Bundesfinanzhof, Beschluss vom 25.08.2022, Az. X B 96/21

10. Senat | REWIS RS 2022, 5040

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Gegenstand

Ladungsfähige Anschrift und Ermittlungspflicht des FG


Leitsatz

1. NV: Bei natürlichen Personen erfordert die ordnungsgemäße Klageerhebung regelmäßig die Bezeichnung des Klägers unter Angabe seiner ladungsfähigen Anschrift.

2. NV: Stellt das Gericht an die vom Kläger angegebene Adresse erfolgreich förmlich zu, kann es nicht ohne weitere Ermittlungen davon ausgehen, dass insoweit keine ladungsfähige Anschrift vorliegt.

3. NV: Begründet das FG ein Prozessurteil hilfsweise auch in der Sache, führt allein die Darlegung, das FG habe zu Unrecht ein Prozessurteil statt ein Sachurteil erlassen, noch nicht zum Erfolg einer solchen Verfahrensrüge. Vielmehr muss die Beschwerdebegründung sich dann auch auf die materiell-rechtliche Hilfsbegründung des Urteils beziehen.

Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 16.06.2021 - 1 K 2067/19 aufgehoben, soweit es den Verspätungszuschlag zur Einkommensteuer 2017 betrifft.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.

Dem [X.] wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Der [X.]läger und [X.]eschwerdeführer ([X.]läger) betrieb im Streitjahr 2017 ein Ingenieur- und Sachverständigenbüro und reichte letztmalig für 2009 Steuererklärungen ein.

2

Seit dem [X.] ist der [X.]läger unter der Anschrift [X.] in [X.] gemeldet. Außerdem hat er in der Vergangenheit eine Anschrift in der [X.]-Straße in [X.] und [X.] in  [X.] angegeben.

3

Der [X.]eklagte und [X.]eschwerdegegner (Finanzamt --[X.]--) schätzte ausgehend von einem [X.]ewinn aus [X.]ewerbebetrieb die Einkommensteuer und den [X.] 2017 sowie die [X.] ab dem 3. Quartal des Jahres 2019. Daneben setzte das [X.] zur Einkommensteuer 2017 und [X.] wegen der nicht fristgerechten Abgabe der Einkommensteuererklärung und der [X.]serklärung für das Streitjahr 2017 fest.

4

[X.]ach erfolglosen Einspruchsverfahren erhob der [X.]läger drei [X.]lagen. [X.]. wandte er sich im vorliegenden Verfahren gegen die Einkommensteuerfestsetzung 2017 und den Verspätungszuschlag zur Einkommensteuer 2017 sowie die [X.]achzahlungszinsen zur Einkommensteuer 2017 (1 [X.] 2067/19). Daneben klagte er gegen die Festsetzung von [X.] ab dem 3. Quartal 2019 (1 [X.] 2066/19) sowie gegen den [X.] und den Verspätungszuschlag zum [X.] 2017 (1 [X.] 2068/19).

5

[X.]achdem der vom [X.]läger bevollmächtigte Rechtsanwalt Akteneinsicht erhalten hatte, teilte der [X.]läger unter Verwendung der Anschrift "[X.]-Straße, [X.]" mit, dass sein [X.]evollmächtigter das Mandat niedergelegt habe. In diesem Schreiben bat er das Finanzgericht ([X.]) außerdem, die im Verwaltungsverfahren benutzte Anschrift in [X.] zu löschen und lediglich die Anschrift in [X.] zu verwenden.

6

In den Einspruchsverfahren hatte der [X.]läger zuvor vorgetragen, derzeit über keinen festen Wohnsitz zu verfügen, sondern je nach Aufenthaltsort in Hotels oder Pensionen zu wohnen. So handele es sich bei der Anschrift in [X.], [X.], um das Hotel "[X.]". Seine [X.]etriebsstätte sei in [X.] unter der Anschrift [X.]-Straße.

