BT-Drucksache 18/5952

Erbschaftsteuerreform

Vom 8. September 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5952
18. Wahlperiode 08.09.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Lisa Paus, Kerstin Andreae, Dr. Gerhard Schick,
Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Anja Hajduk, Dieter Janecek,
Markus Kurth, Dr. Tobias Lindner, Corinna Rüffer,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Erbschaftsteuerreform

Das Bundesverfassungsgericht erkennt in seinem Urteil vom 17. Dezember 2014
in der Begünstigung von Betriebsvermögen über die §§ 13a, 13b des Erbschaft-
steuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) einen Verstoß gegen den Gleich-
heitsgrundsatz nach Artikel 3 des Grundgesetzes. Die Vorschriften zur Begüns-
tigung von Betriebsvermögen wurden in Teilen für verfassungswidrig erklärt, da
sie nicht ausreichend mit dem Gemeinwohl, wie Erhalt der Arbeitsplätze, begrün-
det werden können.

Insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht die unterschiedslose Begünsti-
gung von Erben großer und kleiner Unternehmen sowie die Vielzahl an Gestal-
tungsmöglichkeiten bei Schenkungen beanstandet. Erben sogenannter großer
Unternehmen dürften nur dann von der Erbschaftsteuer befreit werden, wenn ein
Bedürfnis bestehe. Dieses ist zukünftig im Rahmen einer Bedürfnisprüfung nach-
zuweisen.

Die nach geltendem Recht anzuwendende Lohnsummenregelung ist nach Auf-
fassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) grundsätzlich geeignet, um
den Arbeitsplatzerhalt nach einem Erb- oder Schenkungsfall nachzuweisen. Al-
lerdings ist die Ausnahmeregelung für Unternehmen mit bis zu 20 Mitarbeitern
verfassungswidrig, da hierdurch bereits mehr als 90 Prozent der Unternehmen
nicht mehr unter die Lohnsummenregelung fallen.

Auch die geltende Regelung zum Verwaltungsvermögen, wonach ein Verwal-
tungsvermögensanteil von bis zu 50 Prozent unschädlich ist, wurde für verfas-
sungswidrig erklärt.

Dem Gesetzgeber wurde eine Frist bis zum 30. Juni 2016 gesetzt, um eine ver-
fassungsfeste Neuregelung zu verabschieden. Bis zu einer Neuregelung sind die
geltenden Regelungen weiter anzuwenden. Dem Gesetzgeber steht es jedoch frei,
eine Neuregelung rückwirkend bis zum Urteilstag einzuführen.

Nach dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Erbschaft-
steuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts sind Erwerbe bis zu 26 Mio. Euro bzw. unter gewissen Vorausset-
zungen bis zu 52 Mio. Euro weiterhin ohne weitere Überprüfung begünstigt, da
offensichtlich bis zu diesem Wert von kleinen und mittelständischen Unterneh-
men ausgegangen wird. Es soll sich hierbei um eine Freigrenze handeln, sodass
Erwerbe über 206 Mio. Euro nur nach einer erfolgreichen sogenannten Verscho-
nungsbedarfsprüfung („Bedürfnisprüfung“) begünstigt werden.

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Die Zahlen aus dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) zeigen, dass es im
Jahr 2013 nur 13 Erbschaften von über 26 Mio. Euro gab. Demgegenüber stehen
im selben Jahr 127 Schenkungen, die den Wert von 26 Mio. Euro überschritten
haben.

Aufgrund dieser Zahlen ist es zweifelhaft, ob der Gesetzentwurf den Anforde-
rungen des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Nur in diesen wenigen Fällen
hat der Erbe bzw. Beschenkte nach dem Gesetzentwurf die Wahl zwischen der
Verschonungsbedarfsprüfung (Verwendung von 50 Prozent des Privatvermögens
und Erlass der darüber hinausgehenden Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer) oder
einem niedrigeren Verschonungsabschlag von 35 Prozent anstelle von 100 Pro-
zent zu treffen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie sollten aus Sicht der Bundesregierung die ggf. schädlichen Änderungen
bei der Lohnsumme über den Fünf- bzw. Sieben-Jahres-Zeitraum von den
Finanzämtern nach einem veranlagten Erb- oder Schenkungsfall überwacht
werden (s. R E 13a 4. Absatz 1 Satz 5 der Erbschaftsteuerrichtlinien)?

2. Wie wird die Lohnsumme eines Unternehmens nach einem veranlagten Erb-
oder Schenkungsfall seit dem Jahr 2009 aus Sicht der Bundesregierung über-
wacht und nachverfolgt?

Wie kooperieren aus Sicht der Bundesregierung die verschiedenen Finanz-
ämter hinsichtlich der Überwachung der Lohnsumme (Wohnsitzfinanzamt
und Betriebsstättenfinanzamt)?

