BT-Drucksache 18/6817

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/5500, 18/5502, 18/6124, 18/6125, 18/6126 - Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016)

Vom 24. November 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6817
18. Wahlperiode 24.11.2015

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Sven-Christian Kindler, Ekin Deligöz, Anja Hajduk,
Dr. Tobias Lindner, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Christian
Kühn (Tübingen), Sylvia Kotting-Uhl, Dr. Valerie Wilms, Dr. Julia Verlinden,
Kerstin Andreae, Harald Ebner, Dr. Thomas Gambke, Matthias Gastel, Kai
Gehring, Uwe Kekeritz, Oliver Krischer, Stephan Kühn (Dresden), Steffi Lemke,
Peter Meiwald, Friedrich Ostendorff, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg),
Corinna Rüffer, Dr. Gerhard Schick, Dr. Frithjof Schmidt, Markus Tressel,
Jürgen Trittin, Doris Wagner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung

– Drucksachen 18/5500, 18/5502, 18/6124, 18/6125, 18/6126 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2016
(Haushaltsgesetz 2016)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Grüner Klimaschutzhaushalt – nationalen und internationalen Klimaschutz fair, ver-
bindlich und langfristig finanzieren

Nach dem Nachhaltigkeitsgipfel in New York, bei dem mit den Sustainable Develo-
pment Goals ein neuer Rahmen für globale Gerechtigkeit und Klimaschutz verab-
schiedet wurde, stellt der bevorstehende Klimagipfel in Paris nun wichtige Weichen,
um die Klimakrise einzudämmen und ihre Folgen in der Zukunft beherrschbar zu
machen. Dabei ist entscheidend, ob es gelingt, ein Abkommen zu verabschieden, das
sowohl die Industrienationen des globalen Nordens, welche die Klimakrise verur-
sacht haben, als auch die Schwellen- und Entwicklungsländer verpflichtet, die not-
wendigen Maßnahmen umzusetzen, um das 2-Grad-Limit noch einhalten zu können.
Durch die Versäumnisse und die Unfähigkeit zur Einigung hat die Klimakrise in-
zwischen ein Ausmaß angenommen, das weltweit immer deutlicher spürbar wird.
Naturkatastrophen wie Flutwellen, Überschwemmungen, Wirbelstürme sowie
Hitze- und Dürrewellen haben deutlich zugenommen und das Jahr 2015 ist auf dem
Weg, das wärmste jemals gemessene zu werden. Um das Schlimmste zu verhindern,
muss die globale Erwärmung auf höchstens 2 Grad begrenzt werden. Doch mit den
bislang vorliegenden Absichtserklärungen der Staaten zur Reduzierung der Treib-
hausgasemissionen bewegt sich die Erde auf einen Temperaturanstieg von
2,7 - 3,5 Grad zu. Selbst wenn im besten Falle eine Begrenzung auf 2,7 Grad erreicht
würde, ist das zu wenig, um einen gefährlichen Klimawandel noch abzuwenden.

Drucksache 18/6817 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Zusagen für die internationale Klimafinanzierung einhalten