7

Die Schreiben, mit denen das [X.] den [X.]läger erneut unter Setzung einer Ausschlussfrist zur [X.]enennung der [X.]lagebegehren aufgefordert hatte, kamen trotz Verwendung der Adresse in [X.] als unzustellbar zurück. Die Aufforderung per E-Mail, eine zustellungsfähige Adresse zu benennen, beantwortete der [X.]läger nicht. Auch weitere Verfügungen vom 26.08.2020, nunmehr adressiert an die frühere Adresse in [X.], konnten nicht zugestellt werden.

8

Daraufhin bat das [X.] die Ermittlungsbeamten der örtlich zuständigen Finanzämter, die vom [X.]läger angegebenen Anschriften in [X.] und [X.] aufzusuchen und dort die weiteren Umstände zu ermitteln. Während an der Adresse in [X.] keine Anzeichen für eine Anwesenheit des [X.]lägers zu finden waren, enthielt der [X.]riefkasten in [X.] die [X.]eschriftung "[X.] - M“. Das [X.] veranlasste deshalb den Einwurf einer weiteren Verfügung zur [X.]enennung der [X.]lagegenstände unter Setzung einer neuen Ausschlussfrist in diesen [X.]riefkasten durch einen [X.]ediensteten des [X.]. Der [X.]läger erläuterte daraufhin innerhalb dieser Ausschlussfrist, warum aus seiner Sicht die Höhe der geschätzten Einkünfte fehlerhaft sei.

9

Am 16.12.2020 beantragte der [X.]läger die Verweisung der Rechtsstreite an das [X.] Düsseldorf. In seinem Faxschreiben verwandte er die Anschrift in [X.], bat aber in der Folgezeit, von Schreiben nach [X.] abzusehen. Es bestehe die Möglichkeit, [X.]riefsendungen an das aus früheren [X.]eiten seines ehemaligen Firmensitzes in [X.] noch existierende Postfach zu senden, alternativ per Fax oder E-Mail mit ihm zu kommunizieren.

Das [X.] forderte den [X.]läger daraufhin erneut auf, bis zum 14.01.2021 eine zustellfähige Wohnanschrift zu benennen. Diese sei zwingende Voraussetzung für die [X.]ulässigkeit der [X.]lagen. Die zwischenzeitlich vom [X.] mit den Ermittlungen der örtlichen Verhältnisse beauftragte Ermittlungsbeamtin des [X.] teilte mit, dass am [X.]riefkasten in [X.] die [X.]amensangaben "[X.]" wie "M" entfernt worden seien und der Aufkleber "Unselbständiges [X.]ebenbüro, keine Postannahme zulässig" angebracht worden sei.

Der [X.]läger gab an, dass er [X.]ustellprobleme bei der Anschrift in [X.] habe und [X.]riefsendungen entweder an das Postfach in [X.] oder ersatzweise an seine noch bestehende Privatadresse in [X.] zu richten seien. Alternativ könnten [X.]ustellungen an seine elektronische E-Mail-Verbindungs-Fax-[X.]ummer oder seine E-Mail-Adresse erfolgen.

Am 19.01.2021 erließ das [X.] in allen drei [X.]lageverfahren 1 [X.] 2066/19, 1 [X.] 2067/19 und 1 [X.] 2068/19 jeweils einen [X.]erichtsbescheid. Diese stellte das [X.] im Wege der Amtshilfe an die Adresse in [X.] zu. Das [X.] informierte den [X.]läger per E-Mail über die [X.]ustellungen.

[X.]ach Erhalt der [X.]erichtsbescheide beantragte der [X.]läger die Durchführung von mündlichen Verhandlungen. Diese wurden auf den 16.06.2021 anberaumt. Am 09.06.2021 beantragte der [X.]läger per Fax deren Verlegungen, da eine fachkundige Unterstützung und juristische Vertretung wegen seiner wirtschaftlichen Situation nicht möglich sei. [X.]ach Ablehnung der [X.] beantragte der [X.]läger erneut am 14.06.2021 wegen fehlender ausreichender Vorbereitungsmöglichkeit und am 15.06.2021 aufgrund seines [X.]esundheitszustandes die Verlegung der mündlichen Verhandlungen. Diese Anträge lehnte der Vorsitzende des [X.]-Senats wegen der fehlenden [X.]laubhaftmachung, etwa durch Vorlage eines ärztlichen Attests, aus dem sich eindeutig die Verhandlungsunfähigkeit der erkrankten Person ergeben müsse, oder durch genaue und glaubhafte Schilderung der Erkrankung, ab. Einen weiteren [X.] vom 16.06.2021 lehnte das [X.] in den Urteilsgründen ab, da sich aufgrund der Ausführungen des [X.]lägers seine Verhandlungs- bzw. Reiseunfähigkeit nicht glaubhaft ergebe. Auch sei aufgrund der zahlreichen im Laufe der [X.]lageverfahren genannten Adressen von einer hohen Mobilität des [X.]lägers auszugehen.

