BT-Drucksache 18/8398

Verbindliche Umwelt- und Sozialstandards in der internationalen Palmölproduktion verankern

Vom 11. Mai 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8398
18. Wahlperiode 11.05.2016
Antrag
der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Steffi Lemke, Peter Meiwald, Harald Ebner,
Nicole Maisch, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner, Agnieszka
Brugger, Tom Koenigs, Dr. Tobias Lindner, Omid Nouripour, Cem Özdemir,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Jürgen
Trittin, Doris Wagner, Luise Amtsberg, Kerstin Andreae, Ekin Deligöz,
Matthias Gastel, Anja Hajduk, Renate Künast, Corinna Rüffer, Dr. Gerhard
Schick, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verbindliche Umwelt- und Sozialstandards in der internationalen
Palmölproduktion verankern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit den verheerenden Torf- und Waldbränden in Indonesien entfachte eine der
schlimmsten Umweltkatastrophen der vergangenen Jahre. Um Platz für neue Holz-
und Palmölplantagen zu schaffen, wurden allein zwischen Juli und November 2015
insgesamt 1,8 Millionen Hektar Torf- und Regenwälder zerstört. Innerhalb nur we-
niger Wochen wurden die jährlichen Emissionswerte Deutschlands übertroffen.
Durch die erhöhte Feinstaubbelastung erlitten über 500.000 Menschen Atemwegser-
krankungen. Aufgrund von Brandrodungen und Abholzungen ist Indonesien auf
Platz drei der weltweit größten Verursacher von Treibhausgasen vorgestoßen. Im
Zuge der Brandkatastrophe entfaltete sich erneut die Diskussion um die Folgen der
industriellen Palmölproduktion.
Palmöl ist das meistproduzierte Pflanzenöl weltweit. Die Produktion hat sich seit
1990 auf über 58 Millionen Tonnen nahezu versechsfacht. In zahlreichen Produkten
des täglichen Bedarfs ist Palmöl enthalten. Ein Großteil (68 %) wird in der Nah-
rungsmittelindustrie verwendet. Darüber hinaus kommt es bei der Herstellung von
Kosmetika, in Wasch- und Reinigungsmitteln (27 %) sowie zur energetischen Nut-
zung (5 %) zum Einsatz. Die EU ist mit 5,67 Millionen Tonnen pro Jahr der dritt-
größte Importeur von Palmöl weltweit. Der Palmölverbrauch ist in den vergangenen
Jahren rasant gestiegen. Allein der Palmölverbrauch in der EU für biogene Kraft-
stoffe hat sich zwischen 2006 und 2012 um 365 Prozent von 402.000 Tonnen auf
1,87 Millionen Tonnen erhöht.
Der internationale Palmölboom geht mit gravierenden sozialen und ökologischen
Konsequenzen einher. Als wichtigste Anbaugebiete sind Schwellen- und Entwick-
lungsländer am schwersten von den negativen Folgen der industriellen Palmölpro-
duktion betroffen. 85 % des weltweit gehandelten Palmöls werden in Indonesien und
Malaysia produziert. Indonesien ist der wichtigste Palmölproduzent der Welt. Seit
1990 wurde ein Viertel der hier vorhandenen Waldflächen zerstört, um Platz für neue