Entsprechend ist der Klimagipfel in Paris eine wichtige Etappe. Die Welt braucht
ein Klimaschutzabkommen, denn beim Schutz des Klimas gibt es keine Alternative
zur globalen Zusammenarbeit. Die Klimakrise und ihre Folgen können nur gemein-
sam eingedämmt werden. Entsprechend des Prinzips der gemeinsamen, aber unter-
schiedlichen Verantwortung und des Verursacherprinzips heißt das, dass sich Indust-
rieländer wie Deutschland einerseits darauf verpflichten müssen, ihre Emissionen
strikt zu reduzieren und ihre Ökonomien sozial-ökologisch umzubauen. Andererseits
müssen sie die Entwicklungsländer insbesondere bei der Anpassung, beim Klima-
schutz und beim Schutz der biologischen Vielfalt unterstützen. Damit die Entwick-
lungsländer auf eine nachhaltige und klimafreundliche Entwicklung setzen und auf
den umwelt- und klimaschädlichen Umweg über fossile Ressourcen verzichten,
brauchen sie unsere Unterstützung. Die Industrienationen müssen dafür in einem
ersten Schritt konkrete, angemessene und verbindliche Finanzzusagen bis 2020 ma-
chen. Nur unter der Voraussetzung finanzieller Unterstützung sowie technischer Zu-
sammenarbeit wird die Entwicklung des globalen Südens umwelt- und klimaverträg-
lich erfolgen. Bislang haben die Industrienationen – darunter auch Deutschland –
diese Aufgabe nicht erfüllt. Auch die große Koalition rechnet die Verantwortung
Deutschlands für den globalen Klimaschutz klein. Schönen Worten der Bundeskanz-
lerin folgen schmutzige Taten. Auf die in der Abschlusserklärung des G7-Gipfels in
Elmau angekündigte Dekarbonisierung der Wirtschaft folgte in Deutschland jüngst
die Einführung einer Kohlereserve, die zur Abschaltung vorgesehenen Braunkohle-
kraftwerken auf Kosten der Stromkunden neue Milliardensubventionen zuschiebt.
Anstatt das Klima und die Umwelt zu schützen, vergoldet die Bundesregierung den
Energieversorgungsunternehmen ihre ältesten und schmutzigsten, längst abgeschrie-
benen Kohlemeiler mit rund 1,6 Mrd. Euro.

Auch die von Angela Merkel bereits im Mai 2015 auf dem VI. Petersberger Klimadi-
alog angekündigte Verdopplung der deutschen Klimaschutzgelder ist substanzlos
geblieben. Die beiden für die internationale Klimafinanzierung zuständigen Bundes-
ministerien, das BMZ und das BMUB, haben noch immer keinen verbindlichen Auf-
wuchsplan vorgelegt und so ist die Bundesregierung unmittelbar vor dem wichtigs-
ten internationalen Klimagipfel seit Kopenhagen ohne konkrete Pläne. So kann
Deutschland in den anstehenden Verhandlungen keine Impulse für einen erfolgrei-
chen Abschluss von Paris setzen.

Investitionen in den Klimaschutz zahlen sich aus

Jedes verlorene Jahr für den Klimaschutz verschärft die Klimakrise. Schon heute
wächst die Anzahl der Klimaflüchtlinge rasant an. Die Klimakrise hängt eng mit
Armuts- und Ressourcenkrisen zusammen. Darum sind globale Gerechtigkeit und
Klimaschutz nicht voneinander zu trennen.

Die Bundesrepublik Deutschland wird ihrer Verantwortung als Energiewendeland
nicht gerecht. Aktuell klafft bei der Erreichung des nationalen Klimaschutzzieles
eine Lücke von ca. 200 Mio. Tonnen CO2. Die Strategie der Bundesregierung, sich
auf Klimaschutzziele 2030 zu konzentrieren, dient offenkundig allein dazu, um zu
verschleiern, dass die bis 2020 gesetzte Emissionsreduktion um 40 Prozent nicht er-
reicht wird. Dass die bisherigen Anstrengungen der Bundesregierung zur Erreichung
der Klimaschutzziele 2020 unzureichend sind, wird immer wieder von ExpertInnen
kritisiert. Trotzdem verschiebt die Bundesregierung notwendige Korrekturen oder
verwirft sie gleich ganz. Die Politik der Großen Koalition bisher: Statt endlich den
Kohleausstieg einzuleiten und ein Klimaschutzgesetz zu verabschieden, gab es einen
Ausbaudeckel für die erneuerbaren Energien. Der medialen Selbstinszenierung der
Großen Koalition bei der Energiewende stehen eklatante Versäumnisse und zahlrei-
che klimaschädigende Entscheidungen entgegen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6817
Ökologische Finanzreform entschlossen vorantreiben

