BT-Drucksache 18/8240

Europäische Stahlindustrie nachhaltig stärken

Vom 27. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8240
18. Wahlperiode 27.04.2016
Antrag
der Abgeordneten Kerstin Andreae, Oliver Krischer, Katharina Dröge,
Annalena Baerbock, Dieter Janecek, Bärbel Höhn, Dr. Frithjof Schmidt, Cem
Özdemir, Dr. Thomas Gambke, Dr. Julia Verlinden, Harald Ebner, Anja Hajduk,
Britta Haßelmann, Sven-Christian Kindler, Markus Kurth, Dr. Tobias Lindner,
Peter Meiwald, Beate Müller-Gemmeke, Omid Nouripour, Markus Tressel und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Europäische Stahlindustrie nachhaltig stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die europäische Stahlindustrie ist ein wichtiger Werkstofflieferant für die industri-
ellen Wertschöpfungsketten und von strategischer Bedeutung für die Wirtschaft in
Deutschland und Europa. Klimafreundliche, innovative und wettbewerbsfähige
Stahlproduzenten sind unverzichtbar für die ökologische Modernisierung der Indus-
trie. In der deutschen Stahlindustrie sind rund 90.000 Menschen beschäftigt. Hinzu
kommen über 100.000 Beschäftigte bei Zulieferern und Dienstleistern. In den stahl-
intensiven Branchen sind insgesamt 3,5 Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
beschäftigt.
Der Bundestag verfolgt mit großer Sorge die aktuelle Entwicklung auf dem globalen
Stahlmarkt. Die Hütte brennt. Die europäische Stahlindustrie leidet schon seit Jahren
unter Überkapazitäten. Die Lage hat sich für die Branche nun aber weiter verschärft,
weil es wegen der schwächelnden Wirtschaft in Russland und China wachsende
Überkapazitäten gibt und beide Länder ihren subventionierten Stahl auf den Welt-
markt drücken, dessen Preis weit unter den Herstellungskosten liegt. Diese Überka-
pazitäten treffen auf eine sinkende Nachfrage. Die Überkapazitäten der chinesischen
Stahlindustrie betragen fast das Doppelte des jährlichen Produktionsvolumens der
europäischen Stahlindustrie. Die weltweiten Stahlexporte sind dramatisch angestie-
gen. Bei bestimmten Stahlerzeugnissen sind die Marktpreise um 40 Prozent einge-
brochen. Die chinesischen Produzenten sind tief in der Verlustzone. Sie wurden bis-
her durch Kredite am Leben erhalten. Der eingeleitete Abbau von Kapazitäten wird
angesichts der Dimension der Überkapazitäten keine Entspannung bringen.
Stahlerzeugnisse aus hocheffizienten deutschen und europäischen Anlagen werden
so vom Markt verdrängt. In China bläht sich gleichzeitig eine bedrohliche Verschul-
dungsblase auf. Die Europäische Kommission spricht in ihrer jüngsten Mitteilung
von einer beispiellosen Welle unlauterer Handelspraktiken. Darin liegt der Kern des
Problems, vor dem die Branche steht und bei dem die deutsche und europäische Po-
litik entschlossen helfen muss. Es braucht nun schnellstens faire Wettbewerbsbedin-
gungen auf dem globalen Stahlmarkt.

