BT-Drucksache 18/4687

Gedenken an den 100. Jahrestag des Völkermords an den Armeniern - Versöhnung durch Aufarbeitung und Austausch fördern

Vom 22. April 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4687
18. Wahlperiode 22.04.2015
Antrag
der Abgeordneten Cem Özdemir, Claudia Roth (Augsburg), Peter Meiwald,
Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner,
Agnieszka Brugger, Ekin Deligöz, Uwe Kekeritz, Tom Koenigs, Dr. Tobias
Lindner, Omid Nouripour, Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Jürgen Trittin,
Doris Wagner, Luise Amtsberg, Matthias Gastel, Kai Gehring, Britta Haßelmann,
Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Dr. Konstantin von Notz und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gedenken an den 100. Jahrestag des Völkermords an den Armeniern –
Versöhnung durch Aufarbeitung und Austausch fördern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 24.04.2015 jährt sich zum hundertsten Mal der Beginn des Völkermords an den
ArmenierInnen im Osmanischen Reich. Der Deutsche Bundestag gedenkt der Opfer
von Gewalt, Mord und Vertreibung. Bei Massakern und Todesmärschen starben in
den Jahren 1915 bis 1918 hunderttausende ArmenierInnen. Die unfassbaren Ge-
schehnisse dieser Jahre haben bis heute tiefe Wunden bei ArmenierInnen weltweit
hinterlassen, die diese Jahre als Aghet („Katastrophe“) bezeichnen.

Auch zehntausende Angehörige anderer christlicher Bevölkerungsgruppen im Os-
manischen Reich, wie der AramäerInnen, AssyrerInnen, ChaldäerInnen und Pontos-
GriechInnen, erfuhren damals Gewalt und Vertreibung.

Das Deutsche Reich war 1915 enger Partner des Osmanischen Reiches. Obwohl
deutsche Diplomaten und Missionare über den Völkermord berichteten, schritt die
Regierung des Deutschen Reiches nicht ein und verhinderte sogar die Weiterverbrei-
tung entsprechender Informationen. Dennoch trugen die Berichte deutscher Missio-
nare dazu bei, die Weltöffentlichkeit über die Verbrechen an den ArmenierInnen
aufzuklären.

Der Deutsche Bundestag beklagt die Taten der jungtürkischen Regierung des Osma-
nischen Reiches, die zur fast vollständigen Vernichtung der ArmenierInnen in Ana-
tolien geführt haben. Er bedauert die Mitverantwortung des Deutschen Reiches, das
nicht versucht hat, einzugreifen. Er spricht den Angehörigen der Opfer sein tief emp-
fundenes Beileid aus.

Die Mitglieder des Deutschen Bundestages sind sich bewusst und können aus langer
deutscher Erfahrung nachempfinden, wie schwer es für jede Gesellschaft ist, zu den
dunklen Seiten ihrer Vergangenheit zu stehen. Sie wissen aus eigener Erfahrung,
dass eine Aufarbeitung der Geschichte die wichtigste Grundlage für Versöhnung so-
wohl mit den Nachbarn als auch in der eigenen Gesellschaft selbst darstellt.

Drucksache 18/4687 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Daher begrüßt der Deutsche Bundestag, dass der damalige Ministerpräsident der Re-
publik Türkei Recep Tayyip Erdo an in seiner Erklärung zum 99. Gedenktag von
„gemeinsamem Leid“ sprach und den Nachkommen der getöteten ArmenierInnen
sein Beileid aussprach. Positiv bewertet der Bundestag auch, dass der türkische Mi-
nisterpräsident Ahmet Davuto lu zum Todestag von Hrant Dink am 19.01.2015 eine
Gedenkerklärung veröffentlichte und zu einer Wiederannäherung zwischen TürkIn-
nen und ArmenierInnen aufrief.

Der Deutsche Bundestag sieht auch positive Anzeichen dafür, dass seit dem letzten
Antrag (BT-Drucksache 15/5689) in der türkischen Gesellschaft und Politik der Um-
gang mit dem Völkermord an den ArmenierInnen offener geworden ist.