Das [X.] wies u.a. die [X.]lage gegen die Festsetzung der Einkommensteuer 2017, den Verspätungszuschlag und die [X.]achzahlungszinsen zur Einkommensteuer 2017 ab. Die [X.]lage sei aufgrund der fehlenden [X.]ennung einer ladungsfähigen Anschrift des [X.]lägers unzulässig. Jedenfalls sei sie unbegründet, da auch das [X.] von einer Schätzungsbefugnis ausgehe und gegen die Höhe der Schätzung, wie vom [X.] vorgenommen, keine [X.]edenken bestünden. Die vom [X.]läger eingereichte Prognose sei weder belastbar noch nachvollziehbar.

Das Urteil hat das [X.] wie schon die Ladungen zu den mündlichen Verhandlungen durch die Deutsche Post A[X.] an die Anschrift in [X.] zustellen lassen. Der Mitarbeiter der Deutschen Post A[X.] hat die Schriftstücke in den zur Wohnung gehörenden [X.]riefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt.

Der [X.]läger begehrt die [X.]ulassung der Revision wegen Divergenz, eines qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers und wegen Verfahrensmängeln.

Das [X.] tritt der [X.]eschwerde entgegen.

Entscheidungsgründe

II.

Die [X.]eschwerde ist, soweit das [X.] die Festsetzung des Verspätungszuschlags zur Einkommensteuer 2017 betrifft, begründet. Das [X.] hat zu Unrecht allein durch Prozessurteil entschieden. Dies führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur [X.]urückverweisung an das [X.] (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Dagegen hat das [X.], soweit sein Urteil die Einkommensteuerfestsetzung 2017 und die diesbezüglichen Nachzahlungszinsen betrifft, auch in der Sache entschieden. Die vom Kläger hiergegen erhobenen Einwendungen führen nicht zur [X.]ulassung der Revision. Die [X.]eschwerde ist insoweit als unbegründet zurückzuweisen.

1. Das [X.] hat den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör (Art. 103 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2, § 76 Abs. 2 [X.]O) nicht deshalb verletzt, weil es ohne Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung entschieden hat.

Nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) wird eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör angenommen, wenn einem Antrag auf Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht stattgegeben wird, obwohl erhebliche Gründe i.S. des § 227 Abs. 1 der [X.]ivilprozessordnung ([X.]PO) vorliegen und glaubhaft gemacht werden. Im Allgemeinen reicht zur Glaubhaftmachung die Vorlage eines substantiierten privatärztlichen Attestes aus, aus dem sich die Verhandlungsunfähigkeit eindeutig und nachvollziehbar ergibt (vgl. [X.]-[X.]eschluss vom 21.04.2008 - XI [X.] 206/07, [X.], [X.]/NV 2008, 1191, m.w.N.). Wird wie im Streitfall erst "in letzter Minute" ein Antrag auf Terminsverlegung wegen des Vorliegens einer Erkrankung gestellt, dann sind die Gründe für die Verhinderung so darzulegen und zu untermauern, dass das Gericht die Frage, ob der betroffene [X.]eteiligte verhandlungs- und/oder reisefähig ist oder nicht, selbst beurteilen kann (ständige Rechtsprechung des [X.], vgl. z.[X.]. Senatsbeschluss vom 04.11.2019 - X [X.] 70/19, [X.]/NV 2020, 226, Rz 10 ff., m.w.N.).