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Der unfaire Wettbewerb auf dem Stahlmarkt bedroht tausende Arbeitsplätze in der
deutschen und europäischen Stahlindustrie und wichtige Fortschritte in Bezug auf
Ressourceneffizienz und CO2-Reduktion.
15 Jahre nach Chinas Beitritt zur WTO läuft Ende 2016 nun die damit verbundene
Übergangsfrist aus. Es ist zu erwarten, dass die Europäische Union damit China den
Marktwirtschaftsstatus zuerkennen wird. Dadurch würden Antidumpingmaßnahmen
der Europäischen Union gegen chinesische Produzenten zusätzlich erschwert. China
erfüllt von den fünf Kriterien, die die EU an den Status einer Marktwirtschaft stellt,
nur ein einziges. Eine bedingungslose Anerkennung kann es somit nicht geben. Die
Bundesregierung muss auf Verhandlungen mit China im Rahmen der WTO drängen.
Europa muss sich dabei eng mit anderen großen Handelspartnern wie den USA und
Kanada abstimmen.
Ambitionierte Klimaschutzpolitik muss Teil der Lösung für die Probleme der euro-
päischen Stahlindustrie sein. Der Emissionshandel taugt nicht als Sündenbock für
die aktuellen Herausforderungen der Stahlindustrie. Der Deutsche Bundestag weist
klar und deutlich alle Versuche zurück, die Klimaschutzpolitik und die Energie-
wende für die Probleme der Stahlindustrie verantwortlich zu machen. Ökologische
Modernisierung heißt Windkraftanlagen, Gebäudesanierung, nachhaltige Mobilität
und Verkehrsinfrastruktur. All das braucht intelligente Stahlprodukte. So steckt bei-
spielsweise in einer Windturbine so viel Stahl wie in 500 Autos.
Die Stahlindustrie hat in der Vergangenheit wichtige Fortschritte in Bezug auf Res-
sourceneffizienz und CO2-Reduktion gemacht. Wir erkennen diese Leistung an. Die-
ser Weg ist aber nicht zu Ende, sondern muss konsequent fortgeführt werden. Die
Stahlindustrie wurde auf diesem Weg seitens der Politik und der öffentlichen Hand
stets unterstützt. Sie hat von 2005 bis 2012 von der Ausgestaltung des Emissions-
handels profitiert und insgesamt Emissionszertifikate im Wert von 5,3 Mrd. Euro
kostenlos erhalten. Mindestens bis 2020 besteht durch die Überausstattung mit Zer-
tifikaten zudem kein Zukaufbedarf an Emissionszertifikaten. Hinzu kommen jähr-
lich zweistellige Millionenhilfen in Form einer Strompreiskompensation aus den Er-
steigerungserlösen des Emissionshandels bei gleichzeitig sinkenden Industriestrom-
preisen aufgrund des Ausbaus der erneuerbaren Energie.
China hat angekündigt, ab 2017 selbst ein nationales Emissionshandelssystem einzu-
führen, das etwa 10.000 Unternehmen aus acht Sektoren einbeziehen soll, darunter
auch die Stahlbranche. Hier kann die europäische Stahlindustrie jetzt von dem
Know-how profitieren, das sie sich als Teil des europäischen Emissionshandels über
Jahre aneignen konnte. Die Europäische Union muss China auf dem Weg zu einem
wirksamen Emissionshandel unterstützen.
Der Bundestag spricht sich für faire Wettbewerbsbedingungen auf dem globalen
Stahlmarkt aus. Sowohl Preis- als auch Ökodumping muss unterbunden werden.
Dies ist eine zentrale handels-, industrie- und klimapolitische Herausforderung. Die
Klimaverpflichtungen von Paris erfordern auch weiterhin Investitionen in hocheffi-
ziente und klimafreundliche Anlagen und Innovationen in neue Werkstoffe. Klima-
schutz ist ein Innovationstreiber, der die ökologische Modernisierung der Wirtschaft
voranbringt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich für den Erhalt einer starken, innovativen und wettbewerbsfähigen Stahlindustrie
einzusetzen, um unter Berücksichtigung der Klimaschutzverpflichtungen aus dem
Abkommen von Paris eine umweltfreundliche und klimaneutrale europäische Stahl-
produktion zu ermöglichen. Dafür ist es notwendig,
1. mit aller Entschlossenheit die EU-Kommission zu unterstützen, die handelspoli-

tischen Schutzinstrumente zu stärken und weiterzuentwickeln. Die Europäische
Kommission und das Europäische Parlament haben hierzu konkrete Vorschläge

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unterbreitet. Dazu gehören Maßnahmen wie schriftliche Konsultationen und ein-
geschränkte Fristverlängerungen, die helfen, die Verfahren zu beschleunigen so-
wie die Aussetzung der Regel des niedrigeren Zolls, nach dessen Prinzip die EU
Zölle verhängt, die unterhalb der Dumpingspanne liegen, sofern diese ausrei-
chen, um den Dumpingschaden auszugleichen. Die Bundesregierung wird aufge-
fordert, die Kommission nachdrücklicher als bisher bei der Durch- und Umset-
zung dieser Maßnahmen zu unterstützen. Die Blockade der nötigen Maßnahmen
im Europäischen Rat muss schnellstens überwunden werden;

2. sich im Rahmen des eingeleiteten OECD-Dialogs für den Abbau der globalen
Überkapazitäten einzusetzen und das Thema auf die Agenda ihrer G20-Präsident-
schaft zu setzen;

3. einer bedingungs- und vorbehaltlosen Erteilung des Marktwirtschaftsstatus für
die Volksrepublik China zu widersprechen und umgehend gemeinsam mit der
EU-Kommission und dem Europäischen Rat und wichtigen internationalen Han-
delspartnern eine Strategie vorzulegen, welche die notwendige Grundlage für er-
folgreiche Verhandlungen mit China in dieser Frage bilden kann. Gleichzeitig
muss gegenüber der chinesischen Regierung deutlich gemacht werden, dass sie
die Reformen einleitet und umsetzt, die gemäß den Vorgaben der Europäischen
Kommission für die Verleihung des Marktwirtschaftsstatus notwendig sind;

4. eine auf nationaler und europäischer Ebene auf Innovationen fokussierte Moder-
nisierungsstrategie vorzulegen mit dem Ziel, Europas Stahlindustrie zum Tech-
nologieführer in Sachen Emissionsminderung, Energie- und Materialeinsparung,
Recycling und Sektor übergreifende Kooperationen, zum Beispiel mit der Che-
mieindustrie, zu machen. Investitionen in Forschung und Entwicklung sollten so-
wohl aus den nationalen Budgets als auch vom Europäischen Investitionsfonds
(EFSI) gefördert und an die genannten Ziele gekoppelt werden;

5. den Emissionshandel zu einem „schlanken“ und wirksamen marktwirtschaftli-
chen Klimaschutzinstrument weiterzuentwickeln. Vor diesem Hintergrund for-
dert der Bundestag die Bundesregierung auf, sich gegen das Prinzip der kosten-
losen Zuteilung von Emissionszertifikaten einzusetzen und so bürokratische Zu-
teilungsregeln, Benchmarks und Kürzungsfaktoren überflüssig zu machen. Statt-
dessen müssen Unternehmen, die durch unfaire Wettbewerbspraktiken und Stan-
dard-dumping benachteiligt werden. in geeigneter Weise unterstützt werden;

6. China bei der angekündigten Etablierung eines eigenen Emissionshandels zu un-
terstützen und die Verknüpfung der Handelssysteme zu forcieren.

Berlin, den 26. April 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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