Der Deutsche Bundestag ist sich bewusst, dass auch die türkische Erinnerungskultur
durch schmerzhafte Erfahrungen von Krieg und Vertreibung geprägt ist. Das Osma-
nische Reich verlor mit seinem Zerfall einen Großteil seines Territoriums und seiner
Bevölkerung. Diese traumatischen Erfahrungen erschweren das Erinnern an die Er-
eignisse von 1915/1916.

Gleichzeitig erfüllt den Bundestag jedoch mit Sorge, dass es in der Türkei immer
noch große Widerstände dagegen gibt, die Ereignisse der Jahre 1915/1916 offen und
ehrlich aufzuarbeiten. Immer wieder sehen sich WissenschaftlerInnen und Schrift-
stellerInnen, die sich mit diesem Teil der türkischen Geschichte auseinandersetzen,
strafrechtlicher Verfolgung und öffentlicher Diffamierung ausgesetzt.

Der Bundestag fordert alle Akteure dazu auf, auch in Zukunft Anstrengungen zu
unternehmen, um eine ehrliche und offene Aufarbeitung der Geschichte voranzutrei-
ben. Eine gesellschaftliche Versöhnung wird ohne eine politische Annäherung nicht
möglich sein. Der Bundestag begrüßt die Schritte, welche die Türkei und Armenien
unternommen haben, um ihre Beziehungen zueinander zu normalisieren.

Der Deutsche Bundestag bedauert jedoch, dass es nicht gelungen ist, in der Annähe-
rung zwischen der Türkei und Armenien nachhaltige Fortschritte zu erzielen. Seit
2009 stockt der Annäherungsprozess; auf beiden Seiten sind andauernde Vorbehalte
gegen eine Fortführung des eingeschlagenen Weges festzustellen.

Der Deutsche Bundestag ermuntert alle Akteure, aufeinander zuzugehen. Die Öff-
nung der armenisch-türkischen Grenze ohne Vorbedingungen wäre ein erster wich-
tiger Schritt. Denn sie würde nach aller historischer Erfahrung allen Seiten nutzen.
ArmenierInnen und TürkInnen könnten sich kennenlernen, austauschen und Vorur-
teile abbauen. Die Wirtschaft beider Länder könnte vom erleichterten Zugang zum
Nachbarland profitieren.

Gleichzeitig sollte die türkische Regierung den Aufbau einer offenen Erinnerungs-
kultur in der Türkei aktiv unterstützen. Die historische Aufarbeitung der dunklen
Kapitel der eigenen Vergangenheit in Deutschland zeigt, dass ein ehrlicher Umgang
mit der eigenen Geschichte ein Land und seine Gesellschaft nicht schwächt, sondern
sogar stärken kann. Voraussetzung für die Aufarbeitung der Ereignisse ab 1915 sind
Kenntnisse über sie. Türkische Schulbücher sollten endlich eine entsprechende
Überarbeitung erfahren.

Auch Deutschland ist in der Pflicht. Es sollte sich aufgrund der Rolle des Deutschen
Reiches seiner historischen Verantwortung stellen. Dazu gehört, TürkInnen und Ar-
menierInnen dabei zu unterstützen, nach Wegen der Versöhnung und Verständigung
zu suchen. Dialog und Austausch können eine Brücke zur Anerkennung von wider-
fahrenem Leid, Abbau von Feindbildern und dauerhaft guten bilateralen Beziehun-
gen bilden. Deklarationen allein reichen hierfür nicht.

Insbesondere Initiativen der demokratischen Zivilgesellschaft zu Aufarbeitung und
grenzüberschreitender Zusammenarbeit können einen wertvollen Beitrag zu gesell-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4687
schaftlicher Öffnung und Verständigung leisten. Austauschprogramme in den Berei-
chen Bildung, Wissenschaft und Kultur – wie die Arbeit der Hrant-Dink-Stiftung –
sind beispielhaft und bedürfen auch künftig europäischer Förderung.

Gleichzeitig sollte sich die Bundesregierung für eine stärkere Anbindung Armeniens
an die Europäische Union einsetzen. Damit könnte sie Eriwan Perspektiven eröff-
nen, sich in seinen Außenbeziehungen weiter zu öffnen. Nach dem vorläufigen
Scheitern des Assoziationsabkommens sollte die Bundesregierung mit den europäi-
schen Partnern nach Wegen suchen, die Annäherung Armeniens an die Europäische
Union fortzusetzen und einen demokratischen Reformprozess im Land zu unterstüt-
zen. Eine Unterzeichnung des EU-Assoziationsabkommens ohne die Abschnitte zur
wirtschaftlichen Verzahnung ist hierfür nicht ausreichend. Der regionale Verständi-
gungsprozess bedarf seitens der Europäischen Union und der internationalen Ge-
meinschaft dringend mehr Aufmerksamkeit und Engagement.