Dass der Klimaschutz im Rahmen des Regierungshandels keine Priorität hat, lässt
sich auch daran ablesen, dass die umwelt- und klimaschädlichen Subventionen unter
Angela Merkel im zurückliegenden Jahrzehnt um 10 Mrd. Euro gestiegen sind und
sich laut Umweltbundesamt inzwischen auf 52 Mrd. Euro pro Jahr summieren. Die
Förderung von Kohle, Öl, Gas und Uran mit Milliarden an öffentlichen Geldern ist
ein klima- und haushaltspolitischer Skandal. Dabei könnten mit dem konsequenten
Abbau von ökologisch schädlichen Subventionen und Steuervergünstigungen kurz-
fristig 2016 Minderausgaben bzw. Steuermehreinnahmen von mindestens 10 Milli-
arden Euro jährlich erzielt werden. Trotz dieses erheblichen Potenzials hält die Bun-
desregierung an ihrem klimaschädigenden Subventionskurs fest. Kerosin im Flug-
verkehr ist weiterhin steuerfrei, obwohl zumindest für Inlandsflüge schon kurzfristig
eine Kerosinbesteuerung eingeführt werden könnte und ein offenkundiger Bedarf an
einer stärkeren Beteiligung des Flugverkehrs an den von ihm verursachten Kli-
maschäden besteht. Die Anschaffung schwerer Dienstwagen mit einem hohen CO2-
Ausstoß wird nach wie vor durch den Bund in Form von steuerlichen Entlastungen
in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro gefördert. Auch die klimaschädliche
Nutzung der Kohle wird weiterhin subventioniert. Zudem begünstigt der Staat ener-
gieintensive Unternehmen weiterhin in Milliardenhöhe bei Strom- und Energiesteu-
ern und befreit Mineralölhersteller immer noch ganz von der Energiesteuer. Die
Steuerbefreiung für die stoffliche Nutzung von Erdgas und Erdöl kostet jährlich wei-
tere 1,6 Milliarden Euro und im Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“ (EKF)
sind trotz sinkender Börsenstrompreise für 2016 Beihilfen zur Strompreiskompen-
sation stromintensiver Unternehmen in Höhe von 245 Millionen Euro vorgesehen,
welche die notwendige Umstellung der Wirtschaft auf effizientere und umwelt-
freundlichere Maschinen und Prozesse verhindern und so das Klima schädigen.

Förderung von Energieeffizienz ist Klimaschutz

Dringender Handlungsbedarf besteht außerdem im Bereich des CO2-Zertifikatehan-
dels. Die derzeit mindestens 2 Mrd. überschüssigen Emissionszertifikate im europä-
ischen Emissionshandelssystem müssen dauerhaft vom Markt genommen werden.
Bis eine europäische Lösung erzielt ist, muss national ein Mindestpreis für Emissi-
onszertifikate von beginnend 15 Euro pro Tonne CO2 eingeführt werden. Außerdem
ist der Handlungs- und Förderbedarf im Bereich der Energiewende weiterhin groß.
Die Fortschritte, die im Strombereich gemacht wurden, müssen weiter vorangetrie-
ben werden. Mittelfristig müssen die Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Ener-
gien an der Stromerzeugung von 100 Prozent und die Erhöhung der Energieeffizienz
das Ziel sein. Zugleich muss die Energiewende auch in anderen Bereichen vorange-
trieben werden. Insbesondere im Bereich der Wärmegewinnung und -nutzung sowie
dem Verkehrssektor ist das Potenzial enorm. Die Bundesregierung hat den Wärme-
markt in den vergangenen Jahren aber sich selbst überlassen; die Ausgaben für
Wärme steigen weiter. Während ein Privathaushalt 1990 durchschnittlich 520 Euro
pro Jahr für Wärme und Warmwasser ausgeben musste, war es 2012 mit 1025 Euro
doppelt so viel. Bezahlbare Wohnungen – vor allem in den Städten – werden mehr
und mehr zur Mangelware und der Anteil der Ökowärme stagniert seit Jahren.
Wärme stammt heute immer noch vorrangig aus importierten fossilen Brennstoffen.
Die Energiewende muss aber endlich auch im Wärmesektor vorankommen. Denn
energetische Sanierung und soziale Fragen gehen nur zusammen: Wohnen muss be-
zahlbar bleiben oder wieder werden. Der richtige Weg heißt hier: Fairwärme. Mit
ganzheitlichen Sanierungsfahrplänen, die nicht nur das einzelne Gebäude, sondern
ganze Stadtviertel, Siedlungen und Dörfer betrachten. Dabei sollte das Prinzip gel-
ten: Gute Wärme ist so nah. Wärmenetze müssen vielerorts zum Fundament für die
örtliche Versorgung mit grüner Wärme aus erneuerbaren Energien und anderen
Quellen wie industrieller Abwärme oder hocheffizienter KWK werden. Außerdem
sind VerbraucherInnen durch bessere Information und mehr Transparenz auf dem
Wärmemarkt zu stärken und die Zusammenarbeit aller Akteure ist zu fördern.