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Holz- und Palmölplantagen zu schaffen. Auch in Afrika und Lateinamerika wird die
Expansion großflächiger Ölpalmplantagen vorangetrieben.
Durch die Expansion industrieller Großplantagen kommt es zur Zerstörung wertvol-
ler Torf- und Regenwälder. Mit 75 % aller weltweiten Pflanzen- und Tierarten sind
diese für den Natur- und Artenschutz von entscheidender Bedeutung. Jährlich gehen
bis zu 13 Millionen Hektar Waldfläche zusätzlich verloren und nur 40 % des ver-
bliebenen Waldes ist intakt. Durch die Zerstörung von Regenwald kommt es zum
endgültigen und unumkehrbaren Verlust von Artenreichtum. Nur 0,1 % des weltweit
hergestellten Palmöls stammt aus ökologischem Anbau, die Gewinnung von Palmöl
ist mit massivem Dünger- und Herbizideinsatz verknüpft. Auf vielen Plantagen sind
Menschenrechtsverletzungen und die Missachtung grundlegender Arbeitsrechte an
der Tagesordnung. Bei der Erschließung neuer Anbauflächen kommt es zu gewalt-
samen Landkonflikten, zur Missachtung der Landrechte indigener Minderheiten, zur
Ermordung von Aktivistinnen und Aktivisten sowie zur Vertreibung der lokalen Be-
völkerung. Der Ausbau der Plantagen durch Agrarkonzerne drängt die traditionelle
und kleinbäuerliche Landbewirtschaftung zunehmend zurück. Dadurch gerät die Er-
nährungssouveränität von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern vielerorts in Gefahr.
Die Beschaffung von Palmöl, das hinreichende soziale und ökologische Mindest-
standards erfüllt, ist derzeit nahezu unmöglich. Als das größte Zertifizierungssystem
steht der Runde Tisch für Nachhaltiges Palmöl (RSPO) aufgrund von schwachen
Standards, lückenhaften Kontroll- und Beschwerdemechanismen und fehlender
Transparenz in der Kritik. Auf zahlreichen bereits zertifizierten Plantagen wurden
wiederholt gravierende Verletzungen der vorhandenen RSPO-Standards dokumen-
tiert. Neben der Abholzung und Brandrodung von besonders schützenswerten Pri-
märwäldern kommt es auch auf RSPO-zertifizierten Plantagen zu Vertreibungen und
schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen.
Trotz der bekannten Schwächen der bestehenden Initiativen setzt auch die Bundes-
regierung weiterhin auf das freiwillige Engagement palmölverarbeitender Unterneh-
men. Das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung fördert das bei der
Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH angesie-
delte Forum für Nachhaltiges Palmöl (FONAP). Das FONAP hat in der Vergangen-
heit die Schwächen des RSPOs zwar öffentlich thematisiert, aber akzeptiert weiter-
hin Mitglieder, die ausschließlich RSPO-zertifiziertes Palmöl verwenden. In der ge-
meinsamen „Amsterdam Deklaration“ bekräftigten Bundesminister Müller und Bun-
desminister Schmidt zuletzt am 7. Dezember 2015 zusammen mit Frankreich, Dä-
nemark, Großbritannien und den Niederlanden, weiterhin auf freiwillige Initiativen
wie die des RSPOs zu bauen. Aussagen, wie die durch den Bundesminister Schmidt,
bis 2020 nur noch nachhaltiges Palmöl nach Deutschland zu importieren, entpuppen
sich in Anbetracht der fortbestehenden Missstände auf RSPO-zertifizierten Planta-
gen als bloße Augenwischerei.
Die Einführung verbindlicher Umwelt- und Sozialstandards für Palmölimporte in
die EU ist längst überfällig. Als Antwort auf die Kritik am RSPO hat sich mit der
Palm Oil Innovations Group (POIG) ein Zusammenschluss von Zivilgesellschaft
(Greenpeace, Forest Peoples Programme u. a.) und Unternehmen gebildet, der sich
zum Ziel gesetzt hat, die Umsetzung der bestehenden RSPO-Standards zu verbessern
und in kritischen Punkten zu ergänzen. Die sozialen und ökologischen Kriterien für
verbesserten Palmölanbau werden in der offiziellen POIG-Charter dokumentiert.
Mit dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
(UN-Sozialpakt), den ILO-Kernarbeitsnormen und den UN-Leitprinzipien für Wirt-
schaft und Menschenrechte existiert darüber hinaus bereits ein international aner-
kannter Konsens über die Einhaltung von Menschenrechten im Bereich der Wirt-
schaft. Auch die UN-Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG)
unterstreichen die kollektive Verantwortung für nachhaltige Entwicklung und ver-
deutlichen die Notwendigkeit konsequenter Implementierung. Angesichts der anhal-

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tenden Missstände im Palmölsektor und des mangelhaften Erfolgs selbstverpflich-
tender Initiativen ist die Einführung verbindlicher Umwelt- und Sozialstandards so-
wie die Einrichtung eines unabhängigen Kontroll- und Beschwerdemechanismus auf
EU-Ebene unabdingbar.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass Palmölimporte in die Europäische
Union an verbindliche Umwelt- und Sozialstandards geknüpft werden, welche
mindestens die Kriterien der POIG-Charter erfüllen und die Einhaltung interna-
tional anerkannter Umwelt- und Menschenrechtsabkommen gewährleisten;

2. auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, einen unabhängigen Kontroll- und Be-
schwerdemechanismus einzurichten, der die Einhaltung verbindlicher Umwelt-
und Sozialstandards für Palmölimporte in die Europäische Union gewährleistet,
damit diese mindestens die Kriterien der POIG-Charter erfüllen und die Einhal-
tung international anerkannter Umwelt- und Menschenrechtsabkommen ge-
währleisten;

3. dafür Sorge zu tragen, dass externe Umwelt-, Klima- und Gesellschaftskosten
internalisiert werden und so z. B. die Kosten für die Bewältigung der durch den
Palmölanbau verursachten Schäden direkt in den Produktpreis einfließen;

4. eine nationale Palmölreduktionsstrategie zu erarbeiten, welche die Finanzierung
von Waldschutz- und Wiederaufforstungsprojekten sowie menschenrechtsba-
sierten Programmen zur Förderung kleinbäuerlicher ökologischer Landwirt-
schaft in palmölproduzierenden Ländern beinhaltet;

5. auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass biogene Kraftstoffe aus Palmöl nicht
mehr für die Erreichung der Klimaziele im Rahmen der Erneuerbare-Energien-
Richtlinie (RED) und der Kraftstoffqualitätsrichtlinie (FQD) anrechenbar sind;

6. auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass die Kennzeichnungspflicht für Palmöl
auf nachfolgende Güterbereiche ausgeweitet wird, um Verbraucherinnen und
Verbrauchern eine informierte Kaufentscheidung zu ermöglichen:
a. Kosmetika,
b. Wasch- und Reinigungsmittel,
c. biogene Kraftstoffe,
d. Finanzprodukte, die in börsennotierte Unternehmen investieren, die mehr als

30 % ihrer Umsätze mit Herstellung, Transport, Verarbeitung und/oder Ver-
trieb von Palmöl erzielen;

7. die Einhaltung verbindlicher international anerkannter Umwelt- und Sozialstan-
dards zur Voraussetzung für die öffentliche Beschaffung von Produkten, die
Palmöl enthalten, zu machen;

8. die bilateralen Regierungsverhandlungen mit palmölproduzierenden Ländern
dazu zu nutzen,
a. strengere Umwelt- und Sozialstandards für die Palmölproduktion zu fordern,
b. die Umsetzung der Freiwilligen Leitlinien zur verantwortungsvollen Verwal-

tung von Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern ein-
zufordern,

c. die Einhaltung der Rechte von Kleinbäuerinnen, Kleinbauern und indigenen
Minderheiten zu fordern;

9. palmölproduzierende Länder dabei zu unterstützen, verbleibende und besonders
schützenswerte Torf- und Regenwaldflächen kartografisch zu erfassen;

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
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10. verstärkt Mittel der deutschen Entwicklungszusammenarbeit für nachfolgende

Initiativen bereitzustellen:
a. menschenrechtsbasierte Programme zur Förderung kleinbäuerlicher Land-

wirtschaft,
b. Stärkung gewerkschaftlicher Organisation auf Palmölplantagen,
c. Schutzprogramme für Regenwälder und Torfböden,
d. Förderung der Umstellung auf ökologische Bewirtschaftung und insbeson-

dere kleinbäuerliche Öko-Palmöl-Projekte;
11. durch Mittel der deutschen Entwicklungszusammenarbeit direkt oder indirekt

unterstützte Palmölprojekte einer kritischen Überprüfung zu unterziehen und da-
bei
a. eine Übersicht der finanzierten Projekte durch GIZ, KfW, DEG und Ent-

wicklungsfonds zu erstellen,
b. mögliche Problemfinanzierungen unter Einbindung zivilgesellschaftlicher

Akteure zu identifizieren und bezüglich ihrer sozialen und Umweltauswir-
kungen zu evaluieren,

c. die Zusammenarbeit mit Projekten und Unternehmen zu beenden, die
schwere Umweltschäden verursachen und durch die infolgedessen Men-
schenrechtsverletzungen begangen wurden,

d. zu überprüfen, inwiefern ökologische Anbaukriterien bei der Förderentschei-
dung berücksichtigt wurden und nach Ökolandbauprinzipien arbeitende
Palmölprojekte bevorzugt gefördert werden;

12. die ILO-Konvention 169 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker zu
ratifizieren;

13. das Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt zu ratifizieren;
14. den Prozess der Erarbeitung einer UN-Konvention zum Schutz der Rechte von

Kleinbäuerinnen und Kleinbauern aktiv zu unterstützen.

Berlin, den 10. Mai 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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