Ein wichtiger Schritt bei der Aufarbeitung der Ereignisse von 1915/1916 ist die all-
seitige Anerkennung dessen, was geschehen ist. Bei den Massakern an den und To-
desmärschen der ArmenierInnen ab 1915 handelt es sich um einen Völkermord. In
seinem Beschluss von 2005 gedachte der Bundestag mit seiner Zurückhaltung in der
qualitativen Bezeichnung des Völkermords als solchen, den Aussöhnungsprozesses
zwischen ArmenierInnen und TürkInnen zu erleichtern. Gleichwohl verwies der
Bundestag bereits damals darauf, dass die Bewertung der Ereignisse als Völkermord
in der Wissenschaft weitgehend unstrittig ist und forderte die armenische und die
türkische Seite auf, sich in einer gemeinsamen Historikerkommission auch bei dieser
Frage anzunähern. Der Bundestag begrüßt, dass die Bildung einer solchen Kommis-
sion in den Zürcher Protokollen 2009 beschlossen wurde.

Die Fortschritte in den türkisch-armenischen Beziehungen und vor allem in der ge-
sellschaftlichen Debatte in der Türkei machen Hoffnung darauf, dass die Bereit-
schaft in der türkischen Gesellschaft für eine Auseinandersetzung und Aufarbeitung
seitdem gewachsen ist. Gleichzeitig konnte jedoch die türkische und armenische Po-
litik das zurückliegende Jahrzehnt nur für einen Teil der notwendigen Schritte im
Aussöhnungsprozess nutzen. Die Bildung einer Historiker- bzw. Expertenkommis-
sion, die in ihrer Zusammensetzung die ganze Bandbreite der aktuellen internationa-
len Forschung zum Thema repräsentiert, ist derzeit nicht absehbar.

Daher sieht sich der Deutsche Bundestag nicht länger veranlasst, die Frage des Völ-
kermordbegriffs einer solchen Kommission zu überlassen und schließt sich dem un-
ter HistorikerInnen längst breiten Konsens darüber an, dass die Ereignisse von
1915/1916 einen Völkermord darstellen.

Die Konvention der Vereinten Nationen über die Verhütung und Bestrafung des Völ-
kermords verwendet den Begriff des Völkermords auch im Hinblick auf historische
Geschehnisse, die sich ereigneten, bevor die Konvention 1948 in Kraft trat. Abgese-
hen von der Frage der Geltung der Völkermordkonvention ist zu konstatieren, dass
jedenfalls der Tatbestand des Völkermords gemäß Artikel 2 der Konvention erfüllt
ist. Auch der Whitaker-Bericht der Vereinten Nationen von 1985, der Europarat und
die Europäische Union sind sich in dieser Bewertung einig. Mehr als zwanzig Staa-
ten haben die Deportationen und Vertreibungen der ArmenierInnen ab 1915 mittler-
weile als Völkermord anerkannt, darunter die USA, Frankreich und die Schweiz. Die
Bundesregierung sollte sich hier ebenfalls klar positionieren.

Die Bundesregierung sollte die deutsche Mitverantwortung anerkennen und diese
offiziell bedauern. Die Rolle des Deutschen Reiches sollte Teil der Erinnerungskul-
tur der Bundesrepublik Deutschland werden und in der Forschung ausreichend be-
handelt werden.

Drucksache 18/4687 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Dabei kommt auch den Bundesländern eine wichtige Rolle zu. Die Bildungspolitik
sollte verstärkt dazu beitragen, dass die Aufarbeitung der Vertreibung und Vernich-
tung der ArmenierInnen als Teil der Aufarbeitung der Geschichte von kollektiver
Gewalt, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im 20. Jahrhundert
in den Lehrplänen und -materialien aufgegriffen wird.

