BT-Drucksache 18/3747

Konsultationsergebnisse beherzigen - Klageprivilegien zurückweisen

Vom 14. Januar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3747
18. Wahlperiode 14.01.2015
Antrag
der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, Dieter
Janecek, Dr. Julia Verlinden, Britta Haßelmann, Dr. Franziska Brantner, Ekin
Deligöz, Harald Ebner, Matthias Gastel, Anja Hajduk, Bärbel Höhn, Uwe Kekeritz,
Katja Keul, Stephan Kühn (Dresden), Markus Kurth, Steffi Lemke, Dr. Tobias
Lindner, Peter Meiwald, Irene Mihalic, Beate Müller-Gemmeke, Dr. Konstantin von
Notz, Brigitte Pothmer, Claudia Roth (Augsburg), Corinna Rüffer, Dr. Frithjof
Schmidt, Markus Tressel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Konsultationsergebnisse beherzigen – Klageprivilegien zurückweisen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 27. März 2014 eröffnete die EU-Kommission ein Konsultationsverfahren zum
Investitionsschutzkapitel und den Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren (ISDS)
im geplanten Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP). Dem vorausge-
gangen war eine kontroverse öffentliche Debatte zu den Risiken der entsprechenden
Regelungen. In der TTIP-Konsultation wurden Auszüge aus dem fast ausverhandel-
ten Investitionsschutzkapitel des Freihandelsabkommens mit Kanada (CETA) ver-
öffentlicht. Laut EU-Kommission sollte dieses als Grundlage für das entsprechende
Kapitel im TTIP dienen.

Als das Verfahren am 13. Juli abgeschlossen wurde, hatte die EU-Kommission fast
150.000 Teilnahmen verzeichnet. Rund 32.500 dieser Stellungnahmen kamen aus
Deutschland. Nach Großbritannien und Österreich stellt dies den drittgrößten Bei-
trag an der Konsultation dar. Über 99 Prozent aller Stellungnahmen wurden von Ein-
zelpersonen eingereicht.1 Außerdem beteiligten sich 569 Organisationen am Verfah-
ren, darunter 180 Nichtregierungsorganisationen, 42 Gewerkschaften, 66 Handels-
verbände sowie 60 Konzerne. Die Veröffentlichung der Ergebnisse wurde mehrfach
vertagt und liegt nun vor.

Die Ergebnisse des Konsultationsverfahrens zeigen vor allem zwei Dinge: Das Inte-
resse an den Plänen zum TTIP ist europaweit groß. Noch nie war die Beteiligung an
einem Konsultationsverfahren der EU-Kommission so intensiv. Der Deutsche Bun-
destag begrüßt dieses große Interesse an dem Beteiligungsangebot der EU-Kommis-
sion. Die überdurchschnittliche Beteiligung ist Ausdruck des hohen Stellenwertes,
welchen die BürgerInnen dem Thema TTIP beimessen. Es ist nun wichtig, dass die

1 Quelle: GD Trade: Preliminary report (statistical overview) on the online public consultation on investment protection
and investor-to-state dispute settlement (ISDS) in the Transatlantic Trade and Investment Partnership Agreement (TTIP).

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politischen Institutionen sich sehr ernsthaft mit diesem Ergebnis auseinandersetzen
und politische Schlussfolgerungen daraus ziehen.

Zweitens hat das Konsultationsergebnis gezeigt, dass eine überwältigende Mehrheit
der TeilnehmerInnen des Konsultationsverfahrens die Einführung von Investor-
Staat-Schiedsverfahren in das TTIP grundsätzlich ablehnt.

Obwohl die EU-Kommission eine grundsätzliche Stellungnahme zur Notwendigkeit
von Investor-Staat-Schiedsgerichten im TTIP gar nicht vorgesehen hatte, nutzten
über 97 Prozent der TeilnehmerInnen die Möglichkeit, ihre grundsätzliche Ableh-
nung gegenüber Investor-Staat-Schiedsgerichten im Rahmen vom TTIP auszudrü-
cken.

Und auch diejenigen, die in größerer Detailtiefe auf die zwölf Einzelfragen des Kon-
sultationsfragebogens eingingen, beschrieben die vorgeschlagenen Regeln der EU-
Kommission mit Mehrheit als unzureichend und damit nicht unterstützenswert.

Die große Bandbreite unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen, die an der Kon-
sultation teilgenommen haben, sowie die hohe Anzahl der EinzelteilnehmerInnen
unterstreicht die Bedeutung dieses sehr eindeutigen Ergebnisses des Konsultations-
verfahrens.

