BT-Drucksache 18/7548

Reform der Wahl für die obersten Bundesgerichte

Vom 17. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7548
18. Wahlperiode 17.02.2016
Antrag
der Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Britta
Haßelmann, Renate Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu,
Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Reform der Wahl für die obersten Bundesgerichte

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte ist entscheidend für die Rechts-
auslegung, die richterliche Rechtsfortbildung und das Entstehen einheitlicher Recht-
sprechung. Daher ist die Besetzung der obersten Bundesgerichte für die Justiz und
den deutschen Rechtsstaat von entsprechend hoher Relevanz.
Die Wahl von Bundesrichterinnen und Bundesrichtern erfolgt in einem verfassungs-
rechtlichen Spannungsverhältnis zwischen dem Grundsatz der Bestenauslese (Arti-
kel 33 Absatz 2 Grundgesetz) und dem Erfordernis der demokratischen Legitimation
(Artikel 95 Absatz 2 Grundgesetz). Der Wahlausschuss trifft nach dem Richterwahl-
gesetz die Entscheidung über die Besetzung der Richterposten in geheimer Abstim-
mung mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Er setzt sich aus den 16 jeweils
zuständigen Landesministerinnen und Landesministern sowie 16 vom Bundestag ge-
wählten Mitgliedern zusammen.
An ein oberstes Bundesgericht kann jedoch nicht jede Richterin oder jeder Richter
gewählt werden, da Kandidatinnen und Kandidaten sich nicht eigeninitiativ bewer-
ben können. Es bedarf immer eines Vorschlags zur Wahl durch die Mitglieder des
Wahlausschusses oder durch die Bundesministerin oder den Bundesminister der Jus-
tiz und für Verbraucherschutz. Die Aufnahme von Richterinnen und Richtern sowie
Staatsanwältinnen und Staatsanwälten auf die Vorschlagslisten für die Bundesge-
richte erfolgt aber nach unklaren Kriterien, sodass die Einhaltung des Prinzips der
Bestenauslese schwer nachprüfbar ist. Auch bleibt unklar, welchen Einfluss die Exe-
kutive, vertreten durch die jeweilig zuständigen Landesministerinnen und -minister,
bei den Vorschlägen und Wahlen hat.
Die Intransparenz des Verfahrens hat nicht nur Einfluss auf das Ansehen der Justiz,
sondern zieht direkte Folgen für die Bundesgerichtshöfe nach sich. Zunehmend rei-
chen nicht ausgewählte Konkurrenten Klagen ein. Die anschließenden Verfahren zur
Entscheidung über die Konkurrentenklage dauern oft lang. Da während des Verfah-
rens keine Nachbesetzung erfolgen kann, kann die Funktionsfähigkeit der obersten
Bundesgerichte in nicht unerheblichem Maße beeinträchtigt sein.

Drucksache 18/7548 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Neben der Intransparenz hat sich ein weiteres großes Problem bei der Besetzung der
Stellen an den obersten Bundesgerichten herauskristallisiert: die fehlende Chancen-
gleichheit für Frauen. 2015 sind nur 36 von 130 Richter am Bundesgerichtshof weib-
lich (28 Prozent), am Bundessozialgericht nur 26 Prozent und am Bundesfinanzhof
sogar nur 22 Prozent. Die Unterrepräsentanz von Frauen besteht schon im Vorfeld
auf den Vorschlagslisten der zur Wahl stehenden Personen.
Es bedarf einer Reform des Wahlverfahrens, um durch Transparenz nachvollzieh-
bare Wahlentscheidungen, mehr Glaubwürdigkeit und Chancengleichheit zu errei-
chen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf zur Reform der Bundesrichterwahl vorzulegen, der

1. die verpflichtende Ausschreibung von freien Stellen an den Bundesgerichten vor-
sieht und zumindest Interessenbekundungsverfahren einführt. Über die Auswahl
der Kandidatinnen und Kandidaten für die Vorschlagsliste entscheiden die Lan-
desministerien. Sie können dafür eine Kommission einsetzen. Die zuständigen
Gleichstellungsbeauftragten sind im gesamten Verfahren zu beteiligen;

2. ein Anforderungsprofil mit verbindlichen Grundanforderungen festlegt, wie bei-
spielsweise vertiefte Fachkenntnisse auf dem Gebiet des jeweiligen Bundesge-
richts;

3. eine quotierte Vorschlagsliste vorschreibt, sodass für jede zu besetzende Stelle
jeweils eine Frau und ein Mann vorgeschlagen werden;

4. ein einheitliches Bewertungssystem einführt, anhand dessen die Präsidialräte die
persönliche und fachliche Eignung der vorgeschlagenen Kandidatinnen oder
Kandidaten beurteilen. Deren Stellungnahme wird nur auf Wunsch der Kandida-
tin oder des Kandidaten zur Personalakte genommen;

5. zwischen den formellen Wahlterminen eine vorbereitende Sitzung der Berichter-
statterInnen zum Austausch über die vorgeschlagenen Kandidatinnen und Kan-
didaten stattfindet. Allen zur Wahl stehenden Richterinnen und Richtern ist
ein/eine BerichterstatterIn aus dem Kreis der Mitglieder des Wahlausschusses
zugeordnet. Bei Bedarf können die Kandidatinnen und Kandidaten zu einer per-
sönlichen Anhörung in die vorbereitende Sitzung eingeladen werden;

6. eine Zielvorstellung zur Repräsentation aller Bundesländer an den jeweiligen
Bundesgerichten vorgibt;

7. die Einrichtung von Teilzeitstellen an den Bundesgerichten fördert;
8. für Konkurrentenklagen den Sitz des jeweiligen Bundesgerichtes vorsieht, aber

den Instanzenzug erhält.