Die Bundesregierung sollte das Lepsiushaus in Potsdam dabei unterstützen, seinem
Auftrag, eine deutsch-türkisch-armenische Begegnungsstätte zu sein, umfassend ge-
recht zu werden. Die Forschung über den Armenier-Genozid sollte an einer oder
mehreren deutschen Universitäten verankert werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die deutsche Mitverantwortung an den historischen Ereignissen anzuerkennen
und unter Nutzung der im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts vorhande-
nen Akten aufzuarbeiten;

2. anzuerkennen, dass es sich bei den Massakern und Vertreibungen an den Arme-
nierInnen ab 1915 um einen Völkermord handelt;

3. weiterhin in der Bundesrepublik Initiativen und Projekte in Wissenschaft, Zivil-
gesellschaft und Kultur zu fördern, die eine Auseinandersetzung mit den Ge-
schehnissen von 1915/1916 sowie der Rolle des Deutschen Reiches zum Thema
haben;

4. dafür einzutreten, dass sich Parlament, Regierung und Gesellschaft der Türkei
mit den Verbrechen am armenischen Volk in Geschichte und Gegenwart offen
und umfassend auseinandersetzen;

5. sich für die Gewährung der Meinungsfreiheit in der Türkei, insbesondere auch
bezüglich des Schicksals der ArmenierInnen, einzusetzen;

6. dafür einzutreten, dass die in jüngster Zeit begonnene Pflege des armenischen
Kulturerbes in der Republik Türkei fortgesetzt und intensiviert wird;

7. eine Aufarbeitung der historischen Ereignisse durch die Türkei und Armenien
als ersten Schritt zur Versöhnung und zur längst überfälligen Verbesserung der
türkisch-armenischen Beziehungen aktiv zu unterstützen, z. B. durch Stipendien
für WissenschaftlerInnen oder Unterstützung zivilgesellschaftlicher Kräfte aus
beiden Ländern, die sich für Aufarbeitung und Versöhnung engagieren;

8. sich gegenüber der türkischen und der armenischen Regierung für die Ratifizie-
rung der 2009 unterzeichneten Züricher Protokolle, welche die Wiederaufnahme
diplomatischer Beziehungen und die Öffnung der gemeinsamen Grenze vorse-
hen, einzusetzen;

9. sich für die Stärkung der relevanten VN-Institutionen und Instrumente zur Ver-
hinderung von Völkermord einzusetzen und die Stelle des „focal point“ für
Schutzverantwortung im Auswärtigen Amt aufzuwerten.

Berlin, den 21. April 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/4687
Begründung

Der Deutsche Bundestag begrüßt die Anzeichen eines vorsichtigen Wandlungsprozesses in der Türkei, was die
Aufarbeitung des Völkermords an den ArmenierInnen und eine Wiederannäherung an Armenien betrifft. Bei-
spiele dafür sind:

Am 23.01.2007 fand die Trauerkundgebung zur Beisetzung des armenisch-türkischen Journalisten Hrant
Dink großen Widerhall in der türkischen Öffentlichkeit. Hrant Dink hatte sich für eine Aussöhnung zwi-
schen TürkInnen und ArmenierInnen eingesetzt und war am 19. Januar 2007 in Istanbul auf offener Straße
erschossen worden. An der Kundgebung unter dem Motto „Wir sind alle Hrant! Wir sind alle Armenier!“
nahmen mehr als 100.000 Menschen teil. Seitdem wird in der Türkei jedes Jahr mit Gedenkveranstaltungen
an das Leben und Werk von Hrant Dink erinnert.

Im Jahr 2009 entschuldigten sich über 30.000 türkische Intellektuelle in dem Internetaufruf „Ozür diliyo-
rum“ (Ich entschuldige mich) bei den ArmenierInnen für die Leugnung der „Großen Katastrophe“, der
Vertreibung und Ermordung der osmanischen ArmenierInnen 1915/1916.

Im Jahr 2005 noch undenkbar, haben in der Türkei mittlerweile zahlreiche wissenschaftliche Veranstal-
tungen, Filmvorführungen, Ausstellungen und andere Gedenkinitiativen zum Völkermord stattgefunden,
organisiert von zivilgesellschaftlichen Organisationen, AkademikerInnen und teilweise auch von örtlichen
Behörden.

