Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.04.2024, Az. IX B 42/23

9. Senat | REWIS RS 2024, 2037

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Gegenstand

Ladungsfähige Anschrift und Ermittlungspflicht des FG


Leitsatz

NV: Die Frage, ob die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift für die Zulässigkeit einer Klage vor dem Finanzgericht notwendig ist und welche Ausnahmen zu machen sind, ist in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs geklärt.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 09.05.2023 - 12 K 228/22 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

1

Die Beschwerde ist nicht begründet.

2

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der [X.]sordnung ([X.]O) liegen nicht vor. Es ist keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung möglich (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O, dazu unter 1.). Auch die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gerügten Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O, dazu unter 2.) liegen nicht vor. Weitere Gründe für eine Zulassung der Revision kommen nicht in Betracht (dazu unter 3.).

3

1. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O).

4

a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig sein (vgl. Gräber/Ratschow, [X.]sordnung, 9. Aufl., § 115 Rz 100, m.w.[X.]).

5

b) Dies ist hier nicht der Fall. Die Frage, ob die Angabe einer [X.] Anschrift für die Zulässigkeit einer Klage vor dem [X.] ([X.]) notwendig ist und welche Ausnahmen zu machen sind, ist in der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) geklärt (vgl. [X.]-Urteile vom 19.10.2000 - IV R 25/00, [X.]E 193, 52, [X.] 2001, 112 und vom 11.12.2001 - VI R 19/01, [X.]/NV 2002, 651, unter [X.]; [X.]-Beschlüsse vom 18.08.2011 - V B 44/10, Rz 7; vom 10.02.2020 - XI B 43/19, Rz 10 und vom 25.08.2022 - X B 96/21, Rz 29, jeweils m.w.[X.]). Mit der Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde wirft der Kläger keine Gesichtspunkte auf, die auf das Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung hinweisen. Vielmehr wendet er sich gegen das seiner Ansicht nach fehlerhaft hergeleitete Ergebnis des [X.]. Damit kann aber die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht erreicht werden.

6

2. Eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 [X.]O) oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O) scheidet ebenfalls aus.

7

a) Die Revision ist zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, wenn davon auszugehen ist, dass im Einzelfall Veranlassung besteht, Grundsätze und Leitlinien für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen. Der Zulassungsgrund setzt als Spezialtatbestand der Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung ebenfalls eine klärungsbedürftige und klärbare Rechtsfrage voraus (Senatsbeschluss vom 07.12.2023 - IX B 12/23, Rz 4).

8

Der Kläger formuliert bereits keine diesen Anforderungen entsprechende Rechtsfrage. Er behauptet lediglich, dass eine Entscheidung des [X.] zum Verhältnis von § 32f der Abgabenordnung und der [X.] erforderlich sei.

9

b) Die Ausführungen der Beschwerde zum Zulassungsgrund der Divergenz entsprechen nicht den Darlegungserfordernissen. Im Einzelnen sind für die schlüssige Rüge einer Divergenz gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O die angebliche Divergenzentscheidung genau --mit Datum und Aktenzeichen oder Fundstelle-- zu bezeichnen sowie tragende, abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des [X.] einerseits und aus der behaupteten Divergenzentscheidung andererseits gegenüberzustellen, um die Abweichung deutlich zu machen. Dies erfordert auch die Darlegung, dass es sich im Streitfall um einen gleichen oder vergleichbaren Sachverhalt handelt, so dass sich in der angefochtenen Entscheidung und in der Divergenzentscheidung dieselbe Rechtsfrage stellt (Senatsbeschluss vom 14.03.2023 - IX B 60/22, Rz 4).

Der Kläger hat bereits keine Entscheidungen benannt, sondern sich lediglich auf eine --nicht [X.] ([X.]/[X.]/[X.], 2. Aufl., DS-GVO Art. 21 Rz 1 f.) bezogen.

3. Auch liegt kein erheblicher Rechtsanwendungsfehler des [X.] vor, der gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O zur Zulassung der Revision führen könnte.

Die Beschwerdebegründung entspricht bereits nicht den Anforderungen, denn es muss substantiiert dargelegt werden, weshalb die Vorentscheidung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist ([X.]-Beschluss vom 03.11.2005 - V B 9/04, [X.]/NV 2006, 248, unter [X.]). Zudem trifft es nicht zu, dass das [X.] den Anspruch aus Art. 21 der [X.] nicht geprüft und dadurch "diese Rechtsgrundlage ... vollständig missachtet" habe. Das [X.] hat hierzu unter [X.] Ausführungen gemacht.

4. Die vom Kläger gerügten Verfahrensfehler liegen nicht vor.

a) Das [X.] hat die Klage zutreffend mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, der Kläger habe keine ladungsfähige Anschrift benannt.

aa) Eine ordnungsgemäße Klageerhebung erfordert nach § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.]O regelmäßig die Bezeichnung des [X.] unter Angabe seiner [X.] Anschrift. Bei natürlichen Personen ist dabei im Hinblick auf ihre Erreichbarkeit die Angabe des tatsächlichen Wohnorts erforderlich ([X.]-Beschluss vom 10.02.2020 - XI B 43/19, Rz 10). Allerdings darf das ungeschriebene Erfordernis der Angabe der [X.] Anschrift nicht zu einer unzumutbaren Einschränkung des aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) abgeleiteten Gebots führen, dem Rechtsuchenden den Zugang zu den Gerichten nicht unnötig zu erschweren oder zu versagen. § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.]O ist daher unter Berücksichtigung dieses Grundrechts und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verfassungskonform auszulegen (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 18.08.2011 - V B 44/10, Rz 14 und vom 25.08.2022 - X B 96/21, Rz 29). So ist das Fehlen einer [X.] Anschrift etwa dann unschädlich, wenn der Kläger glaubhaft macht, über eine solche Anschrift nicht zu verfügen. Gleiches gilt, wenn der Kläger sich bei Nennung der Anschrift der konkreten Gefahr einer Verhaftung aufgrund eines Haftbefehls aussetzt. In solchen Ausnahmefällen müssen dem Gericht aber die insoweit maßgebenden Gründe unterbreitet werden. Wird die Angabe dagegen ohne zureichenden Grund verweigert, liegt keine ordnungsgemäße Klage vor (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 29.01.2018 - X B 122/17, Rz 23 und vom 25.08.2022 - X B 96/21, Rz 29, m.w.[X.]).