Aus diesem Grund ist es notwendig, dass die Bewertung des Investitionsschutzkapi-
tels im TTIP durch die politischen Institutionen nicht bis zum Ende der TTIP-Ver-
handlungen vertagt wird, sondern zeitnah und klar politische Schlussfolgerungen aus
dem Ergebnis gezogen werden.

Der Deutsche Bundestag schließt sich der Einschätzung der Mehrheit der Bürgerin-
nen und Bürger in Europa an. Die im Rahmen des Konsultationsverfahrens von der
EU-Kommission vorgelegten Vorschläge für ein Investitionsschutzkapitel im TTIP
können keine Zustimmung finden.

Zum einen überzeugt die grundsätzliche Argumentation der Notwendigkeit eines In-
vestitionsschutzkapitels im TTIP nicht. Bei hohen Risiken und wenig erkennbarem
Nutzen gibt es kein überzeugendes Argument zur Aufnahme von Investor-Staat-
Schiedsgerichten in das TTIP.

Und auch im Detail behebt der Ansatz der EU-Kommission, die Investitionsschutz-
bestimmungen zu verbessern, die grundsätzlichen Probleme nicht. Die Unabhängig-
keit der Schiedsrichter ist in den vorgesehenen Ad-hoc-Verfahren nicht gesichert.
Dieselbe Person kann in einem Schiedsgerichtsverfahren als Anwalt einer Partei auf-
treten und in einem anderen als Richter fungieren, was zu Interessenskonflikten füh-
ren kann. Die Bezahlung pro Fall und Verhandlungstag schafft Anreize, Klagen eher
für rechtmäßig zu erklären bzw. durch eine weite Auslegung der Investitionsschutz-
klauseln Unternehmen zu weiteren Klagen zu ermutigen. Bisher ist unklar, ob es
Berufungsinstanzen in CETA und TTIP geben wird, ohne die die Urteile irreversibel
und nicht nachprüfbar wären. Die Ausschöpfung des nationalen Rechtswegs vor der
Anrufung eines Schiedsgerichts ist nicht vorgesehen, wodurch Investoren alternative
und sogar parallele Klagen gegen Staaten anstrengen können. Die Ansätze der EU-
Kommission für mehr Transparenz in den Verfahren könnten zugunsten von Ver-
traulichkeit umgangen werden. Hinzu kommt das Problem unbestimmter Rechtsbe-
griffe, die durch Schiedsgerichte sehr weit ausgelegt werden können. Die EU-Kom-
mission versucht zwar in ihrem neuen Ansatz, Investitionsschutzklauseln wie „ge-
rechte und billige Behandlung“, „Nichtdiskriminierung“ oder „indirekte Enteig-
nung“ zu präzisieren, allerdings erfolgt die Präzisierung durch weitere unbestimmte
Rechtsbegriffe, deren Auslegung ungewiss ist.

Die Probleme mit Schiedsverfahren verdeutlichen derzeit eindrucksvoll die Klagen
von Energiekonzernen gegen Deutschland oder Spanien. Der Vattenfall-Konzern

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klagt gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen des im Jahr 2011 parteiüber-
greifend beschlossenen Atomausstiegs vor einem intransparenten Schiedsgericht
und klagt gleichzeitig vor dem Bundesverfassungsgericht. Und auch RWE umgeht
in Spanien das bestehende Rechtssystem und klagt wegen einer Kürzung der Ein-
speisevergütungen von erneuerbaren Energien, die als Sparmaßnahme im Zuge der
Eurokrise im spanischen Parlament beschlossen wurde, vor einem Schiedsgericht.

Das Ergebnis des Konsultationsprozesses zum TTIP lässt sich auch als ein Votum
über das Investitionsschutzkapitel im EU-Kanada-Abkommen CETA interpretieren.
Schließlich hat die EU-Kommission das fast ausverhandelte Investitionsschutzkapi-
tel für CETA im Rahmen der Konsultation zur Abstimmung vorgelegt. Zwar haben
die CETA-Verhandler nach Abschluss des Konsultationsverfahrens noch einige Än-
derungen im Investitionsschutzkapitel im CETA vorgenommen, doch eine Exper-
tenanhörung des Deutschen Bundestages hat gezeigt, dass auch dieser Versuch nicht
zufriedenstellend ist. Die oben beschriebenen Probleme bleiben nach Meinung der
meisten Experten weiterhin bestehen. Auch der Ausschluss bestimmter Sektoren von
den Investor-Staat-Schiedsverfahren im CETA wird lediglich auf die Bereiche be-
schränkt, die derzeit im Fokus der politischen Debatte stehen und als sensibel einge-
schätzt werden. Alle anderen Bereiche, in denen sich zukünftig unvorhergesehen
politischer Handlungsbedarf entwickeln könnte, sind so künftig ungeschützt.