Drucksache 18/6817 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Für einen klimafreundlichen Verkehrssektor

Auch im Verkehrssektor hat die Bundesregierung geschlafen. Hier entstehen 18 Pro-
zent der Emissionen. Einen wichtigen Beitrag zur Reduktion leistet die Förderung
von klimafreundlicher Mobilität wie ÖPNV sowie Rad- und Fußverkehr. Außerdem
müssen die Investitionen in das Schienennetz erhöht werden. Bei der Stärkung des
Verkehrsträgers Schiene müssen die Mittel vorrangig zur Beseitigung von Engpäs-
sen und zur Schaffung zusätzlicher Kapazitäten für den Schienengüterverkehr ein-
gesetzt werden, so dass die Voraussetzungen für die Verlagerung des Güterverkehrs
von der Straße auf die Schiene verbessert werden. Der Bundesverkehrswegeplan
2015 muss die Grundlagen schaffen, um in Deutschland einen bundesweiten integ-
ralen Taktverkehr im Schienenpersonenverkehr zu etablieren. Statt in Deutschland
weiter zusammenhanglos lokale Prestigeprojekte zu verfolgen, muss in der Ver-
kehrsinfrastrukturpolitik künftig ein definierter Bundesnetzplan Vorrang bekom-
men, der überregional bedeutsame und finanzierbare Vorhaben umsetzt und nach-
haltige Mobilität fördert. Zudem braucht es eine nachhaltige und ökologische Aus-
richtung der LKW-Maut. Der Lkw-Verkehr darf nicht länger künstlich verbilligt
werden, sondern muss für die hohen ungedeckten Kosten aufkommen, die er verur-
sacht. Absurderweise hat die Bundesregierung die LKW-Maut – mit Verweis auf ein
Wegekostengutachten und EU-Recht – sogar gesenkt. Dadurch gehen mehrere hun-
dert Millionen Euro Einnahmen für den Klimaschutz verloren. Die Wegekosten
müssen künftig an den tatsächlich ermittelten Aufwendungen für Sanierung und Er-
halt ausgerichtet werden und auch externe Kosten wie Umweltbelastungen konse-
quent heranziehen, was das EU-Recht ausdrücklich zulässt.

Das zentrale Zukunftsmodell des motorisierten Straßenverkehrs ist die Elektromo-
bilität auf Basis erneuerbarer Energien. Bisher fällt in Deutschland der gewünschte
Markthochlauf bei E-Autos aus. Das schwarz-rote Elektromobilitätsgesetz wird von
den Kommunen nicht angenommen und läuft ins Leere. Notwendig ist, dass
Deutschland den erfolgreichen Weg anderer Länder wie Norwegen, Frankreich oder
der USA einschlägt und den Kauf von Elektroautos prämiert. Weil die ökologische
Lenkungswirkung einer reinen Absatzförderung aus dem Bundeshaushalt gering ist,
muss eine Kaufförderung aufkommensneutral über den Umbau der Kfz-Steuer er-
folgen. Der Bund muss sich dagegen stärker beim Ersatz der Omnibusflotten, beim
Aufbau einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur und bei der Etablierung eines kli-
mafreundlichen innerstädtischen Lieferverkehrs engagieren.