3. Wie viele Unternehmen werden hinsichtlich ihrer Lohnsumme nach § 13a
ErbStG seit dem Jahr 2009 aus Sicht der Bundesregierung tatsächlich vom
Finanzamt überwacht?

4. Bei wie vielen Steuerfällen kam es aufgrund eines Unterschreitens der Lohn-
summe zu einer rückwirkenden teilweisen oder vollständigen Versagung der
Begünstigung, absolut und relativ zu allen Fällen?

5. Aus welchen Gründen hält die Bundesregierung eine Freigrenze in Höhe von
26 Mio. Euro je Erwerb für eine sinnvolle Kategorisierung für „kleine und
mittelständische Unternehmen, die in personaler Verantwortung geführt wer-
den“, die laut BVerfG-Urteil weitgehend oder vollständig von der Erb-
schaftsteuer freigestellt werden können (s. Leitsatz Nummer 4a, BVerfG-Ur-
teil vom 17. Dezember 2014)?

6. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass eine Ausgestaltung als
Freibetrag bzw. als abschmelzenden Freibetrag statt als Freigrenze nicht eine
bloße Typisierung darstellt, sondern darüber hinaus eine zusätzliche Begüns-
tigung eingeführt wird, die auch wieder den Erwerbern von sehr hohen Be-
triebsvermögen zu Gute käme, und hält die Bundesregierung eine solche Be-
günstigung mit den im Urteil des Bundesverfassungsgerichts dargelegten
Grundsätzen für vereinbar?

7. Bei wie vielen Unternehmen (prozentual) müsste aus Sicht der Bundesregie-
rung die Lohnsummenregelung Anwendung finden, bzw. wie viele Arbeits-
plätze müssten von der Lohnsummenregelung abgedeckt sein (prozentual),
damit das Gemeinwohlkriterium „Erhalt der Arbeitsplätze“ verfassungsfest
erfüllt ist?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5952

8. Die Lohnsummenregelung findet keine Anwendung bei Unternehmen ohne
Mitarbeiter bzw. sie findet Anwendung auch bei hohen Betriebsvermögen-
werten mit wenigen Mitarbeitern (z.B. vermögensverwaltende Wohnungsge-
sellschaften); inwiefern sieht die Bundesregierung in solchen Fällen die Ge-
meinwohlvoraussetzung „Arbeitsplatzerhalt“ als erfüllt an?

Werden auch Alternativen zur Lohnsummenregelung in Betracht gezogen?

9. Was spricht aus Sicht der Bundesregierung bei den derzeit diskutierten
Grenzwerten für eine Prüfung der Lohnsumme bzw. für eine Bedürfnisprü-
fung jeweils für eine Orientierung am gesamten Unternehmenswert des Un-
ternehmens bzw. am Wert des jeweils individuell erworbenen Anteils des
Begünstigten?

Von welchen verfassungsrechtlichen Überlegungen lässt sich die Bundesre-
gierung hier leiten, und sieht sie Unterschiede für die Möglichkeit von Steu-
ergestaltungen?

10. Hält die Bundesregierung die Auffassung für zutreffend, dass die Erbschaft-
steuer stets aus dem Privatvermögen zu bezahlen ist, da der Erbe bzw. der
Erwerber selbst (als Privatperson) nach § 20 ErbStG der Steuerschuldner ist
und gerade nicht das vererbte Unternehmen (es sich folglich nicht um eine
betriebliche Steuerschuld handelt)?

11. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Erbschaftsteuer selbst
dann aus dem Privatvermögen bezahlt wird, wenn die Mittel dafür zuvor aus
dem Unternehmen entnommen bzw. ausgeschüttet werden?

12. Ist bei der Frage, ob ein Steuerschuldner (hier Erbschaftsteuerschuldner) die
Steuer zahlen kann, nicht zwingend auf das gesamte Vermögen des Steuer-
schuldners abzustellen, und inwiefern unterscheidet sich diesbezüglich der
Erbschaftsteuerschuldner beispielsweise von einem Einkommensteuer-
schuldner, der Sachleistungen zu versteuern hat?

13. Inwieweit teilt die Bundesregierung die mitunter angeführten verfassungs-
rechtlichen Bedenken, wenn im Rahmen einer Bedürfnisprüfung auf das Pri-
vatvermögen abgestellt wird, und wenn ja, warum?

14. Kommt es aus Sicht der Bundesregierung auch dann zu einer Gefährdung
von Arbeitsplätzen durch Erbschaft- oder Schenkungsteuer, wenn der be-
troffene Erbe oder Beschenkte tatsächlich ausreichend Mittel im Privatver-
mögen zur Verfügung hat, um die private Erbschaftsteuerschuld zu tilgen,
und wenn ja, warum?

15. Sind bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit des Erben (des Steuerschuld-
ners) die zukünftigen Zahlungsströme aus dem geerbten Unternehmen, die
auch im Bewertungsverfahren den Unternehmenswert maßgeblich bestim-
men, zugrunde zu legen?

