BT-Drucksache 18/6002

Andauernde Ungleichbehandlung eingetragener Lebenspartnerschaften in den EDV-Systemen der Finanzverwaltung

Vom 8. September 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6002
18. Wahlperiode 08.09.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Lisa Paus,
Luise Amtsberg, Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic,
Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Andauernde Ungleichbehandlung eingetragener Lebenspartnerschaften
in den EDV-Systemen der Finanzverwaltung

Trotz des heftigen politischen Widerstandes zunächst aus der Reihen der von der
CDU, CSU und FDP regierten Bundesländer im Bundesrat (2001), danach der
Großen Koalition (2005 bis 2009) und schließlich der schwarz-gelben Koalition
(2009 bis 2013) wurde der Bundesregierung vom Bundesverfassungsgericht auf-
getragen, Lebenspartnerinnen und Lebenspartner in allen Bereichen des Steuer-
rechts vollständig mit Ehegatten gleichzustellen (BVerfG, Beschluss vom
7. Mai 2013, 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07).

Dennoch bedeutete dies nicht das Ende der verfassungs- und europarechtswidri-
gen Diskriminierung lesbischer und schwuler Paare. Weiterhin gibt es erhebliche
Probleme bei den EDV-Systemen der Finanzverwaltungen. Obwohl die Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts bereits im Mai 2013 erging und die Gleich-
stellung der Lebenspartnerinnen und Lebenspartner mit Ehegatten im Juli 2014
gesetzlich nachvollzogen wurde, haben es die Finanzverwaltungen noch immer
nicht geschafft, ihre EDV-Systeme an die Gleichstellung anzupassen. Lebens-
partnerinnen und Lebenspartner können deshalb im EDV-System der Finanzver-
waltungen nicht zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Sie werden
als „Ehegatten“ in die EDV eingegeben und erhalten dann Einkommensteuerbe-
scheide, auf der sie z. B. als „Frau Wolfgang Schäuble“ angeschrieben werden.

Besonders ärgerlich ist das beim ELSTAM-System. Über ELSTAM rufen die Ar-
beitgeber die Steuerklassen ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ab. Dort
werden die Lebenspartnerinnen und Lebenspartner noch immer mit der Steuer-
klasse I statt der Steuerklasse IV geführt. Wenn Lebenspartnerinnen und Lebens-
partner ihre Steuerklassen in III und V ändern lassen, geht das nur per Bescheid,
den die Lebenspartnerinnen und Lebenspartner ihren Arbeitgebern vorlegen müs-
sen. Sehr oft vergessen die Finanzämter dann offenbar, ELSTAM zu sperren.
Dort werden die Lebenspartnerinnen und Lebenspartner weiter mit der Steuer-
klasse I geführt, was die Arbeitgeber verunsichert und für Betroffene viel Ärger
und Klärungsarbeit bedeutet.

Die schon über zwei Jahre ausstehende Umstellung der EDV-Systeme an die neue
Situation im Steuerrecht ist präzedenzlos. Es gab bisher keine Fälle, in denen die
Finanzverwaltung so lange Steuerzahlerinnen und Steuerzahler trotz der Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts und trotz der Entscheidung des Parla-
ments ungleich behandelt hat.

Drucksache 18/6002 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Gesetzentwürfe, wonach eingetragene Lebenspartnerschaften mit
den Ehen im Steuerrecht gleichgestellt werden sollten, wurden nach Kennt-
nis der Bundesregierung seit dem Jahr 2001 von den Fraktionen der
CDU/CSU, FDP und SPD abgelehnt?

2. In wie vielen namentlichen Abstimmungen hat nach Kenntnis der Bundesre-
gierung die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in ihrer Funktion als Mit-
glied des Deutschen Bundestages seit 2001 gegen eine Gleichstellung einge-
tragener Lebenspartnerschaften mit den Ehen im Steuerrecht gestimmt?

3. In wie vielen Antworten auf Große bzw. Kleine Anfragen haben sich nach
Kenntnis der Bundesregierung frühere Bundesregierungen seit dem Jahr
2001 gegen eine steuerliche Gleichstellung eingetragener Lebenspartner-
schaften mit den Ehen ausgesprochen (bitte jeweils die Bundestagsdrucksa-
che nennen)?

4. Mit welchen Begründungen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung die
in Frage 3 angesprochenen Antworten versehen (bitte nach Bundestags-
drucksachen aufschlüsseln)?

5. Wie viele Verfahren haben nach Kenntnis der Bundesregierung die deut-
schen Finanzbehörden wegen Ungleichbehandlung eingetragener Lebens-
partnerschaften mit Ehen vor Gerichten verloren (bitte nach Jahren und Ge-
richten bzw. Instanzen aufschlüsseln)?

6. Stellen nach Einschätzung der Bundesregierung die den verpartnerten Steu-
erzahlerinnen bzw. Steuerzahlern ausgestellten Einkommensteuerbescheide
mit systembedingter falscher Geschlechtsangabe eine Diskriminierung auf-
grund der sexuellen Orientierung dar?

7. Stellt nach Einschätzung der Bundesregierung die Tatsache, dass beim
ELSTAM-System Lebenspartnerinnen und Lebenspartner – anders als Ehe-
gatten – noch immer mit der Steuerklasse I statt der Steuerklasse IV geführt
werden, eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung dar?

8. Stellt nach Einschätzung der Bundesregierung die Tatsache, dass bei der Än-
derung der Steuerklassen in III und V Lebenspartnerinnen und Lebenspartner
– anders als Ehegatten – ihren Arbeitgebern einen Bescheid vorlegen müs-
sen, eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung dar?

9. Wie lange werden eingetragene Lebenspartnerinnen und Lebenspartner nach
Einschätzung der Bundesregierung noch warten müssen, bis die im Mai 2013
vom Bundesverfassungsgericht entschiedene Gleichstellung eingetragener
Lebenspartnerschaften mit Ehen im Steuerrecht in den EDV-Systemen der
Finanzverwaltung berücksichtigt werden?

10. Wie war nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten zehn Jahren die
durchschnittliche Zeit für die Anpassung der EDV-Systeme der Finanzver-
waltung an die neuen Steuergesetze soweit Ehegatten betroffen waren?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6002

 

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11. Trifft die Bundesregierung angesichts der Rechtsentwicklung in vielen
Nachbarländern und angesichts der laut Meinungsumfragen breiten Befür-
wortung der Forderung nach „Ehe für alle“ in der Bevölkerung Vorkehrun-
gen dafür, dass im Falle einer Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche
Paare die Steuerverwaltungen und andere Verwaltungen eine reibungslose
und diskriminierungsfreie Umsetzung der rechtlichen Gleichstellung ge-
währleisten können?

Berlin, den 8. September 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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