Der Radiosender Türkiye‘nin sesi radyosu, Teil des türkischen staatlichen Radiosenders TRT, sendet seit
2009 Programmteile auch auf Armenisch.

Seit 2010 finden regelmäßig zivilgesellschaftlich organisierte Gedenkfeiern an den Völkermord in der Tür-
kei statt. Den hundertsten Jahrestag begehen zivilgesellschaftliche Initiativen mit Kultur- und Diskussi-
onsveranstaltungen. Höhepunkt ist ein großes Gedenkkonzert mit Lesungen von Texten armenischer Au-
torInnen am 22.4.2015 in Istanbul.

In den vergangenen Jahren sind in der Türkei einige der enteigneten Stiftungsgüter an die armenische
Gemeinschaft zurückgegeben worden. Von hoher Symbolkraft war die Restaurierung der armenischen
Kirche zum Heiligen Kreuz (Surp Khach) auf der Insel Akhtamar (im Türkischen: Akdamar) im Vansee.

Auch auf politischer Ebene kam es zu einer Wiederannäherung zwischen der Türkei und Armenien. 2008 und
2009 trafen sich der damalige türkische Präsident Abdullah Gül und sein armenischer Amtskollege Präsident
Serzh Sargsyan zu gemeinsamen Besuchen von WM-Qualifikationsspielen ihrer Fußballnationalmannschaften
(„Fußball-Diplomatie“). Daraufhin wurden 2009 unter Vermittlung der Schweiz Protokolle über die Aufnahme
diplomatischer Beziehungen zwischen Armenien und der Türkei und die Öffnung der gemeinsamen Grenze in
Zürich unterzeichnet. Hervorzuheben ist auch die türkische Initiative aus dem Jahr 2008 für eine Stabilitäts-
und Kooperationsplattform für den gesamten Südkaukasus unter Einbezug von Russland.

Gleichzeitig ist der Deutsche Bundestag jedoch besorgt über folgende Entwicklungen, die einer Aufarbeitung
und Wiederannäherung im Wege stehen:

Die türkische Regierung hat die offizielle Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Gefallenen im
Çanakkale-Krieg bzw. der Gallipoli-Schlacht (1915), an die am 18.03. 2015 bzw. 25.04.2015 erinnert wird,
auf den Jahrestag des Völkermords an den ArmenierInnen verlegt. Damit schafft sie einen ungesunden
Wettbewerb gesellschaftlicher Traumata und verschließt sich einer offenen Auseinandersetzung mit den
Wunden der ArmenierInnen.

In türkischen Schulbüchern werden christliche Minderheiten wie ArmenierInnen, AramäerInnen und Grie-
chInnen als VerräterInnen bezeichnet und der Völkermord als Migration in den Süden des Osmanischen
Reiches dargestellt.

Der § 301 des türkischen Strafgesetzbuches wird trotz geringfügiger Änderungen 2009 immer noch dazu
verwendet, Strafverfahren gegen Menschen anzustrengen, die die Ereignisse von 1915 als Völkermord
bezeichnen.

Die türkische Regierung ließ 2011 das als Aufruf zur Versöhnung konzipierte „Denkmal der Menschlich-
keit“, das der türkische Bildhauer Mehmet Aksoy 2008 in der grenznahen Stadt Kars errichtet hatte, abrei-
ßen.

Drucksache 18/4687 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Der deutsch-türkische Filmemacher Fatih Akin sah sich nach der Veröffentlichung seines den Völkermord

thematisierenden Films „The Cut“ 2014 massiven Protesten und Morddrohungen in der Türkei ausgesetzt.

Der Bundestag ist auch darüber besorgt, dass der politische Wiederannäherungsprozess zwischen Armenien
und der Türkei mittlerweile ins Stocken geraten ist. Die Zürcher Protokolle wurden nicht ratifiziert. Investitio-
nen in Austausch und wirtschaftliche Verflechtung, die den Weg zu Verständigung sowie Stabilität und Wohl-
stand in der gesamten Kaukasus-Region ebnen könnten, treten hinter klassische Sicherheitspolitik zurück. In
Armenien beansprucht die Sicherung der Grenzen zur Türkei und Aserbaidschan große finanzielle Ressourcen.
Dies beeinträchtigt erheblich die notwendige wirtschaftliche Stabilisierung des Landes.
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.