BT-Drucksache 18/5431

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/4654, 18/5051, 18/5415 - Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes

Vom 1. Juli 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5431
18. Wahlperiode 01.07.2015

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Luise Amtsberg, Volker
Beck (Köln), Britta Haßelmann, Katja Keul, Renate Künast, Monika
Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 18/4654, 18/5051, 18/5415 –

Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Zusammenarbeit
im Bereich des Verfassungsschutzes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die beiden Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zum „Nationalsozia-
listischen Untergrund“ (NSU) und zur NSA-Überwachungsaffäre haben deut-
lich das völlige Versagen und massive Missstände bei den Sicherheitsbehörden
aufgezeigt. Noch ist die notwendige rückhaltlose Aufklärung nicht beendet und
erst danach können abschließende Konsequenzen formuliert werden.

2. Die schon jetzt klar erkennbaren Missstände bezüglich Strukturen, Arbeitswei-
sen, Personal und Kontrollierbarkeit der deutschen Nachrichtendienste erfor-
dern zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und individuellen Freiheitsrechte
eine grundlegende Reform der Sicherheitsarchitektur in Deutschland. Hierfür
reichen kleine Reformen nicht. Deutschland braucht eine Zäsur und einen Neu-
start bei den Sicherheitsbehörden, insbesondere bei den Nachrichtendiensten.
In einem Rechtsstaat muss ihr Handeln rechtlich eingehegt und intensiv kon-
trolliert werden.

3. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Zusammenar-
beit im Bereich des Verfassungsschutzes (BT-Drs. 18/4654) weist in die falsche
Richtung. Statt grundlegender Reformen will die Bundesregierung die bishe-
rige problematische Tätigkeit der Nachrichtendienste zur Datenerhebung und
Datenanalyse noch erheblich ausweiten. Bei massivem Personalaufwuchs sol-
len deren Aufgaben und Befugnisse zur Überwachung erheblich erweitert wer-
den, u. a. zur so genannten Cyberabwehr, obwohl dies ein rein technisches statt

Drucksache 18/5431 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

nachrichtendienstliches Aufgabenfeld ist. Das Bundesamt für Verfassungs-
schutz soll nun sogar durch Verdeckte Ermittler und V-Leute selbst Straftaten
begehen dürfen. Dass der Gesetzentwurf diese ungeeigneten Regelungen auf
den Militärischen Abschirmdienst und Bundesnachrichtendienst erstreckt so-
wie die BND-Befugnisse zur strategischen Kommunikationsüberwachung um
internationale Cyber-Fälle erweitert, potenziert die rechtsstaatlichen Probleme
des Gesetzesvorhabens noch.

4. In der Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 8. Juni
haben die Sachverständigen vielfältige und starke Kritik an dem Gesetzentwurf
geäußert. Erstens seien die vorgeschlagenen Regelungen ungeeignet, um die
Missstände zu beseitigen, die zum desaströsen, nutzlosen und kontraprodukti-
ven V-Leute-Einsatz im Rahmen des NSU-Komplexes geführt haben. Zweitens
seien die Vorschriften im Gesetzentwurf handwerklich und systematisch miss-
glückt sowie vielfach unklar und zu unbestimmt. Insbesondere seien die Vor-
gaben des Bundesverfassungsgerichts zum Datenschutz und dem Trennungs-
gebot zwischen Polizeien und Nachrichtendiensten nicht umgesetzt. Mehrere
Sachverständige bewerteten auch zentrale Neuregelungen im Gesetzentwurf als
verfassungswidrig. Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Infor-
mationsfreiheit, die entgegen dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN nicht in der Sachverständigenanhörung auftreten durfte, hat in einer
umfangreichen schriftlichen Stellungnahme „erhebliche verfassungsrechtliche
Probleme“ dargelegt. Die vorgeschlagenen Ausweitungen der Befugnisse des
Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) zur zentralen Sammlung und Ana-
lyse von personenbezogenen Daten hält sie für einen „Paradigmenwechsel“ zu
Lasten des Datenschutzes.
Die Änderungen des Gesetzentwurfs durch die Koalitionsfraktionen nach der
Anhörung reichen in keiner Weise, um diese gravierenden Bedenken auszu-
räumen.

5. Vor diesem Hintergrund kann dem Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht
zugestimmt werden. Der Bundestag bedauert, dass auch im weiteren Verfahren
nicht die weitreichenden Vorschläge zu Abschaffung und Neustart des Verfas-
sungsschutzes sowie zur Modernisierung der Sicherheitsarchitektur aufgegrif-
fen wurden, die sich aus dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN „Für eine Zäsur und einen Neustart in der deutschen Sicherheitsarchitek-
tur“ (Drucksache 18/4690) ergeben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. ihren Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Be-
reich des Verfassungsschutzes zurückzuziehen und einen neuen Gesetzentwurf
vorzulegen, welcher die Kritik in der Sachverständigenanhörung des Innenaus-
schusses des Deutschen Bundestages am 8. Juni 2015 umsetzt;

2. während der Übergangszeit bis zu einer grundlegenden Reform der Nachrich-
tendienste und ihrer wirksamen Kontrolle dafür Sorge zu tragen,
a. dass der Einsatz von V-Leuten in der rechten Szene, der sich als desaströs,

nutzlos und kontraproduktiv erwiesen hat, umgehend beendet und im Üb-
rigen den V-Leute-Einsatz/die V-Leute-Führung zur Sicherung rechts-
staatlicher Maßstäbe eng geregelt und externer Kontrolle unterworfen
wird;

b. dass der Einsatz von V-Leuten, Verdeckten Ermittlern, Informanten und
Gewährspersonen engmaschig geregelt, dokumentiert, und kontrolliert
wird, ohne dass deren Einsatz der rechtsstaatlichen Notwendigkeit der
Verfolgung von Straftaten zuwiderläuft;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5431

c. dass die Vorschrift des § 23 BVerfSchG, der es den Nachrichtendiensten
erlaubt, unkontrolliert Informationen zurückzuhalten, grundlegend refor-
miert wird;

d. dass keine Neuerungen im Informationsverbund der Nachrichtendienste
entstehen, die der verfassungsrechtlichen Begrenzung des BfV auf seine
Zentralstellenfunktion und den verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Da-
tenschutz widersprechen;

e. dass die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Wahrung des Tren-
nungsgebotes zügig umgesetzt werden;

f. dass die Nachrichtendienste nicht ohne hinreichende verfassungsrechtli-
che Prüfung und Begründung und nicht ohne eine Gesamtschau auf die
Zunahme staatlicher Überwachungsaktivitäten mit neuen G10-Befugnis-
sen ausgestattet werden.

Berlin, den 30. Juni 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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