Im vorliegenden Fall hat der Kläger seine fehlende Verhandlungs- und/oder Reisefähigkeit am Sitzungstag und damit das Vorliegen eines erheblichen Grundes i.S. des § 227 Abs. 1 [X.]PO nicht glaubhaft gemacht. [X.]war hat er entsprechend den Vorgaben des Gerichts vom 15.06.2021 weitere Angaben zu seiner Erkrankung gemacht, er hat jedoch nicht im Einzelnen dargelegt, warum er am Tag der mündlichen Verhandlung nicht reise- und verhandlungsfähig sei. Einer solchen weitergehenden Darlegung hätte es bedurft, weil der Kläger am Tag der mündlichen Verhandlung ohne Einreichung eines ärztlichen Attests erneut auf eine nunmehr vorliegende Erkrankung abgestellt hat. Angesichts seiner bisherigen Reisetätigkeiten, aber auch seines ersten [X.]s, der allein auf fehlende fachkundige Unterstützung abstellte, durfte das [X.] davon ausgehen, dass eine zur Verhandlungs- bzw. Reiseunfähigkeit führende Erkrankung nicht glaubhaft gemacht sei und der Kläger lediglich eine Verfahrensverzögerung beabsichtigte.

[X.] konnte somit auch den [X.] vom 16.06.2021 ablehnen, ohne insoweit den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör zu verletzen.

2. Das [X.] hat in [X.]ezug auf die Festsetzung des Verspätungszuschlags zur Einkommensteuer 2017 zu Unrecht durch Prozessurteil entschieden und insoweit einen Verfahrensfehler begangen.

Wenn der Kläger geltend macht, das [X.] habe die Klage zu Unrecht als unzulässig verworfen, weil er keine ladungsfähige Anschrift genannt habe, rügt er, wenn auch als qualifizierten [X.] gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O bezeichnet, das [X.] habe zu Unrecht ein Prozessurteil gefällt, anstatt zur Sache zu entscheiden.

a) [X.] das [X.] zu Unrecht ein Prozessurteil, so liegt darin ein zur [X.]ulassung der Revision führender Verfahrensmangel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O (vgl. nur Senatsbeschluss vom 28.07.2016 - X [X.] 205/15, [X.]/NV 2016, 1742, Rz 15) in Gestalt einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Er führt regelmäßig zur Aufhebung der Vorentscheidung und [X.]urückverweisung der Sache an das [X.], wenn eine entsprechende Rüge im Verfahren über die Nichtzulassung der Revision erhoben wird (vgl. nur Senatsbeschuss vom 30.06.2015 - X [X.] 28/15, [X.]/NV 2015, 1423, Rz 10). Diesen Verfahrensmangel hat der Kläger (auch) geltend gemacht.

aa) [X.]war müssen auch solche Verfahrensmängel, die --wie die fehlerhafte [X.]eurteilung der [X.] in einem Revisionsverfahren von Amts wegen berücksichtigt werden, im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ausdrücklich unter genauer Angabe der den Mangel ergebenden Tatsachen geltend gemacht werden ([X.]-[X.]eschluss vom 01.08.2008 - VIII [X.] 154/07, juris, unter [X.], m.w.N.). Allerdings steht dem nicht entgegen, dass der Kläger seine [X.]eschwerde auf andere [X.]ulassungsgründe gestützt hat. Denn nach ständiger Rechtsprechung kommt es auf die geltend gemachten [X.]ulassungsgründe nicht an, wenn sich aus dem dargestellten Sachverhalt ergibt, dass ein Verfahrensmangel vorliegt ([X.]-[X.]eschluss vom 01.06.2011 - IV [X.] 33/10, [X.]/NV 2011, 1888, Rz 19, m.w.N.).

bb) Diesen Anforderungen entspricht das Vorbringen des [X.], der darlegt, dass er entsprechend den höchstrichterlichen Grundsätzen eine ladungsfähige Anschrift angegeben habe. So habe er im Schreiben an das [X.] fristgerecht bis zum 14.01.2021 die "derzeit noch bestehende Privatadresse" in [X.], [X.], genannt, unter der er auch seit dem [X.] gemeldet gewesen sei. Dennoch sei das [X.] davon ausgegangen, dass diese Adresse nicht mehr bestehe.