bb) Danach hat das [X.] zu Recht ein Prozessurteil erlassen. Der Kläger hat trotz eines entsprechenden Hinweises in der mündlichen Verhandlung keine ladungsfähige Anschrift benannt. Anhaltspunkte dafür, dass einer der oben genannten Ausnahmefälle vorliegt, der es rechtfertigt, auf die Angabe einer [X.] Anschrift zu verzichten, liegen nicht vor. Die Behauptung des [X.], es lägen aufgrund seines beruflichen Wirkens schützenswerte Interessen vor, die einer Angabe der Wohnanschrift entgegenstehen, hat er bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] in keiner Weise glaubhaft gemacht. Dokumente, die diese Annahme stützen, sind im Verfahren vor dem [X.] nicht vorgelegt worden. Auch weitere Anhaltspunkte, wonach der Kläger eine mit Blick auf die Offenlegung der Anschrift besonders schützenswerte Person ist, hat er nicht nachgewiesen. Vor diesem Hintergrund hat das [X.] zu Recht auf dem Vorliegen einer [X.] Anschrift bestanden und infolge deren Fehlen die Klage als unzulässig abgewiesen.

b) Der vom Kläger gerügte Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) ist nicht gegeben.

aa) Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O ist das [X.] verpflichtet, von Amts wegen den Sachverhalt zu erforschen und ihn unter [X.] ernstlich in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Diese Pflicht beinhaltet zwar nicht, jeder fernliegenden Erwägung nachgehen zu müssen. Wohl aber muss das [X.] die sich im Einzelfall aufdrängenden Überlegungen auch ohne entsprechenden Hinweis der Beteiligten anstellen und entsprechende Aufklärungsmaßnahmen treffen.

Die Rüge mangelnder Sachaufklärung des [X.] durch Nichterhebung angebotener Beweise gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O setzt voraus, dass der Kläger die [X.] (Beweisthemen), die angebotenen Beweismittel, die genauen Fundstellen (Schriftsatz oder [X.], in denen die Beweismittel benannt worden sind, die das [X.] nicht erhoben hat), das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme, inwieweit das Urteil des [X.] aufgrund dessen sachlich-rechtlicher Auffassung auf der unterbliebenen Beweisaufnahme beruhen kann, darlegt und ausführt, dass --sofern die Voraussetzungen des § 295 der Zivilprozessordnung gegeben sind-- bei nächster sich bietender Gelegenheit die Nichterhebung der Beweise gerügt worden ist oder dass die Absicht des [X.], die angebotenen Beweise nicht zu erheben, nicht rechtzeitig erkennbar war, um dies noch vor dem [X.] rügen zu können ([X.]-Beschluss vom 05.03.2020 - VIII B 30/19, Rz 9).

bb) Danach hat das [X.] nicht gegen seine Pflicht zur Sachaufklärung verstoßen. Das [X.] hat ausweislich des [X.] den Kläger zu seiner Gefährdungssituation persönlich angehört. Das [X.] hat ebenfalls auf die im [X.]sprozess geltenden Grundsätze der objektiven Darlegungs- und Beweislast hingewiesen, wonach zu dieser Frage den Kläger die Nachweispflicht treffe. Der Kläger hat ausweislich des [X.] in der mündlichen Verhandlung dazu aber keine weiteren Beweismittel vorgelegt oder Beweisanträge gestellt. Damit hat er seinen Klagevortrag nicht weiter mit Beweismitteln unterlegt, obwohl sein Vorbringen vom [X.] als nicht tatsächlich überprüfbar bezeichnet worden war.

c) Die vom Kläger gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 [X.]O) liegt nicht vor. Die vom Kläger in seiner Beschwerdebegründung vorgebrachten Punkte, die aus seiner Sicht aufgrund mangelnder Berücksichtigung seitens des [X.] eine Gehörsverletzung begründen, sind vom [X.] sämtlich gewürdigt worden. Mit seiner Rüge bringt der Kläger nur seine abweichende tatsächliche und rechtliche Würdigung vor. Damit kann eine Zulassung der Revision wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht erreicht werden.

5. Soweit der Kläger sich gegen die Abweisung der Klage als unzulässig aufgrund eines nicht hinreichend bestimmten Klageantrags wendet, handelt es sich um insoweit nicht entscheidungserhebliche Ausführungen des [X.], deren mögliche Fehlerhaftigkeit nicht das Vorliegen eines Revisionszulassungsgrunds nach § 115 Abs. 2 [X.]O begründen kann. Das gleiche gilt für die umfangreichen Hilfserwägungen des [X.] zur Begründetheit der Klage. Die vom Kläger dazu in seiner Beschwerdebegründung vorgebrachten Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 [X.]O und § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O können daher nicht zur Zulassung der Revision führen.

6. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O abgesehen.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

IX B 42/23

09.04.2024

Bundesfinanzhof 9. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 9. Mai 2023, Az: 12 K 228/22, Urteil

§ 65 Abs 1 S 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.04.2024, Az. IX B 42/23 (REWIS RS 2024, 2037)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 2037

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