Stromsektor: Raus aus Atom und Kohle, rein in erneuerbare Energien

Schließlich zählt auch der Atomausstieg zur Energiewende. Atomkraft erweist sich
auch über den Betrieb von AKWs hinaus als Hochrisikotechnologie. Es zeigt sich,
dass das System der Rückstellungen, über das die Energieversorgungsunternehmen
den Rückbau und die Endlagerung des atomaren Mülls finanzieren sollten, immense
Risiken in sich birgt. Zwar sind die Energiekonzerne gemäß des Verursacherprinzips
seit jeher eindeutig für die Zahlung ihrer Atomkosten verantwortlich. Die finanzielle
Vorsorge, welche die vier Konzerne für den AKW-Rückbau und Atommüll-Zwi-
schenlagerung und -Endlagerung in Form von Rückstellungen in der Summe gebil-
det haben, beläuft sich auf rund 38 Milliarden Euro. Allerdings handelt es sich dabei
nicht um krisen- und insolvenzsichere Rücklagen, sondern lediglich um einen Pas-
siva-Bilanzposten für die Atom-Kosten, die die Konzerne im Laufe der nächsten
Jahre und Jahrzehnte erwarten. Eine eingehende Richtigkeitsprüfung durch eine un-
abhängige Stelle erfolgt nicht. Zudem handelt es sich um Momentaufnahmen, bei
denen erhebliche Wertberichtigungen auch kurzfristig nicht ausgeschlossen sind. Im
Falle eines AKW-Unfalls, für dessen Folgen der Betreiberkonzern mit seinem ge-
samten Vermögen haften muss, wäre sogar nicht ausgeschlossen, dass diese Mo-
mentaufnahmen schlagartig obsolet wären.

Verschärft wird dieses Risiko seitens der Energieversorger dadurch, dass die tatsäch-
lichen Gesamtkosten, die für Entsorgung anfallen werden, nicht seriös zu beziffern

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/6817
sind. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass mit deutlichen Kostensteigerungen
gerechnet werden muss und selbst eine Verdopplung nicht sicher auszuschließen ist.
Bis das letzte Atommüllfass unter der Erde ist, vergehen zudem noch einige Jahr-
zehnte. Ob und in welcher Form die Energiekonzerne dann noch existieren bzw. für
die anfallenden Entsorgungskosten haftbar gemacht werden können, ist nicht vor-
herzusagen. Umso wichtiger ist, dass bereits heute Vorkehrungen getroffen werden,
die die Einhaltung des Verursacherprinzips gewährleisten, indem die Verfügbarkeit
der gebildeten Rückstellungen und eine umfassende Nachschusspflicht der Energie-
versorgungsunternehmen sichergestellt werden. Diesen Anforderungen wäre durch
die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Fonds mit Nachschusspflicht für die
Konzerne am besten Genüge getan.

Klimaschutz im Haushalt jetzt verankern

Die Eindämmung und Bewältigung der Klimakrise ist die größte Herausforderung
des 21. Jahrhunderts und fordert von allen Staaten, dass sie einen angemessenen Bei-
trag zur Lösung der Klimakrise leisten. Für die Bundesrepublik Deutschland heißt
das, dass sie sich verpflichtet, dem Klimaschutz im Rahmen des deutschen Regie-
rungshandelns Priorität einzuräumen und ihn fair, verbindlich und langfristig zu fi-
nanzieren.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

zur Erfüllung dieser Verpflichtung den bevorstehenden Klimagipfel zum Anlass zu
nehmen, ihren Kurs hinsichtlich des Klimaschutzes – national wie international – zu
korrigieren und im Rahmen dessen folgende Punkte umsetzen:

1. internationale Klimafinanzierung

− in Paris verbindliche Zusagen für den fairen deutschen Anteil (Fair Share) am
Kopenhagen-Versprechen zu leisten, wobei sich der deutsche Beitrag an der
100-Milliarden-USD-Zusage auf 7 bis 9 Mrd. Euro beläuft, die allergrößten-
teils öffentlich finanziert werden müssen,

− die Konkurrenz zwischen Klimaschutz und Entwicklungszusammenarbeit zu
beenden, indem die automatisierte Anrechnung von ODA-Mitteln und Kli-
maschutzgeldern dahingehend überarbeitet wird, dass eine doppelte Anrech-
nung mittelfristig beendet wird und bis dahin die Anrechnung von Klimagel-
dern auf die ODA-Quote nur dort erfolgt, wo tatsächlich ein unmittelbarer
Zusammenhang besteht,