b) [X.]u Unrecht hat das [X.] angenommen, dass die vom Kläger innerhalb der bis zum 14.01.2021 gesetzten Ausschlussfrist genannte Adresse in [X.] keine ladungsfähige Anschrift sei und deshalb die Klage als unzulässig verworfen.

aa) Eine ordnungsgemäße Klageerhebung erfordert nach § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.]O regelmäßig die [X.]ezeichnung des [X.] unter Angabe seiner [X.] Anschrift. [X.]ei natürlichen Personen ist dabei im Hinblick auf ihre Erreichbarkeit die Angabe des tatsächlichen Wohnorts erforderlich ([X.]-[X.]eschluss vom 10.02.2020 - XI [X.] 43/19, [X.]/NV 2020, 773, Rz 10). Allerdings darf das ungeschriebene Erfordernis der Angabe der [X.] Anschrift nicht zu einer unzumutbaren Einschränkung des aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleiteten Gebots führen, dem Rechtsuchenden den [X.]ugang zu den Gerichten nicht unnötig zu erschweren oder zu versagen. § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.]O ist daher unter [X.]erücksichtigung dieses Grundrechts und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verfassungskonform auszulegen (vgl. [X.]-[X.]eschluss vom 18.08.2011 - V [X.] 44/10, [X.]/NV 2011, 2084, Rz 14). So ist das Fehlen einer [X.] Anschrift etwa dann unschädlich, wenn der Kläger glaubhaft macht, über eine solche Anschrift nicht zu verfügen. In einem solchen Ausnahmefall müssen dem Gericht aber die insoweit maßgebenden Gründe unterbreitet werden. Wird die Angabe dagegen ohne zureichenden Grund verweigert, liegt keine ordnungsgemäße Klage vor (vgl. Senatsbeschluss vom 29.01.2018 - X [X.] 122/17, [X.]/NV 2018, 630, Rz 23, m.w.N.).

bb) Vorliegend stellt sich die Situation so dar, dass der Kläger innerhalb der vom [X.] gesetzten Frist mitgeteilt hat, in [X.] bestehe noch seine Privatadresse. Das [X.] hat sowohl die Ladungen zur mündlichen Verhandlung wie auch die Urteile an diese Adresse zustellen lassen. Eine öffentliche [X.]ustellung i.S. des § 185 [X.]PO hat es dagegen zu keinem [X.]eitpunkt erwogen. Vielmehr zeigen schon die [X.]ustellungen der Gerichtsbescheide an die Adresse in [X.] wie auch die der Ladungen und der Urteile an die Adresse in [X.], dass das [X.] durchaus von der Existenz einer zustellungsfähigen Anschrift des [X.] und damit entgegen seinen Ausführungen in den Entscheidungsgründen von [X.] Anschriften ausging.

Die erfolgreichen [X.]ustellungen allein reichen allerdings für die Annahme nicht aus, dass der Kläger dem [X.] tatsächlich eine ladungsfähige Anschrift genannt hat. Denn die [X.]eweiskraft einer [X.]ustellungsurkunde erstreckt sich gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 418 Abs. 1 [X.]PO nicht auf die Frage, ob der Adressat unter der angegebenen Anschrift tatsächlich eine Wohnung unterhält, ihr kann lediglich eine gewisse Indizwirkung zukommen (vgl. [X.], [X.]/NV 2020, 526, Rz 23, m.w.N.). Trotz dieser Indizwirkung hat das [X.] vorschnell und insbesondere ohne weitere aktuelle Ermittlungen in [X.] ladungsfähige Anschriften des [X.] in Abrede gestellt. Mit seinem (widersprüchlichen) Handeln bringt das [X.] vielmehr zum Ausdruck, dass es von wirksamen [X.]ustellungen ausging und folglich dem Kläger glaubte, über eine zustellungsfähige Adresse zu verfügen. Folglich kann sich das [X.] nicht einfach darauf berufen, dass es bereits nach der Klageerhebung Ermittlungen in [X.] (wie in [X.]) vorgenommen hat. Aufgrund des [X.] kann es vielmehr durchaus denkbar sein, dass der Kläger jedenfalls (nunmehr wieder) in [X.] wohnhaft gewesen ist.

