach bekannt sein mußte (vgl. dazu [X.], [X.]. v. 8. Okto-ber 1998 - [X.], [X.] 1998, 2008, 2010 f; v. 14. Oktober 1999 - [X.], [X.] 1999, 1977, 1978).[X.]chKreft[X.]ZugehörGanter

Meta

IX ZR 58/99

20.01.2000

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.01.2000, Az. IX ZR 58/99 (REWIS RS 2000, 3403)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2000, 3403

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