− Anrechnungen transparent zu machen, rückwirkende Anrechnungen auszu-
schließen und p.a. zusätzlich 500 Mio. Euro für die Klimafinanzierung zur
Verfügung zu stellen und die Zusätzlichkeit dieser Mittel zur ODA-Finanzie-
rung zu gewährleisten,

− beim internationalen Klima- und Biodiversitätsschutz hohe verbindliche Qua-
litätsstandards anzulegen, indem öffentliche Klimaschutzgelder die Anforde-
rungen der OECD Rio 2-Marker erfüllen und auch für private Klimaschutz-
gelder Mindeststandards festgelegt werden, damit die Mittelvergabe nur unter
strengen sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Kriterien erfolgt
und eine Finanzierung fossiler und nuklearer Vorhaben ausschließen,

− um Herausforderungen sowohl beim Klimaschutz als auch bei der Entwick-
lungshilfe zu lösen, bis 2020 eine ODA-Quote gemäß den OECD-DAC-Kri-
terien von 0,7 % sowie die Versprechen zur Klimafinanzierung zu erreichen
und nach dem Prinzip der verzögerten Zusätzlichkeit nach 2020 die Mittel
weiter anwachsen zu lassen und zu verstetigen,

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− für die von der Bundeskanzlerin beim VI. Petersberger Klimadialogzugesagte
Verdopplung der deutschen Klimaschutzmittel bis 2020 auf 4 Mrd. Euro ei-
nen verbindlichen Aufwuchsplan vorzulegen, der handlungsleitend für die in-
ternationalen Zusagen Deutschlands in Paris ist.

2. Nationale Klimaschutzziele

− den nationalen Kohleausstieg einzuleiten, indem spezifische CO2-Grenzwerte
für fossile Kraftwerke eingeführt werden, die einen klaren Reduktionspfad
vorgeben,

− ein nationales Klimaschutzgesetz zu verabschieden, das bis 2050 jährliche
Reduktionsziele verbindlich festlegt und für die Sektoren Stromerzeugung,
Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Kreislaufwirtschaft neben Zielen auch
konkrete Klimaschutzmaßnahmen enthält,

− das Engagement für die Einführung eines EU-weiten CO2-Mindestpreises im
Rahmen des Emissionshandels und Untermauerung durch die zügige Einfüh-
rung eines nationalen CO2-Mindestpreises.

3. Energiewende

− die für die Energiewende veranschlagten Mittel so zu verteilen, dass die Ener-
giewende auf eine breite Basis gestellt wird;

− den bislang brachliegenden Bereich der Wärmeeffizienz stärker zu forcieren
und verbindliche Einsparziele festzuschreiben. Zur Umsetzung bestehende
Förderprogramme zur Wärme- und Energieeffizienz (z. B. Förderprogramme
zur energetischen Quartierssanierung und zur energetischen Sanierung kom-
munaler Gebäude sowie Marktanreizprogramm Erneuerbare Wärme) besser
auszustatten und hierfür ein jährliches Volumen von 1,8 Mrd. Euro zu ver-
anschlagen. Die stärkere Unterstützung von Kommunen in den Fokus zu rü-
cken, so dass diese Sanierungsfahrpläne für Stadtviertel und eine Fairwärme-
Planung auflegen, über Zuschüsse und günstige Kredite Maßnahmen und die
Arbeit von Energie-QuartiersmanagerInnen fördern und in Quartieren insbe-
sondere die warmmietenneutrale energetische Modernisierung der Wohnun-
gen von Menschen mit kleinen Einkommen fördern;

− neue Förderprogramme für die energetische Sanierung kommunaler Gebäude,
den Einsatz nachwachsender Baustoffe in den KfW Gebäudesanierungs-Pro-
grammen, 10.000 Wärmespeicher in den Städten und Gemeinden sowie un-
abhängige Energieberatung, die auch Energieeinsparungen in der Industrie
einschließt, aufzulegen;