16. Welche Gründe sprechen aus Sicht der Bundesregierung gegen eine Stun-
dungsregelung, die zum Ziel hat die zukünftig zu erwartenden Zahlungs-
ströme (in Form von Entnahmen und Ausschüttungen) bei der Frage der
Leistungsfähigkeit des Erben zu berücksichtigen?

17. Sollten bei einer Bedürfnisprüfung auch die zukünftigen Zahlungsströme an
den Erben aus dem Unternehmen berücksichtigt werden, z.B. auf Grundlage
tatsächlicher Entnahme- und Ausschüttungsquoten in der Vergangenheit,
und wenn nein, warum nicht?

Drucksache 18/5952 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

18. Aus welchem Grund soll nach einer erfolgten Verschonungsbedarfsprüfung
eine Steuerschuld ganz oder teilweise sofort erlassen werden?

Sieht die Bundesregierung hier keine überschießende Begünstigung, gegen-
über den Regelungen zum Erlass von privaten Steuerschulden, die lt. Abga-
benordnung gelten, und wenn nein, warum nicht?

19. Wie will die Bundesregierung bei der Bedürfnisprüfung verhindern, dass Ge-
staltungen in der Gestalt entstehen, dass es zu Übertragungen zunächst nur
des Betriebsvermögens und erst nach Beginn einer neuen Zehn-Jahres-Frist
zu einer Übertragung von Geldvermögen und anderem Vermögen kommt?

20. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass zukünftig der 100-Prozent-
Verschonungsabschlag nach § 13b Absatz 10 ErbStG vereinfacht in An-
spruch genommen werden kann, da die Voraussetzung der 10-Prozent-
Grenze für das Verwaltungsvermögen durch die Neuregelungen entfällt?

21. Aufgrund welcher Gemeinwohlgründe ist in § 13c ErbStG-Gesetzentwurf
eine pauschale Verschonung von Betriebsvermögen im Wert von über
26 Mio. Euro mit bis zu 35 Prozent vorgesehen, obwohl nach den Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichts gerade diese Erwerber großer Betriebsver-
mögen dahingehend überprüft werden sollen, ob sie die Erbschaft- bzw.
Schenkungsteuer bezahlen können?

22. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass nur dann die Verschonungs-
bedarfsprüfung vom Steuerpflichtigen gewählt wird, wenn diese zu einer
Verschonung des Betriebsvermögens von mehr als 20 Prozent bzw. 35 Pro-
zent führt?

Wenn ja, wie begründet die Bundesregierung die pauschale Begünstigung
für Erwerber von Betriebsvermögen von über 26 Mio. Euro von bis zu
100 Prozent für den Fall, dass im Erb- bzw. Schenkungszeitpunkt kein Pri-
vatvermögen vorliegt?

Welche Gestaltungsoptionen sieht die Bundesregierung in diesem Zusam-
menhang?

23. Sieht die Bundesregierung in der Verschonungsbedarfsprüfung einen Anreiz
angelegt, unterschiedliche Vermögensarten an unterschiedliche Erwerber
weiterzugeben, um so die Gesamtsteuerlast zu minimieren, und wie bewertet
sie dies?

24. Kann die geplante Abgrenzung des begünstigten Vermögens nach dem
Hauptzweck aus Sicht der Bundesregierung im Einzelfall zu einer Erhöhung
des begünstigten Vermögens im Vergleich zu geltenden Verwaltungsvermö-
gensregelung (§ 13b Absatz 2 ErbStG) führen?

25. Führt eine Abgrenzung des begünstigten Vermögens nach dem Hauptzweck
aus Sicht der Bundesregierung zwangsläufig zu einem höheren Erbschaft-
steueraufkommen als bei Anwendung der geltenden Regelungen nach § 13b
Absatz 2 ErbStG?

26. Hat das BMF neben den Änderungen im Gesetzentwurf auch alternative Mo-
delle einer möglichen Erbschaftsteuerreform geprüft, etwa den Vorschlag
der saarländischen Ministerin für Wirtschaft, Arbeit. Energie und Verkehr,
Anke Rehlinger, (www.welt.de/politik/deutschland/article138695441/Die-
Frau-hinter-der-Radikalreform-der-Erbschaft.html) oder des wissenschaftli-
chen Beirats des BMF, und wenn ja, wie werden diese Vorschläge inhaltlich
beurteilt?

27. Was spricht konkret aus fachlicher wie aus Sicht der Bundesregierung gegen
ein Niedrig-Tarif-Modell ohne Verschonungsabschlag für Betriebsvermö-
gen, durch das eine komplizierte und gestaltungsanfällige Unterscheidung in
Betriebsvermögen und übriges Vermögen hinfällig wäre?

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28. Plant die Bundesregierung Änderungen am Bewertungsverfahren für Be-
triebsvermögen, und wenn ja, welche, und welche Überlegungen liegen die-
sen Plänen zugrunde?

Berlin, den 8. September 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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