Bundesfinanzhof, Beschluss vom 10.12.2019, Az. VIII B 3/19

8. Senat | REWIS RS 2019, 600

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Gegenstand

Nichtangabe einer ausländischen Wohnanschrift


Leitsatz

NV: Aufforderungen und Fristsetzungen gemäß § 65 Abs. 2 FGO gehören zu den nicht anfechtbaren prozessleitenden Verfügungen (§ 128 Abs. 2 FGO); eine Überprüfung dieser Verfügungen ist nur durch Anfechtung der Hauptsacheentscheidung möglich. Beantragt der Kläger während des finanzgerichtlichen Verfahrens, die gesetzte Ausschlussfrist aufzuheben, und bescheidet das FG diesen Antrag vor der mündlichen Verhandlung nicht, kann der Kläger in der Regel nicht darauf vertrauen, das FG verzichte nunmehr auf die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift des Klägers und werde die Klage trotz fruchtlosen Verstreichens der Frist aus diesem Grund nicht als unzulässig abweisen .

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 06.11.2018 - 12 K 1218/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

1

Die Beschwerde ist teilweise unbegründet, teilweise unzulässig und daher insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.

2

1. Soweit der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend macht, die Entscheidung des Finanzgerichts ([X.]) sei rechtsfehlerhaft, weil die Klage nicht aufgrund der fehlenden Mitteilung einer [X.] Anschrift des [X.] als unzulässig habe abgewiesen werden dürfen, rügt er einen Verfahrensfehler des [X.] gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O). Dieser liegt jedoch nicht vor. Aufgrund der nicht mitgeteilten [X.] Anschrift des [X.] war die Klage nicht ordnungsgemäß erhoben.

3

a) Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.]O muss die Klage für eine ordnungsgemäße Klageerhebung  u.a. den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Zur Bezeichnung des [X.] gehört grundsätzlich die Angabe des tatsächlichen Wohnorts als ladungsfähiger Anschrift, und zwar auch dann, wenn der Kläger durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist. Es handelt sich hierbei um eine Sachurteilsvoraussetzung (Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 07.12.2007 - VII S 17/07 (PKH), [X.], 589). Entspricht die erhobene Klage diesen Anforderungen nicht, hat der Vorsitzende oder der zuständige Berichterstatter den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern. Er kann hierfür dem Kläger auch eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen (§ 65 Abs. 2 Sätze 1 und 2 [X.]O). Weist das [X.] die Klage rechtsfehlerhaft durch Prozessurteil als unzulässig ab, weil es zu Unrecht annimmt, die ladungsfähige Anschrift sei bis zum Ende der mündlichen Verhandlung gar nicht oder erst nach fruchtlosem Verstreichen einer vom [X.] gesetzten Ausschlussfrist mitgeteilt worden, stellt dies einen Verfahrensmangel in Form der Verletzung rechtlichen Gehörs i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O i.V.m. § 119 Nr. 3 [X.]O dar (vgl. z.B. [X.] vom 17.11.2003 - XI B 213/01, [X.], 514; vom 30.06.2015 - X B 28/15, [X.], 1423, Rz 10, zu § 65 Abs. 2 Satz 2 [X.]O; vom 29.01.2018 - X B 122/17, [X.], 630).

4

b) Das [X.] hat die Klage jedoch zu Recht als unzulässig abgewiesen, weil sie nicht ordnungsgemäß erhoben war.

5

aa) Der Kläger hat dem [X.] bis zum Ende der mündlichen Verhandlung seine Anschrift in [X.] nicht mitgeteilt. Aus der zur [X.]-Akte gereichten E-Mail des [X.] vom 13.09.2018 geht nur hervor, dass den Kläger [X.] über einen [X.] erreichen würde, der berechtigt sei, seine [X.] entgegenzunehmen, der Kläger dort aber nicht wohnt. Eine vietnamesische Anschrift hat der Kläger erst in einem beim [X.] am 16.11.2018 nach Verkündung des Urteils eingegangenen Schreiben mitgeteilt.

6

bb) Die Pflicht zur Angabe der [X.] Anschrift gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.]O entfällt, wenn ihre Erfüllung ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Sie ist unmöglich, wenn der Kläger über eine solche Anschrift nicht verfügt. Beruft sich der Kläger auf einen solchen Ausnahmefall, müssen dem Gericht die insoweit maßgebenden Gründe unterbreitet werden, damit es prüfen kann, ob ausnahmsweise auf die Mitteilung der [X.] Anschrift des [X.] verzichtet werden kann (vgl. [X.] in [X.], 1423, Rz 11, m.w.N.; in [X.], 630, Rz 23). Im Streitfall ist nicht zu beanstanden, dass das [X.] die Voraussetzungen für einen solchen Ausnahmefall nicht als erfüllt angesehen hat.

7

Aus der E-Mail des [X.] vom 13.09.2018 geht hervor, dass der Kläger sich in [X.] aufhält und gerichtliche [X.] ihn unter seiner dortigen Anschrift nicht erreichen werde. Damit ist jedoch nicht dargetan, dass die Mitteilung der [X.] Anschrift für den Kläger "unzumutbar" war. Die Würdigung des [X.], es sei erst bei Angabe der Wohnanschrift in der Lage, die Plausibilität des Vortrags zu prüfen und zu entscheiden, ob die Mitteilung der Anschrift entbehrlich sein könnte, ist nicht zu beanstanden.