− ein Klimawohngeld einzuführen, welches finanziell schwache Haushalte un-
terstützt, die nicht unmittelbar von sinkenden Energiekosten profitieren kön-
nen;

− die Energieeffizienzberatung stärken und sozialen Nutzen fördern;
− den Übergang zu einer ressourceneffizienteren CO2-armen Wirtschaft zu un-

terstützen;

− eine adäquate finanzielle Ausstattung der Mittel für wettbewerbliche Aus-
schreibungen für Marktsegmente im Effizienzbereich bereitzustellen, die bis-
her nicht ausreichend erfasst werden;

− für die faire Verteilung der Kosten zu sorgen, indem der Kreis der durch Be-
freiungen und Ermäßigungen begünstigten Unternehmen auf echte Härtefälle
begrenzt und der Mindestbeitrag zur EEG-Umlage erhöht wird;

− Maßnahmen zu ergreifen, damit die Energiewende dazu beiträgt, die sozial-
ökologische Wende der Gesellschaft insgesamt einzuleiten.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/6817
4. Grüne Verkehrswende

− ein Modellprogramm für fußgänger- und fahrradfreundliche Städte einzurich-
ten, aus dem u. a. Radschnellwege für Pendler, die Sanierung nicht StVO-
gemäßer Knotenpunkte auf ERA-Niveau, neue Möglichkeiten zur Fahrrad-
mitnahme im ÖPNV und zum Abstellen von Fahrrädern an öffentlichen Ge-
bäuden, die Einrichtung von zentralen Güterumverteilungspunkte für Lasten-
räder, verkehrsberuhigte Straßen, die Ausweisung von Querungsmöglichkei-
ten für Fußgänger, die Aufwertung von Wegen entlang von Gewässern, Pro-
jekte zu Shared Space und Begegnungszonen erprobt und umgesetzt werden;

− Investitionen in die Schiene zu verstärken und dabei den Schwerpunkt auf die
Schaffung zusätzlicher Kapazitäten für den Schienengüterverkehr zu legen,
außerdem Planungskapazitäten und Baukostenzuschüsse für Investitionen in
den Schienenverkehr zu erhöhen und gezielt Maßnahmen zur Etablierung ei-
nes bundesweiten integralen Taktverkehrs („Deutschlandtakt“) zu fördern.
Alle Schienenprojekte des BVWP 2015 sollten auf den Taktverkehr ausge-
richtet werden;

− die Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen auszuweiten und Fahrzeuge ab 3,5 Ton-
nen Gewicht und externe Kosten umfassend einzubeziehen;

− ein Investitionsprogramm Elektromobilität aufzulegen und so den Aufbau ei-
ner öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur, die auf erneuerbarem Strom
basiert und ein nutzerfreundliches eRoaming beinhaltet, zu fördern. Dabei
dürfen nicht nur neue Geschäftsmodelle für Ladesäulenbetreiber geschaffen
werden, sondern es muss auch der Aufbau einer flächendeckenden lokalen
Ladeinfrastruktur über das regulierte Verteilnetz und deren Betreiber ermög-
licht werden. Außerdem ist eine aufkommensneutrale Kaufprämie für E-Au-
tos einzuführen;

− Modellprojekte in Kommunen finanziell zu fördern, die für innerstädtische
Lieferverkehre („letzte Meile“) zukünftig nur noch Elektrofahrzeuge einset-
zen wollen.

5. Atomausstieg

− das System der Konzern-Rückstellungen für deren künftigen Kosten von
AKW-Rückbau und Atommüll-Entsorgung zu reformieren und einen öffent-
lich-rechtlichen Fonds mit Nachschusspflicht für die Konzerne einzuführen;
oberstes Ziel muss dabei sein, die Steuerzahler davor zu bewahren, dass ihnen
ungerechtfertigter Weise Milliardenkosten der AKW-Betreiber aufgebürdet
werden,

− die Forschungsmittel, die bislang im BMWi und im BMBF veranschlagt sind,
in den Etat des BMUB umzuschichten und explizit zur Risikoforschung ein-
zusetzen – auch, um die mit der Endlagerung atomaren Mülls verbundene Ri-
siken besser abschätzen zu können,

− die vom BMUB bewirtschafteten Mittel für internationale Partnerschaften in
Zukunft stärker für Programme und Initiativen zu nutzen, welche die Risiken
der Atomkraft thematisieren und in der Öffentlichkeit transparent machen.

