BT-Drucksache 18/7549

Rechte von Kindern im Asylverfahren stärken

Vom 17. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7549
18. Wahlperiode 17.02.2016
Antrag
der Abgeordneten Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner, Beate
Walter-Rosenheimer, Volker Beck (Köln), Kai Gehring, Britta Haßelmann,
Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu,
Dr. Konstantin von Notz, Claudia Roth (Augsburg), Corinna Rüffer,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rechte von Kindern im Asylverfahren stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Flüchtlingskinder sind besonders schutzbedürftig – unabhängig davon, ob sie unbe-
gleitet oder mit ihren Eltern nach Deutschland kommen. Sie haben fast alles Ver-
traute verloren und häufig Traumatisierendes gesehen oder erlebt. Für Kinder sind
Monate und wenige Jahre prägend für ihr weiteres Leben. Auch deshalb ist es un-
verantwortlich, den Eltern- und Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem
Schutz zwei Jahre auszusetzen. Die Trennung von Eltern und Kindern verstößt ge-
gen das Grundrecht auf Schutz der Familie (Art. 6 GG) und führt dazu, dass unbe-
gleitete Minderjährige in Deutschland ohne ihre Eltern aufwachsen müssen oder
Kinder versuchen, unter lebensbedrohlichen Zuständen zum geflüchteten Elternteil
nachzureisen. Auf der Flucht sind Kinder und Jugendliche häufig traumatischen Er-
lebnissen ausgesetzt. Sie erleben Ausbeutung und Gewalt. Deshalb ist es für sie be-
sonders wichtig, dass Asylverfahren zügig durchgeführt und ihre Schutzbedarfe um-
fassend und gründlich geprüft werden, um ggfs. so bald wie möglich mit einer si-
cheren Aufenthaltsperspektive einen Neuanfang in Deutschland beginnen zu kön-
nen.
Geflüchtete Kinder und Jugendliche erfahren im Asylverfahren bislang jedoch nur
geringe Aufmerksamkeit: Entweder werden sie vom Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) nicht selbst angehört oder ihre Eltern beteiligen sie nicht am
Verfahren. Unter 18-Jährige werden, sofern sie nicht allein geflohen sind, im Asyl-
verfahren zusammen mit ihren Eltern erfasst. Oftmals machen die Eltern von dem
Recht Gebrauch, auf die individuelle Befragung ihrer Kinder zu verzichten, um sie
zu schonen. Dabei dürfte ihnen allerdings in der Regel nicht bewusst sein, dass kin-
derspezifische Gründe für das Asylverfahren eine Rolle spielen.
Es gibt eine Vielzahl von asylrelevanten Gründen, die in einer Gefährdung der Kin-
der selbst liegen können, sogenannte kinderspezifische Fluchtgründe: drohende
Zwangsverheiratung, Sippenhaft, Zwangsrekrutierung als Kindersoldaten, Be-
schneidung, innerfamiliäre Gewalt, Kinderprostitution oder Verletzungen von wei-
teren Rechten, die sich aus der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) oder ande-
ren Menschenrechtskonventionen ergeben. Bislang werden diese Fluchtgründe im

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Asylverfahren vom BAMF, aber auch von Verwaltungsgerichten nur rudimentär und
keinesfalls ausreichend beachtet.
Im Vergleich zu anderen Verfahren mit Beteiligung von Kindern (z. B. das familien-
gerichtliche Verfahren) gibt es im Asylverfahren keine klaren Richtlinien, wie Kin-
der anzuhören sind. Separate Schulungen zur Anhörung beim BAMF gibt es für die
Sonderbeauftragten für unbegleitete Minderjährige, traumatisierte Asylbewerber
oder geschlechtsspezifisch Verfolgte. Es gibt aber keine Schulungen der BAMF-Be-
diensteten zur speziellen Anhörung von Kindern. Aber auch wenn sie nicht angehört
werden, sind Kinder häufig in den Anhörungen ihrer Eltern dabei, weil es keine ge-
regelte Betreuung in den Behörden gibt. Sie müssen hören, was ihre Eltern erlebt
haben, was ihnen angetan wurde, wie sie über erlebte Verfolgung oder Gewalt be-
fragt werden. Das kann die Kinder unter enormen Stress setzen oder aber auch dazu
führen, dass die Eltern vor ihren Kindern nicht alles offen sagen.
Es ist begrüßenswert, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zurzeit per-
sonell besser ausgestattet wird. Entscheiderinnen und Entscheider müssen besser da-
rin qualifiziert sein, altersgemäße Anhörungen durchzuführen und kinderspezifische
Ansprüche auf internationalen Schutz sicher zu identifizieren.
Zu einem fairen und effizienten Asylverfahren gehört auch eine kompetente kosten-
freie rechtliche Beratung im Vorfeld. Eltern und Kinder müssen wissen, was in ei-
nem Asylverfahren auf sie zukommt. Hier kommt allen Akteuren die Verantwortung
zu, Kinder über das Asylverfahren altersgerecht zu informieren. Der Bedarf an einer
umfassenden Beratung ist für Flüchtlinge insbesondere kurz nach ihrer Einreise und
ihrer Ankunft in Deutschland besonders hoch. Die unabhängigen Asylverfahrensbe-
raterinnen und -berater der Wohlfahrtsverbände und NGOs leisten wichtige Arbeit,
sodass asylsuchende Kinder, Jugendliche und Erwachsene sich über den Ablauf und
Inhalt des Asylverfahrens informieren oder sich zu sozial- und aufenthaltsrechtli-
chen Fragen beraten lassen können. Die unabhängige Asylverfahrensberatung muss
nicht nur an bestehenden Standorten altersgerecht ausgebaut, sondern auch auf die
neu entstehenden Erstaufnahmeeinrichtungen ausgeweitet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

• das Kindeswohl als zentralen Moment in allen ausländerrechtlichen und asyl-
rechtlichen Verfahrensschritten gemäß den Vorgaben der Kinderrechtskonven-
tion vorrangig zu berücksichtigen. Insbesondere in den Durchführungsverord-
nungen und den für die Ausländerbehörden verbindlichen Verwaltungsvorschrif-
ten zu den einschlägigen Gesetzen müssen klare Regelungen zur Beachtung und
Umsetzung des Kindeswohls festgelegt werden;

• das Vorliegen kinderspezifischer Verfolgungsgründe stärker als bisher in die Be-
urteilung über die Gewährung eines Schutzstatus durch das BAMF oder durch
die Verwaltungsgerichte zu berücksichtigen;

• beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Verfahren zu schaffen, um
Flüchtlingskinder altersgerecht zu hören und zu beteiligen. Um kinderspezifische
Fluchtgründe zu erkennen und ausreichend zu beachten, braucht es dementspre-
chend pädagogisches beziehungsweise psychologisches Fachpersonal im Bun-
desamt für Migration und Flüchtlinge;

• während der Anhörungen der Eltern eine Kinderbetreuung vorzuhalten;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7549
• die Arbeit der unabhängigen Asylverfahrensberatung bei der Vorbereitung auf

die Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge finanziell zu
stärken.

Berlin, den 16. Februar 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Faktion

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