8

cc) Soweit der Kläger rügt, die Länge der vom [X.] gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 [X.]O gesetzten Ausschlussfrist sei unangemessen gewesen, kommt es darauf im Streitfall nicht an. Zwar kann eine Frist gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 [X.]O, die unangemessen kurz ist, ermessensfehlerhaft und unwirksam sein (vgl. z.B. [X.]-Beschluss in [X.], 514, unter [X.], juris Rz 13). Der Kläger übersieht jedoch, dass das [X.] sich zur Abweisung der Klage nicht darauf gestützt hat, dass die gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 [X.]O gesetzte Ausschlussfrist fruchtlos verstrichen und die Klage hierdurch bereits vor der mündlichen Verhandlung unheilbar unzulässig geworden sei (vgl. dazu [X.]-Beschluss in [X.], 1423, Rz 16). Es hat dem Kläger vielmehr die Mitteilung der [X.] Anschrift bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung ermöglicht und die Klage als unzulässig angesehen, weil die Anschrift bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht mitgeteilt worden ist. Auf dieser Grundlage kommt es auf die Wirksamkeit der Ausschlussfristsetzung für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage nicht an.

9

2. Die weiterhin erhobene Verfahrensrüge (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O), das [X.]-Urteil sei eine sog. Überraschungsentscheidung, weil das [X.] über den Antrag des [X.] vom 22.09.2018, die Ausschlussfrist aufzuheben, nicht entschieden und sich im Urteil tragend auf die fruchtlos verstrichene Ausschlussfrist gestützt habe, ist unbegründet.

a) Eine Überraschungsentscheidung und damit ein Verstoß gegen das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, kann vorliegen, wenn das [X.] sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.]-Beschluss vom 20.07.2017 - VIII B 107/16, [X.]/NV 2017, 1458, Rz 12).

b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.

aa) Die Frage, ob die Klage ordnungsgemäß erhoben worden war, war angesichts der Aufforderungen des [X.] vom 28.08.2018 (ohne Ausschlussfrist) und vom 17.09.2018 (mit Ausschlussfrist und Hinweis auf eine mögliche Klageabweisung bei fruchtlosem Verstreichen der Frist), die ladungsfähige ausländische Anschrift des [X.] mitzuteilen, eine zentrale Frage des Rechtsstreits. Der Kläger durfte ohne Angabe seiner [X.] Anschrift nicht davon ausgehen, dass das [X.] die Klage als ordnungsgemäß erhoben und zulässig ansehen würde.

bb) Der Umstand, dass das [X.] während des Verfahrens den klägerischen Antrag vom 22.09.2018, die Aufforderung vom 17.09.2018 aufzuheben, nicht förmlich beschieden hat, konnte kein Vertrauen des [X.] erzeugen, er müsse seine ladungsfähige Anschrift nicht mehr mitteilen. Aufforderungen (und Fristsetzungen) gemäß § 65 Abs. 2 [X.]O gehören zu den nicht anfechtbaren prozessleitenden Verfügungen (§ 128 Abs. 2 [X.]O); eine Überprüfung dieser Verfügungen ist nur durch Anfechtung der Hauptsacheentscheidung möglich ([X.]-Beschluss vom 17.01.2006 - XI B 134/05, [X.]/NV 2006, 1109, unter 2., Rz 5). Folglich sind solche Anträge auch während des Verfahrens vom [X.] nicht zu bescheiden. Aus dem "Schweigen" des [X.] zu dem gestellten Antrag durfte der Kläger danach nicht den Schluss ziehen, das [X.] sehe die Klage nunmehr auch ohne die Angabe der Anschrift in [X.] als ordnungsgemäß erhoben an.

3. Der Kläger legt schließlich nicht hinreichend dar, dass die Revision wegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O zuzulassen ist. Es fehlt bereits an der Darlegung einer abstrakt klärungsfähigen Rechtsfrage (§ 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O).

Der Senat entnimmt dem Vorbringen des [X.] die Frage, ob das [X.] bei Nichtangabe einer [X.] Anschrift eine Ausschlussfrist gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 [X.]O setzen darf, wenn selbst bei dessen Ladung und Anhörung im Termin ein substantieller Beitrag des [X.] zur Sachaufklärung nicht zu erwarten ist.

Der Kläger legt mit diesem Vorbringen nicht wie erforderlich eine abstrakte Rechtsfrage dar, sondern wirft die rein einzelfallbezogene Frage auf, ob das [X.] sein Ermessen im Streitfall rechtsfehlerhaft ausgeübt hat, indem es dem Kläger die Ausschlussfrist zur Mitteilung seiner ausländischen Anschrift gesetzt hat. Diese Frage ist zudem im Streitfall nicht entscheidungserheblich und damit auch nicht klärungsfähig. Denn das [X.] hat sich zur Begründung seiner Entscheidung nicht tragend darauf gestützt, dass die Klage wegen des fruchtlosen Verstreichens einer gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 [X.]O gesetzten Ausschlussfrist (unheilbar) unzulässig sei (s. unter 1.b cc).

4. Der Senat sieht gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O von einer Darstellung des Tatbestands und weiteren Ausführungen ab.

5. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VIII B 3/19

10.12.2019

Bundesfinanzhof 8. Senat

Beschluss

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 6. November 2018, Az: 12 K 1218/18, Urteil

§ 65 Abs 1 S 1 FGO, § 65 Abs 2 S 2 FGO, § 128 Abs 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 10.12.2019, Az. VIII B 3/19 (REWIS RS 2019, 600)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 600

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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