cc) Da somit nicht zwingend davon auszugehen ist, dass der Kläger keine ladungsfähige Anschrift angegeben hat, durfte das [X.] die Klage nicht ohne weitere Ermittlungen durch Prozessurteil entscheiden. Gründe, die Klage aus anderen Gründen als unzulässig zu verwerfen, sind nicht erkennbar. Das [X.] hatte zwar in den Klageverfahren wiederholt den Kläger unter Ausschlussfristsetzung nach § 65 Abs. 2 Satz 2 [X.]O zur [X.]enennung der [X.] aufgefordert. Soweit der Kläger zunächst den [X.] nicht bezeichnet hatte, hat er dies innerhalb der insoweit gesetzten Fristen nachgeholt.

3. Allerdings hat das [X.] lediglich in [X.]ezug auf den festgesetzten Verspätungszuschlag zur Einkommensteuer 2017 allein durch Prozessurteil entschieden. Notwendige Erläuterungen, warum das [X.] sein Ermessen in [X.]ezug auf die Festsetzung des Verspätungszuschlags gemäß § 152 der Abgabenordnung ([X.]) a.F. dem Grunde und in der Höhe nach [X.] ausgeübt hat, fehlen.

4. In [X.]ezug auf die Festsetzung der Einkommensteuer 2017 hat das [X.] hilfsweise detailliert begründet, warum die Klage im Fall der [X.]ulässigkeit jedenfalls unbegründet wäre und damit auch zur Sache entschieden. Das [X.] hat die Schätzungen dem Grunde und der Höhe nach als sachgerecht angesehen. Durch diese [X.]egründung hat es das [X.] dem Kläger zudem ermöglicht, seine getroffene Entscheidung auch im Hinblick auf die Festsetzung der Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer 2017 auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. Senatsbeschluss vom 29.08.2001 - X [X.] 36/01, [X.]/NV 2002, 348, unter 1.c, m.w.N.). Der Einkommensteuer- und [X.]insbescheid stehen zueinander im Verhältnis von Grundlagenbescheid und Folgebescheid, was sich aus der akzessorischen Natur des [X.]insanspruchs ergibt. Wird der Einkommensteuerbescheid (Grundlagenbescheid) geändert, dann ist die [X.]insfestsetzung (Folgebescheid) gemäß § 233a Abs. 5 Satz 1 [X.] ebenfalls zu ändern (vgl. [X.]-[X.]eschluss vom 14.07.2008 - VIII [X.] 176/07, [X.]E 222, 36, [X.]St[X.]l II 2009, 117, unter [X.], m.w.N.). Da die [X.]ehandlung der Nachzahlungszinsen ansonsten zwischen den [X.]eteiligten außer Streit stand, musste das [X.] hierauf nicht mehr ausdrücklich eingehen.

Daher hätte der Kläger insoweit zur ordnungsmäßigen Rüge eines Verfahrensfehlers im [X.] auch schlüssige Ausführungen zur [X.]egründetheit machen müssen (vgl. nur [X.]-[X.]eschluss vom 14.03.2007 - IV [X.] 76/05, [X.]E 216, 507, [X.]St[X.]l II 2007, 466, unter II.2.c, m.w.N.). Ein derartiges Vorbringen lässt sich der [X.]eschwerdebegründung nicht entnehmen.