Berlin, den 16. Februar 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7548
Begründung

Für mehr Transparenz muss als erstes der Zugang zum Bundesrichterwahlverfahren weiter geöffnet werden.
Von der grundsätzlich entsprechend geltenden Ausschreibungspflicht für Beamtenstellen des Bundes besteht
durch Beschluss des Bundespersonalausschusses (1954/1957) für Stellen an den obersten Gerichtshöfen eine
Ausnahme. Das führt dazu, dass potentielle Kandidatinnen und Kandidaten oft gar keine Kenntnis von den
vakanten Stellen erlangen. Daher sollen die freien Stellen an den Bundesgerichten in Zukunft bekannt gemacht
und ein Interessenbekundungsverfahren verpflichtend eingeführt werden. Solche Interessenbekundungsverfah-
ren führen auf freiwilliger Basis beispielsweise bereits Hamburg und Niedersachsen durch. Die Auswahl der
geeignetsten Kandidatinnen und Kandidaten für die Vorschlagsliste soll durch eine in den jeweiligen Landes-
ministerien (Justiz oder Arbeit oder Soziales) eingerichtete Kommission erfolgen. In dieser Kommission sollen
nicht nur – im Gegensatz zur aktuellen Situation – die Exekutive, bzw. die Landesministerin oder -minister,
vertreten sein, sondern zusätzlich Vertreterinnen und Vertreter der Judikative; insbesondere kämen hierfür Ver-
treter oder Vertreterinnen der Oberlandesgerichte und Generalstaatsanwaltschaften in Frage. Zusätzlich sollte
die jeweils zuständige Gleichstellungsbeauftragte schon im Verfahren der Listenaufstellung beteiligt werden.
Das Vorschlagsrecht der gewählten Mitglieder des Wahlausschusses bleibt daneben erhalten.
Zusätzlich müssen die Kriterien, anhand deren Kandidatinnen und Kandidaten vorgeschlagen und ausgewählt
werden, näher bestimmt werden. Dazu muss ein verbindliches Grundanforderungsprofil gesetzlich verankert
werden, das beispielsweise folgende Qualifikationen umfassen sollte: vertiefte Fachkenntnisse auf dem Gebiet
des jeweiligen Bundesgerichts sowie soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit und kommunikative Kompetenz.
Die vertieften Fachkenntnisse können durch wissenschaftliche Publikationen, Kommentierungen oder Praxiser-
fahrung nachgewiesen werden. Einer Umgehung des Prinzips der Bestenauslese wird durch die Konkretisierung
der Qualifikationsanforderungen vorgebeugt. Das verbindliche Grundanforderungsprofil muss dabei kein Über-
maß an Detailreichtum bieten, um neben hoher Qualität eine Vielfältigkeit an den Bundesgerichten weiterhin
zu ermöglichen. Ein gewisser dadurch verbleibender Spielraum bei der Auswahl der Kandidatinnen und Kan-
didaten durch die Mitglieder des Bundesrichterwahlausschusses ist als gerechtfertigt anzusehen, da der Wahl-
ausschuss demokratisch legitimiert ist.
Die Vorschlagslisten müssen für jede zu besetzende Stelle jeweils Repräsentanten beider Geschlechter vorse-
hen. An keinem der obersten Bundesgerichte gibt es ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen der Anzahl der
Richterinnen und Richter. Bei der Wahl im März 2015 sind zwar immerhin 44 Prozent der Stellen an künftige
Bundesrichterinnen gegangen, aber fünf Stellen am Bundesverwaltungsgericht sind ausschließlich mit Richtern
besetzt worden. Es werden zu wenige qualifizierte und geeigneten Richterinnen gefragt und dann auch vorge-
schlagen, vor allem für das Bundesverwaltungsgericht mit nur zwei Richterinnen unter 17 Kandidaten
(http://www.djb.de/Themen/RoteRoben/). Daher muss bereits bei den Vorschlagslisten angesetzt werden, um
die künftige Besetzung der Stellen an den Bundesgerichten je zur Hälfte mit Männern und Frauen zu gewähr-
leisten. Es bedarf einer quotierten Liste, auf der für jede zu besetzende Stelle jeweils eine Frau und ein Mann
vorgeschlagen werden. Damit würde zum einen die Umsetzung des Artikels 3 Absatz 2 GG befördert, nach dem
der Staat auf die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und die Beseiti-
gung bestehender Nachteile hinzuwirken hat. Zum anderen entspricht dies der internationalen Tendenz, wie
z. B. der Richterwahl des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und künftig auch des Europäischen
Gerichtshofs, für deren Besetzung die Vorschlagslisten der Konventionsstaaten jeweils Repräsentanten beider
Geschlechter enthalten müssen. Um die Chancengleichheit bei den Wahlen zu den Bundesgerichten abzusi-
chern, soll eine Gleichstellungsbeauftragte in jedem Teil des Verfahrens beteiligt werden.
Zudem soll die Beteiligung der Präsidialräte vereinheitlicht werden. Die Präsidialräte sind als Gremien in den
jeweiligen obersten Bundesgerichten ein wesentlicher Bestandteil im Verfahren zur Beurteilung der Eignung
der vorgeschlagenen Kandidatinnen und Kandidaten. Ihr Votum ist zur fachlichen Bewertung erforderlich. Ihre
Stellungnahmen sollten jedoch nach einem einheitlichen System erfolgen. Um Richterinnen und Richter nicht
von einer Interessenbekundung abzuhalten, sollten die Stellungnahmen der Präsidialräte nur dann Teil der Per-
sonalakte werden, wenn die Kandidatin oder der Kandidat dies wünscht.
Die Mitglieder des Ausschusses sollten ihre Wahl der Bundesrichterinnen und -richter nicht nur anhand der
Aktenlage treffen müssen. Die Anhörung der Kandidatinnen und Kandidaten allein vor den Präsidialräten ist
dem Verfahren nicht angemessen. Vielmehr sollten auch die Ausschussmitglieder die Möglichkeit haben, sich
ein vertieftes Bild über die Persönlichkeit der Vorgeschlagenen zu machen. Dazu bedarf es einer der Wahl