6. Subventionsabbau und ökologische Finanzreform

− umwelt- und klimaschädliche Subventionen schrittweise abzubauen und da-
mit die völkerrechtliche Verpflichtung Deutschlands gemäß UN-Konvention
zum Biodiveritätsschutz und der Zusatzprotokolle zum vollständigen Abbau
umweltschädlicher Subventionen bis 2020 zu erfüllen und damit auch die ak-
tuellen Bestrebungen einer Ökologisierung des europäischen Semesters um-
zusetzen,

Drucksache 18/6817 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

− die im 25. Subventionsbericht eingeführte Nachhaltigkeitsprüfung dahinge-
hend zu überarbeiten, dass die umweltschädigenden Folgen von Subventio-
nen prinzipiell als unvereinbar mit der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie
eingestuft werden, so dass die subventionspolitischen Leitlinien die tatsächli-
che Abschaffung von umweltschädliche Subventionen einleiten anstatt die
entsprechenden mit Verweis auf die Nachhaltigkeitsprüfung als nachhaltig
umzudeklarieren,

− ein Steuer- und Haushaltskonzept vorzulegen, das den klimapolitischen Not-
wendigkeiten gerecht wird, indem es folgende Maßnahmen umsetzt und somit
auch international ein Zeichen setzt, dass Deutschland den Strukturwandel
seiner Wirtschaft konsequent angeht:

• öffentliche Mittel, z. B. aus Pensionskassen oder Rücklagen, aus jeglichen
Anlagen in fossile Energieträger zurückzuziehen („Divestment“) und
stattdessen in nachhaltige Anlagen zu wechseln;

• alle Steuer- und andere Privilegien für die Nutzung von Stein- und Braun-
kohle zu beseitigen;

• den Steuersatz der Kernbrennstoffsteuer zu erhöhen;
• alle bestehenden Steuerbegünstigungen des produzierenden Gewerbes bei

Energie- und Ökosteuer abzuschaffen und durch eine Härtefallregelung zu
ersetzen, bei der im Einzelfall geprüft wird, ob ein Unternehmen im inter-
nationalen Wettbewerb steht und durch die Energiebesteuerung wirklich
unzumutbare Wettbewerbsnachteile erleidet. Gleichzeitig sollen solche
Ausnahmeregelungen an Auflagen gebunden sein, gezielt Maßnahmen
zum Klimaschutz zu ergreifen;

• die Zuschüsse an stromintensive Unternehmen zum Ausgleich emissions-
handelsbedingter Strompreiserhöhungen abzuschaffen;

• die Begünstigungen der Mineralölindustrie bei der Energiesteuer
(sog. Herstellerprivileg) abzuschaffen;

• die Energiesteuerbefreiung für Kerosin im kommerziellen Flugverkehr so-
wie eine ökologisch ausgestalteten Abgabe auf Flugtickets einzuführen,
die z. B. zwischen Economy- und Business-Class unterscheidet und auch
den Frachtverkehr mit einschließt;

• die Energiesteuerbegünstigung von Agrardiesel aufzuheben;
• eine CO2-abhängige Besteuerung von Dienstwagen einzuführen, die den

Absatz verbrauchsarmer Fahrzeuge anstelle von Spritschluckern fördert;

• die Energiesteuerbegünstigungen in der Binnenschifffahrt abzubauen;
• die geringere Besteuerung von Dieselkraftstoff gegenüber Benzin aufzu-

heben;

• die Steuerbefreiung für die stoffliche Nutzung von Erdgas und Erdöl auf-
zuheben;

• die Energiesteuern regelmäßig zu überprüfen und anzupassen, um eine
Aushöhlung durch die Inflation zu verhindern.

Berlin, den 23. November 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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