5. Ebenso hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt, dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  Alternative 2 [X.]O).

a) Die schlüssige Rüge einer Divergenz erfordert die Darlegung, dass das [X.] bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der [X.] oder ein anderes [X.]. Gleiches gilt für Entscheidungen eines anderen obersten [X.]undesgerichts. Dabei muss das [X.] seinem Urteil einen entscheidungserheblichen (tragenden) abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt (vgl. z.[X.]. [X.]-[X.]eschluss vom 11.11.2020 - IX [X.] 40/20, [X.]/NV 2021, 349, Rz 7). Im Einzelnen sind für die schlüssige Rüge einer Divergenz gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O die angeblichen Divergenzentscheidungen genau --mit Datum und Aktenzeichen oder Fundstelle-- zu bezeichnen sowie tragende, abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des [X.] einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits gegenüberzustellen, um die Abweichung deutlich zu machen. Dies erfordert auch die Darlegung, dass es sich im Streitfall um einen gleichen oder vergleichbaren Sachverhalt handelt, sodass sich in der angefochtenen Entscheidung und in der Divergenzentscheidung dieselbe Rechtsfrage stellt ([X.]-[X.]eschluss in [X.]/NV 2021, 349, Rz 8).

b) Diese Anforderungen erfüllt die Nichtzulassungsbeschwerde nicht. Der Kläger hat zwar die Urteile des [X.] [X.]remen vom 17.01.2007 - 2 K 229/04 (5) (Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 8) sowie des [X.] vom 02.02.1982 - VIII R 65/80 ([X.]E 135, 158, [X.]St[X.]l II 1982, 409) und vom 31.08.1967 - V 241/64 ([X.]E 89, 472, [X.]St[X.]l III 1967, 686) genannt. Auf den diesen Entscheidungen jeweils zugrunde liegenden Sachverhalt ist der Kläger allerdings nicht eingegangen; ebenso wenig hat er --einander widersprechende-- abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen [X.] einerseits und aus den von ihnen angeführten Divergenzentscheidungen andererseits herausgearbeitet, um die (behauptete) Abweichung deutlich zu machen. Sein Vorbringen erfüllt damit die Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O nicht.

6. Sofern sich der Kläger gegen die materielle Richtigkeit der Schätzung des Gewinns für 2017 wendet, ist ein solches Vorbringen nicht geeignet, die [X.]ulassung der Revision zu erreichen. Denn es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass die Rüge der falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalls durch das [X.] im [X.] grundsätzlich nicht beachtlich ist. Dies gilt insbesondere für Einwendungen gegen die Richtigkeit von [X.] (vgl. nur Senatsbeschluss vom 26.03.2021 - X [X.] 113/20, [X.]/NV 2021, 1201, Rz 13, m.w.N.).

7. Ein nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O zu berücksichtigender erheblicher, also qualifizierter [X.], der ausnahmsweise, etwa bei Verstoß gegen Denkgesetze, zur [X.]ulassung der Revision führen kann (Senatsbeschluss vom 20.01.2022 - X [X.] 132-133/20, [X.]/NV 2022, 734, Rz 22), ist ebenfalls nicht erkennbar. Das --wenn auch nur hilfsweise begründete-- [X.] des [X.] ist nicht offensichtlich realitätsfremd.

8. Der Senat hält es für angezeigt, in [X.]ezug auf die Festsetzung des Verspätungszuschlags zur Einkommensteuer 2017 nach § 116 Abs. 6 [X.]O zu verfahren, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben und den Rechtsstreit hinsichtlich dieser Streitgegenstände zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen. Im Übrigen bleibt das [X.] bestehen, da die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] unbegründet ist.

9. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren [X.]egründung hat der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O abgesehen.

10. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O. Das [X.] hat mit Rücksicht auf den Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung auch über die Kosten des durch [X.]eschluss rechtskräftig abgeschlossenen Teils des Verfahrens zu entscheiden ([X.]-Urteil vom 11.12.2013 - XI [X.] 33/13, [X.]/NV 2014, 714, Rz 22, m.w.N.).

Meta

X B 96/21

25.08.2022

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 16. Juni 2021, Az: 1 K 2067/19, Urteil

§ 65 Abs 1 S 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 6 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 76 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, Art 19 Abs 4 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 182 Abs 1 S 2 ZPO, § 227 Abs 1 ZPO, § 418 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 25.08.2022, Az. X B 96/21 (REWIS RS 2022, 5040)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5040

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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