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vorbereitenden Sitzung, in der die BerichterstatterInnen über die ihnen nach dem Zufallsprinzip zugewiesenen
Kandidatinnen und Kandidaten berichten. Jede Kandidatin oder Kandidat ist dabei einem Mitglied des Aus-
schusses zugeteilt, welches sich vor der Sitzung mit den ihr zugeteilten Personen in Verbindung setzt, um sich
ein persönliches Bild zu machen. Der Bericht an die Mitglieder des Wahlausschusses kann durch Vertreter
erfolgen. Sollte es erforderlich sein, können die Kandidatin oder der Kandidat in die vorbereitende Sitzung des
Ausschusses eingeladen werden, um den Bericht durch eine Nachfragemöglichkeit abzurunden.
Bei der Stellenbesetzung sollte in Anlehnung an Artikel 36 Grundgesetz eine gleichmäßige Repräsentation der
Bundesländer berücksichtigt werden. Die sogenannten Landesquoten orientieren sich an den Bevölkerungszah-
len der Bundesländer. Über- oder Unterschreitungen der festgelegten Werte sind zwar zulässig, jedoch ist bei
einer erheblich höheren Zahl der von einem Bundesland besetzten Stellen im Vergleich zu den eigentlich nach
der Landesquote zustehenden Stellen die Wahl einer Kandidatin oder eines Kandidaten aus dem überrepräsen-
tierten Bundesland weniger wahrscheinlich. Die Landesquote gewinnt im Rahmen des einzuführenden Interes-
senbekundungsverfahrens an neuer Bedeutung. Bereits bei der Bekanntmachung der an den Bundesgerichtshö-
fen frei werdenden Stellen sind die Landesquoten mitzuteilen und deren Über- oder Unterschreitung erkennbar
darzustellen. So ist für die Interessenten ersichtlich, an welchem der Bundesgerichte überhaupt Vakanzen für
ihr jeweiliges Bundesland bestehen und eine eigene Einschätzung der Erfolgschancen einer Interessenbekun-
dung für die jeweiligen Wahldurchgänge möglich. Die Aufnahme der Zielvorstellung soll hierbei genügen.
Über- oder Unterschreitungen sollen weiterhin zulässig sein, da starre Quoten den Grundsatz der Bestenauslese
aushebeln würden.
Richterinnen und Richter an den obersten Bundesgerichten können ihr Amt, beispielsweise aus familiären Grün-
den, in Teilzeit ausüben. Da gewährleistet sein muss, dass eine Teilzeittätigkeit jederzeit beendet werden kann,
müssen haushaltsrechtlich Stellen mit dem Vermerk Teilzeit vorgesehen werden.
Sieht sich eine Kandidatin oder ein Kandidat im Verfahren benachteiligt, soll die Möglichkeit der Klage gegen
die Auswahlentscheidungen erhalten bleiben. Ebenso bedarf es keines gesonderten Rechtsmittelverfahrens für
diese Klagen. Es bietet sich jedoch an, für eine zügige einheitliche Rechtsprechung anstelle des Wohnorts der
streitenden Parteien den Sitz des Bundesgerichts für die örtliche Zuständigkeit festzulegen.

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