Aus diesem Grund wird der Deutsche Bundestag keinem TTIP- oder CETA-Ver-
tragsentwurf zustimmen, in dem Regelungen zu Investor-Staat-Schiedsgerichten
enthalten sind.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich unverzüglich dafür einzusetzen, dass die Ergebnisse des Konsultationsver-
fahrens zum Mechanismus zur außergerichtlichen Investor-Staat-Schiedsge-
richtsbarkeit zwischen Investoren und Staaten im TTIP in den Verhandlungen
berücksichtigt werden und kein entsprechender Mechanismus in das TTIP-Ab-
kommen aufgenommen wird und im Rat der EU ein Abkommen, das einen sol-
chen Streitbeilegungsmechanismus vorsieht, abzulehnen,

2. sich unverzüglich dafür einzusetzen, dass der Mechanismus zur außergerichtli-
chen Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit zwischen Investoren und Staaten aus
dem CETA entfernt wird beziehungsweise im Rat der EU ein Abkommen, das
einen solchen Streitbeilegungsmechanismus vorsieht, abzulehnen.

Berlin, den 14. Januar 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

Drucksache 18/3747 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Begründung

Die Aufnahme eines privaten, außergerichtlichen Streitbeilegungsmechanismus in die Handelsabkommen
TTIP und CETA ist falsch. Ein solcher Mechanismus ist weder notwendig noch zielführend. Im Gegenteil zeigt
die obige Argumentation, dass eine Reihe grundsätzlicher Fragen und kritischer Argumente gegen solche
Schiedsverfahren bestehen. Auch in Einzelaspekten konnte der Vorschlag der EU- Kommission nicht überzeu-
gen. Weder lösen die Bestimmungen im Konsultationsdokument die Interessenskonflikte der Schiedsrichter
noch garantieren sie in jedem Fall öffentliche und transparente Verfahren. Weiterhin verwendet die EU-Kom-
mission vage Investitionsschutzklauseln und kann auch durch die vorgenommenen Konkretisierungen nicht
ausschließen, dass eine sehr weite Auslegung durch Schiedstribunale weiterhin möglich ist.

In einer öffentlichen Anhörung zum Investitionsschutzkapitel im CETA am 15. Dezember 2014 im Deutschen
Bundestag wurde erneut deutlich, dass der Nutzen des Investitionsschutzkapitels im CETA äußerst fragwürdig
und die Risiken und Probleme mit Investitionsschutz auch durch das CETA nicht behoben wurden. So wurde
beispielsweise festgestellt, dass das CETA nationale Gerichtssysteme nicht nur unzureichend einbindet, son-
dern die funktionierende nationale Gerichtsbarkeit schwächt. So könnten Unternehmen auf Grundlage des In-
vestitionsschutzkapitels im CETA durchaus parallele Klagen anstrengen, auf Schadensersatz vor einem
Schiedsgericht und gegen den kritischen Rechtsakt vor einem nationalen Gericht. Dies würde nicht nur zu einer
alternativen sondern ggf. auch parallelen Gerichtsbarkeit führen.

Im CETA sei zudem versucht worden, bisherige unbestimmte Investitionsschutzklauseln zu konkretisieren.
Diese Konkretisierung erfolgte allerdings durch neue unbestimmte Rechtsbegriffe, deren Auslegung wiederum
nicht absehbar ist. Problematisch sei auch, dass im CETA zwar bestimmte Bereiche vom Investitionsschutz
ausgeklammert wurden, aber nicht absehbar ist, welche Sektoren in Zukunft besonders schutzbedürftig sein
werden. Kritisch wurden auch die mangelnde Bekenntnis zu einer Berufungsinstanz sowie die nicht gelöste
mangelnde Unabhängigkeit und Interessenskonflikte von Schiedsrichtern gesehen. Vor diesem Hintergrund
werden investorenfreundliche Urteile durch die Schiedsgerichte und unkalkulierbare Risiken befürchtet.

Konsens bestand zwischen den Experten, dass es grundsätzlich keines Investitionsschutzes in Freihandelsab-
kommen bedarf, wenn die beteiligten Vertragsparteien über funktionierende Rechtssysteme verfügen, wie dies
in der EU und in Kanada der Fall ist. Weder in Kanada noch in der EU gebe es ein systemisches Rechtsschutz-
problem für Investitionen.

Die Risiken von außergerichtlichen Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismen überwiegen damit bei weitem
ihren zweifelhaften Nutzen zwischen Handelspartnern, die über hochentwickelte Rechtssysteme verfügen und
Investoren innerhalb ihrer nationalen Gerichtsbarkeit umfassend schützen. Der Deutsche Bundestag wird kei-
nem Abkommen mit Kanada oder den USA zustimmen, in dem diese Regelungen enthalten sind.

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